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E-Book

Der Mann der Armut

Franziskus - ein Name wird Programm

AutorMartina Kreidler-Kos, Niklaus Kuster
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783451801433
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,49 EUR
Franziskus - ein Papst auf Augenhöhe. Franz von Assisi stand Pate bei seiner Namenswahl. Doch was kann der gelehrte Petrusnachfolger vom einfachen Bruder aus Assisi tatsächlich lernen? Was ist franziskanischer Geist für die Weltkirche heute? Kann sich die Spitze der Kirche mit Blick auf einen Mystiker an ihrer Basis neu orientieren? Was hat ein Mann des hohen Mittelalters der Kirche des dritten Jahrtausends zu sagen? Dieses Buch lässt Bruder Franz zu Papst Franz sprechen - hoffnungsvoll, nachdenklich und ermutigend. Es zeigt, wie der Heilige den Papst tatsächlich inspiriert - und erschließt damit zugleich zu großen Teilen das Selbstverständnis des Papstes. Und es geht der spannenden Frage nach, wie ein Charisma überleben kann, wenn es den Regeln des Amts unterworfen ist.

Niklaus Kuster, Dr. theol., geboren 1962, Kapuziner, Dozent an den Universitäten Luzern und Fribourg sowie an den Ordenshochschulen in Venedig, Madrid und Münster; Leiter von spirituellen Reisen.

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Leseprobe

KAPITEL 1

»ein neuer Stil«

Begegnungen auf Augenhöhe

Die Bilder vom Abend des 13. März 2013 gehen um die ganze Welt: Auf dem regennassen Petersplatz und in der Via della Conciliazione warten etwa 200.000 Menschen auf den neuen heiligen Vater, der vier Wochen nach dem Rücktritt Benedikts XVI. die Kirche weiter führen soll. Der erste Auftritt auf der Loggia der Peterskirche überrascht. Der neu gewählte Papst beeindruckt durch eine Schlichtheit, die ebenso elektrisiert wie seine Namenswahl. Freunde barocker Pracht und monarchischer Macht werden dies bald als fortschreitende »Entzauberung des Amtes«7 beklagen, während Millionen von Menschen weltweit begeistert auf Franziskus von Rom schauen. Vatikanische Insider berichten noch vor der Amtseinsetzung vom humorvoll entschlossenen Nein des Gewählten zur purpurnen Mozetta samt Hermelin, roten Lederschuhen und Goldkreuz: In der Kleiderkammer des Konklave lehnt der argentinische Primas die Würdezeichen des Pontifex ab, die unter seinem Vorgänger wieder gebräuchlich geworden sind.8

Doch nicht nur das persönliche Erscheinungsbild des neuen Bischofs von Rom liebt größtmögliche Einfachheit. Es gelingt Papst Franziskus bereits mit den ersten Worten, die Distanz zwischen Loggia und Petersplatz zu überbrücken und das Gefälle zwischen oben und unten zu überwinden. Tausende haben den neuen »heiligen Vater« erwartet. Dieser betet zuerst ein Vaterunser mit dem Gottesvolk, um danach vom geschwisterlichen Weg zu sprechen, auf den er die ganze Kirche einlädt.9 »Einer ist euer Vater, der im Himmel, ihr alle aber seid Geschwister«, so hat Jesus seine Jüngerinnen und Jünger gelehrt (Mt 23,9). Dasselbe macht Franz von Assisi in seiner öffentlichen Enterbung deutlich, wenn er vor den versammelten Schaulustigen und Würdenträgern seiner Stadt erklärt: »Hört mich an und versteht mich gut … Von nun an sage ich: Unser Vater, der du bist im Himmel.«10

Menschennähe


Mit feinem Gespür wird Papst Franziskus auch in den folgenden Wochen und Monaten täglich »Augenhöhe« herstellen und jede Form von Überhöhung unterlaufen. Indem er am Tag nach der Wahl in einer Priesterherberge an der Via della Scrofa die Hotelrechnung persönlich bezahlt, schafft er es in die Nachrichtensendungen der Welt.11 Als Papst trägt er auch weiterhin die Straßenschuhe, mit denen er in Argentinien durch die Favelas ging. Er bleibt im Gästehaus des Vatikans wohnen und zieht nicht in den Apostolischen Palast. Am Gründonnerstag, nur wenige Tage nach seiner Amtseinführung, wäscht er nicht Priestern oder ausgewählten Gästen, sondern kriminellen Jugendlichen in einem römischen Gefängnis die Füße. Im Frühling öffnet er die schwer zugänglichen Gärten des Vatikans für ein Picknick mit den Obdachlosen Roms, und im Dezember feiert er seinen 77. Geburtstag mit drei Clochards.12 Bei der Rückkehr vom Weltjugendtag in Brasilien im August antwortet er Journalisten auf die Frage, warum er mit seiner Ledermappe aus dem Flugzeug steige: Jeder andere Fluggast trage doch auch sein Handgepäck mit sich. Anders als Staatsoberhäupter und Prominente der Welt will der Petrusnachfolger nicht durch Begleittross und Privilegien auffallen. Er fordert seine Bodyguards, indem er auf Panzerglas verzichtet, Schranken ignoriert und in jeder Situation neu die unmittelbare Nähe der Menschen sucht.

Der eben noch privilegierte Kaufmannssohn und Modeexperte steht entkleidet vor seinem irdischen Vater, dem Bischof und der Stadt. Was die mittelalterliche Gesellschaft in Stände gliederte und voneinander abhob, erscheint unter der Hand des himmlischen Vaters auf derselben Ebene: Reiche und Einfache, Bürger und Adelige, Kleriker und Laien, Bischof und Volk.

Enterbung des Franziskus im Tribunal des Bischofs

Giottoschule, Oberkirche von San Francesco, Assisi

Herzliche Begegnungen


»Augenhöhe« kennzeichnet im Vatikan die Treffen mit Regierungs- und Staatschefs sowie mit höchsten Vertretern anderer Kirchen. Als »herzlich« wird sowohl die Begegnung mit Kanzlerin Angela Merkel im Mai beschrieben wie auch das Zusammentreffen mit Wladimir Putin im November.13 Herzlich sind auch hochrangige ökumenische Begegnungen: mit Nikolaus Schneider, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EDK),14 oder mit dem koptischen Papst Tawadros II. im Mai.15 Ebenso auf Augenhöhe, aber durchaus kritisch fallen die Botschaften aus, die an die Supermächte – etwa in Fragen militärischer Interventionen und europäischer Flüchtlingspolitik – oder an den Gewaltherrscher in der sich über den Sommer akut zuspitzenden Syrienkrise gerichtet sind. In Evangelii gaudium schließlich mischt sich Papst Franziskus mit scharfen Worten in gesellschaftliche Debatten ein: »Wir müssen heute ein ›Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen‹ sagen. Diese Wirtschaft tötet« (EG 53).

Liebevolle Tuchfühlung sucht Franziskus dagegen mit Kranken und gezeichneten Menschen, die er bei jeder der mittlerweile überfüllten Mittwochsaudienzen auf dem Petersplatz trifft. Im Oktober geht das Bild eines entstellten Mannes um die Welt, dessen Gesicht voller Tumore Franziskus an seine Brust drückt.16 Für Schmunzeln sorgt dagegen ein Handyfoto, das eine Jugendliche aus Norditalien knipste und auf dem sie und ihre Freunde die Köpfe mit dem Papst zusammenstecken. Dieses Foto schaffte es gar auf die Titelseite des großen Jahresrückblicks 2013 der Süddeutschen Zeitung. Als messdienende Kinder aus Aarau Anfang Oktober die Stadt Rom besuchen und dem Papst schreiben, ob sie die Morgenmesse in der Casa Santa Marta mitfeiern könnten, dürfen zwei kleine Schweizer prompt ministrieren und erleben, wie großväterlich Franziskus sich der Kinder in der ungewohnten Umgebung annimmt.17 Ende Januar 2014 begleiten ihn zwei Kinder mit ans Fenster des Apostolischen Palastes, um während des päpstlichen Angelus Friedenstauben fliegen zu lassen.18 Das Magazin Publik Forum schreibt nach dem Weltjugendtag im August 2013 euphorisch: »Franziskus überzeugt durch eine ungewohnte Körperlichkeit. ›Der zärtliche Papst‹ schrieb ein brasilianisches Magazin. Er wirke wie ein Großvater, den sich jede Familie wünsche. Warmherzig, ungefährlich, gutmütig. Ein Familienoberhaupt.«19

Kontaktfreude


Ganz Italien verfolgt im Sommer, welchen Weg der Briefwechsel und die Telefonate zwischen dem Papst und dem Agnostiker Eugenio Scalfari nehmen. Der Mitgründer der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica hatte im Juli einen offenen Brief mit »Fragen eines Nichtglaubenden an den Jesuitenpapst, der sich Franziskus nennt« geschrieben. Der Papst lässt Anfang September in derselben Zeitung eine respektvoll-offene Antwort abdrucken unter dem Titel »Wahrheit ist nie absolut«20. Sie ermutigt zu aufrichtiger Diskussion zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden. Das erste Telefongespräch endet ergriffen mit dem Wunsch Scalfaris: »Kann ich Sie per Telefon umarmen?« Franziskus antwortet: »Natürlich, auch ich umarme Sie. Das werden wir dann auch wirklich tun, wenn wir uns sehen!« Wenig später empfängt der Pontifex den greisen Publizisten, der nicht an eine Seele glaubt und dem Bergoglio dennoch Geist und eine begnadete Seele zuspricht.21

Mario Palmaro und Alessandro Gnocchi werden im Oktober von Radio Maria entlassen, nachdem sie in der Zeitschrift Foglio einen Artikel mit dem Titel »Dieser Papst gefällt uns nicht« geschrieben haben. Über den Blog Vinonuovo.it wird ihr Schicksal publik, worauf der Papst den einen Journalisten persönlich anruft, nicht um die öffentliche Kritik zu diskutieren, sondern um Palmaro in seinen gesundheitlichen Problemen einfühlsame Nähe zu zeigen.22 Im November drückt die deutsche Zeitung Die Welt unter dem Titel »Das Dilemma des Papstes« ein Unbehagen aus, das manche mittlerweile beschlichen hat: »Er verzichtet auf Pomp und Prunk, er ist wie du und ich«, wodurch er »am Ende der Kirche schaden« könnte, weil »das Amt des Papstes seine Aura verliert und die Kirche vollends und auf Kosten ihrer Besonderheit in dieser Welt ankommt«.23 Solche Schlagzeilen machen auf eigene Weise deutlich, wie klar sich mit diesem Pontifikat Veränderungen abzeichnen.

Nicht nur schlichte Begegnungen vor Ort überraschen, sondern auch die Reichweite der päpstlichen Gesten – und seines Telefonanschlusses: Stefano Cabizza, ein Student aus Padua, schreibt dem neuen Papst im August einen Brief über seine Glaubenszweifel, und Franziskus ruft ihn zu Hause an. »Wer spricht?«, fragt der 19-Jährige. – »Sono Papa Francesco, diamoci del tu (Ich bin Papst Franziskus, sag ruhig du zu mir)« – die Jünger Jesu hätten sich schließlich auch geduzt.24 Dass es sich bei diesem Anruf nicht um eine päpstliche PR-Strategie, sondern um die Anteilnahme eines Seelsorgers und echtes Interesse handelt, zeigt eine Nebenbemerkung Bergoglios im ersten großen Interview, das er der Jesuitenzeitung Civiltà Cattolica gewährt:

Ich habe gesehen, dass das Telefongespräch, das ich mit einem Jungen geführt habe, von den Zeitungen aufgegriffen wurde. Ich habe angerufen, weil er mir einen sehr schönen Brief geschrieben hatte, ganz einfach. Das war für mich ein Akt der Fruchtbarkeit. Ich habe mir bewusst gemacht, dass ein heranwachsender Junge einen als Vater gesehen hat und ihm etwas von seinem Leben erzählt. Der Vater kann nicht sagen: »Darauf pfeife ich!« –...

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