HAKUNA MATATA – SCHMIDT HAPPENS ON TOUR
Die erste und pannenreichste Straße – Kenia
Ich kann es kaum erwarten, endlich selber neue Straßen zu erfahren. Seit einem halben Jahr bin ich 18 Jahre alt, jung und frisch! Ich fühle mich jugendlich und dennoch gereift. Die Reifeprüfung kommt bald. Ich werde demnächst mein Abi machen. Doch vorher muss ich noch in das Land mit den schirmastigen Bäumen reisen, das mich als Kind am Fernseher geistig fesselte: Ostafrika! Kreuz und quer durch Kenia fahren. »Im Reich der wilden Tiere« unterwegs sein. Auf staubigen Wellblechpisten pirschen, gern auch quersavannenein, um die großen Tiere der Savanne selber zu beobachten.
Der Flieger landet pünktlich in Nairobi. Das Warten am Gepäckband wird zur Geduldsprobe. Eine komplette Expeditionsausrüstung haben wir, zwei Lehrerinnen meiner Schule und ich, in Frankfurt eingecheckt. Über die Startbahn West ging es direkt nach Süden. Via Rom. Und nun rattert ein Koffer nach dem anderen an uns vorbei. Ich werde immer nervöser. Oh, wie ungern gebe ich beim Check-in Gepäck ab! Wer weiß, ob man seine Lieblingsklamotten je wiedersieht? Als die allerletzten Gepäckstücke das Innere der Halle erreichen, kommt das Band zum Stillstand. Erst Panik, dann Entwarnung. Es sind unsere Sachen. Endlich! Was für eine Erleichterung! Doch die schwindet schnell, als die Dame am Tresen der Mietwagenfirma meinen frischen, graulappigen Führerschein in Augenschein nimmt. Denn die will uns den auf meinen Namen gebuchten Wagen nicht aushändigen.
Die »driver’s licence« sei zwar im Prinzip in Ordnung, aber diese müsse schon ein paar Jahre alt sein, um einen Mietwagen fahren zu dürfen, und ich sei viel zu jung! Innerliche Totalpanik kommt auf. Der bis ins letzte Detail ausgearbeitete Plan, die aus unzähligen Tierfilmen bekannten Safari-Landschaften Kenias Straßen sammelnd zu erleben, droht zu zerplatzen wie eine Seifenblase im hektisch böigen Wind.
Ich gefriere innerlich. Starre still steinern stehend auf regenbogenfarben schillernde schwarze Miniseen. Ölpfützen, die den geriffelten Betonboden der stickig-stinkenden Tiefgarage, in der sich das Office der Mietwagenfirma befindet, dekorieren.
Dann durchzuckt mich ein neurologischer Blitz. Moment mal! Mensch ja! Wir? Wir! Jaaaahh! Das ist sie! Die Lösung L! L wie Lösung! Die Rettung des Plans. Ich bin ja gar nicht alleine hier. Was für ein Glück! Ich bin ja in Begleitung zweier Damen hier, die wesentlich älter sind als ich und wohl auch einen Führerschein haben. Hoffentlich haben die den mitgenommen, meine einzige Sekundensorge.
Die eine ist Frau Fiene, jene Biologielehrerin vom Gymnasium, der ich schon in der fünften Klasse als bemerkenswerter Schüler aufgefallen war. Die andere ist eine Freundin von ihr. Frau Fiene habe ich in dem Raum näher kennengelernt, in dem ich oft Asyl vor mich gelegentlich ärgernden, vor allem aber lärmenden und sinnfrei smalltalkenden Mitschülern fand. Im Lehrerzimmer der Naturwissenschaften des Gymnasiums.
Dort entstand aus einer fixen, witzigen Idee binnen kürzester Zeit lebensechter Ernst. Zusammen nach Afrika zu fahren. Und nun sind wir tatsächlich gemeinsam hier im tiefgaragigen Office einer einheimischen, kleinen Mietwagenfirma. Inmitten des hochhausig getürmten Nairobi. Jener Skyline, die ich bisher nur aus Fernsehfilmen über Ostafrika kannte.
Ich will meinen Traum leben, darum bin ich hier. Ich schaffe es, nicht nur die stressigen Flughäfen, die ich wie die schmerzvolle Geburt einer hoffentlich tollen Fernreise empfinde, zu überleben, sondern auch diese ölig ätzende Tiefgaragen-Mietwagen-Check-in-Prozedur zu überstehen. Man muss auch mal was aushalten können, wenn man was erreichen will!
Es gibt Berge, über die man hinüber muss, sonst geht der Weg nicht weiter. Diese indische Weisheit lotst mich. Ich folge meinem inneren Lockruf, der Sehnsucht, die Welt zu erfahren. Wortwörtlich. Reisen ist für mich wie Sport. Es ist anstregend, aber dennoch schön. Und es macht besonders stolz, wenn man dann das spannend-spaßige Straßensammeln wie ein Rennen oder Spiel gewonnen hat.
Nach einer Stunde ist der zunächst alles ausbremsende und verstressende Organisations- und Papierkram endlich erleichternd vorbei. Schließlich und endlich bekommen wir doch noch unser gebuchtes Auto. Einen kleinen, engen, spartanisch ausgestatteten Suzuki- Geländewagen. Kennzeichen KVQ 872.
»Käi-wie-kju-eight-seven-two.« Echoartig muss ich das immer wiederholen. Denn das geht ja richtig rollend reimig die Zunge runter.
Drei Sitze hat er, der Wagen. Zwei vorne und einen hinten. Sein blechernes Outfit ist ein schlichtes, noch waschmittelreines, spiegelig glänzendes Weiß. Ein Zebraweiß, aber ohne die schwarzen Streifen. Nachdem wir uns mit dem meisten Gepäck eingepuzzelt und sperriges Gepäck auf dem Dach eingekistet und befestigt haben, geht es endlich los.
Obwohl ich der Bestimmer der Reise bin, darf ich nun den Wagen leider nicht fahren. Schade. Stattdessen bockt uns Frau Fiene noch etwas unsicher mit dem Gefährt raus aus Nairobi. Mit mir als beifahrendem Navigator. Das Gebocke des Wagens ist nervig und liegt nicht am Fahrstil, sondern kommt von der spartanisch-staubigen Technik.
Denn an einer Tankstelle erfahren wir, das Bumping läge am schlechten, dreckigen Sprit. So geben wir schließlich Gas, um noch heute in die ruhige, erhabene Wildnis zu kommen. Mehr als 80 Kilometer pro Stunde schafft der Wagen leider nicht. Wir sind bockig westwärts rollend unterwegs. Auf einer sehr gut ausgebauten Landstraße. Laut einem großen Schild auf einem der sogenannten Trans-African-Highways. Demnach sind es bis nach Lagos in Nigeria noch 5749 Kilometer. Schade, da werden wir wohl nicht hinfahren.
Wir halten, denn ein Schild-Foto fürs Album wird dennoch fällig. »Peter, du siehst irgendwie aus wie ein Otto, der doof daneben steht!«, meint Frau Fiene. Das allererste sogenannte Otto-Foto entsteht. Seither heißen Fotos, auf denen ich mit dem ganzen Körper vor Kulissen geknipst werde, Otto-Fotos.
Pünktlich zum Einbruch der Dunkelheit erreichen wir den Naivasha-See. Unter schirmigen, dickstämmigen Bäumen schlagen wir unsere Zelte auf. Umgeben von exotischem Vogelgegurr. Ja, wir sind tatsächlich im typisch tierischen Afrika angekommen. Am nächsten Tag geht es gleich weiter. Nach Nakuru, um dort die vielen rosafarbenen Flamingos zu bewundern. Das erste richtige Highlight im Reich der wilden Tiere!
Anschließend fahren wir vorbei an viel fruchtbarem Land und kissengrün exakt geschnittenen Tee-Plantagen. Am Viktoria-See beobachten wir ferne Gewitterwolken, die die aus dem Erdkunde-Unterricht bekannte »Innertropische Konvergenz«, kurz ITC, markieren, und deren gespenstisches, wolkenbandiges Wetterleuchten.
Bislang haben wir mit Ausnahme rund um den Nakuru-See praktisch nur europäisch anmutende Asphaltstraßen befahren. Das wahre savannige Afrika-Feeling, wie ich es in unzähligen Filmen als Kind gesehen habe, das fehlt mir bisher noch. Ganz im Südwesten Kenias biegen wir zivilisationsschließlich von der Hauptstraße runter, rein in eine rostbraune Rippelpiste. Der Beginn der Wildnis, des Abenteuers Afrika! Frau Fiene hält unvermittelt den Wagen an: »So, Peter, hier ist so wenig Verkehr, von jetzt an fährst du!«
»Wie jetzt …?«, frage ich verwundert, auf den Mietvertrag verweisend.
»Kein Aber! Du darfst jetzt das Steuer übernehmen, Peter, und ich übernehme die Verantwortung, okay?«
»Ja, aber wenn …«
»Kein Aber, ich bin müde und wenn du fahren willst, dann überlasse ich das ab hier gerne dir!«
Dann tauschen wir die Plätze. Ich setze mich auf den Fahrersitz. Ich schaue an meiner Brust runter. In rotem T-Shirt und meiner blauen Levis-Lieblingsjeans reift sich steigernd der Stolz im Sitz. So übernehme ich zunächst zaghaft zögernd das Steuer. Doch bevor ich Gas gebe, steige ich noch einmal aus. »Ich muss noch mal schnell meine B entleeren!«, erkläre ich die Verzögerung. Das B steht buchstabenkurz für Blasenentleerung, auch allgemein besser bekannt als Pinkelpause.
Ich steige wieder ein, drehe vorsichtig den Schlüssel immer weiter rum. Ein kurzes Tähötähötähö ertönt und schon rockt und ruckt er los, unser zebraweißer, streifenloser Geländewagen, der KVQ 872.
Meine erste selbst zu fahrende, neu zu entdeckende, richtige Straße beginnt hier. Vom hohen grüngelben Gras der Savanne gesäumt, zieht sich die rostbraunrote Piste mal gerade, mal im Slalom um schirmige und stachelig buschige Akaziengruppen. Der sandige Straßenbelag ist wattenmeerwellig. Diese Rippeln schütteln das Fahrzeug ordentlich durch. Da kann man nur im Schritttempo fahren.
Verdammt, mit diesem Kuhtempo kommen wir aber heute nicht mehr in die Masai Mara, jenen kenianischen Teil der berühmten Serengeti, wo es nur so von Großtieren, die ich bisher nur aus dem Zoo kenne, wimmeln soll. Um dahin zu kommen, bräuchten wir schon gepardiges Tempo.
Rechts und links säumen die für Afrika so typischen Akazien inselartig den Weg. Grünbaumige Flecken im ansonsten dürrbeigen, hohen Gras, in dem vielleicht auch ein Löwe lauern könnte. Vorsichtig geht es voran. Immer wieder halten wir an exotischen Pflanzen oder um einfach die Gegend zu beobachten und zu genießen. Menschen sehen wir dabei keine.
Langsam beginne ich, immer schneller zu fahren. Bis wir quasi mit Gepardentempo abheben. Bis die Reifen nur noch auf den Wellenbergen der Rippeln rütteln. Das ist bei etwa 70 bis 80 Kilometer pro Stunde! Im Takt der Rippeln vibrierend, rollen die Reifen auf der...