VORWORT DES HERAUSGEBERS
»Es sind Worte, die ich dir leise und im Vertrauen sage als Freund, als Bruder, als Vater. (…) Erinnerungen möchte ich wachrufen in dir und Gedanken wecken, die dich treffen, damit dein Leben anders wird und du Wege des Gebetes und der Liebe aufnimmst«. Diese Worte enthalten den Schlüssel zum ganzen Werk. Mit ihnen stellt der Autor sein Buch vor, in dem er zeigt, wie wir Tag für Tag in Vereinigung mit unserem Vater Gott leben können.
Der Weg erschien zum ersten Mal im Jahre 1934 unter dem Titel Geistliche Betrachtungen. 1939 kam eine zweite, erweiterte Auflage heraus, die bereits den endgültigen Titel trug. Seit diesen ersten Auflagen haben Millionen von Menschen verschiedenster Kulturkreise und unterschiedlichster sozialer Herkunft Licht und Kraft aus diesen vertraulichen Worten von Josemaría Escrivá geschöpft, um Gott zu erkennen und ihr Leben mit Sinn zu erfüllen. Die Verbreitung in vielen Sprachen mit einer Gesamtauflage von mehreren Millionen Exemplaren spricht deutlich für die Aufnahme, die das Buch erfuhr. Innerhalb kurzer Zeit ist Der Weg zu einem Klassiker der geistlichen Literatur geworden, eine »Nachfolge Christi der Moderne«, wie man ihn auch bezeichnet hat.
Diese Zeilen wollen das Buch nicht vorstellen – es wäre überflüssig –, sondern nach den Gründen fragen, die seinen Erfolg erklären.
»Der Weg zeugt vom ewigen Charakter der Kirche und von ihren unerschöpflichen Möglichkeiten der Erneuerung«, so fasste ein französischer Publizist den Eindruck zusammen, den das Buch auf ihn gemacht hat (Le Figaro, 24. März 1964 ). Hierin liegt vor allem der Wert des Buches: durch seine Tiefe und seine Lebendigkeit zeigt es, dass das Wort Christi kein toter Buchstabe ist, sondern eine lebendige Wirklichkeit, fähig, die Existenz jedes Menschen zu verwandeln, der Ihm sein Herz nicht verschließt. Der Weg führt den Leser dazu, sich dem Evangelium ganz persönlich zu stellen und das Leben Christi erneut zu leben: »Ich begreife nicht, wie du dich Christ nennst und das Leben eines nutzlosen Herumtreibers führst. – Vergisst du Christi Leben der Arbeit?« (Punkt 356). »Wären doch dein Verhalten und deine Worte so, dass jeder, der dich sieht oder mit dir spricht, unwillkürlich dächte: Der da beschäftigt sich mit dem Leben Jesu« (Punkt 2).
Der Christ soll in seinem Leben »den Schritten des Meisters folgen« (Punkt 213). Er soll eigenverantwortlich die göttliche Sendung wahrnehmen, die ihm durch die Taufe übertragen wurde: »›Geht, predigt das Evangelium … Ich bin bei euch …‹ – Das hat Jesus gesagt … und Er hat es dir gesagt« (Punkt 904).
Der Verfasser lehrt, dass dieser Ruf keineswegs der Aufforderung gleichkommt, dem eigenen Milieu zu entfliehen, um nach neuen Wegen zu suchen: für die Mehrzahl der Christen bedeutet der Ruf vielmehr die Aufforderung, sich gerade in den Umständen eines gewöhnlichen Lebens zu bewähren und darin einen göttlichen Weg zu erblicken, den jeder heiligen kann. Josemaría Escrivá prangert die Versuchung an, »von seinem Platz wegzukommen« (Punkt 832). Dieser Versuchung nachzugeben bedeutet, sich dem Willen Gottes zu entziehen. Jeder Christ soll sich in seinen eigenen Aufgaben und in seinem eigenen Stand heiligen. Darum muss der gewöhnliche Christ, der mitten in der Welt lebt, von der Welt her durch die Heiligung seiner beruflichen Arbeit und seines ganzen Lebens sich selbst und die anderen heiligen.
Die welthafte Existenz erhält so ihren theologischen Rahmen. Der Leser wird sich der Gegenwart Gottes bewusst und lernt, auf Seine Stimme zu hören, die durch die Menschen und die Ereignisse des täglichen Lebens zu uns spricht. »Wir leben, als ob der Herr fern wäre, dort, wo die Sterne leuchten, und wir bedenken nicht, dass Er auch immer an unserer Seite ist. (…) Wir müssen uns ganz davon durchtränken und erfüllen lassen, dass der Herr unser Vater ist, Vater durch und durch, der an unserer Seite ist und im Himmel« (Punkt 267). »Du hast mir einmal gesagt, du seiest wie eine gestörte Uhr, die zu falscher Stunde schlägt: zur Zeit des Gebetes seiest du leer, kalt und trocken; dagegen ertapptest du dich plötzlich und ganz unerwartet beim Beten auf der Straße, im alltäglichen Getriebe, im ärgsten Trubel der Stadt, in der arbeitsamen Stille deines Berufes … Zu falscher Stunde? Mag sein, aber die Schläge deiner Uhr sollten nicht ungenutzt bleiben. – Der Geist weht, wo Er will.« (Punkt 110). »Suche häufig Umgang mit dem Heiligen Geist, dem Großen Unbekannten. Er ist es, der dich heiligen muss. Vergiss nicht, dass du Tempel Gottes bist. – Der Tröster wohnt im Innersten deiner Seele: höre auf seine Eingebungen und beachte sie sorgsam.« (Punkt 57).
Der Weg ist mehr als Sprechen und Schreiben von der Frohen Botschaft Gottes; er ist Ausdruck einer tief empfundenen und gelebten Wahrheit: auf seinen Seiten spiegelt sich das priesterliche Wirken Josemaría Escrivás seit dem Jahre 1925. Reflexionen über Szenen der Heiligen Schrift, Gesprächs- und Briefstücke, persönliche Erfahrungen – das ist das Material, aus dem das Buch entstand. So schrieb Josemaría Escrivá im Mai 1933 einem jungen Architekturstudenten eine Widmung in ein »Leben Jesu«, die zur Grundlage für den Punkt 382 wurde: »Als ich dir jenes ›Leben Jesu‹, schenkte, schrieb ich als Widmung hinein: ›Christus suchen. Christus finden. Christus lieben‹. Drei deutliche Schritte. Hast du versucht, wenigstens den ersten zu verwirklichen?«
Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Reiz des Werkes: es ist sein direkter Stil des vertrauten Gesprächs, sein persönlicher und tief menschlicher Charakter. Der Osservatore Romano schrieb (24. März 1950): »Msgr. Escrivá de Balaguer hat hier nicht nur ein Meisterwerk geschaffen; er hat sein eigenes Herz in die Hände genommen, und seine Betrachtungspunkte gehen zu Herzen.«
Das Menschliche macht nicht einen beiläufigen Zug, sondern eine wesentliche Komponente des Buches aus. Ein zentrales Thema der geistlichen Botschaft von Josemaría Escrivá liegt in der Erkenntnis, dass das Menschliche nicht vom Göttlichen isoliert ist: nicht ein Teil des Menschen, sondern der ganze Mensch wird von Gott geliebt und gerufen. Darum lässt sich die wahrhaft christliche Haltung als »Einheit des Lebens« bezeichnen.
Das sind einige der Grundzüge, die den bleibenden Wert des Buches erklären. Diese Bemerkungen würden aber ohne einen Hinweis auf die historische Bedeutung des Buches und auf die Spur, die es in der Geschichte der Kirche hinterlassen hat, unvollständig bleiben.
Seit 1928 konkretisierte sich die pastorale Tätigkeit des Verfassers in der Gründung des Opus Dei, das heißt in der Aufgabe, den Laien in der Kirche einen Weg zur Heiligkeit mitten in der Welt zu bahnen. Der Weg ist innigst verbunden mit der Gründung des Opus Dei, auch wenn das Buch keine Darstellung seines Geistes anstrebt noch sich ausschließlich an seine Mitglieder wendet. Es ist eine Einladung an alle Menschen guten Willens, sich der Torheit anzuschließen, Christus nachzufolgen (vgl. Punkt 916).
Unter den Menschen, an die sich Josemaría Escrivá apostolisch wandte, befanden sich vor allem Bewohner aus Arbeitervierteln und Studenten von der Universität Madrid. Letzteren widmete er insbesondere die Geistlichen Betrachtungen, die, wie es im Vorwort heißt, geschrieben wurden, »um den Bedürfnissen junger Studenten entgegenzukommen, die vom Verfasser geistlich betreut werden«.
Diese Tatsache liefert den historischen Kontext für eine Reihe von Punkten im Weg und führt wieder zu einem bereits erwähnten Grundzug des Buches: es handelt sich um ein Werk, das sein Autor – die Welt vor Augen – für Menschen schrieb, die sich mitten in den zeitlichen Sorgen und Aufgaben heiligen wollen. Er zeigt ihnen, dass diese Lehre auf alle Lebensumstände, jedes Alter und jede Arbeit angewendet werden kann. »Was dich wundert, scheint mir ganz natürlich. – Dass Gott dich beim Ausüben deines Berufes aufgesucht hat? So suchte Er die Ersten auf: Petrus, Andreas, Johannes, Jakobus bei Ihren Netzen; Matthäus an der Zollstelle … Und, staune! Paulus mitten in seinen Bemühungen, die Saat der Christen auszurotten.« (Punkt 799). »Du bist verpflichtet, dich zu heiligen. – Auch du. – Wer soll glauben, das sei ausschließlich Sache der Priester und Ordensleute? Der Herr nahm keinen aus, als Er sagte: ›Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.‹« (Punkt 291).
In den Jahren, in denen Der Weg erschien, war diese Art der Verkündigung überraschend, ja sie war revolutionär. Bei einigen, die den Kontakt mit dem erneuernden Geist des Evangeliums verloren zu haben schienen, rief sie Erstaunen und Unverständnis hervor; bei vielen verwandelte sich die Überraschung in Freude: die Worte im Weg waren für sie eine Offenbarung, die sie ihrer Würde...