1855
Der Winter von 1854/55 war von ungewöhnlicher Härte und Dauer. Deshalb zog Groth Anfang des Jahres 1855 in die Faulstraße 47 zu Julie Brandis, die in ihrem Haus Zimmer vermietete (1788–1881, Besitzerin des Hauses, Professorentochter und Fabrikantenwitwe, verlor bei einem Brand in der Fabrik Mann und Kind). Sie wurde von Groth ‚Mutter Brandis‘ genannt. Er hat ihr aus Dankbarkeit für ihre mütterliche Zuwendung ein Denkmal gesetzt in dem Sonett ‚An Mutter B‘ in dem Buch ‚Hundert Blätter‘.
Im Frühjahr 1855 erschien das Buch ‚Vertelln – Plattdeutsche Erzählungen – von Klaus Groth – Kiel – Schwersche Buchhandlung – 1855‘. Die erste Auflage war in kurzer Zeit verkauft. Die zweite Auflage erschien im Juni.
Von Müllenhoff erschien: ‚Klaus Groth – Eine Lebensskizze‘.
Der lange harte Winter machte Groth wieder krank und mutlos, daher trat er im April die Reise an, die eigentlich in den europäischen Süden führen sollte. Seine Wege führten ihn jedoch zuerst nach Hamburg, hier logierte er bei Louis Koester. Er arbeitete zusammen mit dem Zeichner Otto Speckter für ausstehende Illustrationen zum Druck des ‚Quickborn‘.
Von hier schrieb er an seinem Geburtstag an Müllenhoff, dass er wieder erkältet wäre und den ganzen Vormittag kümmerlich und ärgerlich auf den Straßen Hamburgs umhergewandelt wäre, um die schlechten Geburtstagsgrillen zu vertreiben, es gelänge nicht.
Groth: … Weiß Gott, wann diese gräßliche Erschlaffung des Geistes und des Körpers enden soll … 10 – 17
Nachdem Groth einen Pass vom Generalkonsulat in Hamburg erhalten hatte, reiste er im Juni weiter nach Bad Pyrmont. Dort ging es mit Groths Gesundheit bergauf, so dass er sich der Verehrung der weiblichen Kurgäste nicht entzog. Als er im Juli in Bonn eintraf, wohnte er bei Professor Eduard Böcking (1802–1870, Jurist und Historiker).
Nach einer einmonatigen Reise im Spätsommer in die Schweiz war er Ende Oktober 1855 wieder zurück in Bonn.
Hier traf er unter anderem auf Persönlichkeiten wie Otto Jahn (1819–1869, Philologe, Archäologe, Biograph Mozarts), Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860, Historiker), Friedrich Gottlieb Welcker (1784–1868, Philologe, Archäologe), und Ernst Moritz Arndt (1769–1860, politischer Publizist, Lyriker, seit 1849 Professor für Geschichte in Bonn).
Nach Groths späterem Urteil hatte die Philosophische Fakultät weder vorher noch nachher eine solche Anzahl von Männern ersten Ranges aufzuweisen gehabt wie damals.
„… Frauen, wenigstens junge, wahrhaft schöne oder geistreiche Frauen fehlten in diesem Kreise. Otto Jahns Gattin war im Irrenhause, Böckings Frau jung gestorben. … Dahlmanns Gattin kränkelte und starb während meines Aufenthaltes. … Dann kamen auf Besuch Moriz Haupt als Witwer, David Strauß, von seiner Frau geschieden. Und die übrigen von unserm gewöhnlichen Umgang: Welcker, Behr, Cremer, Dietrich u.a. waren Junggesellen. Das gab unserm Verkehr einen eigenen Charakter, etwas Herbes, worunter ich litt. Auch mußte ich unter vier Augen all die Seufzer, bisweilen auch Thränen ertragen, welche die Entbehrung des Lebensglückes manchem von diesen geprüften Männern entlockte, denn ich war der stille Vertraute von allen, – und niemand frug nach der Herzenswunde, die mich zum Dichter gemacht hatte …“ 11, S. 175
7 Blick auf Kiel um 1855
Durch die Vermittlung von Arndt wurde Groth der Schriftstellerin Bettina von Arnim (Elisabeth Catharina Ludovica Magdalena, auch Bettine; geb. Brentano, 1785–1859) vorgestellt, die in Bonn weilte. Sie saß im Garten eines Hotels unter einem großen Kastanienbaum, in einer Art Laube, vor einem gedeckten Teetisch. Es entwickelten sich angeregte Gespräche, und am Abend gingen sie am Rhein entlang spazieren, bis ein Gewitter aufzog.
8 Louise Petersen ‚Tante Louise‘ aus Garding
„… Als die Regentropfen stärker wurden, wanderte ich, mit ihr am Arm, unter den dunklen Bäumen vorsichtig zurück. Sie war klein und sagte nur mit leiser Stimme: „Ich hange nun an ihrem Arm wie ein alter Strickbeutel.
… Von nun an waren wir Freunde. …“ 11, S. 195
Groth traf sie noch verschiedene Male vertraulich im Hotel auf ihrem Zimmer. Auch mit der Tochter Gisela (1827–1889) und ihrem Ehemann Hermann (1828–1901, Professor, Kunst- und Literaturhistoriker) traf er sich noch einige Male und stand mit ihnen im schriftlichen Kontakt.
In dem Hause Brandis hielt sich auch, gemeinsam mit ihren Nichten Guste und Rike, Louise Petersen (Margarethe, 1814–1895) aus Garding (Eiderstedt) auf. Sie war eine wohlhabende, belesene, gebildete Honoratiorin, die ihrem unverheirateten vermögenden Bruder August Petersen (1818–1874, Senator der Stadt Garding) den Haushalt führte. Er verfügte über einen beträchtlichen Landsitz und eine Brauerei. Nach seinem Tode trat sie sein Erbe an. Die unverheiratete Louise Petersen wurde in Garding respektvoll ‚Mamsell‘ genannt. Sie unterhielt einen Literatur- und Handarbeitskreis, bestehend aus jungen Frauen der gehobenen Gesellschaft. Sie nannte die jungen Damen ‚ihre Nonnen‘ und sich selbst ‚Äbtissin‘. Ihre Bemühung den jungen Frauen einen Zugang zu kulturellen Werten zu öffnen, sie lasen Klassiker und französische Literatur, war beachtenswert. Louise Petersen, vielfach ‚Tante Louise‘ genannt, wird zeitlebens für Groth und seine spätere Frau Doris eine mütterliche Freundin, Gönnerin und Geldgeberin sein.
Nachdem Groth sein Buch ‚Vertelln‘ an Louise Petersen geschickt hatte, schrieb sie ihm im Juni 1855 einen sehr langen Brief, in dem sie mitteilte, dass Groth ihr und anderen eine große Freude durch seine ‚Vertelln‘ bereitet hätte. Sie schickte ihm eine kleine bestickte Reisetasche, die er freundlich aufnehmen möge. In dem Brief erzählte sie von ihrem Leben und Tun, von der Umgebung ihrer Heimatstadt Garding und dass er ihr Haus und Stall, Hof und Ententeich wieder lieb gemacht hätte.
Au?erdem schrieb sie, dass sie sich ihr Totenhemd genäht hätte:
… Ich nähte es am Leseabend, die jungen Mädchen schauderten, ich auch, denn da sah ich mich immer steif und kalt u. halb verwest da liegen, doch nun zum Leben.
… Sie dürfen sich nicht vor mir in Acht nehmen, ich liebe Sie nicht mit solcher gefährlichen Liebe zum Heirathen, dazu bin ich schon zu alt, aber liebe Sie auch nicht wie eine Schwester, sondern ich liebe Sie mit meinem inneren Sein, so wie eine Marschbewohnerin den hohen Dichter des Quickborn lieben muß, ich bin nicht blind gegen Ihre Fehler, aber ich bin überzeugt, das körperliche Schwäche die Veranlaßung ist; Sie sind eine wilde, milde und große Natur, die sich und andern noch viel zu schaffen machen wird, aber das thut nichts, desto mehr haben wir von Ihrem Geiste zu erwarten, und das ist für Sie u. uns das Wichtigste. Jede Freude u. jedes Leid werde ich tief mit Ihnen empfinden. Es grüßt sie
Freundlich Ihre Tante Louise … 12 – 6
Obwohl Louise Petersen nur fünf Jahre älter war als Groth, unterschrieb sie mit ‚Tante Louise‘.
Gedanken an eine Heirat waren Groth nicht fremd. Immer wieder wird in seinen Briefen erkennbar, dass die Sorge um seine Zukunft ihn bedrückte und dass er sich berechtigt fühlte, eine angemessene bürgerliche Existenz zu fordern.
Auch ist einigen Briefen zu entnehmen, dass er wohl versuchte, der einen oder anderen Dame den Hof zu machen, was allerdings zu einigen Missverständnissen geführt haben muss. Daher sind hier einige Briefe unterschiedlichen Datums zusammengefasst, die Groths Gefühlsregungen beschreiben.
9 Louise Petersen und ihre ‚Nonnen‘ – Oben links: Rike
Der 36jährige Groth war der 17jährigen Theone Henningsen, einer Gutsbesitzerstochter aus Schwansen, die ebenfalls im Hause Brandis logierte, durch einen ‚Zettel‘, über dessen Inhalt nichts genaueres überliefert ist, offenbar zu nahegetreten und hatte dadurch den Unwillen des Hauses bis hin zu Mama Hegewisch auf sich gezogen.
… Kiel, 26. April 1855
Liebe Fräulein Brandis,
Ich habe Ihren Brief gelesen, Sie haben recht. Ich schrieb den Zettel an Theone in dem Zustande furchtbarer Schwermuth. Bitten Sie sie daß sie ihn verbrennt. Ich sagte mir gleich nachher, es könne nicht anders kommen, als es gekommen. Es hat meine Achtung gegen Sie beide nur verstärkt. Aber denken Sie sich hinein in ein Gemüth in dem es immer gährt und brennt wie in meinem, und wo doch der ehrliche Kampf gekämpft wird nicht von der Bahn zu weichen – Da greift man fehl, auch ohne zu sündigen. Ich stehe nicht dafür ein was ich gethan, wenn Theone nicht geantwortet. Sie könnten meine Briefe gern sehn, ich – wünsche nur mit einem Wesen in geistiger Beziehung zu bleiben das ich nun einmal lieb habe. Ich bitte um Verzeihung eines Fehltritts. Bitte bedenken Sie wie es sich machen lässt, daß ich Theone schreibe, ich denke ihr Vater wird doch nichts gegen einen bildenden Briefwechsel haben, den Tausende wünschten, natürlich kann er jeden meiner Briefe lesen und die Antwort censieren. Aber ich fürchte, wenn man das nicht richtig ihm darstellt, so ist er zu streng darin. Warum dürfen Guste und Rieke mir schreiben? … 5 – 3
Müllenhoff schrieb am 30. September 1855 unter anderem an Groth:
… Lieber Freund!
… Und dann hatten auch Ihre Briefe für mich nichts Reizendes, im...