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Der Wille zum Sinn

AutorViktor E. Frankl
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl264 Seiten
ISBN9783456956015
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Viktor E. Frankl (1905-1997), Wiener Neurologe und Psychiater, ist der Begründer der Logotherapie. Das vorliegende Buch enthält eine Sammlung von Vorträgen aus den Jahren 1947 bis 1980. Frankl, der neben den «Willen zur Macht» (Adler) und den «Willen zur Lust» (Freud) den «Willen zum Sinn» stellt, sieht in seelischen Konflikten Sinndefizite; unerfüllter oder falsch erfüllter Sinn führt danach zu «existenziellen Frustrationen». Ein Beitrag von Elisabeth S. Lukas zur Validierung der Logotherapie rundet die Sammlung ab.

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Kapitelübersicht
  1. Der Wille zum Sinn
  2. Der Wille zum Sinn
  3. Zeit und Verantwortung
  4. Logos und Existenz
  5. Der Pluralismus der Wissenschaften unddie Einheit des Menschen
  6. Determinismus und Humanismus
  7. Über Logotherapie
  8. Auszüge aus den Aufzeichnungen über die logotherapeutische Behandlung eines psychoanalytischen Kollegen
  9. Kritik der reinen Begegnung
  10. Anhang zur 2. Auflage
  11. Anhang zur 3. Auflage
  12. Anmerkungen zur 3. Auflage
  13. Anhang zur 4. Auflage
  14. Zur Validierung der Logotherapie
  15. Autorenverzeichnis
  16. Sachverzeichnis
Leseprobe
Der Pluralismus der Wissenschaften und die Einheit des Menschen (S. 111-112)

Zunächst einmal obliegt es mir, dem Akademischen Senat Dank zu sagen für den Auftrag, einen der fünf wissenschaftlichen Vorträge zu übernehmen, die aus Anlaß des 600. Geburtstages der Universität Wien veranstaltet werden. Dem Anlaß gemäß geziemt es sich, auszugehen von der Idee der Universität. Der Idee der Universität auf dem Objektpol steht auf dem Subjektpol gegenüber die Universalität des Wissens. Der Universitas litterarum kann von Rechts wegen nur das Studium generale gerecht werden. Womit wir aber heute konfrontiert werden, ist eher ein Studium speciale. Denn heute leben wir in einem Zeitalter der Spezialisten, und was sie uns vermitteln, sind bloß partikuläre Perspektiven und Aspekte der Wirklichkeit. Vor den Bäumen der Forschungsergebnisse sieht der Forscher nicht mehr den Wald der Wirklichkeit. Die Forschungsergebnisse sind aber nicht nur partikulär, sondern auch disparat, und es fällt schwer, sie zu einem einheitlichen Weltund Menschenbild zu verschmelzen. An sich muß die Diskrepanz zwischen den Abbildungen der Wirklichkeit noch lange nicht einen Verlust an Erkenntnis mit sich bringen, sondern kann im Gegenteil sehr wohl einen Gewinn an Erkenntnis ausmachen. Im Falle des stereoskopischen Sehens etwa wird gerade durch das Voneinanderabweichen der Abbildungen nicht mehr und nicht weniger als eine ganze Dimension, eben die Dimension des Raumes erschlossen. Bedingung und Voraussetzung ist aber, daß eine Fusion der Netzhautbilder zustande kommt. Analog bedarf es einer «Anstrengung des Begriffs» (Hegel), um die disparaten Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zu einem einheitlichen Welt- und Menschenbild zu verschmelzen.

Nun kann das Rad der Entwicklung nicht zurückgedreht werden. In einer Zeit, deren Forschungsstil durch das teamwork charakterisiert ist, können wir der Spezialisten weniger denn je entraten. Aber die Gefahr liegt ja gar nicht im Spezialistentum als solchem, nicht so sehr im Mangel an Universalität als vielmehr im Anschein der Totalität des Wissens, den sich so manche Wissenschaftler geben, im Anspruch auf ein «Totalwissen» (Jaspers), den sie erheben. In dem Augenblick, in dem dies geschieht, schlägt Wissenschaft aber auch schon um in Ideologie. Was im besonderen die Wissenschaften vom Menschen anlangt, wird in diesem Augenblick aus Biologie Biologismus, aus Psychologie Psychologismus und aus Soziologie Soziologismus. Wie wir sehen, liegt die Gefahr gar nicht darin, daß sich die Forscher spezialisieren, sondern darin, daß die Spezialisten – generalisieren. Wir alle kennen die sogenannten terribles simplificateurs. Ihnen an die Seite stellen ließen sich nun die terribles généralisateurs, wie ich sie nennen möchte. Die terribles simplificateurs vereinfachen alles; sie schlagen alles über einen Leisten. Die terribles généralisateurs aber bleiben nicht einmal bei ihrem Leisten, sondern verallgemeinern ihre Forschungsergebnisse. Lassen Sie mich Ihnen ein flagrantes Beispiel vor Augen führen: In «The Modes and Morals of Psychotherapy» wird uns folgende Definition angeboten: «Man is nothing but a biochemical mechanism, powered by a combustion system, which energizes computers». Nun, als Neurologe stehe ich dafür ein, daß es durchaus legitim ist, den Computer als ein Modell zu betrachten, sagen wir, für das Zentralnervensystem. Der Fehler liegt erst im nothing but, in der Behauptung, der Mensch sei nichts als ein Computer. Der Mensch ist ein Computer; aber er ist zugleich unendlich mehr als ein Computer, dimensional mehr als ein Computer. Der Nihilismus demaskiert sich nicht durch das Gerede vom Nichts, sondern maskiert sich durch die Redewendung «nichts als». Die Amerikaner sprechen in diesem Zusammenhang von einem reductionism. Wie sich zeigt, reduziert der reductionism den Menschen nicht nur um eine ganze Dimension, sondern verkürzt ihn um nicht mehr und nicht weniger als um die Dimension des spezifisch Humanen. Wie denn überhaupt der Reduktionismus definiert werden könnte als ein scheinwissenschaftliches Vorgehen, durch das spezifisch humane Phänomene wie Gewissen und Liebe auf subhumane Phänomene reduziert beziehungsweise von ihnen deduziert werden. Mit einem Wort, der Reduktionismus ließe sich definieren als ein Subhumanismus. Die spezifisch humanen Phänomene werden zu bloßen Epiphänomenen gemacht. Hinter der Liebe stehen nunmehr nur noch sogenannte zielgehemmte Triebe. Das Gewissen ist dann nichts als das Überich (von der wirklich modernen Psychoanalyse wird die Identifikation von Gewissen und Überich längst nicht mehr aufrecht erhalten, sondern die dimensionale Differenz zwischen ihnen anerkannt und zugegeben). Dann ist Gott nichts als eine Vaterimago, die Religion nichts als eine Menschheitsneurose (ich zitiere wörtlich), und der Geist nichts als die höchste Nerventätigkeit, um auf die bekannte Arbeit eines berühmten Forschers anzuspielen. Welch eine Epiphänomenologie des Geistes ...

Dem gelehrten Nihilismus, wie er im Reduktionismus zum Ausdruck kommt, steht der gelebte Nihilismus gegenüber, als der sich das von mir beschriebene und als solches bezeichnete existentielle Vakuum interpretieren ließe. Es handelt sich um das Erlebnis einer inneren Leere, um das Gefühl einer abgründigen Sinnlosigkeit, dem wir Psychiater zur Zeit auf Schritt und Tritt begegnen. Fragen wir uns, woher das existentielle Vakuum kommen mag, dann wäre auf den doppelten Verlust zu verweisen, den der Mensch seit der Menschwerdung zu erleiden hatte: Zuerst kam es zu einem teilweisen Verlust der Instinktsicherheit, die das Tiersein auszeichnet. Sodann büßte er mehr und mehr seine Geborgenheit in jenen Traditionen ein, die weitgehend sein Verhalten bedingt und beeinflußt hatten. Weder sagt dem Menschen wie dem Tier ein Instinkt, was er muß, noch sagen ihm heute die Traditionen, was er soll, und es ist zu fürchten, daß er eines Tages nicht mehr wissen wird, was er will. Nur um so mehr wird er dann entweder wollen, was andere tun, oder tun, was die anderen wollen. Mit anderen Worten, er wird dem Konformismus verfallen beziehungsweise für den Totalitarismus anfällig werden.
Inhaltsverzeichnis
Der Wille zum Sinn2
Inhaltsverzeichnis6
Aus dem Vorwort zur 1. Auflage10
Vorwort zur 3. Auflage11
Der Wille zum Sinn12
Literaturverzeichnis32
Zeit und Verantwortung34
Die Frage nach dem Sinn des Daseins36
Die Vergänglichkeit des Daseins42
Ist Existenz analysefähig?49
Existenzanalyse des Homo religiosus54
Ärztliche und priesterliche Seelsorge63
Logos und Existenz68
Vorwort70
Die Existenzanalyse und die Problemeder Zeit72
Zehn Thesen über die Person88
Über Psychotherapie96
Der Pluralismus der Wissenschaften unddie Einheit des Menschen110
Determinismus und Humanismus122
Über Logotherapie138
Versuch einer Ortsbestimmung140
Die logotherapeutische Technik der paradoxen Intention148
Die paradoxe Intention in der Praxis155
Auszüge aus den Aufzeichnungen über die logotherapeutische Behandlung eines psychoanalytischen Kollegen164
Kritik der reinen Begegnung172
Literaturverzeichnis184
Anhang zur 2. Auflage186
Literatur193
Anhang zur 3. Auflage194
Deutsche Zusammenfassung195
References207
Anmerkungen zur 3. Auflage210
Anhang zur 4. Auflage218
Zur Validierung der Logotherapie226
Autorenverzeichnis256
Sachverzeichnis260

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