Einführung
Die vier Flammen des vitalen Alterns
In der zweiten Lebenshälfte zielgerichtet leben
In einem unserer früheren Bücher, Lass endlich los und lebe, entwickelten wir eine Definition des „guten Lebens“, zu dem vier Komponenten gehören: Ort, Menschen, Arbeit und ein Ziel. „Lebe an einem Ort, wo du hingehörst, mit den Menschen, die du liebst, tue die Arbeit, die dich erfüllt, mit einem Ziel vor Augen.“ Diese Definition bezieht sich in diesem Fall zwar auf Menschen in der ersten Lebenshälfte, doch wir finden, dass sie ebenso gut auf jene zutrifft, die an der Schwelle zur zweiten Hälfte ihres Daseins stehen.
In dieser Phase kehren unweigerlich die Fragen wieder, die unsere Vorstellung von einem guten Leben in der ersten Hälfte bestimmen: Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Was ist mir wichtig? Was ist mein Lebensziel? Erst jetzt haben wir die einmalige Gelegenheit, unsere eigene Geschichte zu gestalten. Wir haben die Chance, sie umzuschreiben, statt einfach nur die erste Lebenshälfte zu wiederholen.
Uns ist klar geworden, dass man, wenn man ein Neuer Alter werden will, das gute Leben wiedererwecken muss. Wir müssen aus der Weisheit schöpfen, die wir uns zuvor erworben haben.
Mit den vier Komponenten des guten Lebens im Hinterkopf konnten wir bei jenen „gereiften“ Mitmenschen, die gerade Neue Alte werden, vier gemeinsame Prinzipien ausmachen.
Diese kristallisierten sich heraus, als wir unser Augenmerk auf Anzeichen in unserer Umgebung richteten. Leider haben wir nicht wie die Hadza einen Honiganzeiger, der uns den richtigen Weg weist. Doch wir hatten das Glück, dutzende Neue Alte – unsere eigenen Honiganzeiger – live zu erleben. Anhand ihrer Entscheidungen, ihres Verhaltens und der Art, wie sie durch die Welt gehen, konnten wir auf „die vier Flammen des vitalen Alters“ schließen – die Schlüsselkomponenten für ein zielgerichtetes Leben in der zweiten Phase unserer Existenz.
Diese Neuen Alten haben das gute Leben in ihr Dasein integriert. Sie haben ihr inneres Feuer geschürt und geben seine Wärme und sein Licht an andere ab.
Die Feuermetapher ist dabei nicht zufällig gewählt. Sie ergibt sich ganz automatisch aus der fortwährenden Beschäftigung mit der Frage, was wahres Menschsein bedeutet. Immerhin war die Entdeckung des Feuers eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit. Das Feuer verbindet uns zutiefst mit dem Kern unseres Menschseins, der uns allen gemeinsam ist. Das Überleben unserer frühesten Vorfahren hing von diesem Element ab; unsere entferntesten Nachfahren werden es, wie wir, in der einen oder anderen Form benutzen, um zu leben. Die Beherrschung des Feuers ist eines der Dinge, die Menschen von Tieren unterscheiden. Dieser Umgang bedeutet gleichzeitig, dass wir die lebenswichtige Rolle dieses Elements, das bei Naturvölkern zahlreiche Mythen und Geschichten hat entstehen lassen, für die Menschheit verstehen.
„Sich das Feuer bewahren“ ist eine bekannte Redewendung im Zusammenhang mit Vitalität. Aus diesem Grund – und auch weil Feuer bei der Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft immer eine Rolle spielen wird – ergibt sich diese Symbolik in unserem Buch über die Neuen Alten ganz von selbst. Jedes der vier Schlüsselprinzipien dieser Menschen wird durch ein typisches Merkmal dieses Elements verkörpert. Wenn wir als Neue Alte Anspruch auf unseren Platz am Feuer erheben, erheben wir gleichzeitig auch Anspruch auf jeden dieser Aspekte.
1. Die Flamme der Identität: Wir erinnern uns an unsere Geschichte
Prinzip: Weisheit
Zündende Frage: Wer bin ich?
Neue Alte ernten die Weisheit der ersten Lebenshälfte und übertragen sie in die Gegenwart. Sie kennen die wichtigen Erzählungen ihrer Kultur, egal, welcher sie angehören. Joseph Campbell sagt dazu: „Die erste Voraussetzung bei jeder Gesellschaft ist, dass ihre erwachsenen Mitglieder die Tatsache erkennen und repräsentieren sollten, dass sie es sind, die Leben und Sein der Gesellschaft bestimmen ... und dass ebendiese Gesellschaft sich auf sie verlassen muss, wenn sie überleben will.“ Alte Menschen lehren anhand einer Geschichte. Aber das heißt nicht, sich einfach an „die guten alten Tage” zu erinnern. Man muss vielmehr fähig sein, das Leben und die gelebte Erfahrung anderer durch selbst Erlebtes so zu berühren, dass über die Vergangenheit die Gegenwart lebendig wird.
2. Die Flamme der Gemeinschaft: Wir finden unseren Platz wieder
Prinzip: Vertrautheit
Zündende Frage: Wo gehöre ich hin?
Neue Alte wissen, wo ihr Platz in der Welt ist, sie haben ein starkes Ortsempfinden – woher sie kommen, wo sie gerade stehen und wohin sie gehen. Also sind sie für die bevorstehende Reise auch in der Lage zu bestätigen, wer sie sind; und da ihre erste Lebenshälfte reich an Erfahrungen war, sind ihnen die Herausforderungen der zweite Hälfte voll bewusst.
3. Die Flamme der Leidenschaft: Wir erneuern unsere Berufung
Prinzip: Auf Wesentliches achten
Zündende Frage: Was ist mir wichtig?
Es gibt wohl keine größere Herausforderung für Menschen in der zweiten Hälfte ihres Daseins als die, mit ihren Gaben etwas Sinnvolles und Wertvolles anzufangen. Neue Alte stellen sich dieser Herausforderung, indem sie mit ihren Talenten junge Menschen und die Gemeinschaft im weiteren Sinne unterstützen. Neue Alte kümmern sich engagiert um jene, die in ihre Fußstapfen treten. Es befriedigt sie zutiefst, ihre Gaben so weiterzugeben, dass sie auch anderen nützen anstatt nur ihnen selbst. Und sie akzeptieren dies als entscheidende Verantwortung im Alter. Folglich geht es Neuen Alten immer darum, etwas herzugeben.
Sie wissen, dass ein Mensch nicht durch das stark wird, woran er festhält, sondern durch das, was er loslassen kann. Sie sind nicht unbedingt freigebige Philanthropen, wenn es um Geld geht; gemeint ist vielmehr, dass sie in der Regel mit Ratschlägen, Beratung und Unterstützung sehr großzügig sind. Neue Alte mögen wichtige Positionen im Leben einnehmen, doch sie wissen, dass wahre Macht von der Bereitschaft und Fähigkeit herrührt, sie mit anderen zu teilen. Sie betrachten Weisheit als etwas, das jedem angeboren ist, und tragen, wie der griechische Philosoph Sokrates, leidenschaftlich gern dazu bei, dieses Wissen ihrer Umwelt näher zu bringen.
4. Die Flamme des Sinns: Wir fordern unser Lebensziel zurück
Prinzip: Sinn des Lebens
Zündende Frage: Was ist mein Erbe?
Neue Alte wissen, „warum sie morgens aufstehen“, und das nicht nur, weil der Wecker klingelt. Im Gegenteil, das laute Schrillen, das sie so viele Jahre lang aus dem Bett geworfen hat, ist immer leiser geworden. Frei von auferlegten Zwängen genießen sie jetzt die Möglichkeit, ihren eigenen Zeitplan zu erstellen. Und mit dieser Freiheit begrüßen sie begeistert jeden neuen Tag und sind ganz begierig darauf, endlich etwas tun zu können. Von diesen Neuen Alten geht ein Leuchten aus: Sie haben ein neues Lebensziel. Ihr Strahlen hat eine große Kraft. Wenn sie sich, motiviert durch ihr Ziel, auf den Weg machen, erhellen sie den Pfad in die Zukunft.
Die vier Flammen für vitales Altern stellen die Entscheidungsmöglichkeiten dar, die wir alle haben. Wir können diese Wahl unabhängig von unserem Alter oder unserer aktuellen Lebensphase treffen. Doch obwohl sie naturgegeben eher die Entscheidungen betreffen, die Menschen in der zweiten Hälfte ihrer Existenz zu fällen haben, sind wir Neue Alten keinesfalls „alt und gebeugt“. Vielmehr hindert uns, wie wir vielleicht feststellen werden, oft das Älterwerden – beziehungsweise die Angst davor – daran, jemals wirklich Älteste zu werden.
Heutzutage benötigen wir mehr denn je Neue Alte unter uns. Sie sind natürliche Ressourcen, die von der Familie, der Gemeinschaft, der Firma und der Erde gebraucht werden. Wir können nicht warten, bis diese Weisen kommen. Wir selbst müssen zu Neuen Alten werden. Wir sind es uns selbst, den uns Nahestehenden und der Welt insgesamt schuldig, Neue Alte zu werden.
In den Ältestenkreis treten
In seiner eindrucksvollen Schilderung vom Alter und Altwerden spricht Ram Dass...