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Der Umgang mit Gewalt und Aggression im Sportunterricht

Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen

AutorVerena Watzal
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783638291347
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Didaktik - Sport, Sportpädagogik, Note: 1,0, Technische Universität München (Lehrstuhl für Sportpädagogik), Sprache: Deutsch, Abstract: Gewalt in der Schule ist ein gravierendes Problem innerhalb unserer Gesellschaft. Erschreckende gewalttätige Vorfälle wie zum Beispiel der am Erfurter Gutenberg Gymnasium im Jahre 2002 oder die jüngsten Ereignisse an der Werner von Siemens Berufsschule in Hildesheim beweisen, dass diese Thematik ernst zu nehmen ist und nicht verharmlost werden darf. Um umfassend und langfristig erfolgreich Gewalt vorbeugen und ihr begegnen zu können, sind vielerlei Bereiche der Gesellschaft in der Pflicht, insbesondere auch die gesellschaftliche Institution Schule. Welche Beiträge zum Umgang mit Gewalt und Aggression speziell Sportunterricht in der Schule liefern kann und soll, wird in dieser Arbeit anhand einer Auswahl aktueller Publikationen im deutschsprachigen Raum untersucht. Eine wichtige Bezugsgrundlage für die Analyse dieser Publikationen ist Kornadts kognitiv-emotionale Motivationstheorie der Aggression und Aggressivität. Dieser Ansatz wird u. a. von Leist (1993) als tragfähige, empirisch gut abgesicherte Theorie zur Beschreibung und Erklärung von Aggressionsphänomenen herangezogen. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Theorie Kornadts werden die jeweiligen theoretischen Konzeptionen zur Aggression aus den ausgewählten Publikationen vorgestellt und zu dem Ansatz Kornadts in Beziehung gesetzt. Darüberhinaus werden zentrale Aussagen und Ergebnisse der Publikationen zu Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen des Sportunterrichts im Hinblick auf den Umgang mit Gewalt und Aggression festgehalten. Das abschließende Resümee liefert einen Überblick über die wesentlichen Befunde dieser Arbeit.

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Leseprobe

2 Aktuelle Untersuchungen zum Thema: „Gewalt­prävention und Umgang mit Gewalt und Aggressionen im Sport­unter­richt“


 

In diesem Kapitel werden Ansätze von vier verschiedenen Autoren zu dem Thema „Gewaltprävention und Umgang mit Gewalt und Aggressionen im Sportunterricht“ vorgestellt. Dabei wird nach folgenden Untersuchungskriterien vorgegangen: Zu anfangs werden die Fragestellungen der einzelnen Autoren aufgeführt. Anschließend werden die Methoden und Vorgehensweisen beschrieben. Darauf folgen die einzelnen Aggressionstheorien, auf die sich die Verfasser stützen. Des Weiteren werden diese Theorien in Bezug auf Kornadts Motivationstheorie (1982) untersucht. Abschließend werden dann die Ergebnisse und Folgerungen, zu denen die Autoren in ihren Analysen gekommen sind, präsentiert.

 

2.1 Untersuchungen nach W. D. Miethling


 

2.1.1 Zentrale Fragestellungen


 

Wolf-D. Miethling interessiert sich bei der Thematik, welche Beiträge Sport­unter­richt zum Umgang mit Aggression und Gewalt liefern kann und soll, für folgende Fragen:

 

Entspricht die, in der Gesellschaft weit verbreitete Auffassung, es gäbe eine allgemeine Aggressionszunahme zu verzeichnen, welche sich auch im Sportunter­richt bemerkbar macht, tatsächlich der Realität?

 

Welche Entwicklungsbedingungen für gewaltförmige Aggressionen können festgestellt werden?

 

Wie entstehen Aggressionen?

 

Inwiefern enthält Sport als körperbetontes Wettkampfspiel selbst ein besonderes Aggressionspotential?

 

Abschließend  sucht der Sportwissenschaftler anhand seiner Ergebnisse nach Schluss­folgerungen für den Sportunterricht, um dem Problem präventiv begegnen oder es aktuell bewältigen zu können.

 

2.1.2 Vorgehensweise zur Untersuchungen der Frage­stellungen


 

Miethling (1996, 2002) geht bei seiner Suche nach Antworten nach folgenden Kriterien vor: Zunächst orientiert er sich an Erfahrungsberichten und Beobachtungen zu diesem Thema und wertet sämtliche empirische Studien dazu aus. Danach entwickelt er seine Theorie des multikausalen Bedingungsgefüges, die das Entstehen von Aggressionen erklärt. Außerdem untersucht er den kommerziellen Spitzensport am Beispiel des Fußballs hinsichtlich der Gewaltthematik.

 

2.1.2.1 Studien und Erfahrungsberichte zu dem Thema „Gewalt an Schulen“

 

Den Anfang bilden bei Miethling (1996) verschiedene Erfahrungsberichte und Beobachtungen aus dem Sport- und Schulsport-Alltag mit dem Thema „Gewalt“. Seinen wissenschaftlichen Aufsatz „Gewalt im Sportunterricht. Schulsport zwischen gewaltförmigen und gewaltfreien Aggressionen“ (2002) eröffnet er mit der Schilderung eines Bezirksliga-Fußballspiels, das aufgrund des körperlich respektlosen Angriffs eines Spielers auf den Schiedsrichter abgebrochen wird. Er stellt diese Episode als Beispiel für eine „Modellwirkung des Spitzensports“ (2002, S. 4) auf untere Fußball-Ligen und auch auf den Schulsport dar.

 

Auch in dem zweiten Beobachtungsbericht in Miethlings wissenschaftlichem Aufsatz „Aggressionen im Sportunterricht“ (1996) geht es um die Modellwirkung, die kommerzieller Fußballsport auf eine Vielzahl von Jugendlichen besitzt. In einem Fußballspiel zweier Schulsportmannschaften verhalten sich besonders zwei Spieler gegeneinander sehr unfair und aggressiv. Die Folge des durch den Faustschlag verübten Nasenbeinbruchs ist die gerichtliche Verfügung eines Schmerzensgeldes, nachdem sich der Verursacher uneinsichtig gegeben hat. Miethling (1996) führt diese Episode als Exempel für Imitationsversuche gewaltförmiger Aggressionen und Schummeleien seitens der SchülerInnen an. Die SchülerInnen lernen am Modell bestimmter Spitzen­fuß­baller aggressive Verhaltensweisen im sportlichen Wettkampf. Sie übernehmen dieses aggressive Verhalten und integrieren es in ihre Alltags­situatio­nen. Die oben erwähnte Episode dient für Miethling zudem als Beispiel dafür, dass SchülerInnen nach dem Vorbild des Spitzenfußballs eine „Kosten-Nutzen-Kalkulation“ (Miethling, 1996, S. 20) vornehmen, also z. B. unsportliches aggressives Verhalten nicht zugeben, es abstreiten und nicht bereit sind für ihr Verhalten Verantwortung zu übernehmen, weil sie sich durch ihr unfaires Verhalten Vorteile versprechen.

 

Anhand eines Schülerberichtes führt Miethling (1996) neben physischen auch psychische Aggressionsverhaltensweisen in Form von verbaler Aggression seitens des Sportlehrers auf. Dieser Bericht gilt für den Autor als Mitbeleg für seine These, dass an Schulen eine Vielzahl von unterschiedlichen Aggressionsarten auftreten.

 

Der Erfahrungsbericht einer jungen Gymnasialsportlehrerin, den Miethling zu Beginn seines wissenschaftlichen Aufsatzes „Aggressionen im Sportunterricht“ (1996) wieder­gibt, zielt auf dieselbe These ab. Es werden neben verbalen Aggressionen zwischen Schüler­Innen auch verbale Aggressionen von SchülerInnen gegenüber LehrerInnen aufgeführt. Diese lösen schließlich eine verbale Aggression bei der Lehrerin aus, eine Reaktion, die Miethling (1996) mit Hilfe der Frustrations-Aggressions­theorie von Dollard et al. (1939) wie folgt begründet: Die verbalen Streitigkeiten der SchülerInnen deutet die Lehrerin als persönliche Zurückweisung, der das Empfinden von Frustra­tion folgt. Die Lehrerin entwickelt daraufhin ein Ärgergefühl, welches sie mittels verbaler Aggression in Form von SchülerInnen-Anschreien abzureagieren versucht. Die beschriebene „Befreiung“(1996, S. 20), die sie nach der Aggressionshandlung erfährt, wird als erfolgreich erreichtes Aggressionsziel empfunden, da sowohl ihr innerer Konflikt (das Verschwinden von Frustration und Ärger) als auch der äußere Konflikt mit der Klasse (Wiederherstellung des Gehörs und Respekts bei den SchülerInnen) gelöst ist.

 

Neben der Schilderung von Erfahrungs- und Beobachtungsberichte wertet Miethling (1996) verschiedene empi­risch­e Studien aus. Hierbei stützt er sich auf die Befragungen von SchulleiterInnen und zum Teil auch von SchülerInnen. Sie wurden erhoben von Ferstl, Niebl, Hanewinkel (1993), Melzer, Tillmann (1995), Sikorski, Thiel (1995), Spaun (1994). Außerdem wertet Miethling (1996, 2002) die allgemeinen Studien aus, die von Dettenborn, Lautsch (1993), Freie und Hansestadt Hamburg(1991), Freitag, Hurrelmann (1993) und Tillmann, Holler-Nowitzki, Holtappels (1999) erhoben wurden. Des Weiteren stützt Miethling (1996) sich auf die Längsschnittstudie von Mansel (1995). Die Ergebnisse dieser Auswertung werden in Kapitel 2.1.5.1 erläutert.

 

2.1.2.2 Entwicklung einer Theorie des multikausalen Bedingungs­gefüges von Aggressions­entstehung

 

Um seiner anfangs genannten Fragestellung nach den Entwicklungsbedingungen für Aggressionen nachzugehen, entwickelt Miethling (1996, 2002) mit Hilfe von Er­kenntnis­sen verschiedener anerkannter Theorien seinen eigenen Theorieansatz des multi­kausalen Bedingungsgefüges von gewaltförmiger Aggression. Hierfür orientiert er sich u. a. an dem Gedankengut von Lorenzs endogener Triebtheorie (1963), der Frustra­tions-Aggressionstheorie von Dollards et al. (1939) sowie der Lerntheorie von Bandura, Walters (1959).

 

Miethling (2002) greift bei der Bearbeitung seiner Fragestellungen ins­besondere den kommerziellen Spitzensport heraus und untersucht am Beispiel des Fußballs der Männer, inwiefern sich hier eine generelle Aggressionszunahme abzeichnet. Miethling (2002) fragt anhand dieses Beispiels, ob sich im „verwirtschaftlichten“ Profisport Entstehungsbedingungen für Aggressionen manifestieren können. Birgt der kommerzielle Profisport als körperbetontes Wettkampfspiel ein besonderes Aggressionspotential? Welche Schlussfolgerungen lassen sich aufgrund dieser Erkenntnisse für den Sportunterricht zur Gewaltprävention und zum Umgang mit Aggressionen ableiten?

 

Bevor die Ergebnisse von Miethlings Untersuchungen (1996, 2002) erläutert werden, soll zunächst sein multikausaler Erklärungsansatz für Aggressions­entwicklung erläutert und anschließend zu Kornadts Motivationstheorie der Aggression und Aggressions­hem­mung (1982) in Beziehung gesetzt werden.

 

2.1.3 Das multikausale Bedingungsgefüge der Aggressions­entstehung


 

Um Miethlings Ansatz (1996, 2002) mit anderen Auffassungen und Theorien in der Aggressionsforschung vergleichen und differenzieren zu können, muss zuallererst die Terminologie erklärt und abgegrenzt werden.

 

2.1.3.1 Begriffsklärung von Aggression und Gewalt

 

Miethling (1996) nähert sich dem Begriff „Aggression“ etymologisch, indem er ihn von dem lateinischen „aggredi“ oder „aggredior“ ableitet. Das Verb bedeutet „herangehen“, „sich (an jemanden) wenden, (ihn) angehen“ sowie „unternehmen, beginnen, versuchen, an (etwas) gehen“ (Stowasser, Petsching, Skutsch, 1991, S. 22).

 

Miethling stellt fest, dass Aggression zunächst nur „tatkräftiges Handeln, also zielstrebiges Verhalten, das Widerstände überwindet“ (1996, S. 6) bedeutet. Erst mit der Wortverbindung „hostes“ (= Feinde) wird es zu dem (feindseligen) „angreifen“, d. h. erst im...

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