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E-Book

Der Wind war mein Begleiter

AutorAnne-France Dautheville
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783105618301
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Ein Mädchen, ein Motorrad - und eine Weltreise, von der die meisten nur sehnsüchtig träumen. Was der jungen Anne-France aus Paris während der vielen Monate unterwegs durch die Wüsten Asiens, die undurchdringlichen Wälder Kanadas, die öden Gebirge des Orients, durch verträumte Dörfer und verführerisch exotische Städte widerfuhr, das hat sie hier mit leichter Feder, mit Witz und Charme niedergeschrieben. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Anne-France Dautheville wurde bekannt als erste Frau, die alleine auf einem Motorrad um die Welt fuhr.

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Leseprobe

Erster Teil


1 Die empörte Heldin faßt den Entschluß, um die Welt zu fahren


Im Grunde genommen war die Idee, in so kurzer Zeit um die Welt zu fahren, idiotisch. Und gefährlich. Idiotisch, weil ich zu viele Dinge zu schnell gesehen, an allem nur geschnuppert und möglicherweise nichts begriffen habe. Gefährlich, weil sich bei meiner Art zu reisen die Eindrücke überstürzen; man lebt dann zu intensiv. Und so hat mich die Reise denn auch aufgewühlt bis ins Innerste und verwirrt zurückgelassen. Der beste Beweis dafür ist, daß ich froh bin, wieder zu Hause zu sein. Und das ohne jede Anpassungsschwierigkeiten. Ich bin einfach zu müde zum Revoltieren. Ich habe in vier Monaten zu viel gesehen.

 

Es begann damit, daß mir eine haarsträubende Geschichte zu Ohren kam und ich sofort zu Tom stürzte. Der saß mit ein paar Kollegen in seinem Redaktionsbüro. In meiner Wut würdigte ich sie keines Grußes und kam direkt zur Sache.

«Tom, du weißt doch noch, wie ich letztes Jahr gereist bin?»

«Klar – mit deinem Motorrad, deiner Guzzi.»

«Und weißt du, was die Leute jetzt sagen? Ich sei im Kombiwagen gefahren! Hast du das etwa auch gehört?»

«Reg dich ab, Mädchen.»

Ich trat zornentbrannt gegen einen Aktenschrank und versetzte den Stühlen einige kräftige Fußtritte.

«Mit einem Kombiwagen! Ich! (Päng gegen das Möbel.) «Zwanzigtausend Kilometer in einem Kombiwagen!» (Päng gegen einen Stuhl, der ächzend schwankte.)

«Und wer hat das behauptet?»

«Ein Journalist. Ich habe es eben erfahren. Er hat mich noch nie gesehen, und ich kann von Glück reden, daß er mich überhaupt empfing, nach allem, was er von mir gehört hat. Da scheure ich mir zwei Monate lang den Hintern auf einer Guzzi wund, und was tun meine lieben Freunde? Sie erklären, ich sei mit einem Kombiwagen gereist. Oh, ihr Schufte!»

«Immer mit der Ruhe, Mädchen. Wir wissen alle, daß du mit einem Motorrad gefahren bist. Zufrieden?»

«Zufrieden! Ich! Verstehst du denn nicht, wie gemein es ist, zu behaupten, ich sei im Kombiwagen gereist. Hast du das etwa auch gehört?»

«Aber nein», sagte er honigsüß.

«Und ihr?»

Sie schwiegen betreten wie Männer, die in Gegenwart eines gehörnten Ehegatten nicht lachen wollen. Päng, ein weiterer Fußtritt; der Aktenschrank kam bedenklich ins Wanken.

«Nun, wie dem auch sei, was willst du dran ändern?»

«Ich fahre nach Alaska, und zwar allein, verstehst du? Auf einer 125 ccm. Und diesmal lasse ich es mir von der Polizei bescheinigen.»

Tom verpaßte mir einen herzhaften Kuß und spendierte mir drei Runden am Spielautomaten, um meine Nerven zu beruhigen. Schließlich entließ er mich mit einem mitleidigen Blick in seinem treuen Auge.

Und somit fuhr ich nach Alaska. Wohin ich sowieso schon längst wollte.

Aber noch war ich nicht fort. Erstes Problem: das Motorrad. Ich habe ein kleines, sehr schickes Motorrad geerbt – eine Kawasaki. Sie ist gelb wie ein Kanarienvogel, heißt poetischerweise GA 5 und ist kapriziös von Natur. Zumeist rattert sie brav über die Straßen, gelegentlich jedoch bockt sie, stockert, hustet oder braust plötzlich davon. Gebaut ist sie für den Großstadtverkehr und hat eine Lebensdauer von zehntausend Kilometern. Danach bricht sie zusammen und endet auf dem Motorradfriedhof neben ihren Kameraden. Zumindest wird das behauptet; wahrscheinlich von denselben Leuten, die das Gerücht über meine Fahrt im Kombiwagen verbreitet haben. Da ich von Motoren so gut wie nichts verstehe, sagte ich mir folgendes: Bei einem Zweitakter mit nur einem Zylinder (und daher auch nur mit einem Auspuff, so viel weiß ich immerhin) gibt es irgendwo (Gott allein weiß, wo) auch eine Kupplung, einen Kolben und ein Getriebe (der elektrische Zubehör ist wohl mehr als Schmuck gedacht), aber sehr viel kann in dem Getriebe nicht drin sein, ergo, kann wenig kaputtgehen.

Doch sicherheitshalber ging ich zu «Motorrelais». Motorrelais ist eine Garage, wo der Kunde arbeitet. Man leiht ihm Werkzeuge, und er beschmiert sich mit Öl. Aber mit ein paar wohlangebrachten Tränen ist es mir noch immer gelungen, den anderen die Schmutzarbeit aufzuhalsen und mir selbst die gepflegten Fingernägel zu erhalten. Also weinte ich gekonnt, und schon bekam ich einen prächtigen Gepäckständer mit zwei abschließbaren Blechbehältern für meine Sommerfähnchen angeschraubt.

«Und der Motor?»

«Was ist mit dem Motor?» fragte Motorrelais mit einer hochgezogenen Braue.

«Sollte man ihn nicht vielleicht nachsehen, ich meine …»

«Nicht nötig, Fräulein. Im Motor ist ja nichts drin, was soll da kaputtgehen?»

«Sind Sie unter die Hellseher gegangen?»

Die andere Braue schnellte hoch. Und der Motor blieb, wie Nippon ihn geschaffen hatte.

 

Kurz vor der Abreise traf ich zufällig meine Freunde Greg und Geraldine auf einem Feldweg, achtzig Kilometer vor Paris. Ich liebe die beiden sehr.

«Du gehst also wirklich wieder auf große Fahrt?»

«Ja, klar.»

«Und diesmal nach Alaska?»

«Ich habe Lust auf Natur.»

«Und was machst du, wenn du vom Motorrad fällst?» fragte mich Greg, hämisch wie ein Zollbeamter.

Anfangs war ich nämlich mit meiner schweren Guzzi öfters umgekippt, und Greg war jedes Mal zufällig Zeuge dieser Stürze gewesen. Galanterweise taufte er mich daraufhin «die Gefallene der Landstraße». Die lieben Freunde!

«Du kannst unken, soviel du willst, diesmal falle ich erst, wenn ich mindestens tausend Kilometer auf dem Tacho habe.»

«Wetten?»

«Wette angenommen.»

Der Scherz ist so feinsinnig, daß ihn niemand außer uns dreien richtig würdigen kann. Auf meiner letzten Reise hatte ich nämlich einem Kilometerstein den Garaus gemacht, und das mitten auf dem Mont Cenis, achthundert Kilometer von Paris entfernt. Aber damals hatte der liebe Greg gewettet, ich würde schon nach fünfhundert Kilometern zu Boden gehen.

 

Schließlich blieb noch das zweite und wichtigste Problem zu lösen: die Dollars. Ich hatte zwar gerade genug Geld für die Reise, aber wenn sich jemand erböte, für mich zu zahlen, war ich zu jeder Bloßstellung bereit. (Natürlich unter Wahrung meiner Sittsamkeit, des öffentlichen Anstands und so weiter.) Und in diesem kritischen Moment schickte mir der Himmel einen höchst fragwürdigen Engel – nennen wir ihn Gabriel. Gabriel ist ein schöner Mensch, mindestens fünfunddreißig Jahre alt, groß, schlank, sonnengebräunt, mit einer Adlernase, großen Augen, einem südfranzösischen Akzent und Jeans, die farblich auf seine Hemden abgestimmt sind. Der offenstehende Kragen enthüllt eine bronzene Brust, auf der ein Medaillon baumelt. Ach ja, und weiße Mokassins schmücken seine Füße.

«Was du vorhast, ist Klasse. Ich werde dir unter die Arme greifen.»

«Nett von dir.»

Zwei Stunden später empfing mich der Leiter einer Rundfunkstation. Er hörte mich mit großer Geduld an. Dann erklärte er mir liebenswürdig, daß heutzutage Krethi und Plethi mit dem Motorrad nach Alaska führen. «Mit der Geschichte locken Sie keine Katze hinter dem Ofen vor.» Und daher könnte er mir leider auch kein Geld geben, aber er würde natürlich gerne versuchen, ob vielleicht jemand anders und so weiter. Zwei Tage später empfing mich der Chefredakteur einer großen Zeitung. Er erklärte mir liebenswürdig, daß heutzutage Krethi und Plethi mit dem Motorrad nach Alaska führen, und daher könnte er mir leider …

Aber mein Gabriel war so leicht nicht zu entmutigen, und so griff er mir weiterhin unter die Arme.

«Paß mal auf, von unterwegs schickst du mir Tonbänder, auf denen du mir alles, aber hörst du, wirklich alles, erzählst. Und bei deiner Rückkehr schreiben wir dann Artikel für die Illustrierten. Die Artikel plaziere ich dir schon. Ich kenne Gott und die Welt.»

Ich lauschte seinen Worten so andächtig wie einem Symphoniekonzert. Großartig, was er mir da alles erzählte. Mit dem Geld, das ich durch ihn verdienen würde, hätte ich ausgesorgt. Als er merkte, daß ich wie gebannt an seinen Lippen hing, sprach er mit mir von «Mann zu Mann». Er verstieg sich sogar dazu, mir einen Orangensaft zu spendieren.

«Ich meine, die Sache, die wir da vorhaben, ist ganz große Klasse, aber sie verlangt natürlich auch vollen Einsatz und Konzentration. Will sagen, wenn ich deine Reise für dich auswerten soll, laß ich alles andere schießen.»

«Ja, ja, natürlich.»

«Wenn du also willst, daß ich einsteige, dann mußt du mir einen Vorschuß geben.»

«Vorschuß?»

«Na ja, Geld braucht der Mensch.»

«Aber – ich habe kein Geld. Wenn du mir irgendeinen Zuschuß an Land ziehst, dann kriegst du deine Prozente ab. Aber dir Geld vorschießen – das kann ich nicht.»

«Kannst du dir nicht was borgen?»

«Du bist wohl nicht recht bei Trost. Ich will schließlich meine Freunde behalten.»

«Aber du kannst es ihnen doch lässig zurückzahlen. Bald schwimmst du in Geld.»

«Na gut, dann warte ab, bis ich schwimme, und dann zieh deine Provision ab.»

Er setzte die Miene eines Geschäftsmannes auf, der voller Bedauern zusieht, wie sein Kunde sich eine einzigartige Gelegenheit entgehen läßt.

«Ja, in dem Fall – muß ich leider verzichten.»

«Du brichst mir das Herz.»

«Aber das tut unserer Freundschaft hoffentlich keinen Abbruch.»

«Natürlich nicht.»

Wir haben uns lang und innig die Hände geschüttelt. Dann entschwand er meinen Blicken samt Medaillon, Arbeitsethos und farblich aufs Hemd abgestimmten Jeans.

Wobei letzteres...

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