3.1.1.1 Unabhängigkeit im Berufsrecht der Steuerberater
Nach § 57 I StBerG haben Steuerberater „ihren Beruf unabhängig, eigenverantwortlich, gewissenhaft, verschwiegen und unter Verzicht auf berufswidrige Werbung auszuüben.“ Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber einerseits eine Unabhängigkeit gegenüber der Finanzverwaltung schaffen wollte, andererseits die Notwendigkeit einer unabhängigen Berufsausübung des Steuerberaters als „Diener des Rechts“ für unabdingbar hielt. So wird in den Begründungen zum Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigen (Steuerberatungsgesetz) im Jahre 1954 u. a. Folgendes ausgeführt:
„Der Entwurf sieht die Selbstverwaltung des Berufstandes vor, wie sie auch anderen freien Berufen eingeräumt ist. Damit wird die Forderung des Berufsstandes und der Wirtschaft auf Unabhängigkeit der Steuerberater … von der Finanzverwaltung erfüllt.“89
„Die Steuerberatung ist ein Teil der allgemeinen Rechtsberatung. Steuerberater … sollen Diener des Rechts sein. Hierzu ist erforderlich, dass sie ihren Beruf unabhängig und eigenverantwortlich ausüben. Der Auftraggeber darf einen Steuerberater … zu keinem Verhalten veranlassen können, das mit den Gesetzen oder den Berufspflichten nicht zu vereinbaren ist. Andererseits muss der Auftraggeber auch die Gewißheit haben, dass sein Beauftragter den Auftrag in völliger Unabhängigkeit von der Finanzverwaltung ausführt.“90
D.h. der Steuerberater muss seinen Beruf frei von sachfremden Einflüssen ausüben können,91 um das in ihn gesetzte Vertrauen als Diener des Rechts einerseits und gewissenhafte Auftragserfüllung andererseits gewährleisten zu können.
Unabhängigkeit ist nicht mit Unbefangenheit oder Unparteilichkeit gleichzusetzen. Steuerberater haben die Interessen ihrer Mandanten wahrzunehmen und müssen im Rahmen der Gesetze das für den Mandanten günstigste Ergebnis anstreben.92 D.h. sie sind im Rahmen der Auftragserfüllung grundsätzlich parteiisch.
Unabhängigkeit bedeutet die Freiheit des Steuerberaters, frei von Bindungen zu sein, die seine Entscheidungsfreiheit in Frage stellen könnten. Unabhängigkeit heißt aber auch, dass der Steuerberater jederzeit in der Lage sein muss, sich einem ungesetzlichen oder berufswidrigen Verlangen eines Mandanten oder eines Dritten zu widersetzen.93
Typische Sachverhalte, die die Unabhängigkeit gefährden können sind:
Bindungen aus persönlicher Nähe (z. B. nahe Angehörige) oder aus wirtschaftlichen Verflechtungen (z. B. Beteiligung an Unternehmen eines Mandanten, Annahme eines Mandanten- oder Mitarbeiterdarlehens94).
Faktischer Zwang des Steuerberaters „jeden“ Auftrag annehmen zu müssen (z. B. aufgrund ungeordneter wirtschaftlicher Verhältnisse).95
Interessenkollisionen.
Eine Interessenkollision liegt vor, wenn die Gefahr besteht, dass das eigene Interesse oder das Interesse eines Mandanten unmittelbar zu Lasten des Interesses eines anderen Mandanten oder umgekehrt geht.96 Ein persönlicher Interessenkonflikt liegt idR vor, wenn Entscheidungen, die ein Steuerberater bei der Auftragsdurchführung seines Mandats zu treffen hat, einen eigenen Vor- oder Nachteil für den Steuerberater nach sich ziehen könnten.97
Die Ausführungen zeigen m. E. bereits die Vielfältigkeit und Komplexität der möglichen Beeinträchtigungen der Unabhängigkeit.98 Es verwundert daher nicht, dass die Berufssatzung in den §§ 2, 6 BOStB das Postulat der Unabhängigkeit weitergehend konkretisiert. So müssen Steuerberater nach § 2 I, II BOStB ihre persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit gegenüber jedermann wahren und dürfen keine Bindungen eingehen, die ihre berufliche Entscheidungsfreiheit gefährden könnten.
§ 6 BOStB beschäftigt sich mit Interessenkollisionen. Nach § 6 I BOStB unterliegen Steuerberater einem absoluten Tätigkeitsverbot, wenn Kollisionen mit eigenen Interessen existieren. Werden Steuerberater für mehrere Auftraggeber in derselben Sache99 tätig, bestimmt § 6 II BOStB, dass ein Auftrag nur angenommen werden darf, wenn
§ 6 II BOStB erfasst damit beispielsweise Fälle, in denen der Steuerberater nicht nur die Gesellschaft berät, sondern auch die Gesellschafter. IdR haben die Gesellschafter gleichgerichtete Interessen, sodass eine gemeinsame Beauftragung zum Vorteil aller Auftraggeber gelangt. Denn der Steuerberater verfügt in diesen Konstellationen über mehr relevante Informationen und kann so gezielter beraten.
Es kann jedoch auch sein, dass widerstreitende Interessen vorliegen, wenn z. B. eine steuerliche Gestaltung, die für die Gesellschaft insgesamt von Vorteil ist, sich auf einzelne Gesellschafter nachteilig auswirkt.100 Im Fall der widerstreitenden Interessen muss der Steuerberater ausdrücklich auf die widerstreitenden Interessen hinweisen und darf insoweit nur vermittelnd tätigwerden.101 „Unter ´vermitteln` ist dabei eine Beratungstätigkeit zu verstehen, welche die betroffenen Interessen klar herausarbeitet bzw. offenlegt und den Mandanten auf dieser Grundlage die Entscheidung überlässt.“102 Dieses auf die Vermittlung eingeschränkte Tätigkeitsverbot kann nicht durch die Zustimmung der Auftraggeber aufgehoben werden (nicht dispositives, eingeschränktes Tätigkeitsverbot).103
Hier wird m. E. besonders deutlich, dass das Tätigkeitsverbot aus dem Postulat der Unabhängigkeit resultiert. Vertritt der Steuerberater daher mehrere Auftraggeber mit gegenläufigen Interessen in derselben Sache, kann er idR den Auftrag des einen Auftraggebers nur zu Lasten des anderen Auftraggebers erfüllen, also für mindestens einen Auftraggeber nicht bestmöglich erfüllen. Der Steuerberater ist aber gerade dazu verpflichtet, die Interessen des Auftraggebers bestmöglich zu vertreten.104 Der Steuerberater wäre also im Fall o. g. widerstreitender Interessen nicht mehr frei in seiner Entscheidungsfindung und damit nicht mehr unabhängig.
Nach § 6 III BOStB dürfen Sozietäten, Steuerberatungsgesellschaften, Partnergesellschaften, Anstellungsverhältnisse oder sonstige Formen der Zusammenarbeit nicht zu einer Umgehung der in § 6 I, II BOStB genannten Betätigungsverbote führen. Es handelt sich hier um eine Missbrauchsvorschrift. Steuerberater müssen danach überprüfen, ob im Einzelfall durch das Tätigwerden einer anderen Person,die mit ihm beruflich verbunden ist, eine Umgehung des Tätigkeitsverbots vorliegt.105 Allerdings kann das Tätigkeitsverbot nach § 6 III BOStB nicht so weit gehen, dass „die bloße Zusammenarbeit mit anderen, … zum Verlust der eigenen Unabhängigkeit führt.“106 Vielmehr muss die Unabhängigkeit des Steuerberaters dadurch tatsächlich in Frage gestellt sein.107 Die Anforderungen dürfen auch nicht überspannt werden.108
Zusammenfassend können damit Ausrichtung und Zielsetzung des Unabhängigkeitspostulats im StBerG durch zwei Aspekte charakterisiert werden:
Vertrauen der Öffentlichkeit
Um das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Steuerberater als Diener des Rechts sicherzustellen, muss gewährleistet sein, dass der Steuerberater von keiner Seite zu gesetzeswidrigem Verhalten veranlasst werden kann.
Vertrauen des Auftraggebers
Der Auftraggeber soll durch die Einhaltung des Unabhängigkeitspostulats die Gewissheit haben, dass der Steuerberater ausschließlich im Interesse des Auftraggebers handelt. Die Verfolgung fremder Interessen (z. B. eigene Interessen, Interessen der Finanzverwaltung oder anderer Dritter) ist ausgeschlossen.
Liegen entsprechende Anhaltspunkte vor, so muss der Steuerberater das Mandat ggf. ablehnen oder beenden. Zur Wahrung der Unabhängigkeit bestimmt die Berufsatzung für besonders gefährdete Konstellationen folgende Tätigkeitsverbote/-einschränkungen:
Absolutes Tätigkeitsverbot bei Vorliegen einer Kollision mit eigenen Interessen des Steuerberaters (§ 6 I BOStB).
Dispositives Tätigkeitsverbot bei Tätigwerden für mehrere Auftraggeber in derselben Sache (§ 6 II S. 1 BOStB).
Eingeschränktes, nicht dispositives Tätigkeitsverbot bei widerstreitenden Interessen im...