1. Bedingungs- und Problemdarstellungen
Es gibt verschiedene Probleme, die sich in der Pflege mit sogenannten dementen Menschen ergeben. Zur Einführung soll die Alzheimer Krankheit und ihre Auswirkungen beschrieben und einige beispielhafte Probleme dargestellt werden, die in Pflegepraxis und -theorie diskutiert werden. Abschließend soll sich ein möglicher Ansatzpunkt zur Problemlösung heraus kristallisieren.
In dieser Arbeit wird sich im wesentlichen auf die Pflege der Menschen bezogen, die laut medizinischer Diagnose von der Alzheimer Krankheit (Demenz vom Alzheimertyp) betroffen sind. Deswegen wird hier von sogenannten dementen Menschen gesprochen, was aus diversen anderen Gründen weitere sogenannte verwirrte Menschen nicht kategorisch ausschließt, jedoch den Blickwinkel für die Arbeit eingrenzen soll.
Es wird aufgrund des aktuellen Forschungsstandes eine Beschreibung dessen vorgenommen, wie die Erkrankung und ihre Entwicklung aus verschiedenen bezugswissenschaftlichen Perspektiven, wie z.B. der der Medizin und der Psychologie, betrachtet wird, wie sie sich äußert und welche Lebensbedingungen dies für die betroffenen Menschen mit sich bringt.
Rund drei Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung lebt unter den Bedingungen der Demenz vom Alzheimertyp (Deutsche Alzheimer Gesellschaft, o.J.). Dies entspricht ungefähr dreiviertel aller Menschen, die unter den Bedingungen einer Demenz leben. Damit ist die Demenz vom Alzheimertyp die häufigste Form von Demenz. Derzeit sind etwa 770 000 bis 1,1 Mio. Menschen im Alter über 65 Jahren in der BRD von einer Demenz betroffen (Bickel, 2000).
Allgemein kann man feststellen, dass die Wahrscheinlichkeit, den Bedingungen einer Demenz ausgesetzt zu sein, im höheren Alter zunimmt. Es zeigen etwa 10% der über 65jährigen Symptome der Demenz vom Alzheimertyp (DAT). Im Alter von ca. 65 Jahren beträgt die Prävalenzrate etwa 1%, mit 85 Jahren ca. 15% und mit über 90 Jahren bis zu etwa 25% (Schröder, 2000a). Dies ist also eine altersnormale (aber nicht gleich alterslogische) Entwicklung, da eine hohe Wahrscheinlichkeit vorliegt, im höheren Lebensalter an einer DAT zu erkranken, aber grundsätzlich auch junge Menschen an einer DAT erkranken können.
Die jährliche Inzidenzrate wird bei über 60jährigen auf ca. 130 pro 100 000 Einwohner geschätzt (Schröder, 2000a). In Absolutzahlen wird die Anzahl der Neuerkrankungen auf 100 000 bis 145 000 vermutet (Bickel, 2000). Insgesamt liegt die Häufigkeit von Menschen mit einer Demenz derzeit bei ca. 5% im Alter über 65 Jahre und bei ca. 50% im Alter über 90 Jahre (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001). In den kommenden drei Jahrzehnten wird sich der gesellschaftliche Anteil älterer Menschen verdoppeln (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1993). Insbesondere der Anteil der hochbetagten Menschen wird stetig steigen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001).
Unter den Gegebenheiten der demographischen Wandlungen unserer Gesellschaft mit der höheren Lebenserwartung und dem damit verbundenen Anstieg der Anzahl älterer Gesellschaftsmitglieder bedeutet dies eine hohe Wahrscheinlichkeit einer starken Zunahme der prozentualen Anzahl der sogenannten dementen Menschen in der bundesdeutschen Gesellschaft.
Da die Alzheimer Krankheit bisher als nicht heilbar gilt oder ihr aus medizinischer Sicht nicht prophylaktisch begegnet werden kann, erfordert dies in Zukunft eine steigende Verantwortung und Verpflichtung gerade für die Pflege (Payk, 1994; Schröder, 2000a). Kompetenzanforderungen an die Pflegenden in Hinblick auf die Pflege sogenannter dementer Menschen werden also zunehmend höher.
Diese Ausführungen werden im vierten sogenannten Altenbericht der Bundesregierung bestätigt und es werden aufgrunddessen Forderungen, wie z.B. ein höheres Pflegeniveau bzw. eine höhere Pflegekompetenz, gestellt (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002).
Aufgrund ihrer prozentual häufigen Erscheinung im höheren Lebensalter eines Menschen wird eine DAT leicht mit diesem in Zusammenhang gebracht (Alternsassoziation). Dies ist wissenschaftlich aber nicht belegbar. Daher ist es wahrscheinlicher, dass ein altgewordener Mensch unter den Bedingungen einer Demenz vom Alzheimertyp lebt, aber nicht zwangsläufig der Fall (Kitwood, 2000). Deshalb kann aufgrund der heutigen Forschungsergebnisse nicht eindeutig bestimmt werden, ob die DAT eine alternsassoziierte Veränderung mit Beteiligung der Alternsprozesse an den Demenzprozessen oder um eine alternsassoziierte Erkrankung mit langwierigen jahrzehntelangen Krankheitsprozessen, die erst im Alter deutlich werden, ist (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen, und Jugend, 2001).
Die Demenz vom Alzheimertyp ist ein multifaktorielles Krankheitsgeschehen, das durch biologische Faktoren, Umgebungskriterien, Persönlichkeitsmerkmale und biographische Faktoren, sowie dem allgemeinen gesundheitlichen Status bestimmt wird. Dabei können Persönlichkeitsmerkmale aber bisher nicht als demenzfördernde Faktoren benannt werden, sondern eher persönlichkeitsbeeinflussende Aspekte, wie ein höheres Bildungsniveau, als demenzhemmend angesehen werden (Retz-Junginger, Retz, Rösler, 2000).
Nach Kitwood (2000) wird eine Demenz vom Alzheimertyp von verschiedenen interagierenden, nicht linearen und nicht allein neuropathologischen Bedingungen verursacht bzw. gefördert, die als Set die Gesamtheit des Prozesses ergeben, einzeln zwar notwendig aber nicht hinreichend sind. Dies erfordert eine Sichtweise, die umfassend genug ist, sämtliche Aspekte einzubeziehen und vor allem den betroffenen Menschen nicht aus dem Blickwinkel zu verlieren. Dafür wird ein Bezugsrahmen benötigt, der persönliches Erleben, Sozialpsychologie und auch die Hirnfunktionen vereint.
Kitwood (2000) stellt eine Formel zur Sichtweise von Demenz auf. Sie beinhaltet die Annahmen, dass sich psychische Erfahrungen und Hirnaktivität nicht von einander trennen lassen und sich wechselseitig beeinflussen. Über die weitere Annahme, dass das menschliche Gehirn sich grundsätzlich in einer Weiterentwicklung befindet, die durch einen degenerativen Prozess, wie die Demenz vom Alzheimertyp, beeinflusst aber nicht aufgehoben wird, gelangt Kitwood (2000) zu dem Ergebnis, dass sich innerhalb des Demenzprozesses auch die Aspekte der Gehirnentwicklung und der Gehirnpathologie eines Menschen wechselseitig aufeinander wirken und sich daraus unterschiedliche Entwicklungen des Demenzprozesses und seiner Auswirkungen für den Menschen ergeben.
"Jedes psychosoziale Ereignis ist gleichermaßen auch ein Ereignis oder Zustand des Gehirns, das bzw. der von einem Gehirn 'getragen' wird, dessen Struktur von Faktoren der Entwicklung und der Pathologie bestimmt worden ist." (Kitwood, 2000, S. 40)
Durch unterschiedliche Entwicklungen der Menschen wird jeder Demenzprozess unterschiedliche Entwicklungen annehmen und verschiedene Auswirkungen zeigen. Die Demenz betrifft damit gleichzeitig das Gehirn, den Körper und die psychosoziale Person. Eine Analyse der DAT lässt sich daher kaum von diesen Aspekten trennen und muss berücksichtigen, dass jederzeit individuelle Einflussfaktoren verschiedenartige Entwicklungen hervorbringen können und somit jede Person, die von einer DAT betroffen ist, komplexen, personenbezogenen und variierenden Bedingungen ausgesetzt ist.
Wie aufgezeigt, betrifft die Demenz nicht nur die neuropathologischen Prozesse, sondern die gesamte Person. Personsein beinhaltet nach Kitwood (2000) Selbstachtung, Aktivitäten und Rollen innerhalb sozialer Gruppen, sowie Kontinuität, Integrität und Stabilität des Selbstwertgefühls. Weiterhin impliziert es die Notwendigkeit nach Anerkennung, Respekt und Vertrauen. Eine Person zu werden beinhaltet Beziehungsgestaltung zur sozialen Umwelt, sich mit anderen Menschen auszutauschen sowie sich und andere reflektieren und erfahren zu können. Aufgrund der eigenen Erfahrungen ist jede Entwicklung einer Person unterschiedlich und gibt jeder Person eine andere Persönlichkeit.
Unter den Bedingungen einer Demenz vom Alzheimertyp treten gehäuft verschiedene Formen der Persönlichkeitsveränderungen auf, die nicht nur von wissenschaftlichem Interesse sind, sondern gerade die Beziehungsgestaltung zu betroffenen Menschen im Alltag ausmachen (Retz-Junginger, Retz, Rösler, 2000).
Nach Kitwood (2000) ist aus heutiger Sicht keine altersabhängige Differenzierung (senil bzw. präsenil) bzgl. der DAT mehr möglich, aber trotzdem gibt es viele unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen, die allesamt unter diesem Begriff zusammengefasst werden. Eine Möglichkeit der Heterogenität der DAT ist die, dass ein einziger Krankheitsprozess bei verschiedenen Individuen zu verschiedenen Ergebnissen bzw. Bedingungen führt. Man kann aber ebenso vermuten, dass unter dem Begriff der Alzheimer Krankheit in...