II
DIE TECHNIK DES WITZES
Wir folgen einem Winke des Zufalls und greifen das erste Witzbeispiel auf, das uns im vorigen Abschnitt entgegengetreten ist.
In dem Stück der „Reisebilder“, welches „Die Bäder von Lucca“ betitelt ist, führt H. Heine die köstliche Gestalt des Lotteriekollekteurs und Hühneraugenoperateurs Hirsch-Hyacinth aus Hamburg auf, der sich gegen den Dichter seiner Beziehungen zum reichen Baron Rothschild berühmt und zuletzt sagt: Und so wahr mir Gott alles Gute geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Salomon Rothschild und er behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär.
An diesem als ausgezeichnet anerkannten und sehr lachkräftigen Beispiel haben Heymans und Lipps die Ableitung der komischen Wirkung des Witzes aus der „Verblüffung und Erleuchtung“ (s. o.) erläutert. Wir aber lassen diese Frage beiseite und stellen uns die andere: was es denn ist, was die Rede des Hirsch-Hyacinth zu einem Witze macht? Es könnte nur zweierlei sein; entweder ist es der in dem Satz ausgedrückte Gedanke, der den Charakter des Witzigen an sich trägt, oder der Witz haftet an dem Ausdruck, den der Gedanke in dem Satz gefunden hat. Auf welcher Seite sich uns der Witzcharakter zeigt, dort wollen wir {015}ihn weiter verfolgen und versuchen, seiner habhaft zu werden.
Ein Gedanke kann ja im allgemeinen in verschiedenen sprachlichen Formen – in Worten also – zum Ausdruck gebracht werden, die ihn gleich zutreffend wiedergeben mögen. In der Rede des Hirsch-Hyacinth liegt uns nun eine bestimmte Ausdrucksform eines Gedankens vor und, wie uns ahnt, eine besonders eigentümliche, nicht diejenige, welche am leichtesten verständlich ist. Versuchen wir, denselben Gedanken möglichst getreulich in anderen Worten auszudrücken. Lipps hat dies bereits getan und damit die Fassung des Dichters gewissermaßen erläutert. Er sagt (S. 87): „Wir verstehen, daß Heine sagen will, die Aufnahme sei eine familiäre gewesen, nämlich von der bekannten Art, die durch den Beigeschmack des Millionärtums an Annehmlichkeiten nicht zu gewinnen pflegt.“ Wir verändern nichts an diesem Sinn, wenn wir eine andere Fassung annehmen, die sich vielleicht besser in die Rede des Hirsch-Hyacinth einfügt: „Rothschild behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz familiär, d. h. soweit ein Millionär das zu stande bringt.“ „Die Herablassung eines reichen Mannes hat immer etwas Mißliches für den, der sie an sich erfährt,“ würden wir noch hinzusetzen.[3]
Ob wir nun bei dieser oder einer anderen gleichwertigen Textierung des Gedankens verbleiben, wir sehen, daß die Frage, welche wir uns vorgelegt haben, bereits entschieden ist. Der Witzcharakter haftet in diesem Beispiel nicht am Gedanken. Es ist eine richtige und scharfsinnige Bemerkung, die Heine seinem Hirsch-Hyacinth in den Mund legt, eine Bemerkung von unverkennbarer Bitterkeit, wie sie bei dem armen Manne angesichts so großen Reichtums leicht begreiflich ist, aber wir würden uns nicht getrauen, sie witzig zu heißen. Meinte nun jemand, der {016}bei der Übertragung die Erinnerung an die Fassung des Dichters nicht los zu werden vermag, der Gedanke sei doch auch an sich witzig, so können wir ja auf ein sicheres Kriterium des bei der Übertragung verloren gegangenen Witzcharakters verweisen. Die Rede des Hirsch-Hyacinth machte uns laut lachen, die sinngetreue Übertragung derselben nach Lipps oder in unserer Fassung mag uns gefallen, zum Nachdenken anregen, aber zum Lachen bringen kann sie uns nicht.
Wenn aber der Witzcharakter unseres Beispiels nicht dem Gedanken anhaftet, so ist er in der Form, im Wortlaut seines Ausdruckes zu suchen. Wir brauchen nur die Besonderheit dieser Ausdrucksweise zu studieren, um zu erfassen, was man als die Wort- oder Ausdruckstechnik dieses Witzes bezeichnen kann und was in inniger Beziehung zu dem Wesen des Witzes stehen muß, da Charakter und Wirkung des Witzes mit dessen Ersetzung durch anderes verschwinden. Wir befinden uns übrigens in voller Übereinstimmung mit den Autoren, wenn wir soviel Wert auf die sprachliche Form des Witzes legen. So z. B. sagt K. Fischer (S. 72): „Es ist zunächst die bloße Form, die das Urteil zum Witz macht, und man wird hier an ein Wort Jean Pauls erinnert, welches eben diese Natur des Witzes in demselben Ausspruche erklärt und beweist: „So sehr sieget die bloße Stellung, es sei der Krieger oder der Sätze.“
Worin besteht nun die „Technik“ dieses Witzes? Was ist mit dem Gedanken etwa in unserer Fassung vorgegangen, bis aus ihm der Witz wurde, über den wir so herzlich lachen? Zweierlei, wie die Vergleichung unserer Fassung mit dem Text des Dichters lehrt. Erstens hat eine erhebliche Verkürzung stattgefunden. Wir mußten, um den im Witz enthaltenen Gedanken voll auszudrücken, an die Worte „R. behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz familiär“, einen Nachsatz anfügen, der aufs kürzeste eingeengt lautete: d. h. soweit ein Millionär das zustande bringt, und dann fühlten wir erst noch das {017}Bedürfnis nach einem erläuternden Zusatz.[4] Beim Dichter heißt es weit kürzer:
„R. behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär.“ Die ganze Einschränkung, die der zweite Satz an den ersten anfügt, welcher die familiäre Behandlung konstatiert, ist im Witze verloren gegangen.
Aber doch nicht ganz ohne einen Ersatz, aus dem man sie rekonstruieren kann. Es hat auch noch eine zweite Abänderung stattgefunden. Das Wort „familiär“ im witzlosen Ausdruck des Gedankens ist im Text des Witzes zu „famillionär“ umgewandelt worden, und ohne Zweifel hängt gerade an diesem Wortgebilde der Witzcharakter und der Lacheffekt des Witzes. Das neugebildete Wort deckt sich in seinem Anfang mit dem „familiär“ des ersten, in seinen auslautenden Silben mit dem „Millionär“ des zweiten Satzes, es vertritt gleichsam den einen Bestandteil „Millionär“ aus dem zweiten Satze, infolgedessen den ganzen zweiten Satz, und setzt uns auf diese Weise in den Stand, den im Text des Witzes ausgelassenen zweiten Satz zu erraten. Es ist als ein Mischgebilde aus den zwei Komponenten „familiär“ und „Millionär“ zu beschreiben, und man wäre versucht, sich seine Entstehung aus diesen beiden Worten graphisch zu veranschaulichen.[5]
Familiär
Milionär
Familionär
Den Vorgang aber, welcher den Gedanken in den W übergeführt hat, kann man sich in folgender Weise darstellen, {018}die zunächst recht phantastisch erscheinen mag, aber nichtsdestoweniger genau das wirklich vorhandene Ergebnis liefert:
„R. behandelte mich ganz familiär,
d. h. soweit ein Millionär es zu stande bringt.“
Nun denke man sich eine zusammendrängende Kraft auf diese Sätze einwirken und nehme an, daß der Nachsatz aus irgend einem Grunde der weniger resistente sei. Dieser wird dann zum Schwinden gebracht werden, der bedeutsame Bestandteil desselben, das Wort „Millionär“, welches sich gegen die Unterdrückung zu sträuben vermag, wird gleichsam an den ersten Satz angepreßt, mit dem ihm so sehr ähnlichen Element dieses Satzes „familiär“ verschmolzen, und gerade diese zufällig gegebene Möglichkeit, das Wesentliche des zweiten Satzes zu retten, wird den Untergang der anderen unwichtigeren Bestandteile begünstigen. So entsteht dann der Witz: „R. behandelte mich ganz famili on är.“
(mili) (är)
Abgesehen von solcher zusammendrängenden Kraft, die uns ja unbekannt ist, dürfen wir den Hergang der Witzbildung, also die Witztechnik dieses Falles, beschreiben als eine Verdichtung mit Ersatzbildung, und zwar besteht in unserem Beispiel die Ersatzbildung in der Herstellung eines Mischwortes. Dieses Mischwort „famillionär“, an sich unverständlich, in dem Zusammenhange, in dem es steht, sofort verstanden und als sinnreich erkannt, ist nun der Träger der zum Lachen zwingenden Wirkung des Witzes, deren Mechanismus uns allerdings durch die Aufdeckung der Witztechnik in keiner Weise näher gebracht wird. Inwiefern kann ein sprachlicher Verdichtungsvorgang mit Ersatzbildung durch ein Mischwort uns Lust schaffen und zum Lachen nötigen? Wir merken, dies ist ein anderes Problem, dessen Behandlung wir aufschieben dürfen, bis wir einen Zugang zu ihm gefunden haben. Vorläufig werden wir bei der Technik des Witzes bleiben.
Unsere Erwartung, daß die Technik des Witzes für die Ein{019}sicht in das Wesen desselben nicht gleichgültig sein könne, veranlaßt uns zunächst zu forschen, ob es noch andere Witzbeispiele gibt, die wie Heines „famillionär“ gebaut sind. Es gibt deren nun nicht sehr viele, aber immerhin genug, um eine kleine Gruppe, die durch die Mischwortbildung charakterisiert ist, aufzustellen. Heine selbst hat aus dem Worte Millionär einen zweiten Witz gezogen, sich gleichsam selbst kopiert, indem er von einem „Millionarr“ spricht (Ideen, Kap. XIV), was eine durchsichtige Zusammenziehung von Millionär und Narr ist und ganz ähnlich wie das erste Beispiel einen unterdrückten Nebengedanken zum Ausdruck bringt.
Andere Beispiele, die mir bekannt geworden sind: Die Berliner heißen einen gewissen Brunnen in ihrer Stadt, dessen Errichtung dem Oberbürgermeister Forckenbeck viel Ungnade...