Vorwort
Sehr gerne und dankbar habe ich die Einladung meines verehrten Freundes und Kollegen Dr. h. c. Michael Hesemann angenommen, das Vorwort zu seinem neuen Buch Der Papst und der Holocaust zu schreiben. Ich tue dies umso lieber, weil ich diesen Papst seit meiner frühen Jugend besonders geliebt und verehrt habe und auch mehrere, zum Teil längere Gespräche mit ihm führen durfte. Unter den Päpsten der letzten Jahrzehnte habe ich nur einen nicht persönlich gekannt, nämlich Pius XI., der bereits 1939 verstorben ist, während ich erst 1947 nach Rom berufen wurde. Aber die sieben, die auf ihn gefolgt sind, habe ich alle persönlich gekannt und konnte mir in Gesprächen und Konsultationen, zu denen sie mich eingeladen hatten, ein ziemlich gutes Bild von ihnen machen.
Es ist üblich geworden, die Päpste der letzten Zeit miteinander zu vergleichen und Werturteile zu äußern, wer von ihnen denn der größte sei. Dazu kann ich nur sagen, dass ich derartige Überlegungen für äußerst problematisch halte. Ich habe feststellen können, dass sie alle sehr unterschiedliche Persönlichkeiten waren und darüber hinaus ihre jeweilige Amtsperiode in Zeitumstände fiel, die nicht miteinander vergleichbar sind. Pius XII. zum Beispiel, von dem dieses Buch handelt, hat in seiner Amtszeit den Nationalsozialismus und den Kommunismus erleben müssen, den Zweiten Weltkrieg und, nach einer relativ kurzen Unterbrechung, auch den Kalten Krieg. Gott sei Dank ist keinem seiner Nachfolger das Los zuteilgeworden, ihr Amt als Papst in derart schwierigen Zeiten auszuüben. In diesem Zusammenhang sehe ich mich veranlasst, noch eine weitere Bemerkung zu machen. Wiederholt wird darauf hingewiesen, dass die Nachfolger von Pius XII. bereits selig- oder heiliggesprochen wurden. Das gilt für Johannes XXIII., der bereits heiliggesprochen ist, für Paul VI., der im Oktober 2018 heiliggesprochen wird, und für Johannes Paul II., der schon vor den beiden anderen »zur Ehre der Altäre« erhoben worden ist, obgleich er erst 2005 verstarb. Pius XII. hingegen, 1958 verstorben, ist ein einfacher »Venerabilis« (die Stufe vor der Seligsprechung) geblieben. Daraus konkludiert manch einer aber völlig zu Unrecht, dass diese Nachfolger, da sie heiliggesprochen sind, »größere« Päpste gewesen seien als Pius XII. Ich glaube, dass ich das Recht habe, darüber ein Urteil auszusprechen. Zu meinem Amt als Professor der Geschichte des Dogmas und der Theologie an der päpstlichen Universität Gregoriana kam am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils der Auftrag von Paul VI., zusammen mit dem damaligen Generalpostulator der Gesellschaft Jesu, Prof. Dr. Paolo Molinari, SJ, das Seligsprechungsverfahren für Pius XII. einzuleiten und nach bestem Vermögen durchzuführen. Wir haben es uns dabei nicht leicht gemacht. Wir hatten alles zusammen 149 Verfahren zu begutachten, und später wurde mir zuerst als Konsultor, dann als Relator die Aufgabe zugeteilt, viele weitere Verfahren zu beurteilen. Ich denke, das berechtigt mich zu einem solchen Urteil und dazu, jeden Vergleich mit seinen Nachfolgern zurückzuweisen. Ob ein Papst selig- oder heiliggesprochen wird, bezieht sich auf sein persönliches Leben, sein Leben aus dem Glauben, sein Leben des Gebetes und das ehrliche Bemühen, sein Amt so gut wie möglich auszufüllen. Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen, die bereits selig- oder heiliggesprochen sind, unter allen Umständen immer die beste Wahl getroffen haben und es verdienen, als besonders große Päpste in die Geschichte einzugehen. Das gilt nicht nur für die Päpste der Neuzeit, die ich alle sehr verehrt habe, sondern für alle Päpste der Kirchengeschichte. In diesem Zusammenhang möchte ich hinweisen auf eine Bemerkung, die mein damaliger Lehrer im Bibelinstitut, Prof. Dr. Augustin Bea, SJ, später Kardinal, gemacht hat, als wir ihn einluden, für den Seligsprechungsprozess eine eidliche Aussage über Pius XII. zu machen, den er ja sehr gut gekannt hat, war er doch lange Jahre sein Mitarbeiter gewesen. Kardinal Bea jedenfalls hat damals gesagt – und er hat es später viele Male wiederholt: »Pius XII. hat es nicht nötig, dass ich mein Urteil über ihn abgebe. Nach meiner festen Überzeugung ist er der größte Papst der Neuzeit gewesen.« Und dann fügte er noch einen Satz hinzu, den ich nie vergessen habe: »Seien Sie versichert, dass erst nach 100 Jahren klar und deutlich sein wird, wie groß dieser Papst gewesen ist, welche Richtung er der Kirche gegeben hat und wie viel wir ihm verdanken.« Ich glaube, das Urteil eines solchen Mannes verdient es, hier zitiert zu werden.
Im Übrigen möchte ich auf eine Tatsache hinweisen, die mich immer wieder verwundert. Pius XII. hat unermüdlich gearbeitet und sehr viel für die Kirche getan. Von Anfang an hat er sich für den Frieden eingesetzt. Am 24. August 1939, nur wenige Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, sagte er in einer für die Welt bestimmten Radiobotschaft: »Nichts ist verloren mit dem Frieden. Alles kann verloren sein durch den Krieg.« Prophetische Worte, die sich dann auch bewahrheitet haben.
Deshalb wundert es mich, wie wenig heute von Pius XII. gesprochen wird, und wenn, dann nur unter dem einen Aspekt, um den es auch in dem vorliegenden Buch meines Freundes und Kollegen Dr. Michael Hesemann geht: die Frage nach seinem Verhalten im Holocaust. Alles, was er sonst geleistet hat, scheint in Vergessenheit geraten oder wird nicht genannt. Herrn Hesemann ist da kein Vorwurf zu machen, hat er doch schon vor zehn Jahren eine äußerst lesenswerte Gesamtbiografie Pius’ XII. verfasst unter dem Titel: Der Papst, der Hitler trotzte. Aber von vielen anderen wird das gerne unterschlagen.
Es steht außer Frage, dass Pius XII. sehr viel für die Juden getan hat, vielleicht mehr als jeder andere. Auch deshalb verdient er es, verehrt zu werden, doch es gibt noch viele andere Gründe. Da ist, ich erwähnte es bereits, sein unermüdlicher Einsatz für den Frieden. Pius XII. hat auch sehr viel dafür getan, Italien aus dem Krieg herauszuhalten, was ihm leider nicht gelungen ist. Als am 21. Dezember 1939 der italienische König und die Königin ihn im Vatikan besuchten, hat er ihnen ebenso ins Gewissen geredet wie sieben Tage später bei einem Gegenbesuch im Quirinal. Doch weder diese noch zahlreiche andere Versuche waren erfolgreich, wofür ihn natürlich keine Schuld trifft.
Aber ich möchte noch auf einige andere Aktivitäten Pius’ XII. hinweisen, die es verdienen, nicht vergessen und nicht weiter verschwiegen zu werden. Zu den wichtigsten Aufgaben eines Papstes gehört es, dafür zu sorgen, dass, wenn er stirbt, das Kardinalskollegium voll besetzt ist, das seinen Nachfolger zu wählen hat. Pius XII. konnte lange Zeit keine neuen Kardinäle ernennen – während des Zweiten Weltkrieges war es völlig unmöglich, weil die Kardinäle gar nicht nach Rom kommen konnten. Erst 1946 hat er dann 32 neue Kardinäle ernannt, darunter merkwürdigerweise nur vier Italiener. Ich betone das, weil in den letzten Jahrhunderten immer der größte Teil der Kardinäle aus Italien stammte und natürlich dann auch einen Italiener zum Papst wählte. Pius XII. wollte das nicht, und er hat es erreicht, dass der Weg frei wurde zu einem nichtitalienischen Papst. Er war natürlich nicht gegen Italien, im Gegenteil, er liebte sein Vaterland. Doch aufgrund seiner großen internationalen Erfahrung war er wohl zu der Einsicht gelangt, dass auch andere Nationen Päpste stellen könnten und auch stellen sollen – und das hat er erreicht. Weiter führte er eine neue Ordnung in der kirchlichen Administration ein. Er hat 87 neue Kirchenprovinzen, 99 neue Erzdiözesen und 413 neue Bistümer eingerichtet, was zeigt, in welch gesundem Zustand sich damals die Kirche befand. Wenn Sie sehen und wissen, wie viel Arbeit notwendig ist, um auch nur ein einziges neues Bistum zu schaffen, dann können Sie sich ausmalen, wie mühsam dieser Weg und wie unermüdlich dieser Papst war.
Weiter möchte ich auf die Lehraktivität Pius’ XII. hinweisen, die außerordentlich ist. Ihm verdanken wir 40 Enzykliken, die den gesamten Bereich des kirchlichen Lebens betreffen. An erster Stelle ist natürlich Summi pontificatus zu nennen, die programmatische erste Enzyklika seines Pontifikates vom 20. Oktober 1939, in der Pius XII. über den Frieden, das Zusammenleben der Nationen und die Neuordnung der Staaten sprach. Vom theologischen Standpunkt verweise ich auf Mystici corporis vom 29. Juni 1943, den ersten großen Versuch, theologisch zu erklären, was die Kirche eigentlich ist. Am 30. September 1943 folgte die berühmte Enzyklika Divino afflante Spirito, die uns erklärte, wie wir heute das Neue und das Alte Testament zu verstehen haben. Am 20. November 1947 stellte er mit Mediator Dei die Weichen in der Liturgie. Schließlich warnte er in Humani generis am 12. August 1950 vor bestimmten Tendenzen, die sich in der Kirche unter der Oberfläche bemerkbar machten. Aus heutiger Sicht, im Rückblick auf das Zweite Vatikanische Konzil, erweist sich diese Enzyklika als geradezu prophetisch und kann jetzt erst in ihrer vollen Bedeutung erkannt werden.
Zu erwähnen sind auch die zahlreichen Ansprachen Pius’ XII., die jährlich in der Serie Discorsi e radiomessagi di Sua Santitá Pio XII 1939–1958 veröffentlicht wurden. Pius XII. hatte die Gewohnheit, wann immer er die Teilnehmer eines der zahlreichen in Rom veranstalteten Fachkongresse in Audienz empfing, sich zuvor gründlich auf Basis der neuesten Fachliteratur auf das jeweilige Thema vorzubereiten, um dann wirklich fundiert etwas sagen zu können. Seine Ansprachen waren keine kurzen...