EINLEITUNG
DIE WEIHRAUCHSTRASSE
»Centumque Sabaeo
Ture calent arae sertisque recentibus halent.«
(Äneis 1, 416)
Im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung schrieb ein namenloser griechischer Schiffskapitän den »Periplus des Erythräischen Meeres«. Er war weder gebildet noch ein Mann der Feder, sondern beschrieb lediglich zu Nutz und Frommen der Seefahrer und Händler die damaligen Häfen des Roten Meeres, ihre Märkte und ihre Ausfuhr. Einen nach dem anderen nahm er sie vor, erst an der Westküste, dann an der Ostküste entlang, bis in die Nähe von Sansibar, wo »der unerforschte Ozean westwärts herumbiegt« und ostwärts nach Malakka, »dem letzten Teil der bewohnten Welt … unter der aufgehenden Sonne«.
Es gibt wenige Bücher, die reizvoller zu lesen wären, als diese Schilderung des alten Kapitäns – denn ziemlich hoch in den Jahren muss er ja wohl gewesen sein, wenn er so viele und eingehende Reiseerfahrungen hinter sich hatte.
Nach seiner afrikanischen Reise zu den Weihrauchländern am »Kap der Gewürze«, dem jetzigen Kap Guardafui, bricht er von Ägypten in Richtung Osten auf. Er trifft auf die alte Handelsstraße von Petra, auf der der König der Nabatäer Abgaben eingetrieben hatte, und segelt dann an der Küste Arabiens entlang. »Das Land nahe dem Meer«, erzählt er, »ist hie und da von den Höhlen der Fischesser gesprenkelt« und »das Binnenland ist von Halunken bevölkert, die in Dörfern oder Nomadenlagern hausen und von denen diejenigen, welche vom mittleren Kurs abweichen, geplündert und überlebende Schiffbrüchige als Sklaven entführt werden. Deshalb halten wir unseren Kurs der Mitte des Golfs entlang und fahren so rasch wie möglich an dem Land Arabien vorbei, bis wir zu der ›Verbrannten Insel‹ (Jebel Tair 15° 35' N, 41° 40' O) gelangen, denn gleich hinter dieser befinden sich Gebiete friedfertiger Leute, Nomaden, Rinder-, Schaf- und Kamelzüchter.«
Hier kommt er zu dem himjarischen Königreich Jemen, dem letzten der alten unabhängigen Reiche Arabiens, und seinem Hafen Muza (dem jetzigen Mokha oder Mauza’), »wimmelnd von arabischen Schiffsherren und Seefahrern und geschäftig bewegt von Handelsgetriebe …«
Hier ragen, hinter einem zwei Tagereisen breiten, gelben, sandigen Landstrich, die hohen Berge des Jemen mit ihren dunklen Schluchten und Überhängen auf. Ihre zahlreichen flachen Gipfel schließen sich, von ferne gesehen, zu einer einzigen wuchtigen Kette zusammen, sodass sie, wie Hamdani sagt, »nicht viele Berge sind, sondern ein Gebirge, Sarrat genannt, das von Jemen bis Mekka reicht«. Ihre Färbung, von der See her gesehen, ist nicht die der mittleren Erderhebungen, sondern fahl und gräulich, als wären die schwarzen Gipfel mit einem Mantel von Wüstensand umhüllt und die roten Sandsteinhänge von vulkanischer Asche überlagert – gleich verglimmenden Kohlen unter ihrer Asche.
Von hier segelte der alte Seefahrer südwärts zwischen den sich verengenden Küsten. Wo die sonnengebräunten Hügelwellen häufiger werden, fuhr er in die Straße von Bab el-Mandeb ein, die »die See einzwängt und in eine Meerenge sperrt, die die Insel Diodorus (jetzt Perim) teilt«. Dicht unterhalb von dieser, »unmittelbar an der Küste der Meerenge«, war ein »Araberdorf namens Ocelis … ein Anker- und Wasserversorgungsplatz, und die erste Landungsstelle für die, welche von Süden her in den Golf segeln«. Dies war der am besten gelegene Hafen von Indien aus; weiter im Norden waren keine indischen Schiffe zugelassen, denn die Araber hüteten die Geheimnisse ihres Handels jahrhundertelang, bis die Römer kamen. Die Stelle von Ocelis haben nun der Ankerplatz von Perim und die Shelltanks eingenommen; aber die sanften Höhen und die baumlosen Landzungen, die reißende Strömung und die scharfe Biegung sind unverändert geblieben; und hinter der Meerenge, dort wo »die See sich wieder ostwärts weitet und bald den Blick über den offenen Ozean freigibt«, folgen wir heute noch ebenso, wie der alte Seemann es tat, der Südküste des Jemen und werfen Anker in »Eudaemon Arabia, einer Ortschaft am Meeresufer, die zum Reiche Caribaels (des himjarischen Königs im Jemen) gehört und bequeme Anker- und Wasserplätze hat, süßer und besser als die in Ocelis«. Das war Aden, der Treffpunkt von Ost und West.
Weiter nach Osten hin »ist ein ununterbrochener Küstenstrich und eine Bucht, die sich über zweihundert Meilen erstreckt oder mehr und an der Nomaden und Fischesser in Dörfern wohnen; und gleich hinter dem Kap, das von dieser Bucht vorspringt, ist wieder eine Marktstadt an der Küste, Qana im Weihrauchland. Landeinwärts von diesem Ort liegt die Hauptstadt Sabbatha (jetzt Shabwa), in der der König wohnt. All das Räucherharz, das im Land erzeugt wird, wird auf Kamelen an diesen Ort getragen, hier aufgespeichert und nach Qana gebracht auf Flößen, die nach der Landessitte von aufgeblasenen Häuten getragen werden, und in Booten … Der Ort treibt Handel auch mit den afrikanischen Häfen, mit Barygaza (Broach in Indien) und Oman und Persien.«
So schrieb der alte Seefahrer – ein Neuling auf dieser einst reichsten, am strengsten bewachten und vielleicht ältesten aller Handelsstraßen der Alten Welt.
Ihr Geheimnis war erst wenige Jahre vor seiner Zeit gelüftet worden. Im Jahre 45 n. Chr. hatte Hippalos, ein Grieche, als erster Seefahrer des Westens die Nutzbarkeit des Monsuns entdeckt. Er leitete den Mittelmeerhandel durch den Indischen Ozean. Nach ihm erkämpften sich die Römer, die die nördlichen Karawanenstraßen und Ägypten erobert hatten und es leid waren, Abgaben an Arabien zu zahlen, einen eigenen Seeweg und stießen auf neuen und größeren, mit Bogenschützen bemannten Schiffen in die verbotenen Gewässer vor.
Aber niemand weiß, wie lange vor ihnen und in welchem Morgenlicht der Geschichte dieser Handelsverkehr begann und wann drawidische Boote ihr Einsegel setzten und mit hohem, geschnitztem Heck und Steuerruder im Stern, mit Sonne und Wind im Rücken in der günstigen Jahreszeit zum ersten Mal den Indischen Ozean überquerten und ihre Frachten an der arabischen Küste löschten.
Hier spendete das »Weihrauchland, gebirgig und abschreckend, in dicke Wolken und Nebel gehüllt, Räucherharz von den Bäumen«. Arabische Kamelreiter warteten im Staub ihrer Lager, wie sie es heute noch tun, und schnürten in ihre Ballen zusammen mit dem Weihrauch aus Arabien und Afrika Perlen und Musselin aus Ceylon, Seide aus China, Schildpatt aus Malakka, Narden vom Ganges und Zimtblätter aus dem Himalaja, Malabathrum genannt
»coronatus nitentes
malobathro syrio capillos«.
Und aus Indien Diamanten und Saphire, Elfenbein und Baumwolle, Indigo, Lapislazuli, vor allem aber Zimt und Pfeffer. Vom Persischen Golf kamen Datteln und Wein, Gold und Sklaven; und von der lange Zeit den arabischen Händlern botmäßigen Ostküste Afrikas Weihrauch, Gold und Myrrhe, Elfenbein, Straußenfedern und Öl.
Von dem sandigen Küstenstrich aus trugen einander ablösende Trupps von Beduinen und Kamelen die Ballen über Gebirgspässe und die Hochsteppe, durch Binnentäler in den östlichen Gebieten des Jemen und durch die Wüsten nördlich von Mekka, bis sie ihre Märkte erreichten und das arabische Harz auf den Altären von Damaskus, Jerusalem, Theben, Ninive und Rom rauchte.
Dies war die große Weihrauchstraße, deren schwachem Nachruhm Südarabien noch heute den Beinamen des »glücklichen« verdankt; deren Existenz die späteren Großtaten des Islams vorbereitete und möglich machte. Auf ihrem Strom dahinstapfender Füße reisten die Schätze Asiens; entlang ihrem langsam bewegten, ununterbrochenen Faden stiegen und fielen die arabischen Reiche – das minäische, sabäische, qatabanische Reich, Hadhramaut und Himjar. Eines nach dem anderen wurden sie reich an ihrem Teil der großen Handelsstraße; ihre Politik war getrieben von dem Wunsch, noch mehr davon zu beherrschen, zumal die Weihrauchgebiete des Südens und die Zugänge zum Meer; sie wurden mächtig und aristokratisch, Erbauer hochaufragender Städte; sie kolonisierten Somaliland und Äthiopien und machten sich zu Herren der afrikanischen wie der arabischen Wälder.
Wir können kaum noch ermessen, welche Reichtümer ihr Monopol ihnen eintrug zu einer Zeit, da jeder Altar und jedes Leichenbegängnis von Weihrauch umduftet war. Heilige Räume im Tempel von Jerusalem waren eigens als Speicher für diese Kostbarkeit bestimmt. Dem Amonstempel wurden bereits im zwölften Jahrhundert vor Christus 2159 Krüge und 304 093 Scheffel in einem Jahr geliefert, und die chaldäischen Priester verbrannten alljährlich ein Gewicht...