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E-Book

Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts

Band 1&2

AutorHeinrich von Treitschke
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl770 Seiten
ISBN9788026820437
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Heinrich Gotthardt von Treitschke (1834-1896) war ein deutscher Historiker, politischer Publizist und Mitglied des Reichstags von 1871 bis 1884, zunächst als nationalliberaler Abgeordneter, seit 1878 ohne Parteizugehörigkeit. Er war einer der zu seiner Zeit bekanntesten und meist gelesenen Historiker und politischen Publizisten in Deutschland. Inhalt: Der Untergang des Reichs Friedrich der Große und der deutsche Dualismus Die neue Literatur Revolution und Fremdherrschaft Preußens Erhebung Die Anfänge des Deutschen Bundes, 1814-1819 Die deutsche Bundesakte Belle-Alliance Bis zu den Karlsbader Beschlüssen Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre Die Wiederherstellung des preußischen Staates Die Burschenschaft Die Karlsbader Beschlüsse Bis zur Julirevolution Die letzten Reformen Hardenbergs Politische Zustände in Preußen Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes Die Großmächte und die Trias Preußische Zustände nach Hardenbergs Tod Literarische Vorboten einer neuen Zeit Geschichtswissenschaft - Radikalismus und Judentum Preußens Mittelstellung Der Deutsche Zollverein Stille Jahre Der welfische Staatsstreich Bis zur Märzrevolution Die frohen Tage der Erwartung Die Kriegsgefahr Enttäuschung und Verwirrung Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft Polen und Schleswig-Holstein Der Vereinigte Landtag Der Niedergang des Deutschen Bundes

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Friedrich der Große und der deutsche Dualismus



Nicht Friedrich hat den deutschen Dualismus geschaffen, wie Mit- und Nachwelt ihm vorwarf; der Dualismus bestand seit Karl V., und Friedrich war der erste, der ernstlich ihn zu vernichten versuchte. Sobald die Verständigung mit dem Wiener Hofe sich als unmöglich erwies, faßte der König den kühnen Gedanken, die Kaiserkrone für immer dem Hause Österreich zu entwinden und also das letzte Band zu zerreißen, das diese Dynastie noch an Deutschland kettete. Er näherte sich den bayrischen Wittelsbachern, dem einzigen unter den mächtigeren deutschen Fürstengeschlechtern, das gleich den Hohenzollern nur deutsche Lande beherrschte und gleich ihnen in Österreich seinen natürlichen Gegner sah; er begründete zuerst jenes Bündnis zwischen den beiden größten rein deutschen Staaten, das sich seitdem so oft, und immer zum Heile für das Vaterland erneuert hat. Der Kurfürst von Bayern empfing die kaiserliche Würde, und Friedrich hoffte diesem neuen Kaisertume, das er selber »mein Werk« nannte, an der Krone Böhmen einen festen Rückhalt zu sichern.

Und alsbald erwachte in Berlin wie in München wieder jener rettende Gedanke der Säkularisation, der sich allezeit unabwendbar aufdrängte, sobald man die heilende Hand legte an den siechen Körper des Reichs. Es war im Werke, die Macht der größeren weltlichen Reichsstände, welche Friedrich als die allein lebensfähigen Glieder des Reichs erkannte, auf Kosten der theokratischen und republikanischen Territorien zu verstärken; eine rein weltliche Staatskunst schickte sich an, die politischen Ideen der Reformation zu verwirklichen. Einige geistliche Gebiete Oberdeutschlands sollten säkularisiert, auch mehrere Reichsstädte den benachbarten fürstlichen Gebieten zugeschlagen werden. Mit gutem Grunde klagte Österreich, wie schwer dies von Preußen geleitete bayrische Kaisertum den Adel und die Kirche zu schädigen drohe. Traten jene unfertigen Gedanken ins Leben, so war der deutsche Dualismus nahezu beseitigt, die Reichsverfassung, selbst wenn ihre Formen blieben, in ihrem Wesen umgestaltet; Deutschland wurde ein Bund weltlicher Fürsten unter Preußens beherrschendem Einfluß; die geistlichen Staaten, die Reichsstädte, der Schwarm der kleinen Grafen und Herren, des habsburgischen Rückhalts beraubt, verfielen dem Untergange, und das Trutzdeutschland im Herzen des Reichs, die Krone Böhmen, ward für die germanische Gesittung erobert. So konnte Deutschland aus eigener Kraft jene notwendige Revolution vollziehen, die ihm zwei Menschenalter später der Machtspruch des Auslandes schimpflich auferlegt hat. Aber das Haus Wittelsbach, ohnehin dem deutschen Leben entfremdet durch die erbliche Verbindung mit Frankreich wie durch die Härte katholischer Glaubenseinheit, erwies in großer Zeit eine klägliche Unfähigkeit; der Nation fehlte jedes Verständnis für die verheißungsvolle Gunst des Augenblicks. Auf einer Rundreise durch das Reich gewann der König einen so trostlosen Einblick in die Zwietracht, die Habgier, die sklavische Angst der kleinen Höfe, daß er für immer seine deutschen Hoffnungen herabzustimmen lernte; auch seine eigene Macht reichte noch nicht aus, den tapferen Widerstand der Königin von Ungarn gänzlich zu brechen. Der Zweite Schlesische Krieg endete trotz der Triumphe von Hohenfriedberg und Kesselsdorf mit der Wiederherstellung des österreichischen Kaisertums. Das Reich verblieb in seiner verfassungslosen Zerrüttung, Franz von Lothringen bestieg den Kaiserthron nach dem Tode Karls VII., und von neuem schloß sich der alte Bund zwischen Österreich und der katholischen Reichstagsmehrheit.

Die Lösung des deutschen Dualismus war mißlungen; schroffer, feindseliger denn je zuvor gingen die Parteien im Reiche auseinander. Gleichwohl blieb dem Könige ein dauernder Gewinn gesichert: die Großmachtstellung Preußens. Er hatte Bayern vom Untergange gerettet, die Macht seines eigenen Landes um mehr als ein Drittel verstärkt, die lange Kette habsburgisch-wettinischer Gebiete, welche den preußischen Staat im Süden und Osten umschloß, mit einem kühnen Stoße zersprengt, das stolze Kaiserhaus zum ersten Male vor einem Reichsfürsten tief gedemütigt. Er dankte alle seine Siege allein der eigenen Kraft und trat den alten Mächten mit so festem Stolze entgegen, daß selbst Horatio Walpole gestehen mußte, dieser Preußenkönig halte jetzt die Wage des europäischen Gleichgewichts in seinen Händen. Sachsen, Bayern, Hannover, alle die Mittelstaaten, welche soeben noch mit der Krone Preußen gewetteifert, wurden durch die schlesischen Kriege für immer in die zweite Reihe zurückgeworfen, und hoch über den zahllosen kleinen Gegensätzen, die das Reich zerklüfteten, erhob sich die eine Frage: Preußen oder Österreich? Die Frage der deutschen Zukunft war gestellt. Der König blickte jetzt aus freier Höhe auf das Gewimmel der deutschen Reichsstände hernieder, gab auf beleidigende Zumutungen gern die spöttische Antwort, ob man ihn etwa für einen Herzog von Gotha oder für einen rheinischen Fürsten halte; er spielte bereits, den kleinen Nachbarn gegenüber, die Rolle des wohlmeinenden Gönners und Beschützers, die er in seinem Anti-Machiavell als die schönste Pflicht des Starken bezeichnet hatte, und schon sammelte sich am Reichstage eine kleine preußische Partei, die norddeutschen Höfe begannen ihre Prinzen im Heere des Königs dienen zu lassen.

Unterdessen verwuchs die neue Erwerbung überraschend schnell mit der Monarchie; der Staat erprobte zum ersten Male auf einem weiten Gebiete jene starke Anziehungs- und Anbildungskraft, die er seitdem in deutschen und halbdeutschen Landen überall bewährt hat. Die frischen Kräfte der modernen Welt hielten ihren Einzug in die verwahrloste, unter ständischem und geistlichem Drucke darniedergehaltene Provinz; das monarchische Beamtentum verdrängte die Adelsherrschaft, das strenge Recht den Nepotismus, die Glaubensfreiheit den Gewissenszwang, das deutsche Schulwesen den tiefen Seelenschlaf pfäffischer Bildung; der träge knechtische Bauer lernte wieder auf ein Morgen zu hoffen, und sein König verbot ihm, den Beamten kniend den Rock zu küssen.

Noch kein anderer Staat hatte in jenem Jahrhundert der Machtkämpfe seinem Wirken so vielseitige, so menschliche Aufgaben gestellt. Erst die friedliche Arbeit der Verwaltung gab der Eroberung Schlesiens die sittliche Rechtfertigung und führte den Beweis, daß jenes vielgescholtene Wagnis eine deutsche Tat gewesen. Das von unheimischen Gewalten schon halb überflutete herrliche Grenzland wurde durch das preußische Regiment dem deutschen Volkstum zurückgegeben. Schlesien war das einzige der deutsch-österreichischen Erblande, wo die Politik der Glaubenseinheit eines vollen Sieges sich nicht rühmen konnte. Mit unüberwindlicher Zähigkeit hatte der leichtlebig heitere deutsche Stamm in den Tälern des Riesengebirges den Bluttaten der Liechtensteinschen Dragoner wie den Überredungskünsten der Jesuiten widerstanden. Die Mehrzahl der Deutschen blieb dem protestantischen Bekenntnis treu. Gedrückt und mißachtet, aller Güter beraubt, fristete die evangelische Kirche ein ärmliches Leben; nur die Drohungen der Krone Schweden verschafften ihr zu den wenigen Gotteshäusern, die ihr geblieben, noch den Besitz einiger Gnadenkirchen. Die katholischen Polen Oberschlesiens und jene tschechischen Kolonisten, die der Kaiserhof zum Kampfe gegen die deutschen Ketzer ins Land gerufen, waren die Stützen der kaiserlichen Herrschaft. Beim Einmarsch des preußischen Heeres erhob das Deutschtum wieder froh sein Haupt; jubelnd erklang in den Gnadenkirchen das Lob des Herrn, der seinem Volke ein Hartes erzeigt hat und ihm jetzund endlich ein Panier aufsteckt. Der Protestantismus gewann unter dem Schutze der preußischen Glaubensfreiheit bald das Bewußtsein seiner geistigen Überlegenheit wieder, das Polentum verlor zusehends an Boden, und nach wenigen Jahrzehnten standen die preußischen Schlesier in Gedanken und Sitten ihren norddeutschen Nachbarn näher als den Schlesiern jenseits der Grenze. Die römische Kirche aber beließ der protestantische Sieger im Besitze fast des gesamten evangelischen Kirchenguts, und während England seine irischen Katholiken zwang, die anglikanische Staatskirche durch ihre Abgaben zu unterhalten, mußte in Schlesien der Protestant nach wie vor Steuern zahlen für die katholische Kirche. Erst die landesverräterischen Umtriebe des römischen Klerus während des Siebenjährigen Krieges nötigten den König zurückzukommen von diesem Übermaße der Schonung, das zu Ungerechtigkeit gegen die Evangelischen führte; doch auch dann noch blieb die katholische Kirche günstiger gestellt als in irgendeinem anderen protestantischen Staate.

Das Aufblühen des schlesischen Landes unter dem preußischen Zepter zeigte genugsam, daß die neue Provinz ihren natürlichen Herrn gefunden hatte, daß die Entscheidung im deutschen Osten unabänderlich gefallen war. Doch unbeirrt hielt der Wiener Hof die Hoffnung fest, die erlittene Schmach zu rächen und den Eroberer Schlesiens wieder in den bunten Haufen der deutschen Reichsstände hinabzustoßen, gleich allen den anderen Vorwitzigen, die sich früherhin der Empörung gegen die alte Kaisermacht erdreistet hatten. Auch König Friedlich wußte, daß der letzte entscheidende Waffengang noch bevorstand. Er versuchte einmal während der kurzen Friedensjahre, den Sohn Maria Theresias von der Kaiserwürde auszuschließen, für die Zukunft mindestens das Reich von dem Hause Österreich zu trennen; der Plan scheiterte an dem Widerspruche der katholischen Höfe. Der unversöhnliche Gegensatz der beiden führenden Mächte Deutschlands bestimmte auf lange hinaus den Gang der europäischen Politik, entzog dem heiligen Reiche die...

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