Das Geschäft mit dem Leben
Lust ohne Folgen
Seit der Verbreitung der hormonellen Verhütung mit der Einführung der Anti-Baby-Pille ab 1961 hat sich in der „westlichen Welt“ das Werden des Menschen und damit sein Lebensverständnis grundlegend verändert: Von nun war Geschlechtsverkehr nicht mehr automatisch damit verknüpft, möglicherweise neues Leben zu schaffen. Die Lust war folgen- und angstfrei geworden, das eigene Leben, die eigenen Bedürfnisse waren in den Mittelpunkt der allgemeinen Interessen gerückt. Die unabänderliche Reihenfolge von Liebe, Lust, Zeugung, Leben und Tod war – zumindest, was den Anfang des Lebens anbelangt – planbar oder, genauer gesagt, verhinderbar geworden. Der Mensch hat in einem entscheidenden Teilbereich die „Herrschaft über Leben und Tod“ übernommen. Ein Zweck des Lebens, nämlich die Fortpflanzung zur Erhaltung der Art, durfte von nun an erfolgreich in Frage gestellt werden.
„Frau Doktor, mein Mann und ich sind jetzt seit acht Jahren verheiratet und wir bekommen kein Kind.“ So beginnt ein Gespräch zwischen einer 35-jährigen Frau und einer Ärztin in einem Ambulatorium. Die Ärztin fragt: „Ja, warum haben Sie so lange zugewartet, Hilfe in Anspruch zu nehmen?“ – „Ich habe nicht geglaubt, dass wir ein Problem haben werden. In meiner Familie hat es immer viele Kinder gegeben, meine Großmutter hatte neun Geschwister und weniger als fünf Kinder hat es nirgends gegeben.“
Die Ärztin beginnt, eine genaue Anamnese zu erheben, in deren Verlauf sich erst langsam herausstellt, dass die Patientin über insgesamt 17 Jahre ihres Lebens die Pille genommen hat und diese erst vor acht Monaten vom Frauenarzt abgesetzt wurde, weil „wir zuerst unser Haus fertigbekommen wollten“. Die Ambulanzärztin will die hilfesuchende Frau beruhigen und sagt: „Na, wenn es erst acht Monate sind, können Sie ruhig noch ein bisschen zuwarten, nach der Pille dauert es oft eine gewisse Zeit, bis sich wieder ein normaler Zyklus einpendelt.“ Da beginnt die Patientin, mit den Tränen zu kämpfen, und flüstert: „Ich habe so Angst, dass ich selber schuld bin, weil ich mit 17 einmal abgetrieben habe, und mein Mann weiß nichts davon und er darf das auch nicht erfahren, das müssen Sie mir versprechen!“
In den Industrieländern veränderte sich in der Folge die Einstellung gegenüber dem eigenen Leben und Tod dramatisch: War früher die Aussicht auf die eigene Sterblichkeit mit dem Trost versehen, in seinen Nachkommen fortzuleben, so stellte der Tod nach einem kinderfreien Leben nunmehr das endgültige Ende einer Ahnenkette dar. Im Gegenzug gewann das eigene Leben, unbeeinträchtigt von der Verpflichtung und dem Verzicht, den Nachkommen bedeuten, immer mehr an Gewicht. Kinder wurden seltener und bekamen daher einen neuen, bis dahin unbekannten Stellenwert. Seit sie bewusster und gezielt in die Welt gesetzt werden, gewinnt zusammen mit steigendem Wohlstand und medizinischem Fortschritt der menschliche Körper in der westlichen Welt an sich an Wert. Das körperliche und seelische Wohlergehen des Individuums rückte unablässig in den Vordergrund der gesellschaftlichen Werte und die Politik versucht, dem Wandel gerecht zu werden: Je weniger Kinder die Gesellschaft hat, umso besser müssen diese umsorgt und behütet werden.
Zuletzt wurde die ungewollte Zeugung menschlichen Lebens sogar als medizinischer „Notfall“ erkannt – so bezeichnete der österreichische Gesundheitsminister in einer Aussendung im November 2009 die „Pille danach“ als Notfallmedikament und sprach sich dafür aus, sie von der Rezeptpflicht zu befreien – auf Ansuchen der Herstellerfirma übrigens.
Aber schon wenige Jahrzehnte nach Einführung der Anti-Baby-Pille sollte sich herausstellen, dass es keinen Segen ohne Fluch geben würde. Denn zusammen mit dem Siegeszug der hormonellen Verhütung kam es in der westlichen Welt zu einer spürbaren Abnahme der Fruchtbarkeit. Sexualmediziner beklagen seit Langem eine Abnahme der sexuellen Lust an sich.
Die sogenannte Fertilitätsrate gibt an, wie viele Kinder eine Frau zwischen ihrem 15. und 45. Lebensjahr zur Welt bringt. Schon seit den 1970er-Jahren wird in den Industrieländern die Rate von 2,1 Kindern pro gebärfähige Frau – das sogenannte Fertilitätsersatzniveau – unterschritten. Unter diesem Niveau kommt es zu einer Abnahme der Bevölkerung. Die Ursache dafür ist nicht zuletzt der Siegeszug der „Pille“. Zeugungsschwierigkeiten nach vielen scheinbar sorgenfreien Jahren, in denen hormonell verhütet wurde, sowie unerfüllter Kinderwunsch als Begleiterscheinung von Lebensstil und Zeitgeist führten in den vergangenen Jahrzehnten zu bedeutenden Fortschritten in der medizinischen Behandlung von Unfruchtbarkeit – denn wo es mögliche Kunden gibt, lassen medizinische Produkte und Lösungen nicht lange auf sich warten. Wissenschaft und Forschung richten sich seit jeher nach den Bedürfnissen der Gesellschaft.
Der manipulierte Lauf der Natur
In Dänemark, dem Land mit der höchsten Rate an durch künstliche Befruchtung gezeugten Babys, wurden 2003 fast 4 Prozent aller Neugeborenen durch Insemination (als Insemination bezeichnet man die künstliche Übertragung männlichen Samens in die weibliche Gebärmutter) ins Leben gerufen und der Anteil ist stetig im Steigen.
Dieser Entwicklung muss die gesetzliche Freigabe der Abtreibung im Rahmen der „Fristenlösung“ als Kontrapunkt gegenübergestellt werden, die in Österreich und Deutschland in den 1970er-Jahren eingeführt wurde. Das „Recht auf den eigenen Körper“ drang in dieser Zeit als neues Lebensgefühl in die Gesellschaft, Kirche und Medizin gingen in der Frage des Lebensanfangs erstmals getrennte Wege. Nach heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen wurde der Schwangerschaftsabbruch schließlich legalisiert, sofern er innerhalb der ersten drei Monate einer Schwangerschaft vorgenommen wird.
Seither steigt die Zahl der Abtreibungen von Jahr zu Jahr und beträgt in Österreich zurzeit, nach vorsichtigen Schätzungen, zwischen 30.000 und 40.000 jährlich. Dem stehen ungefähr 70.000 Kinder, die pro Jahr lebend geboren werden, gegenüber. Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch betragen ca. 400 Euro und dabei sind Therapien möglicher psychischer Spätfolgen noch gar nicht mitgerechnet. Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der Abtreibungen ergibt das also einen Millionenmarkt für Ärzte, Krankenhäuser und Ambulatorien, dem ein weiterer notwendig gewordener Millionenmarkt für künstliche Befruchtung und Unfruchtbarkeitsbehandlung gegenübersteht. Noch nie in der Geschichte der Menschheit war bereits in der Entstehungsphase des Lebens so viel Geld im Spiel – der Anfang einer neuen Industrie.
Frau B.S. ist regelmäßige Besucherin einer allgemeinmedizinischen Praxis. Seit Jahren befindet sie sich zusammen mit ihrem Lebenspartner wegen ihres unerfüllten Kinderwunsches in der Behandlung einer Spezialklinik. Dem Allgemeinmediziner gegenüber klagt sie regelmäßig über die horrenden Kosten und die mit der Zeit immer unfreundlicher werdende Behandlung. Sie könne ja schließlich nichts dafür, dass die teuren Befruchtungsversuche erfolglos blieben. Trotzdem möchte sie, vor allem auch in Anbetracht der bereits investierten Summe, die vorgeschlagene dritte Entnahme speziell vorbereiteter Eizellen zur Insemination versuchen. Sie bittet den Arzt um die Verabreichung der dazu notwendigen Hormoninjektionen zu den jeweils genau vorgegebenen Zeitpunkten. Aus Kostengründen. Und weil sie ein gutes Wort brauche, bei all dem Stress. Der konsultierte Arzt ist dazu bereit und verabreicht sowohl die Hormonspritzen als auch die ihm geeignet erscheinenden Worte, mahnt zur Geduld, macht Hoffhung. Er tröstet Frau B. S., indem er auf die Möglichkeit einer Adoption hinweist. (Die lehnt aber der Gatte von B. S. mit den Worten „entweder mein Kind oder keines“ kategorisch ab).
Eines Tages erscheint Frau B. S. wieder in der Sprechstunde. Kreidebleich. Verstört.
Der Arzt spürt, dass wieder ein gutes Wort zum Kassentarif nötig sein wird. Aber er ahnt nicht, was kommt.
„Herr Doktor, ich bin schwanger“, haucht sie mit gesenktem Kopf auf die Schreibtischplatte.
Der Arzt will seine Welt nicht mehr verstehen, als die Patientin nach längerem Schweigen hinzufügt:
„Aber nicht von meinem Mann.“ Und: „Bitte können Sie mir helfen?“
Natürlich kann der Arzt auch in diesem Fall helfen. Er steht vor der Wahl: Abtreibung – was in Anbetracht der Leidensgeschichte der Patientin Spott und Hohn wäre; oder der Rat zum Partnerwechsel, was er in diesem speziellen Fall wohl eher getan haben wird.
Aber nichts ist unmöglich. In jedem Fall kann geholfen werden. Zum Kassentarif oder privat. Auf der...