Das Handwerk ist ein Wirtschaftsbereich, der über eine jahrhundertelange Tradition und Geschichte verfügt. So fand das Handwerk in Altbayern beispielsweise bereits ab dem achten Jahrhundert seinen Ursprung.[152] Zu den ersten Handwerksberufen gehörten dabei die „Metzger, Bäcker, Brauer, Müller, Schmiede, Zimmerer und Schreiner.“[153] Im Mittelalter stellten das Lebensmittelhandwerk (Brauer, Bäcker, Metzger), das Bekleidungshandwerk (Schuster, Schneider, Weber), das lederverarbeitende Gewerbe (Gerber, Sattler, Kürschner), das holzverarbeitende Handwerk (Drechsler, Schreiner) und das metallverarbeitende Handwerk (Schmiede) die zentralen Handwerksgruppen dar.[154] Über die Jahrhunderte hinweg unterlag das Handwerk allerdings Prozessen der Veränderung und Anpassung an ökonomische und gesellschaftliche Anforderungen, sodass einige Handwerksberufe verschwanden und andere wiederum neu entstanden.[155]
Auch die Organisation des Handwerks hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert. In Bayern organisierten sich die Handwerksbetriebe mit Beginn des 14. Jahrhunderts durch die Bildung von Zünften.[156] Infolge der zunehmenden Bildung von handwerklichen Produktionsstätten und Fabriken, sowie der 1869 eingeführten Gewerbefreiheit, wurden die Zünfte jedoch aufgelöst[157] und durch Innungen ersetzt.[158] In Bayern gibt es derzeit 755 Innungen.[159] Überdies gibt es 47 Landesfachverbände wie beispielsweise den Landesinnungsverband für das bayerische Augenoptikerhandwerk, für das Bäckerhandwerk, für das Elektrohandwerk, für die Büchsenmacher-Innung Süddeutschland oder für die Boot- und Schiffbauer-Innung.[160]
Als weitere Handwerksorganisationen, die auch noch heute von großer Bedeutung sind, wurden im Jahr 1899 acht Handwerkskammern in Bayern gegründet, die mittlerweile auf sechs reduziert wurden.[161] Mit Ausnahme der Bezirke Niederbayern/Oberpfalz, die eine gemeinsame Handwerkskammer führen, haben die Bezirke Schwaben, Mittelfranken, Oberfranken, Unterfranken und München/Oberbayern eigene Handwerkskammern.[162]
Während der Bayerische Handwerkstag (BHT) die Spitzenorganisation des Handwerks in Bayern darstellt,[163] ist dies auf der Bundesebene der Zentralverband des Deutschen Handwerks.[164] Dieser vertritt deutschlandweit eine Million Handwerksbetriebe, 53 Handwerkskammern und 48 Fachverbände. Zudem vertritt er das Handwerk auf Europaebene und ist dort Mitglied der Europäischen Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe (UEAPME).[165]
Die Bedeutung des Handwerks zeigt sich ferner in den absoluten Zahlen. So waren zum 31.12.2015 in der Bundesrepublik Deutschland 1.003.994 Betriebe in der Handwerksrolle eingetragen. Diese bildeten 364.363 Auszubildende aus. In den 589.000 selbständigen zulassungspflichtigen und -freien Handwerksbetrieben, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigte hatten, waren etwas mehr als fünf Millionen Personen angestellt.[166]
Tabelle 2: Daten zum Handwerk[167]
In Bayern waren 202.254 Betriebe in die Handwerksrolle eingetragen, die wiederum 70.678 Lehrlinge ausbildeten.[168] Von den 202.254 Betrieben waren 108.500 der Anlage A und B1 der HWO zuzuordnen, die zusammen 911.000 Personen beschäftigten.[169]
Das Handwerk ist ein Oberbegriff für eine Vielzahl von handwerklichen Berufen. Beispiele hierfür sind neben den im vorangegangenen Abschnitt genannten der Dachdecker, Schornsteinfeger, Friseur, Schuhmacher, Goldschmied, Gebäudereiniger, Bodenleger, Kosmetiker, Raumausstatter, Keramiker, Brunnenbauer und Orthopädietechniker.[170] Insgesamt werden aktuell 147 Handwerksberufe unterschieden, die in der Handwerksordnung (HWO) in zulassungspflichtige und zulassungsfreie Handwerke sowie handwerksähnliche Gewerbe unterteilt werden.[171]
Die zulassungspflichtigen Handwerksberufe umfassen 41 Berufe und werden in der Anlage A der HWO aufgelistet.[172] Tabelle 3 zeigt die verschiedenen Handwerksberufe der Anlage A. Diese Berufe können nach § 1 Abs. 2 HWO nicht ohne weiteres betrieben werden, sondern setzen nach § 7 HWO das Vorliegen bestimmter Qualifikationen voraus.[173]
Tabelle 3: Anlage A der Handwerksordnung[174]
Neben den zulassungspflichtigen Handwerken zählt die Anlage B die zulassungsfreien Handwerksberufe (B1) und die handwerksähnlichen Gewerbe (B2) nach § 18 Abs. 2 HWO auf.[175] Tabelle 4 zeigt einen Ausschnitt aus den 52 zulassungsfreien und den 54 handwerksähnlichen Berufen.
Tabelle 4: Auszug aus der Anlage B der Handwerksordnung[176]
Von den insgesamt 202.254 bayerischen Betrieben, die zum 31.12.2015 in der Handwerksrolle eingetragen waren, gehörten 113.517 Unternehmen zum zulassungspflichtigen und 49.287 zum zulassungsfreien Handwerk. 39.450 Betriebe waren handwerksähnliche Gewerbe.[177]
Diese Handwerksberufe können ferner auch in verschiedene Handwerksgruppen eingeteilt werden, sodass sich die 202.254 Betriebe folgendermaßen kategorisieren lassen:
Tabelle 5: Betriebe nach Handwerksgruppen[178]
Aus dieser Darstellung zeigt sich, dass das Handwerk mit seinen 147 aufgeführten Handwerksberufen sehr vielseitig ist und damit nicht als homogener Wirtschaftszweig bezeichnet werden kann. Dies wird auch darin ersichtlich, dass es im Handwerk eine Vielzahl von Verbänden gibt, die die Interessen der einzelnen Handwerksberufe vertreten und für diese auch Tarifverträge aushandeln. Dies wird in den nachfolgenden beiden Kapiteln weiter dargestellt.
Im Handwerk stehen sich bei der Durchsetzung von Interessen, wie die Einflussnahme auf politische Prozesse und Entscheidungen, aber auch bei der Verhandlung der Arbeitsbedingungen durch das Aushandeln von Tarifverträgen, verschiedene Koalitionen gegenüber.
Auf der Seite der Arbeitnehmer stehen die Gewerkschaften, die sich dafür einsetzen, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu verbessern.[179] Dies sind, wie bereits dargestellt, unter anderem die IG Bau, ver.di, IG Metall, der DGB und die NGG.
Demgegenüber steht auf Seiten der Arbeitgeber eine Vielzahl an Interessenverbänden, die zum Teil auf der Landesebene agieren, aber auch zusammengeschlossen auf der Bundesebene Einfluss ausüben. Auf der Landesebene sind dies beispielsweise der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern, der Fachverband Metall Bayern, der Landesinnungsverband (LIV) für das Bayerische Elektrohandwerk, der LIV des Bayerischen Maler- und Lackiererhandwerks, der LIV des Bayerischen Dachdeckerhandwerks, der LIV des bayerischen Friseurhandwerks, der LIV für das bayerische Bäckerhandwerk oder auch die Landesinnung des bayerischen Vulkaniseur- und Reifenmechanikerhandwerks.[180]
Auf der Bundesebene sind dies unter anderem der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks, der Bundesverband Deutscher Steinmetze und der Bundesinnungsverband des Deutschen Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerks, der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks, der Bundesinnungsverband des deutschen Maler- und Lackiererhandwerks, der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, der Bundesverband Gerüstbau und die Bundesinnung für das Gerüstbauerhandwerk oder der Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks.[181]
Diese Auflistung zeigt, dass sich das Handwerk in Bayern durch eine sehr komplexe Struktur von Interessenvertretungen auszeichnet, die sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene Tarifverträge aushandeln. Auf Bundesebene haben zudem in den letzten Jahren die Handwerksverbände und Gewerkschaften Mindestlöhne für einzelne Branchen vereinbart, die im nächsten Abschnitt näher veranschaulicht werden.
Im bayerischen Handwerk gab es bereits vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns tarifliche Mindestlöhne auf Landes- und Bundesebene. Auf Landesebene wurden über die letzten Jahre in einzelnen Tarifverträgen Lohnuntergrenzen und damit Mindestlöhne festgelegt. Diese galten jedoch nicht flächendeckend, sondern nur zwischen den Tarifvertragsparteien und deren Mitgliedern.
Auch auf der Bundesebene wurden in einzelnen Branchen Tarifverträge abgeschlossen, die wiederum auf Basis des AEntG, AÜG oder des TVG von der Bundesregierung für allgemeinverbindlich...