Vorweg: Ein Einblick mit Ausblick
Es ist ein ganz normaler Tag. Ein Wochentag. Lukas muss um sechs Uhr aufstehen. Seine große Schwester ist schon wach. Sie muss früher raus.
Mama und Papa sind auch schon auf. Sie erledigen flott die allmorgendlich anfallenden Aufgaben. Es muss schnell gehen. Viel Zeit gibt es nicht. Zieh dich an! Komm frühstücken!
Mach weiter! Vergiss nicht deine Zähne zu putzen!
Ins Auto rein, vor der Schule raus! Die Schule beginnt um 7:30.
Lukas ist müde. Hunger hat er auch, weil er sein Frühstück nicht beenden konnte.
- 1. Stunde: Mathematik
Die Lehrerin kontrolliert die Hausübungen. Es fehlen wieder Hefte. „Immer dieselben“, sagt die Frau Lehrerin. „Gott sei Dank nicht ich“, denkt sich Lukas. Sie beginnen gleich mit Mathematik. Die Frau Lehrerin rechnet mit ihnen zwei Beispiele gemeinsam. Dann sollen sie leise auf ihren Plätzen selber weiter rechnen. Die Frau Lehrerin kontrolliert die Unterschriften im Mitteilungsheft. Scheiße, die hat er vergessen! Er macht mit den Beispielen weiter. „Leise“, wirft die Frau Lehrerin in die Klasse ein. Er rechnet weiter. „Die Unterschrift. Die habe ich vergessen“, sagt Lukas. „Immer dasselbe mit dir. Kannst du dir das nicht merken? Das ist ja nicht so schwer. Morgen aber sicher! Jetzt rechne aber weiter, du hast ja noch gar nicht viel geschafft“, fordert ihn seine Frau Lehrerin auf und geht weiter.
Es läutet. Bücher abgeben, alle, auch, wenn man nicht fertig geworden ist.
Kurze Pause.
- 2. Stunde: Deutsch
Buch Seite 27. Alle schlagen das Deutschbuch auf Seite 27 auf. Sie lesen im Buch. „Worauf musst du bei dieser Übung achten?“, fragt die Frau Lehrerin die Klasse. „Nicht immer dieselben. Jonas, kannst du mir sagen, worauf du Acht geben musst, wenn du die Sätze dann ins Heft schreibst? Was haben wir schon gelernt? Mmmh, Jonas? Wer kann Jonas helfen?“, fragt die Frau Lehrerin in die Klasse. „Sarah!“ „Auf die Doppelmitlaute und auf den kurzen Selbstlaut davor, also, wenn der Selbstlaut kurz gesprochen wird, dann muss man nachher zum Beispiel zwei t schreiben“, erklärt Sarah. Genau.
Hefteintrag. Lukas nimmt sein Heft. Überschrift und Datum stehen an der Tafel.
Große Pause. Jausenpause
- 3. Stunde: Sachunterricht
Buch Seite 33. Wiederholung der letzten Stunde. Die Bäume. Welche Bäume gibt es denn hier in unserer Gegend?
„Nicht immer dieselben. Wer kann mir etwas über die Bäume erzählen?“, fragt die Frau Lehrerin. Lukas denkt nach. Es antwortet schon jemand.
„Wie kann man die Art der Bäume erkennen? Welcher Teil des Baumes hilft uns dabei?“, fragt die Frau Lehrerin weiter. Lukas denkt nach. Er weiß es und zeigt auf. Die Frau Lehrerin nimmt einen anderen an die Reihe. Die Blätter. Genau.
Lukas und seine Schulkameraden malen die Blätter und Bäume im Buch an.
Am Ende der Stunde geben sie ihr Buch ab.
Kleine Pause.
- 4. Stunde: Bildnerische Erziehung
Male einen Herbstbaum. Wie sieht ein Baum aus? Worauf musst du achten? Die Frau Lehrerin zeichnet einen Baum an der Tafel vor. Welche Farben haben denn die Herbstbäume? ROT – GELB – BRAUN. Mit Ölkreiden und auf einem A3-Blatt!
Lukas beginnt. Die Kinder zeichnen. Die Frau Lehrerin schaltet eine beruhigende Musik ein. Wenn es zu laut wird in der Klasse, ermahnt sie die Kinder. Es läutet. Die Zeichenblätter kommen in das Bankfach.
Kleine Pause.
- 5. Stunde: Sport und Bewegung
Anstellen fürs Turnen. Zweierreihe!
Die Kinder beruhigen sich nicht. Die Frau Lehrerin muss wieder warten, bis alle ruhig stehen. Lukas freut sich aufs Turnen. Los geht’s! Ab in den Turnsaal.
Sie laufen. Sie turnen auf den Matten. Zum Schluss spielen sie ein Ballspiel.
Anziehen! Anstellen!
Alle Kinder, die in den Hort gehen, können bereits marschieren. Die anderen werden entlassen.
Lukas ist im Hort. Er isst. Kurze Spieleinheit. Dann Hausübungsstunde. Wieder Spieleinheit.
Um 16.30 holt ihn seine Mama.
Kurz noch in den Supermarkt.
Zu Hause angekommen.
Mama erledigt noch den Haushalt und kocht. Papa kommt auch nach Hause. Lukas spielt am Computer.
Sie essen gemeinsam, ab ins Badezimmer und ins Bett. Es gibt Fragen zur Schule. Eine Unterschrift fehlt. Gute Nacht!
Alles da, aber was fehlt?
So sieht in etwa der Tagesablauf eines Schülers aus. Sein Alltag ist vom Aufstehen bis zum Schlafengehen durchgeplant. Er erhält vormittags einen durchgeplanten Unterricht und nachmittags Spielangebote. Er ist den ganzen Tag unter seinesgleichen. Er wird gefordert und gefördert.
Wieso werden dann die Problemfelder sowohl in den kognitiven wie motorischen wie in den sozial-emotionalen Kompetenzen immer größer?
Wieso kommen Kinder mit zunehmend verminderten Vorläuferfertigkeiten in die Schule?
Unseren Kindern von heute fehlt es an Beziehung. Zu Hause jagt unter der Woche ein Termin den anderen, am Wochenende gibt es das Wochenendprogramm und in der Schule steht Stoffvermittlung mit Lernkonzepten über allem. Beziehung steht im Hintergrund oder findet gar nicht statt.
Zu alledem fehlt es uns an Wachheit, die uns innehalten und uns selbst bei allem, was wir so tun und wo wir mitmachen, beobachten lässt. Nicht selten kann ich in Elterngesprächen wahrnehmen, dass es vermeintlich einfacher scheint einen Sündenbock zu suchen. So einfach ist es aber nicht. Sind wir aber wach, also in einem wachen, klaren, nüchternen Zustand können wir sehen, wie wir förmlich „drinnenhängen“ in der Schnelllebigkeit, in den Diktaten unserer Gesellschaft und wie uns der Blick für die Realität und auch für unser Wohlsein abhandengekommen ist.
Diese, meine Überzeugung, gilt nicht aus einem moralischen Verständnis heraus, sondern aus einem, das auf Tatsachen, die ich tagtäglich in meinem Job als Beratungslehrerin und als Psychotherapeutin beobachten kann, beruht. Das Kapitel „Auf zur Wachheit!“ wird im Detail zeigen, welche Faktoren sich auf unser Schulsystem auswirken.
Unseren Kindern fehlt Wesentliches: die Beziehung! Hier spreche ich von einem Angebot ausgehend von dem Erwachsenen, der dem Kind eine sichere Beziehung anbietet: „Hier bin ich, ich passe auf dich auf, ich bin für dich da, ich sage dir, was ich möchte und was ich nicht möchte, welches Verhalten mir gefällt und welches nicht. Ich bin klar in meinen Aussagen und du als Kind fühlst dich so wie du bist angenommen und geliebt von mir.“
Die Beziehung macht’s. Die Beziehung lässt uns Eltern und Lehrer gegenseitig und unsere Kinder erreichen. Wir werden uns/sie nur erreichen, wenn wir uns auf uns/sie beziehen. Beziehung macht zielführende Gespräche zwischen Erwachsenen und Kindern und Lernen in der Gruppe möglich. Durch die Beziehung entwickelt sich das Kind in seiner sozial-emotionalen Kompetenz, diese führt es vom ICH zum DU und vom DU zum WIR.
Wie diese Beziehung gelingen kann, wie sie praktisch möglich ist, möchte ich in dem Buch mit praktischen Beispielen aus dem Schulalltag beschreiben. Es geht um persönliche Qualitäten, die der Lehrer aufweisen soll, damit sich Beziehung basierend auf der personzentrierten Grundhaltung in der Schule verwirklichen lässt. Diese sind Empathie, Real-Sein und Wertschätzung, und sie stellen für mich nicht nur in der Therapeut-Klienten-Beziehung notwendige Bedingungen dar, sondern ebenso in der Beziehung Lehrer-Schüler, Lehrer-Eltern.
Dafür werde ich Scores der Echtheit, der Wertschätzung, der Non-Direktivität und des einfühlenden Verstehens, die für die personzentrierte Psychotherapie ausgearbeitet wurden, anführen.
Die Auswirkungen meiner personzentrierten Lehrerschaft auf den Unterricht habe ich mit meiner eigenen Lehrmethode „Lernen beginnt mit dem Körper“ in Verbindung gebracht.
Meine Methode „Lernen beginnt mit dem Körper“ ist so zu verstehen, dass sich der Begriff Lernen nicht nur auf Lesen, Schreiben und Rechnen beschränkt, sondern auf einen kindzentrierten Unterricht, der den Menschen in seiner Ganzheit, in seinen elementaren Bedürfnissen wahrnimmt. Sie entstand aus meinen Beobachtungen in der Praxis. Kinder weisen immer mehr Defizite in ihren motorischen Fähigkeiten, sowohl in der Grob- als auch Feinmotorik und in der visuellen sowie auditiven Wahrnehmung auf. Diese Fähigkeiten repräsentieren die Vorläuferfertigkeiten für die Schule.
Ein wesentlicher Aspekt meiner Methode ist, dass das Kind seinen Lernprozess bestimmt. Die Lehrerin begleitet, bezieht sich auf das Kind und strebt die bestmögliche Ausschöpfung des Potentials eines jeden einzelnen Kindes an. Das Kind soll dabei wissen, dass es so, wie es ist, von seinem Lehrer...