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E-Book

Liebesglück

Wahre Geschichten von der ganz großen Liebe

AutorKathrin Werner
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783104037202
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Vom Glück der ganz großen Liebe - wahre Geschichten Die große Liebe. Die eine, magische, die ganz große Liebe, für die man lebt und sterben würde, die alles bedeutet, die allem einen letzten Sinn verleiht. Die größte Kraft im Universum, wenn es sein muss gegen die widrigsten Umstände. Die Liebe, von der jeder Mensch träumt, von der die größten und schönsten Filme und Bücher erzählen. Es gibt sie. Es gibt sie wirklich, die ganz großen Liebesgeschichten dieser Welt. Kathrin Werner hat viele Länder bereist und die zwanzig schönsten Liebesgeschichten, die ihr begegnet sind, aufgeschrieben. Sie erzählt sie uns auf bewegende, bezaubernde Weise.

Kathrin Werner, geboren 1983, ist Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in New York. Nach einem Jurastudium in Hamburg entschied sie sich für eine journalistische Laufbahn. Bei der Süddeutschen Zeitung schreibt sie über die Welt der Wirtschaft, vor allem über die Menschen hinter den Zahlen. Mit ihrem Gespür für ungewöhnliche Geschichten und ihrem Erzähltalent geht sie dem schönsten Gefühl der Welt auf den Grund: der Liebe.

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Leseprobe

Brianna und Matt


Matt wacht auf, als sein Handy klingelt. Es ist 7.50 Uhr an einem Samstagmorgen im Februar, er ist ein bisschen verkatert, gestern Abend war er mit seinen College-Freunden etwas trinken. Trotzdem ist er gleich hellwach, als er die Nummer auf dem Display sieht. Am Telefon ist Briannas Schwester, die er nicht besonders gut kennt. Warum nur ruft sie ihn an, so früh am Morgen? »Ich wusste sofort, dass etwas Schlimmes passiert ist«, erzählt er. »Ich habe schlechte Nachrichten«, sagt die Schwester am Telefon. »Brianna hatte einen Autounfall. Wir sind nicht sicher, ob sie überlebt.« Was ist passiert? Was hat sie? Wie geht es ihr? Kann sie sprechen? Ist sie wach? Matt stellt eine Frage nach der anderen, doch Briannas Schwester antwortet nicht. »Matt, ich muss auflegen«, sagt sie. »Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt. Du bist ja ihr bester Freund.« Und dann legt sie auf.

Matt springt aus dem Bett, rafft seine saubere Wäsche aus dem Trockner zusammen, wirft sie in seine Reisetasche, die Tasche ins Auto und fährt los. Es ist 7.59 Uhr, als er auf den Highway einbiegt. Er kann kaum etwas sehen, seine Augen sind voller Tränen. Er denkt daran, wie sie sich kennengelernt haben vor so vielen Jahren. Matt hatte gerade die Schule gewechselt, von der katholischen Privatschule auf die öffentliche Highschool. Er kannte kaum jemanden und galt in der neuen Schule nicht gerade als cool. Bri hingegen war immer mit all den hübschen, beliebten Mädchen zusammen, mit denen alle befreundet sein wollten. Er hat sie oft beim Fußballtraining für die Schulteams gesehen, denn sie war so gut, dass sie manchmal mit den Jungen zusammen trainiert hat, zusammen mit Matts Mannschaft. Er fand sie schön, sie lachte viel und konnte perfekt mit dem Ball umgehen, das fand er toll. Aber er hat sie nie angesprochen. Er hätte sowieso keine Chance bei ihr gehabt, dachte er. Er war eher schüchtern.

Matt fährt und fährt, den schnurgeraden Highway von seinem College, der University of Mississippi, durch den ganzen Bundesstaat hindurch Richtung Süden, Richtung Krankenhaus, immer schneller, er weint, bis keine Tränen mehr kommen. Seine Eltern rufen an. »Fahr vorsichtig, Sohn«, sagen sie. »Pass auf dich auf.«

Matt denkt daran, wie Brianna damals in der zehnten Klasse bei ihm geblieben ist, als er sich seinen großen Zeh beim Fußball gebrochen hat, obwohl sie ihn da noch überhaupt nicht richtig kannte. Der rechte Zeh stand zur Seite ab, hing nur noch an einem Fetzen Haut, überall war Blut. Alle anderen fanden das eklig, Bri nicht. Sie blieb bei ihm, bis seine Mutter kam und ihn ins Krankenhaus brachte. Er weiß noch immer nicht, warum sie geblieben ist. Wäre es doch nur bei seinem gebrochenen Zeh geblieben. Wäre ihr Körper doch unverletzt.

Auf dem Weg zum Krankenhaus wird Matt von einem Polizisten angehalten, er fährt viel zu schnell, 185 Kilometer pro Stunde, doppelt so schnell wie erlaubt. Aber der Polizist lässt den weinenden Neunzehnjährigen weiterfahren, als er seine Geschichte hört, gibt ihm nur eine strenge Ermahnung mit auf den Weg.

Von da an hält sich Matt an die Geschwindigkeitsbegrenzung, doch seine Gedanken rasen weiter. Wie sie nach dem gebrochenen Zeh angefangen haben, sich über Facebook Nachrichten zu schreiben. Dann per SMS, Bri hat ihm Fotos von dem blutenden Fuß geschickt. Wie sie Freunde wurden. Beste Freunde. Er fuhr sie jeden Nachmittag zum Fußballtraining, diese langen, lustigen, unbeschwerten Autofahrten. Sie wussten immer, was der andere gerade dachte. Sie hatte einen Freund in der Highschool, ein Blödmann, der nicht nett zu ihr war. Matt war eifersüchtig, er war in Bri verliebt. Aber er hat nie etwas gesagt. Er hat nie gestanden, dass er eigentlich mehr sein wollte als ihr bester Freund. Wahrscheinlich hat sie es sowieso immer gewusst. Hätte er doch nur etwas gesagt. Zum Abschlussball ging sie in einem lilaweißen Kleid, er mit einer lilaweißen Weste, ihre Outfits passten ganz zufällig zusammen, sie hatten das nicht verabredet. Aber sie gingen mit anderen Partnern zum Tanz. Wäre er doch nur mit Bri gegangen.

Matt schafft es in dreieinhalb Stunden zum Krankenhaus, normalerweise braucht man sechs Stunden für die Strecke. Er denkt daran, wie traurig er war, als Bri zum College wegzog. Sie ist ein Jahr älter als er und war ein Jahr vor ihm mit der Highschool fertig. Sie schrieben sich ständig SMS, aber sie fehlte ihm trotzdem. Matt erinnert sich, wie sie zu Besuch kam, wie sie wieder so viel Zeit wie möglich miteinander verbrachten. Dann war auch Matt mit der Schule fertig, er zog in den Norden von Mississippi für die Uni, weit weg von Bri. Die beiden sahen sich immer seltener, aber sie blieben in Kontakt. Er dachte immer an sie, jeden Tag. Dann, drei Wochen vor dem schrecklichen Anruf und vor dieser schrecklichen Autofahrt, konnte er Bri endlich besuchen. Sie haben zusammen Harry Potter geschaut und ein bisschen gekuschelt. Das hatte es noch nie zwischen ihnen gegeben: kuscheln. Am Abend fuhr sie ihn nach Hause, sie hielten Händchen. Auch das hatte es noch nie zwischen ihnen gegeben. Kurz nach dem Abschied schickte sie ihm eine SMS: Mit dir Zeit zu verbringen hat mir gezeigt, wie sehr ich dich liebe. Ach, wäre er doch nur nicht so dämlich gewesen, denkt Matt, als er mit tränennassen Wangen über den Highway rast. Ich habe Angst, unsere Freundschaft zu verlieren, hatte er auf ihre SMS geantwortet. Sie vereinbarten, Freunde zu bleiben, nichts als gute Freunde. In den achtzehn Tagen vor dem Unfall haben sie kaum miteinander gesprochen, kaum SMS ausgetauscht. Bri war traurig, und Matt wusste nicht, was er sagen sollte. Wie dumm er doch gewesen war!

Als er im Krankenhaus ankommt, trifft er Briannas Eltern im Wartezimmer. Bri wird gerade operiert. Eine von vielen Operationen nach dem Unfall, die sie zu diesem Zeitpunkt schon hinter sich hat und die noch vor ihr liegen. Matt und ihre Familie warten zusammen auf Nachrichten aus dem OP. Niemand darf Bri sehen, niemand weiß, was los ist. Die Ärzte sagen nur, dass es ernst ist, sehr ernst, und dass sie nichts versprechen können. Matt verbringt die Nacht im Wartezimmer. Am nächsten Morgen sagen die Ärzte zu Briannas Geschwistern, dass sie die Eltern darauf vorbereiten sollen, dass Bri den Tag wahrscheinlich nicht überleben wird.

Aber Bri stirbt nicht. Sie ist eine Kämpferin, sagen die Ärzte am Ende des Tages, aber sie wissen immer noch nicht, ob sie es schafft. Zu viele Organe sind zerstört, die Wirbelsäule ebenfalls, vielleicht hat Bri auch eine Hirnverletzung. Matt schläft noch eine Nacht im Wartezimmer.

Nach drei Tagen dürfen ihre Eltern Bri zum ersten Mal sehen. Sie kommen ganz bleich zurück. Matt bleibt im Krankenhaus, er verpasst die Uni, aber er erklärt seinen Professoren, was passiert ist, und sie geben ihm frei. Nur für die Klausur am Donnerstag soll er wieder im College erscheinen. »Ich will nicht wegfahren, ohne sie zu sehen«, sagt er zu Briannas Eltern. Die Ärzte lassen ihn kurz zu ihr.

Wenn Matt nicht gewusst hätte, dass es Brianna ist, dass es seine beste Freundin ist, die da liegt – er hätte sie nicht erkannt. Die Augen zugeschwollen, das Gesicht schwarz und blau verfärbt, der Schädel halb rasiert. Eine Metallstange ragt aus ihrem Kopf heraus, irgendein medizinisches Gerät. Eine Decke liegt über ihrem Bauch, den die Ärzte nicht zunähen konnten, weil alles in ihr zu sehr geschwollen ist. Er streichelt ihre Hand und flüstert ihr zu: »Ich bin für dich da. Ich fahre nur ganz kurz zur Uni, dann komme ich wieder. Versprochen.« Brianna reagiert nicht. Die Monitore flimmern, ihr Herzschlag piept, Matt betrachtet all die Kabel und Schläuche mit wachsendem Entsetzen. »Ich war froh, dass ich sie gesehen habe«, sagt er. »Aber ein bisschen habe ich es auch bereut.« Er weint wieder die ganze stundenlange Autofahrt zurück zur Uni. Eigentlich ist er kein Typ, der nah am Wasser gebaut ist.

Am Tag nach der Klausur fährt er wieder ins Krankenhaus, wieder die lange Strecke vom Norden bis in den Süden von Mississippi. Wieder sitzt er im Wartezimmer, Stunde um Stunde. Abends rufen seine Eltern an, er soll doch wenigstens zum Abendessen nach Hause kommen. Sie machen sich Sorgen um ihn.

Nach ein paar Tagen geben die Ärzte endlich Entwarnung: Brianna wird leben. Aber noch ist nicht klar, wie schwer ihre Verletzungen sind. Ob sie jemanden erkennen wird, wenn sie aufwacht. Ob sie je wieder laufen wird. Matt darf nun öfter zu ihr ins Zimmer. Er hält ihre Hand und redet mit ihr. Wenn er spricht, beruhigt sich ihr Herzschlag auf dem Monitor. »Wenn ich gesagt habe, dass ich jetzt gehen muss, ist ihr Puls wieder hochgegangen«, sagt Matt. »Ich schwöre, dass ich mir das nicht ausdenke. Es war unglaublich. Ich wusste, dass sie mich hören kann.«

Vier Wochen bleibt Brianna auf der Intensivstation. Unter der Woche studiert Matt, am Wochenende sitzt er an ihrem Bett, er verbringt Stunden auf dem Highway, immer unterwegs zwischen Uni und Krankenhaus. Bri geht es nach und nach besser. An einem Tag kann sie Matts Hand zurückdrücken, wenn er sie hält. Dann öffnet sie ihre Augen. Dann kann sie ihren Kopf bewegen, auf Dinge zeigen. Sie erkennt Matt und will so viele ihrer dreißig Minuten Besuchszeit pro Tag wie möglich für ihn reservieren, andere Besucher schickt sie weg. »Sie war sehr resolut, obwohl sie noch gar nicht sprechen konnte«, sagt Matt. »Ich habe gemerkt, dass ich nur glücklich bin, wenn ich mit ihr zusammen bin. Sogar im Krankenhaus.«

Hier in der Geschichte von Brianna und Matt beginnt die Zeit nach dem Unfall, an die sich Bri wieder erinnern kann....

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