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E-Book

Deutschlands Bildungslandschaft heute. Warum soziale Herkunft noch immer den Bildungserfolg bestimmt

AutorSimon Althelmig
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl67 Seiten
ISBN9783668584433
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
'Jeder hat das Recht auf Bildung' - so beginnt der Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Doch haben Kinder aus bildungsfernen Familien wirklich die gleichen Startbedingungen, um Ärzte, Juristen und Ingenieure zu werden? Wie sehr hängen Bildungserfolg und Elternhaus tatsächlich zusammen? Diese Publikation geht der drängenden Frage nach, wie sehr die soziale Herkunft noch immer den beruflichen Lebensweg von Schüler/innen in Deutschland prägt. Laut OECD-Bericht hat Armut in Deutschland, im Vergleich zu anderen OECD-Ländern, deutlich zugenommen. Besonders betroffen von dieser Armut sind Kinder und Jugendliche, deren Befinden in der Kindheit entscheidend ihren Lebens- und Karriereweg gestaltet. Das Buch von Simon Althelmig untersucht in diesem Zusammenhang die Lebensrealitäten von Kindern in verschiedenen sozialen Kontexten - und arbeitet Perspektiven heraus, um mehr Chancengleichheit zu schaffen. Wie sehr dabei das Verhalten der Lehrkräfte positiv beeinflussen kann, wird ebenfalls thematisiert. Sind Lehrpersonen für eine Situation im heterogenen Klassenverband wirklich gut geschult? Die Publikation beleuchtet sowohl die bildungspolitischen Konsequenzen für die Lehrerausbildung als auch die allgemeinen politischen Herausforderungen dieser zukunftsentscheidenden Problematik. Aus dem Inhalt: - Bildungserfolg; - Soziale Herkunft; - Migrationshintergrund; - Soziale Benachteiligung; - Lehrerausbildung; - Bildungspolitik; - PISA-Studie

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Leseprobe

3 Lebensrealitäten von Kindern in verschiedenen sozialen Kontexten im Hinblick auf Bildungserfolg und das schulische System


 

Beeinflussen Lebensrealitäten von Kindern in verschiedenen Kontexten ihren Entwicklungsweg? Viele Forschungen beschäftigen sich mit diesem Thema. Dabei ist leicht festzustellen, dass viele Faktoren dafür entscheidend sind. So gibt es Ungleichheiten beim Einkommen, Vermögen, bei den Wohnbedingungen, bei der Gesundheits- und Krankheitsversorgung usw. (vgl. Wehler 2013, S. 14). Eine US-amerikanische Studie hat festgestellt, dass dreijährige Kinder aus Akademikerfamilien über einen Wortschatz von 1.100 Wörtern verfügen. Der Wortschatz bei Kindern aus dem Arbeitermilieu umfasst rund 700 Wörter und bei Kindern aus armen Elternhäusern nur 520 Wörter (vgl. Maurer 2015, S. 185). Daher erscheint es wichtig, im Hinblick auf Bildungserfolg und das schulische System, die Lebensrealitäten von Kindern genauer zu beleuchten.

 

3.1 Standortbestimmung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien


 

Förderung und elterliche Liebe sorgen unter anderem dafür, dass es Kindern in Deutschland gut geht. Jedoch kann von Chancengleichheit nicht die Rede sein, denn wie bereits im vorherigen Kapitel geschildert, entscheidet in der Regel der soziale Status der Herkunftsfamilie, unter welchen Bedingungen Kinder aufwachsen und leben. Hierzu belegt die UNICEF-Vergleichsstudie 2012, dass fast jedes elfte Kind in relativer Armut lebt (vgl. UNICEF 2012, S. 2). Hierbei hat UNICEF beobachtet, dass sozial benachteiligte Kinder vermehrt „in isolierten Wohnvierteln unter sich bleiben“ (Bayerischer Rundfunk 2013). Somit ist eine Chancenungleichheit vorprogrammiert, da „gute Schulen und ausreichende soziale Unterstützung fehlen (ebd.). Eine neuere Studie, im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, hat ergeben, dass in Deutschland jedes fünfte Kind unter 15 Jahren armutsgefährdet ist. Dies bedeutet, dass Kinder unterhalb der Armutsgrenze aufwachsen. Dies sind 2,1 Millionen Kinder in Haushalten, die Hartz IV erhalten, 1,15 Millionen arme Kinder, die keine Unterstützung erhalten, obwohl Anspruch bestehen würde, und weitere 480.000 Kinder, die knapp über der Armutsgrenze leben (vgl. ZEIT ONLINE/dpa/fin 2015).

 

Der Soziologe Dr. Stephan Ellinger schreibt, dass Kinder, die aus sozial benachteiligten Familien stammen, „sich häufig in einem Teufelskreis der Armut – der

 

sowohl äußerliche als auch innere Armut einbezieht –“ (Ellinger 2013, S. 3) befinden. Weiterhin führt er auf, dass verschiedene soziologische und pädagogische Faktoren wie Einkommen, Reduzierung der Grundbedürfnisse, familiäre Belastungen, Einschränkungen der Elternfunktion, die soziale Benachteiligung bestimmen (vgl. ebd.). So finden wir in sozial benachteiligten Familien Kinder, die von Beginn an unter Armut leiden, Kinder, die von ihren Eltern vernachlässigt werden, Kinder, die von ihren Eltern nicht ausreichend gesundheitlich versorgt werden, Kinder, die, auf Grund dieser Umstände, von ihren Klassenkameraden ausgegrenzt und gemobbt werden, Kinder, die nicht gelernt haben, sich zu konzentrieren und im Unterricht stillzusitzen. Somit ist häufig ein Scheitern vom ersten Schultag an vorprogrammiert (vgl. Siggelkow/Büscher 2012, Klappentext). Marco Maurer bezeichnet diese Gesamtsituation in den sozial benachteiligten Familien mit folgendem Satz ketzerisch: „Das frühe Unglück – ungeliebt, ungefördert, ungebildet“ (Maurer 2015, S. 185). Nimmt man trotzdem an, dass ein Großteil der Familien den Kindern Liebe entgegenbringt, so ist eine Standortbestimmung „ungefördert, ungebildet“ schon entscheidend für den Bildungserfolg und die schulische Integration in das System. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Reformen, die Kinder aus sozial benachteiligten Familien fördern, bei der politischen Elite keine Mehrheiten finden. Ein gutes Beispiel dafür ist der ehemalige Bürgermeister von Hamburg, Ole von Beust, der von sich selbst berichtet, dass er als Bürgermeister erstmals in Kontakt mit Menschen aus sozial schwachen Bereichen kam. Dies brachte ihn dazu, politisch zu fordern, für alle Hamburger Schüler das gemeinsame Lernen bis zur sechsten Klasse anzustreben. Die Reform scheiterte am Widerstand seiner Parteikollegen, also der bürgerlichen Schicht. Von Beust trat daraufhin zurück. Hier stellt sich die Frage: „Wollen gut etablierte Schichten den Aufstieg von Kindern mit weniger Chancen verhindern, um keine Konkurrenz für den eigenen Nachwuchs heranwachsen zu lassen?“ (vgl. Maurer 2015, S. 231 – 246).

 

3.2 Standortbestimmung von Kindern aus Arbeiterfamilien und Familien mit Migrationshintergrund


 

Viele Kinder aus Arbeiterfamilien nach erfolgtem Schulabschluss führen häufig das gleiche Leben wie ihre Eltern. Sie absolvieren eine Ausbildung oder beginnen eine Lehre. Die wenigsten Kinder aus Arbeiterfamilien besuchen nach der zehnjährigen Schulpflicht eine Universität. Der Bildungstrichter 2009 der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes zeigt auf, dass 23 % der Hochschulzugangsberechtigen aus Arbeiterfamilien stammen (vgl. Middendorff et al. 2013, S. 112). Dieses Untersuchungsergebnis lässt deutlich erkennen, dass für Kinder aus Arbeiterfamilien der Zugang zu einer universitären Ausbildung immer noch in Verbindung mit der sozialen Herkunft steht und in Deutschland ein Bildungsaufstieg, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, schwierig zu erreichen ist (vgl. Zimmermann 2013, S. 6 – 7). Die Autorin und Gründerin der gemeinnützigen Initiative „arbeiterkind.de“, Katja Urbatsch, berichtet über erlebte schulische und universitäre Erlebnisse aus ihrer Kindheit und stellt fest, dass es sehr schwer ist, die Schulform zu wechseln, die zuvor durch die Schullaufbahnempfehlung in der Grundschule ausgesprochen wurde. Wenn ein Schüler eine andere Schulform wählen möchte und damit die Entscheidung trifft, einen höheren Bildungsabschluss anzustreben, ist dies nur möglich, wenn viel Zeit und vor allem mentale Kraft investiert wird (vgl. Urbatsch 2011, S. 28 – 30).

 

 

Abb. 1: Bildungstrichter 2009: Schematische Darstellung sozialer Selektion – Bildungsbeteiligung von Kindern nach Bildungsstatus im Elternhaus (Middendorff et al. 2013, S. 112)

 

In dem Dossier „Familien mit Migrationshintergrund: Analysen zur Lebenssituation, Erwerbsbeteiligung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ vom BMFSFJ  wird angeführt, dass das Armutsrisiko in Familien mit Migrationshintergrund eine Armutsgefährdungsquote von 27 % hat. Somit ist die Gefährdung mehr als doppelt so groß wie bei Familien ohne Migrationshintergrund (13 %). Erschreckend ist, dass die Armutsgefährdung bei diesen Familien über dem Durchschnitt aller Familientypen in Deutschland liegt. Mit 36 % ist die Armutsgefährdung in türkischstämmigen Familien besonders hoch. Ganz extrem ist das Armutsrisiko bei alleinerziehenden Migrantinnen (60 %). Zum Vergleich: Bei allein Erziehenden ohne Migrationshintergrund beträgt diese Quote 35 %. Zusätzlich belasten Faktoren wie mangelnde Sprachkenntnisse, isoliertes Leben in der eigenen Ethnie oder körperlich anstrengende Berufstätigkeiten die Lebenssituation der Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund (vgl. Henkel et al. 2014, S. 28 – 30). Die Beleuchtung der Arbeiterfamilien und der Familien mit Migrationshintergrund ergibt bei der Standortbestimmung eine eindeutige Schlechterstellung der letzteren Gruppe, dies beginnt schon im Kitaalter. Untersuchungen belegen, dass Kinder mit Migrationshintergrund viel länger in der Herkunftsfamilie betreut werden. Zu berücksichtigen ist hierbei besonders die wissenschaftliche Feststellung, dass bei „Kindern unter zwei Jahren (…) die neuronalen Strukturen des Gehirns angelegt und damit geprägt (werden): Wachsen die Kinder mit zu wenig oder zu oft wechselnden Bezugspersonen auf, werden nicht ausreichend neuronale Wachstumshormone gebildet.“ (Maurer 2015, S. 195). Trotzdem kann für beide Gruppen festgestellt werden, dass die Lebensrealitäten der Kinder in diesen sozialen Kontexten eindeutig schlechtere Startbedingungen für Bildungserfolge beinhalten und so negative Folgen für das schulische System haben.

 

3.3 Standortbestimmung von Kindern aus bildungsorientierten Familien


 

In bildungsorientierten Familien ist Bildung ein entscheidender Gegenstand der Elterninteressen.

 

„Wenn alle Eltern so lautstark und gewichtig darauf bestehen würden, dass ihre Kinder das Abitur machen, wie es Akademiker auch dann tun, wenn ihre Sprösslinge nur sehr mäßige Schulleistungen aufzuweisen haben, dann wäre der vorzeitige Abgang (aus weiterführenden Schulen) bei allen Gruppen so gering, wie bei Kindern aus höheren Schichten.“ (Brake/Büchner 2012, S. 11)

 

Diese Beobachtung machte Ralf Dahrendorf bereits in den 1960er Jahren. Forschungen belegen, dass diese spezifische Interessenwahrnehmung der Gruppe der Akademikereltern sich bis heute kaum geändert hat. Somit nehmen bildungsorientierte Eltern eindeutig Einfluss auf die positive Bildungsentwicklung ihrer Kinder. Sie nehmen damit ihr Recht wahr, das eigentlich alle Eltern haben, konkurrierend zu den Entscheidungen der Schulvertreter, den Bildungsweg ihrer Kinder entscheidend mitzubestimmen (vgl. ebd.). An dieser Stelle möchte ich an meine...

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