GRÖSSE UND ELEND
Wenn ein Tier durch Geisteskraft das vollbrächte, was es aufgrund von Instinkt tut, und wenn es durch Geisteskraft das laut von sich gäbe, was es aufgrund des Jagdinstinkts von sich gibt und um seinen Jagdgefährten zu signalisieren, ob die Beute gestellt oder verloren ist, dann spräche es auch ebenso in Angelegenheiten, die es innerlich mehr betreffen, etwa um zu sagen: »Zernagt diesen Strick, der mich wund macht und den ich nicht zu fassen kriege.« (137)
Größe
Die Ursache der Wirkungen zeigt die Größe des Menschen an: dass er aus der Begierde eine so schöne Ordnung hervorgebracht hat. (138)
Was in uns ist es eigentlich, das Vergnügen empfindet? Die Hand? Der Arm? Das Fleisch? Das Blut? Es wird sich zeigen, dass es sich um etwas Immaterielles handeln muss. (140)
Ich kann mir sehr wohl einen Menschen ohne Hände, ohne Füße und ohne Kopf ausdenken, denn wir wissen lediglich aus Erfahrung, dass der Kopf notwendiger ist als die Füße. Doch ich kann mir keinen Menschen ohne Gedanken ausdenken. Das wäre ja dann ein Stein oder ein stumpfsinniges Tier. (143)
Instinkt und Vernunft: Kennzeichen zweier Naturen. (144)
Denkendes Schilfrohr
Es ist nicht der Raum, worin ich meine Würde suchen muss, es ist vielmehr der geordnete Ablauf meines Denkens. Ich hätte überhaupt nichts davon, Ländereien zu besitzen. Durch den Raum umfasst und verschlingt mich das Universum. Ich hingegen erfasse das Universum im Gedanken. (145)
Die Größe des Menschen besteht darin, dass er sich in seinem Elend erkennt. Ein Baum erkennt sich selbst nicht in seinem Elend. Es bedeutet also elend zu sein, wenn man sich in seinem Elend erkennt, doch es bedeutet zugleich zu groß sein, wenn man erkennt, dass man elend ist. (146)
Immaterialität der Seele. Die Philosophen, die ihre Leidenschaften bezähmten: Welche Materie war es, die das bewirken konnte? (147)
All dieses Elend ist gerade der Beweis seiner Größe. Es ist das Elend eines großen Herrn, das Elend eines seines Throns beraubten Königs. (148)
Die Größe des Menschen
Die Größe des Menschen liegt so offensichtlich zutage, dass man sie selbst aus seinem Elend erkennen kann. Denn das, was bei den Tieren Natur heißt, nennen wir in Bezug auf den Menschen Elend. Damit anerkennen wir, dass er, dessen Natur heute der der Tiere entspricht, eine bessere Natur, die ihm einst eigen war, bei seinem Fall verloren hat.
Denn wer ist darüber unglücklich, nicht König zu sein, wenn nicht ein entthronter König? Hat man erlebt, dass Aemilius Paul[l]us unglücklich darüber war, kein Konsul zu sein? Im Gegenteil! Alle fanden, er sei glücklich, dass er Konsul gewesen war, denn es entsprach ihm nicht, dies für immer zu sein. Perseus7 hingegen erlebte man unglücklich darüber, kein König zu sein, denn ihm hätte es entsprochen, für immer König zu sein, und man wunderte sich darüber, dass er das Leben weiter ertragen konnte. Wer ist glücklich darüber, nur einen Mund zu haben? Und wer wäre nicht unglücklich darüber, nur ein Auge zu haben? Man ist wohl noch nie auf den Gedanken gekommen, traurig darüber zu sein, dass man keine drei Augen hat, aber man ist untröstlich, wenn man gar keines hat. (149)
Größe des Menschen selbst in seiner Begierde, weil er es verstanden hat, daraus eine bewundernswerte Ordnung hervorzubringen und ein Gemälde der Nächstenliebe zu schaffen. (150)
Größe des Menschen
Wir haben eine so hohe Meinung von der Seele des Menschen, dass wir es nicht ertragen können, von ihr verachtet zu werden und uns der Wertschätzung einer Seele nicht zu erfreuen. Und diese Wertschätzung macht das ganze Glück des Menschen aus. (30)
Größe, Elend
Je größer das Maß an Einsicht ist, über das man verfügt, umso mehr entdeckt man die Größe, umso mehr aber auch die Niedrigkeit des Menschen.
Die gewöhnlichen Menschen.
Die höheren Ranges.
Die Philosophen.
Sie versetzen die gewöhnlichen Menschen in Staunen.
Wer mag sich also wundern, wenn er sieht, dass die Religion nur das von Grund auf zu erkennen lehrt, was man umso eher anerkennt, je mehr Einsicht man hat? (506)
Der institutionell geschaffenen Größe entspricht der institutionell geschaffene Respekt. (650)
Niedrigkeit des Menschen: Sie geht so weit, dass er sich den Tieren unterwirft; so weit, dass er diese anbetet. (86)
Wenn ich die kurze Dauer meines Lebens betrachte, das von der Ewigkeit davor und danach aufgesogen wird – memoria hospitis unius diei praetereuntis8 – den kleinen Raum, den ich einnehme, und selbst den, den ich sehe, den Raum, der vom Abgrund der unendlichen Unermesslichkeit der Räume verschlungen wird, die ich nicht kenne und die ihrerseits mich nicht kennen, dann gerate ich in Schrecken und Erstaunen darüber, dass ich gerade hier und nicht vielmehr dort bin. Denn es gibt überhaupt keinen Grund dafür, ausgerechnet hier und nicht dort, jetzt und nicht zu einer anderen Zeit zu sein. Wer hat mich hierher gestellt? Auf wessen Anordnung und Walten geht es zurück, dass gerade dieser Ort und diese Zeit für mich bestimmt sind? (102)
Widerspruch
Stolz, der alles Elend aufwiegt: Entweder verheimlicht er sein Elend, oder er deckt es auf und rühmt sich, es zu kennen. (105)
Wenn unsere Daseinsverfassung wirklich glücklich wäre, dann müssten wir uns nicht zerstreuen, um nicht daran zu denken. (104)
Man muss sich selbst erkennen. Wenn das nicht dazu dienen sollte, das Wahre zu finden, dann hilft es wenigstens, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken. Und nichts wäre richtiger als dies. (106)
Der Prediger9 zeigt auf, dass der Mensch ohne Gott hinsichtlich aller Dinge in Unwissenheit und zwangsläufig unglücklich ist. Denn es heißt unglücklich sein, wenn man will und nicht kann. Der Mensch will nun aber glücklich und bezüglich einigem an Wahrheit Gewissheit haben, und dennoch kann er einerseits nicht wissen und andererseits kann er auch das Verlangen nach Wissen nicht austilgen. Nicht einmal zweifeln kann er. (110)
Elend
Salomo und Ijob haben das Elend des Menschen am besten gekannt und am besten davon gesprochen: Der eine war der glücklichste, der andere der unglücklichste Mensch; der eine wusste um die Vergänglichkeit der Freuden aus Erfahrung, der andere um die Wirklichkeit der Übel. (22)
Elend
Die Zerstreuung ist das Einzige, was uns über unser Elend hinwegtröstet, und dabei ist sie doch gerade unser größtes Elend. Denn sie ist es ja, die uns grundsätzlich davon abhält, über uns selbst nachzudenken, und sie lässt uns, ohne dass wir es merken, in die Irre laufen. Ohne sie würden wir in Langeweile versinken, und diese Langeweile würde uns dazu zwingen, ein zuverlässigeres Mittel zu suchen, um ihr zu entkommen. Doch die Zerstreuung verschafft uns Amusement und bewirkt, dass wir, ohne es zu merken, zu Tode kommen.
Man ist nicht elend ohne Gefühl: Ein zerstörtes Haus ist es nicht. Allein der Mensch ist elend. Ego vir videns.10 (689)
Elend
Ijob und Salomo. (103)
Ijob und Salomo. (109)
Videte an mentiar.11 (216)
Weil die Eigenliebe etwas ist, das uns genug einnimmt, um uns darüber zu beunruhigen, wie wir uns dessen versichern, dass nach all den Übeln des Lebens ein unausweichlicher Tod, der uns jeden Augenblick bedroht, unfehlbar in wenigen Jahren … in der schrecklichen Notwendigkeit …
Die drei Zustände.
Man darf hiervon nicht sagen, dass es ein Zeichen der Vernunft sei. Das ist alles, was ein Mensch tun könnte, der sich der Falschheit dieser Nachricht sicher wäre. Er dürfte noch dazu darüber nicht erfreut sein, sondern er müsste verzweifelt sein.
Nichts anderes ist von Bedeutung außer dies, und man vernachlässigt allein dies! (684)
Nachdem ich Niedrigkeit und Größe des Menschen aufgezeigt habe. Dass der Mensch nun seinen Wert ermessen möge. Dass er sich lieben möge, denn in ihm ist ein zum Guten fähiges Wesen, doch er möge deshalb nicht auch die Niedrigkeiten lieben, die sich darin finden. Er möge sich verachten, weil diese Fähigkeit brach liegt, doch er möge sich nicht wegen dieser natürlichen Fähigkeit selbst verachten. Er möge sich hassen, er möge sich lieben....