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Den Pflichterfüller verstehen
»Tu, was richtig ist, auch wenn die Leute dich für einen Spießer halten.«
Stärken (und Schwächen) | Schwächen (und Stärken) | Unterschiedliche Ausprägungen der Tendenz | Warum der Pflichterfüller einen starken Selbsterhaltungstrieb hat | Wieso der Pflichterfüller mitunter in die Falle tappt | Warum der Pflichterfüller seine inneren Erwartungen klären sollte
Wie gesagt sind wir alle im Leben mit zwei Arten von Erwartungen konfrontiert. Da sind zum einen die äußeren Ansprüche, die andere an uns herantragen – zum Beispiel, dass wir einen Bericht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeben. Und da sind dann noch die inneren Erwartungen, die wir uns selbst auferlegen – zum Beispiel, dass wir jeden Abend um elf Uhr im Bett liegen müssen.
Im System unserer vier Typen ist der Pflichterfüller die Art Mensch, die auf äußere wie innere Erwartungen gleichermaßen positiv reagiert. Er schafft die Deadline im Job und hält sich mühelos an seine guten Vorsätze fürs neue Jahr. Denn er will tun, was andere von ihm erwarten, und er nimmt seine Erwartungen an sich selbst genauso ernst.
Da er also innere wie äußere Erwartungen gleichermaßen erfüllen will, ist er ein großer Fan von Terminplänen und Routineabläufen. Er wacht morgens auf und denkt: »Was muss ich heute erledigen? Was steht auf meinem Terminplan?« Vertreter dieses Grundverhaltensmusters wissen gern, was von ihnen verlangt wird. Fehler zu machen oder andere gar im Stich zu lassen setzt ihnen wirklich zu.
Der Pflichterfüller hat weniger Probleme als die anderen drei Typen, sich für eine Option zu entscheiden und diese dann umzusetzen: Das macht ihn zum leidenschaftlichen Gewohnheitstier.
Sein Psychogramm zu zeichnen fiel mir leicht, weil ich selbst zu dieser Spezies gehöre – deshalb steht er auch ganz vorn in meiner Typologie.
Früher bin ich immer davon ausgegangen, jeder müsse sein wie ich, und war dann überrascht oder verärgert, wenn meine Mitmenschen doch anders dachten oder handelten. Ich sah so einiges klarer, als ich erkannte: a) dass es die vier Tendenzen wirklich gibt, b) dass ich ein Pflichterfüller bin und c) dass diese Gruppe nicht eben mitgliederstark ist. Der Persönlichkeitstyp ist so extrem, dass er eher selten vorkommt. (Im Übrigen war nur ich wirklich erstaunt darüber, einer eher raren und ausgeprägten Gattung anzugehören.)
Dass ich zur Gruppe der Pflichterfüller gehöre, gab mir Antwort auf eine Frage, die mich seit Langem beschäftigt hatte. In meinen Büchern Das Happiness-Projekt1 und Happier at Home2 gewähre ich meinen Lesern ja Einblick in meine jahrelangen Bemühungen, durch ständig neue Beschlüsse und Gewohnheiten zu einem glücklicheren, gesünderen und produktiveren Menschen zu werden. Nachdem die Bücher erschienen waren, kamen immer wieder Leute auf mich zu und wollten wissen: »Aber wie um alles in der Welt schaffst du es nur, das alles durchzuhalten? Tag für Tag deinen Blog zu schreiben, mit deinem Mann konstruktiv zu streiten und auch noch Sport zu treiben?« Und ich antwortete: »Nun ja, ich dachte, all dies würde mich glücklicher machen. Da hab ich’s halt einfach … gemacht.« – »Aber wie denn?« Ich kapierte überhaupt nicht, was die Leute dauernd mit dieser Frage von mir wollten.
Jetzt weiß ich es. Für einen konsequenten Pflichterfüller wie mich ist es einfach nicht weiter schwierig, eine Entscheidung zu treffen und diese dann umzusetzen. Die meisten Leute tun sich damit eher schwer.
Stärken (und Schwächen)
Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen: Der Pflichterfüller weist eine ganze Menge Vorzüge auf. (Natürlich bin ich da ein bisschen parteiisch.) Auf diesen Typ kann man sich verlassen. Und wenn man zu den Pflichterfüllern gehört, muss man nicht mit fiesen Sabotageakten durch das eigene Ich rechnen.
Der Pflichterfüller schafft es mit Leichtigkeit, alle äußeren Erwartungen zu erfüllen. Er ist gut organisiert und hat daher keine Probleme, Termine zu halten. Er erscheint stets pünktlich zu Verabredungen, hält seine Versprechen und managt jede Aufgabe, die man ihm überträgt – ohne Kontrolle, ohne Supervision, ohne gelbe Zettelchen, die überall kleben, oder gar Strafpunkte, wo auch immer.
Der Pflichterfüller ist stets fasziniert von jeder Art Regelwerk. Wann immer ich einen Aushang mit Bestimmungen und Anordnungen erblicke, sei es nun im Schwimmbad oder im Büro, kann ich einfach nicht widerstehen: Ich bleibe fasziniert stehen und lese alles gründlich durch. Und natürlich halte ich mich dann an diese Regeln. Wir haben auch nichts dagegen, wenn man uns in eine Uniform steckt. Es bereitet uns kein Problem, nach Rezept zu kochen oder fremde Anweisungen zu befolgen.
Und natürlich sind selbstgestellte Regeln für den Pflichterfüller ebenso verbindlich. Wenn er sich etwas vorgenommen hat, dann wird das durchgezogen – und sollte es hundertmal niemandem sonst wichtig sein, ja selbst dann, wenn er anderen damit auf die Nerven geht.
Was natürlich bedeutet: Mit diesem Grundverhaltensmuster kann ich mich absolut auf mich selbst verlassen. Mehr als auf jeden anderen Menschen in meinem Leben. Wenn ich eine Verpflichtung eingehe, dann erfülle ich sie, und das ganz ohne fremde Hilfe. Als ich noch Anwältin werden wollte, musste ich dazu natürlich vorher das Staatsexamen bestehen. Zur Vorbereitung bestellte ich mir eine Sammlung von Kassetten zum gesamten Vorlesungsstoff und brachte Stunden damit zu, sie in meiner Küche anzuhören, Notizen zu machen und diese zu pauken. Meine Freunde belegten kostspielige Vorbereitungskurse, um das Pensum zu bewältigen, ich schaffte das auch ohne.
Da der Pflichterfüller äußeren wie inneren Erwartungen gleichermaßen gewissenhaft gerecht wird, ist er unabhängig und zuverlässig. Und er verfügt über ein außerordentliches Maß an Selbstdisziplin. Wenn er Ihnen sagt, dass er ein bestimmtes Vorhaben ausführen wird, dann können Sie darauf bauen.
Eben weil dieser Typus alle Arten von Erwartungen so spielend leicht erledigt, versuchen Exemplare der anderen Tendenzen häufig, sich an ihn dranzuhängen, wie diese Zuschrift zeigt:
Ich habe mich immer gefragt, warum sich sofort eine Menge Leute um mich scharen, wenn ich eine Diät mache, mit Sport anfange oder ein neues Hobby beginne. Bis ich merkte, dass sie meine Unterstützung wollten: »Ruf an, wenn du zum Radfahren gehst. Ich komme mit. Wir treffen uns im Park.« Mittlerweile ist mir klar, dass diese Leute versuchen, ein bisschen was von meiner Willenskraft für sich zu nutzen. Wenn sie sich mir anschließen, kommen sie selbst in die Gänge.
Zwar finde ich es manchmal durchaus befriedigend, wenn ich anderen helfen kann, eigene Erwartungen zu erfüllen, im Allgemeinen aber wäre es mir lieber, sie würden sich nicht auf mich verlassen, um selbst vorwärtszukommen.
Der Pflichterfüller fühlt sich keineswegs bedrängt, wenn er es mit äußeren und inneren Erwartungen zu tun hat. Das gibt ihm vielmehr ein Gefühl von Kreativität und Freiheit, eben weil er weiß, dass bei ihm aus Worten auch Taten werden. Wenn ich mir vornehme – wie es durchaus schon vorgekommen ist –, über den Sommer ein kurzes Buch zu schreiben oder keinen Zucker mehr zu essen, dann mache ich das, selbst wenn es außer mir niemanden interessiert. Diese Gewissheit schenkt mir ein tief reichendes Gefühl der Freiheit. Ich habe die Kontrolle, alle Möglichkeiten stehen mir offen.
Doch möchte ich hier keineswegs den Eindruck erwecken, Pflichterfüller hätten nie mit Erwartungsdruck zu kämpfen. Das passiert selbst uns. Auch ich muss immer wieder Energie investieren, um einige meiner positiven Gewohnheiten beizubehalten, zum Beispiel regelmäßig Sport zu treiben, bestimmte Telefonanrufe zu erledigen oder zum Briefkasten zu gehen. Manche Aufgaben bleiben zeitweilig unerledigt, und mir passiert auch schon mal ein Malheur nach dem anderen. Doch meist ist es für den »Gesagt-getan«-Typus leichter, Erwartungen zu erfüllen, als für die anderen drei Vertreter.
Mit einem Katalog äußerer und innerer Regeln fühlen sich Pflichterfüller wie der Fisch im Wasser. Daher erforschen sie auch gern das Regelwerk dahinter. Eine der bekanntesten Vertreterinnen dieses Naturells ist Hermine Granger aus J. K. Rowlings Harry-Potter-Romanen. Hermine vernachlässigt nie ihre Hausaufgaben, erinnert Harry und Ron ständig an die Regeln der magischen Welt und wird total nervös, wenn jemand diese Regeln ignoriert. Weil sie einen höheren Sinn hinter den Regeln erkennt, selbst wenn andere dies vollkommen kaltlässt. Findet sie jedoch bestimmte Konventionen ungerecht, dann zieht sie dagegen zu Felde. So startet sie eine Kampagne gegen die ungerechte Behandlung von Hauselfen. Und am Ende verlässt sie die Schule und stellt sich sogar gegen das Zaubereiministerium, weil sie gegen den bösen Voldemort kämpft.
Ich mag die Harry-Potter-Romane sehr, sicher auch, weil ich mit Genugtuung eine Pflichterfüllerin so tapfer kämpfen sehe. Ob sich wohl die Vertreter jeder der vier Tendenzen automatisch von ihrem filmischen oder literarischen Ebenbild angezogen fühlen?
Da der Typus Pflichterfüller sich mit äußeren und inneren Erwartungen so leichttut, erleidet er nur selten einen Burn-out und entwickelt kaum Groll. Er braucht andere Menschen nicht,...