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Der Schlankheits- und Diätenwahn sowie psycho-soziale Ursachen von Essstörungen. Präventions- und Interventionsmaßnahmen für Schulen und Unterricht

psycho-soziale Ursachen von Essstörungen: Präeventions- und Interventionsmaßnahmen für Schulen und Unterricht

AutorRomy Thiel
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl137 Seiten
ISBN9783638284882
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Pädagogik - Sonstiges, Note: 1,3, Universität Potsdam (Arbeitslehre/Ernährung), 63 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Überall lesen wir 'zu fett', 'zu süß', 'zu viel'. Ich möchte aber von jenen anderen schreiben 'zu mager', 'zu dünn', 'hungrig', 'isoliert'. Der Körper ist die Sprache dieser Betroffenen, ihr Hilferuf in die Welt des Nahrungsüberflusses. Vor allem Mädchen in der Pubertät zählen zu den potentiellen Kandidaten, die an einer Essstörung erkranken. Die Jugendlichen befinden sich zu dieser Zeit in einer schwierigen Phase. Sie werden mit körperlichen, aber auch persönlichen Veränderungen konfrontiert, die ihnen vorher noch nicht begegnet sind. Gerade deshalb ist es wichtig, dass man in dieser schwierigen Zeit für die Jugendlichen da ist. Sie benötigen eine Bezugsperson, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht und die gemeinsam mit den Pubertierenden nach Lösungsmöglichkeiten sucht. Deshalb ist es für mich als angehende Lehrerin sehr wichtig auf diese aktuelle Problematik aufmerksam zu machen. Die heutigen Lehrer werden nicht nur mit Gewalt und Drogen konfrontiert, sondern auch mit Problemen, die das Essverhalten der Jugendlichen betreffen. Allerdings ist zu bedenken, dass die Thematik falsch verstandenen Essverhaltens sehr selten als Inhalt einer pädagogischen Lehramtsausbildung zu finden ist. Als Lehrperson muss man demnach bereit sein, sich mit Hilfe von Literaturrecherchen, Beratungsstellen oder Fachpersonen ein spezifisches Wissen anzueignen, dass denjenigen Lehrer befähigt mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen und ihrer Krankheit präventiv und interventiv umzugehen und entsprechend zu agieren. Das folgende Beispiel spiegelt die Problematik von falsch verstandenem Essverhalten sehr anschaulich wieder.

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Leseprobe

2. Essverhalten, Gewicht und Normalität


 

2.1. Essen als Grundbedürfnis


 

Die Nahrungsaufnahme ist als ein Grundbedürfnis lebensnotwendig für alles tierische und menschliche Leben. Biologisch gesehen dient die Ernährung der Lebenserhaltung, im Sinne der Aufrechterhaltung des Stoffkreislaufes. Die Zufuhr von Nahrungsstoffen in fester und auch flüssiger Form ermöglicht dem Organismus Wachstum und Leistung. Dabei sind Eiweiß, Kohlenhydrate und Fette die Hauptnährwertträger, welche bei Verbrennung Kalorien liefern. Nahrungsmittel enthalten darüber hinaus Wasser, Mineralsalze, Spurenelemente, Vitamine und unverdauliche Stoffe, wie z.B. Zellulose (Diedrichsen 1990, 11).

 

Doch Essen ist mehr als das bloße Einnehmen von Nahrung, es ist etwas Alltägliches, Wiederkehrendes und scheint auf den ersten Blick das Natürlichste und Selbstverständlichste der Welt. Seit Menschengedenken gehört das gemeinsame Essen zum Ritual des Zusammenlebens. Redewendungen wie "Ich habe dich zum Fressen gern", "Es kotzt mich an" oder "So einfach lasse ich mich nicht abspeisen" zeugen davon, dass Menschen schon immer mit dem Essen eine Vielzahl unterschiedlicher Gefühle in Verbindung gebracht haben.

 

Heute ist die Nahrungsaufnahme nur selten eine direkte Reaktion auf körperlichen Hunger. Wir essen aus Gewohnheit zu bestimmten Uhrzeiten oder wenn es die Arbeit gerade mal zulässt. Wir essen aus Langeweile vor dem Fernseher. Wir gehen Essen um uns einmal etwas zu gönnen. Unsere Lieblingsspeise verschafft uns Trost und Belohnung. Farbstoffe und Geschmacksverstärker machen uns Appetit obwohl wir keinen Hunger haben. Nahrungsmittel im Überfluss locken uns zu probieren. Neben der Quantität der Nahrungsaufnahme steht wohl auch die Qualität der Nahrung in keinem Verhältnis zu natürlichen Bedürfnissen, da ein großer Teil der Nahrungsgewohnheiten auf Einflüsse aus Werbung und Mode zurückzuführen ist.

 

2.2. Gestörtes und normales Essverhalten


 

Was heißt aber nun ein normales oder gesundes Essverhalten? Es ist schwer ein gestörtes Essverhalten von einem Gesunden eindeutig abzugrenzen. Die Ernährungswissenschaft spricht von einem normalen Essverhalten, wenn sich die

 

Nahrungsaufnahme durch Appetit, Hunger- und Sättigungsgefühle weitgehend selbst so reguliert, dass die vom Körper benötigten Nährstoffe in angemessener Menge aufgenommen werden (BARMER Ersatzkasse, .5)

 

Die Auffassung der Gesellschaft über ein normales oder unnormales Essverhalten hat sich stark verschoben. Beispielsweise galt früher das Diäthalten als eine Ausnahmesituation im Ernährungsalltag. Heute wird diese Verhaltensweise als normal akzeptiert. Auch die Tatsache, dass Männer immer häufiger einem gewissen Schönheits- und Schlankheitsideal nacheifern wird heute als normal und selbstverständlich anerkannt. Ebenso normal scheint es heute zu sein, Schwierigkeiten mit dem Essverhalten zu haben. Dabei wurde nach zahlreichen Studien herausgefunden, dass die typischen Schwierigkeiten im Essverhalten (Süßhunger, Heißhunger oder stressbedingtes Essen) in enger Beziehung stehen zu der Häufigkeit, mit der in der Vergangenheit Diäten durchgeführt wurden. Diese Ergebnisse untermauern auch die Annahme, dass chronisches Diäthalten einen Risikofaktor für die Entstehung von gestörtem Essverhalten darstellt. Darauf werde ich aber im Verlauf meiner Arbeit noch genauer eingehen.

 

Spontanes, unbefangenes Essverhalten scheint eher selten geworden zu sein. Es dominiert vielfach ein Verhalten, welches zu ernsthaften gesundheitlichen Schwierigkeiten führen kann. Problematisch ist darüber hinaus die Tatsache, dass ein solches Verhalten heute nicht mehr als eine Abweichung der gesellschaftlichen Norm betrachtet wird. Aufgrund der Normalität von Essproblemen kann heute demnach nicht mehr davon ausgegangen werden, dass normales Essverhalten auch nicht gestört bedeutet. Diese erschreckende und gleichzeitig verwirrende Erkenntnis macht es schwierig, ernsthaft gestörtes Essverhalten im Alltag zu erkennen. Leider wird dadurch auch ermöglicht, dass sich Erkrankungen wie Bulimie oder Magersucht relativ unbemerkt verbreiten können, ohne dass rechtzeitig eingegriffen wird (Becker 1994, 16f.).

 

Wie bereits erwähnt sind die Grenzen zwischen einer Essstörung und gesundem

 

Essverhalten sehr fließend. Sicherlich wird sich jeder Leser bei genauem Nachdenken fragen, ob man von sich behaupten kann kein gestörtes Essverhalten zu zeigen. Es müssen jedoch besondere Bedingungen erfüllt sein, um von einer

 

Essstörung ausgehen zu können.

 

Kriterien für ein gestörtes Essverhalten

 

Kuni Becker (1994) beschreibt in ihrem Buch acht Kriterien die ein gestörtes Essverhalten kennzeichnen. Sie geht davon aus, dass bereits ein Kriterium, welches über mehrere Monate auf eine entsprechende Person zutrifft, auf ein gestörtes Essverhalten oder eine ernsthafte, behandlungsbedürftige Entwicklung einer Essstörung hinweist: „

 

1. Das Essverhalten ist angstbesetzt:

 

Der Umgang mit Essen wird als ausgesprochen schwierig empfunden, und es bestehen diesbezüglich große Unsicherheiten. Entscheidungen in Bezug auf das Essen treffen zu müssen (wann, was, wie viel) wird als Überforderung und sogar Bedrohung erlebt. Essen ist eher mit Angst verbunden als mit Spaß und Genuss.

 

2. Das Essverhalten ist überwiegend außenorientiert:

 

Körperliche Appetit- und Sättigungssignale werden nur unklar wahrgenommen, und / oder es wird nicht angemessen darauf reagiert.

 

Das heißt: Bei Hunger wird nicht (oder nur unregelmäßig) gegessen, bei Sättigung nicht (oder selten) mit dem Essen aufgehört. Das Essverhalten orientiert sich nicht (oder selten) an diesen inneren Signalen, sondern hauptsächlich an äußeren Bedingungen wie Gelegenheit, Uhrzeit, Kalorienzahl, Anblick und Geruch leckerer Speisen, Ort etc.. Eine gewisse Außenorientiertheit in Bezug auf das Essen lässt sich kaum vermeiden (z.B. durch festgelegte Pausen am Arbeitsplatz). Problematisch wird es, wenn auch sonst, sozusagen „freiwillig“, außenorientiert gegessen wird, ohne auf innere Signale zu achten.

 

3. Das Essverhalten ist rigide:

 

Es wird übermäßig kontrolliert und manipuliert, zum Beispiel durch strenge Diätpläne und die Einteilung der Lebensmittel in „erlaubte“ und „verbotene“. Der Umgang mit dem Essen ist nicht flexibel und lässt keinen Raum für individuelle

 

Bedürfnisse und Vorlieben. Das Essverhalten ist nicht spontan, entspannt und ungefangen.

 

4. Das Essverhalten ist chaotisch:

 

Es zeigt keine klare Struktur, entweder weil die Person nicht auf einen geregelten Essensrhythmus achtet (Mahlzeiten werden vergessen, zugunsten anderer Tätigkeiten ausgelassen, oder es wird keine Zeit dafür eingeplant) oder weil sie sich außerstande sieht, eine klare Mahlzeitenstruktur herzustellen beziehungsweise einzuhalten (das Essen wirkt für die betroffene Person unbeherrschbar, und/oder es bestehen große Unsicherheiten darüber, wann, was und wie viel gegessen werden darf bzw. sollte).

 

5. Das Essverhalten ist abwechselnd rigide und chaotisch:

 

Beispiel: Das stark kontrollierte Essverhalten wird regelmäßig durch Heißhungeranfälle unterbrochen, bei denen die Menge und Dauer der

 

Nahrungsaufnahme nicht mehr kontrolliert werden kann. Es besteht das Gefühl, dem Essen hilflos ausgeliefert zu sein.

 

6. Das Essverhalten als Mittel zur Stressbewältigung:

 

Das Essen wird oft dazu benutzt, um mit unangenehmen Situationen oder intensiven Gefühlen fertig zu werden. Wechselnde persönliche Stimmungen wirken sich stets deutlich auf das Essverhalten aus; es wird auf Stimmungsschwankungen hauptsächlich mit Mehr- oder Weniger- Essen oder mit dem Verzehr sonst gemiedener Nahrungsmittel reagiert.

 

7. Das Essverhalten ist extrem gewichtsabhängig:

 

Das Essen wird maßgeblich unter dem Aspekt der Gewichtskontrolle betrachtet und mit entsprechenden Ängsten und Zwängen belastet. Es besteht ein

 

übertriebener Wunsch nach Schlankheit – selbst bei Ideal- oder Untergewicht.

 

Bereits eine geringe Gewichtszunahme löst entweder Resignation („Jetzt ist sowieso alles egal“) mit nachfolgendem vermehrtem Essen aus oder aber starke

 

Angst und die sofortige Einleitung von Gegenmaßnahmen (Fasten, Sport, Erbrechen, Abführmitteleinnahme, Appetitzüglergebrauch etc.).

 

8. Das Essverhalten kontrolliert die Gedanken:

 

Ein großer Teil des Tages wird damit verbracht, zu überlegen, was (noch) gegessen werden darf oder sollte. Die gedankliche Beschäftigung mit Essen und Nicht-Essen fordert einen Großteil der Aufmerksamkeit und Energie, so dass andere Aktivitäten deshalb zu kurz...

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