F. Rechtsstellung des vorläufigen Gläubigerausschusses
26 Von entscheidender Bedeutung für die funktionsgerechte Mitwirkung eines Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren ist die möglichst exakte Qualifizierung seiner Rechtsstellung. Kennzeichnende Elemente der Rechtsstellung sind das Verhältnis des Gremiums zu seinen Mitgliedern sowie das Zusammenspiel des Gläubigerausschusses zu den Beteiligten der insolvenzrechtlichen Handlungsorganisation.
52) I. Der Gläubigerausschuss als Organisationssubjekt
27 Die Rolle des Gläubigerausschusses hat gegenüber der früheren Konkursordnung eine deutliche Aufwertung erfahren. Während die überwiegende Auffassung den Gläubigerausschuss als Hilfsorgan des Konkursverwalters verstanden wissen wollte,
53) betonen Rechtsprechung und Literatur zur Insolvenzordnung seine unabhängige Stellung im Verfahren. Hat sich das Gericht für seine Einrichtung entschieden, unterliegt der Gläubigerausschuss insbesondere nicht den Weisungen anderer Verfahrensbeteiligter.
54) 28 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, welche Rechtsnatur dem Gläubigerausschuss gegenüber seinen Mitgliedern zukommt. Vorstellbar sind hierbei grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Einerseits käme in Betracht, den Gläubigerausschuss lediglich als kollektive Gesamtheit seiner Mitglieder zu begreifen, mit der Folge, dass ein Wechsel in der personellen Zusammensetzung, auch die Kontinuität des Ausschusses berührt. Andererseits könnte dem Gläubigerausschuss als verselbstständigtes Organ des Insolvenzverfahrens selbst Subjektqualität zukommen. In diesem Fall käme ihm als
apersonale Funktionseinheit ein von den Rechten seiner Mitglieder unabhängiges Teilhaberecht zu.
55) Die Antwort hierauf hängt maßgeblich von der Ausgestaltung der Rechtsstellung innerhalb des Organisationsgefüges ab. So knüpfen bestimmte Rechte und Pflichten unmittelbar an die Person des Mitglieds des Gläubigerausschusses. Nach § 69 InsO ist jedes Mitglied zur Unterstützung und Überwachung des Insolvenzverwalters verpflichtet.
56) Auch die Haftung nach § 71 InsO ist allein auf das individuelle Fehlverhalten einzelner Mitglieder des Ausschusses gerichtet. Überwiegend stehen die Teilhaberechte den Mitgliedern des Gläubigerausschusses jedoch nicht individuell, sondern nur in ihrer gemeinschaftlichen Verbundenheit zu.
57) Antrags-, Anhörungs-, Mitwirkungs- und Zustimmungsrechte kann der Gläubigerausschuss gegenüber dem Insolvenzverwalter, Gericht oder Schuldner nur
als Kollegialorgan wahrnehmen. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Zustimmung des Gläubigerausschuss zu bestimmten Rechtshandlungen des Verwalters. In der Beschlussfassung des Gläubigerausschusses wird der Individualwille des einzelnen Mitgliedes zugunsten einer einheitlichen Willensbetätigung des Gremiums nach Maßgabe der Beschlussregeln abstrahiert. Eine Beschlussfassung schafft auf diese Weise eine dem Gremium selbst
zurechenbare Rechtshandlung. Schließlich ändert auch die Beendigung der Mitgliedschaft einzelner Amtswalter nach § 70 InsO nichts an der fortbestehenden Einrichtung des Gremiums.
58) Der Gläubigerausschuss besitzt damit eine von seinen Mitgliedern unabhängige Subjektqualität innerhalb der Organisationsstruktur des Insolvenzverfahrens.
II. Der Gläubigerausschuss in der insolvenzrechtlichen Handlungsorganisation
29 Wird der Gläubigerausschuss als zusätzliches Organ in dem Verfahren bestellt, stehen seine Kompetenzen nicht selten in einem Spannungsverhältnis zu den Verantwortungsbereichen der übrigen Beteiligten. Seine Integration setzt aus diesem Grund eine möglichst rechtssichere Abgrenzung der jeweiligen Aufgaben und Befugnisse voraus.
1. Verhältnis zum Insolvenzgericht
30 Von besonderer Bedeutung ist vor allem das Verhältnis des Gläubigerausschusses zum Insolvenzgericht. Allgemein gesprochen garantiert das Insolvenzgericht den prozeduralen Rahmen des Insolvenzverfahrens.
59) Obwohl der Gesetzgeber der Insolvenzordnung die Gläubigerautonomie zum Leitprinzip des Verfahrens erhoben hat und in vielen Teilen um eine weitere Deregulierung zugunsten der Gläubiger bemüht ist,
60) sind wichtige und weitreichende Entscheidungen des Verfahrens, wie die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung oder Verfahrensbeendigung auch weiterhin dem Insolvenzgericht vorbehalten.
61) Konkrete Überschneidungen zwischen den Kompetenzen des Insolvenzgerichts und des Gläubigerausschusses ergeben sich vor allem hinsichtlich der Aufsichts- und Zustimmungspflichten gegenüber dem Insolvenzverwalter, die den Kernbestandteil der Aufgaben des Gläubigerausschusses ausmachen.
a) Die Geschäftsführung des Insolvenzverwalters als Überwachungsgegenstand von Gericht und Gläubigerausschuss
31 Eine Auseinandersetzung mit der funktionellen Abgrenzung zwischen dem Gläubigerausschuss und dem Gericht findet sich zumeist aus der Perspektive des Insolvenzgerichts. Insofern dreht sich die Diskussion maßgeblich um die Veränderung der gerichtlichen Aufsichtsintensität im Fall des eingesetzten Gläubigerausschusses. Die Frage soll auch hier als Einstieg für die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche zwischen dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss dienen.
aa) Meinungsstand
32 Der Einfluss des Gläubigerausschusses auf die Aufsichtspflicht des Insolvenzgerichts wurde in der Rechtsprechung bislang lediglich in einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1965 behandelt.
62) Nach Auffassung des Senats treten die Pflichten des Gläubigerausschusses neben jene des Gerichts, ohne Letzteres von seiner Aufsichtspflicht zu entbinden. Eine wirksame Kontrolle des Insolvenzverwalters durch den Gläubigerausschuss könne schon deswegen nicht ausreichend sein, da sich diese auf sämtliche Verfahren, in denen der Verwalter bestellt wurde, erstrecken müsse.
63) 33 In der Literatur wird der Einfluss des Gläubigerausschusses auf die Aufsichtspflicht des Insolvenzgerichts unterschiedlich beurteilt. Einige Autoren argumentieren, die Konstituierung eines Ausschusses entlaste das Gericht zwar nicht vollständig von der Wahrnehmung seiner Aufsichtspflichten, schränke ihre Intensität jedoch sehr wohl ein.
64) Dahinter steht die Überlegung, dass das Gericht von der Beanstandung einer bestimmten Maßnahme absehen könne, sofern die Gläubiger keinen Anstoß an ihr nehmen. Das Gericht könnte sich bei Wahrnehmung seiner Aufgaben weitgehend auf die Überwachungsfunktion des Gläubigerausschusses zurückziehen. Die überwiegende Auffassung verneint dagegen eine Priorität des Gläubigerausschusses gegenüber dem Insolvenzgericht. Die Bestellung eines Gläubigerausschusses lasse die Verfahrensrolle des Gerichts unberührt.
65) Begründet wird diese Ansicht damit, dass der Gläubigerausschuss besonders bei längeren und intransparenten Verfahren die Überwachung verbessern solle, ohne die Aufsichtspflichten damit zu suspendieren.
bb) Stellungnahme
34 Für eine Entbindung oder reduzierte Intensität des Gerichts bei der Aufsicht des Insolvenzverwalters fehlt es an einer überzeugenden Grundlage. Zu Recht sieht
Rechel die Aufsicht des Gerichts im Zusammenhang mit der grundlegenden Pflicht des Staates, Personen, die es zur Verwaltung fremden Vermögens bestellt hat, zu überwachen.
66) Die Aufsichtspflicht besteht jedoch nicht allein im Interesse der Gläubiger, sondern auch zum Schutz des Schuldners. Das Handeln der Mitglieder des Gläubigerausschusses orientiert sich nämlich trotz ihrer umfangreichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte des Schuldners, ausschließlich am Interesse der Gläubiger. Dieser Befund bestätigt sich bereits aus den Motiven der Konkursordnung, in denen der Gläubigerausschuss als Vertretungsorgan der Gläubiger bezeichnet wird, das
„nicht einem öffentlichen Amts-, sondern einem Mandatsverhältnisses“ entspreche.
67) Schon aus diesem Grund wird die gerichtliche Aufsichtspflicht durch die Mitwirkung des Gläubigergremiums nicht suspendiert. Ein Nebeneinander verschiedener Aufsichtsinstanzen gegenüber demselben Verwaltungsorgan ist, wie das Zusammenspiel von Insolvenzgericht und Sachwalter im Fall der Eigenverwaltung zeigt, auch nicht ungewöhnlich.
68) Schließlich unterscheiden sich Umfang und Intensität der Aufsicht über den Insolvenzverwalter.
69) So ist die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Verwalter von langfristiger und globaler Natur, während von Seiten des Gläubigerausschusses, beispielsweise durch eine regelmäßige Prüfung des Kassenbestandes, eine engmaschige und ständige Kontrolle ausgehen soll.
70) cc) Kompetenzabgrenzung im Einzelnen
35 Für die inhaltliche Abgrenzung der Kompetenzen ist durch die Feststellung der fortbestehenden Kontrollverantwortung des Insolvenzgerichts noch kein entscheidender Schritt gewonnen. Denn obwohl die Intensität der gerichtlichen Aufsicht von jener des Gläubigerausschusses divergiert, findet sie ihren sachlichen Bezugspunkt gleichermaßen in der Überwachung des Insolvenzverwalters.
36 Betrachtet man die Stellung des Gerichts und des Gläubigerausschusses im Verfahren, unterscheiden sich ihre Einflussmöglichkeiten durch den konkreten Beurteilungsmaßstab in Bezug auf die geschäftsführende Tätigkeit des Verwalters. Das Insolvenzgericht leistet den rechtmäßigen...