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Mumien

Spannende Todesfälle, geheimnisvolle Leichname - mit einem Präparator auf Spurensuche in alten Grüften

AutorAlfred Riepertinger, Shirley Michaela Seul
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783641230340
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Mumien? Gibt's nicht nur in Ägypten! Auch heute noch werden Menschen nach ihrem Tod einbalsamiert - und gar nicht so selten trocknet ein Körper aus und wird auf diese Weise zur Mumie.
Der Präparator Alfred Riepertinger ist Mumienkenner und eine Koryphäe auf dem Gebiet der Einbalsamierung. Jetzt berichtet er vom Gänsehautmoment, wenn er einen jahrhundertealten Sarg öffnet: Welche Geheimnisse wird der mumifizierte Leichnam preisgeben, wenn er untersucht wird? Alfred Riepertinger erklärt, wie ein Mensch zur Mumie wird, und schildert, welche Techniken er selbst bei der Einbalsamierung anwendet. Neben fesselnd erzählten Geschichten über berühmte und weniger bekannte Mumien geht er auch Mythen rund um Tod und Verwesung auf den Grund - gibt es beispielsweise so etwas wie Leichengift? Faszinierendes, Verblüffendes und Unerwartetes aus dem Reich der ewig Lebenden!

Alfred Riepertinger, Jahrgang 1955, ist medizinischer Präparator und Oberpräparator am Institut für Pathologie des Klinikums Schwabing. Er ist spezialisiert darauf, Leichname wiederherzustellen (z.B. nach Unfällen), und ist eine Koryphäe in der Technik der Einbalsamierung. Er ist Experte auf dem Gebiet der Plastination und hat unter anderem mit Gunther von Hagens zusammengearbeitet. Mit seinem Buch 'Mein Leben mit den Toten' ist er einer der erfolgreichsten Autoren des Münchner Krimifestivals. Alfred Riepertinger ist verheiratet und lebt in Germering bei München.

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Leseprobe

Die hohe Kunst der Einbalsamierung

Zum Glück sind nicht alle Mumien räuberischen Zerstörern in die Hände gefallen. In ägyptologischen Museen können dreitausend Jahre alte Mumien bewundert werden. Mich erfüllt Ehrfurcht vor den Künsten meiner Kollegen; ihre Technik war hoch entwickelt. Trotz des Fortschritts in unserer heutigen Medizin erinnern mich manche ihrer Materialien und die Einbalsamierungstische aus Granit an meinen Werkzeugkoffer und die Sektionstische an meinem Arbeitsplatz, wenngleich diese auf die Löwenköpfe als Zier verzichten müssen.

Aber heute wie damals gibt es auch bei der Einbalsamierung eine Art Zweiklassengesellschaft: die First-Class-Methode für die Pharaonen und die herrschende Klasse, das Kassenmodell für alle anderen. Je nach Dynastie wurden unterschiedliche Techniken angewendet, um den Körper für das ewige Reich zu erhalten. Denn was nutzt einem das Weiterleben, wenn man keinen Körper mehr hat – und kein Herz. Das Herz ist das einzige Organ, das die Ägypter als Sitz der Seele im Körper zurückließen. Fast alles andere wurde entfernt – Lunge, Eingeweide, Leber, Magen – und in vier Kanopen, dickbäuchigen Organkrügen, aufbewahrt. Die Organe wurden auch in Natron eingelegt und anschließend mit Bandagen umwickelt. Dann wurden sie in die Kanopen eingelegt. Diese vier Kanopen stellten die Söhne des Horus, des falkenköpfigen Gottes, dar. Die Kanope Kebechsenuef zierte auch ein Falkenkopf, sie beinhaltete den Darm, also die Eingeweide, was dasselbe ist. In der zweiten Kanope mit dem Schakalkopf, Duamutef, wurde der Magen aufbewahrt. In der dritten Kanope wurden die Lungenflügel von einem Affenkopf namens Hapi bewacht, und der Menschenkopf auf der vierten Kanope, Amset, bewahrte die Leber auf. Die Kanopen wurden zu den Leichnamen gestellt. Ob die Nieren im Körper verblieben, weil die Ägypter ihnen keine Bedeutung zumaßen oder weil sie sie in ihrer außerhalb der Bauchhöhle eingebetteten Fettkapsel nicht fanden, darüber diskutieren Wissenschaftler bis heute.

Das Totengericht

Die alten Ägypter glaubten, dass nach dem Tod eines Menschen seine Taten gewichtet würden. Um herauszufinden, ob er endgültig sterben musste oder weiterleben durfte, wurde sein Herz gegen die Feder der ägyptischen Göttin Maat aufgewogen. Hierzu führte Anubis, der Gott der Einbalsamierer, den Verstorbenen zur Waage, auf der sich auf der einen Seite die Feder, auf der anderen sein Herz befand. Während Anubis noch abwog, wartete Ammit, die Verschlingerin, ein furchteinflößendes Wesen, schon gierig auf das Ergebnis. Der Kopf der Verschlingerin war der eines Krokodils, ihr Rumpf war einem Löwen nachempfunden, und das Hinterteil erinnerte an ein Nilpferd. Wenn das Herz des Toten mehr wog als die Feder der Göttin, waltete die Verschlingerin ihres Amtes, und der Verstorbene war nun endgültig tot. Eine schlimmere Strafe konnte man sich im alten Ägypten nicht vorstellen. War das Herz leichter als die Feder, durfte der Verstorbene im Kreis der Götter weiterleben.

Vor diesem Hintergrund ist auch der große Aufwand nachvollziehbar, den die Ägypter ihren Toten angedeihen ließen. Ein geliebter Mensch soll nie vergehen, soll ewig bleiben, so der Wunsch. Dies zu bewerkstelligen war eine ehrenvolle Aufgabe, die in die Hände von Balsamierern gelegt wurde. Sie waren meistens auch Ärzte und stammten aus dem Stand der Priester.

Das altägyptische Verfahren

Je nach Rang eines Verstorbenen gestaltete sich die Qualität der Einbalsamierung und der verwendeten Materialien, wobei wir wieder bei der Zweiklassenbehandlung wären. Je aufwendiger die Einbalsamierung, desto teurer. So kann man vom Zustand einer Mumie ablesen, welchen Stand der Verstorbene innehatte.

Die Pharaonen und hohe Persönlichkeiten wurden mit den teuersten Gewürzen versorgt. Ihre Nasenöffnungen wurden mit Bitumen verschlossen und die geschrumpften Muskellogen mit Sägespänen aufgefüllt. Bei einfachen Verfahren blieben die Nasenöffnungen unverschlossen. Das Material der Totenmasken und die Totenbeigaben in den Bandagen waren bei Pharaonen kostbarer als bei niedrigeren Personenständen.

Der erste Schritt des gesamten Prozesses der Einbalsamierung war die Konservierung, die Trocknung des Leichnams mit Natron. Nach der Trocknung fand die eigentliche Einbalsamierung statt: das Spülen der Körper- und Schädelhöhle mit Palmwein. In die Schädelhöhle wurde zudem Bitumen eingefüllt. Die Körperhöhlen wurden mit Gewürzen wie Myrrhe, Lavendel, Honig, Pfefferkörner, Thymian gefüllt und mit Sägespänen und anderem Füllmaterial ausgekleidet, zum Teil auch mit kostbaren Ölen eingerieben, was der Prozedur den Namen gab: Einbalsamierug von Balsam. Auch Jesus wurde »einbalsamiert«, indem er mit Ölen eingerieben wurde.

Die Einbalsamierung minimiert auch das Risiko, dass der durch die Autolyse oder Fäulnis beginnende, unter Druck stehende Magen Restinhalt durch den Mund absondert. Schließlich wäre es kein schönes Bild, wenn bei einer sauber hergerichteten Leiche plötzlich etwas aus dem Mund schwappen würde.

Die ägyptische Einbalsamierungstechnik vollzieht sich in zwei Schritten. Zu Beginn wurde ein vierzig Zentimeter langer Bronzehaken durch die Nase in das Siebbein gestoßen, einen Knochen, der den Nasenraum vom Gehirn trennt. Durch das so entstandene Loch wurde das Hirn mit dem Haken zerstoßen und in kleine Stücke zermatscht und verquirlt, die man dann mit passenden Werkzeugen herauslöffelte. Da man bei einigen Mumien Bambusröhrchen in der Nase fand, ist davon auszugehen dass die Reste des Gehirns mit Wasser ausgespült wurden. Das war auch wichtig, da das Hirn sonst zu faulen begonnen hätte. Der Innenraum des knöchernen Schädels wurde mit Palmwein ausgespült.

Im Anschluss wurde bei einer frischen Leiche ein Schnitt an der linken Körperseite gesetzt, durch den Darm, Magen, Leber und Lungen komplett entnommen wurden. Der ausgehöhlte, von den Organen befreite Körper wurde mit Leinensäckchen voller Natron komplett ausgefüllt. Dieses Salz gewann man aus dem Wadi Natrun in Unterägypten, wo es in großen Schollen auf dem Boden lag. Gewürze wie Myrrhe, Thymian, Nelken, Lavendel, Pfefferkörner wurden beigefügt, und schließlich wurde der Körper wieder verschlossen. Dann wurde der Leichnam auf Holzriegel gelegt und mit Natron bestreut. Der chemische Name lautet Natriumhydrogencarbonat. Natron ist die gängige Kurzbezeichnung. Laut Herodot dauerte die Prozedur der Entwässerung einundvierzig Tage. Gelegentlich wurden Muskelstränge aufgeschnitten und mit Sägespänen aufgefüllt, um die normale Körperstatur wiederherzustellen. In manchen Regionen oder Kulturen wurde der Leichnam in der Sonne oder auf Grillstellagen über dem Feuer getrocknet.

Im alten Ägypten begann erst nach der vollständigen Austrocknung die eigentliche Einbalsamierung. Die Natronsäckchen, die bereits zur Trocknung in den Körper eingebracht wurden, um die Schrumpfungen in Grenzen zu halten und den Leichnam in dieser Phase ein wenig zu aromatisieren, wurden aus der Brust- und Bauchhöhle entfernt, stattdessen streute man Gewürze hinein und füllte mit Palmwein und Honig aus. Der Schnitt wurde, je nach Status des Verstorbenen, mit einer Wachs- oder Goldplatte versiegelt. Die Nase wurde versiegelt, oft mit Bitumen, als Augäpfel dienten Silberzwiebeln. Zwei bis drei Balsamierer wickelten den Leichnam mit Leinenbinden ein, während ein Priester, der zu diesem Anlass eine Anubis-Maske trug, Gebete sprach.

Bandagiert wurden die Leichname, weil man befürchtete, dass einzelne Extremitäten vom Körper abfallen könnten; im Totenreich brauchte der Verstorbene ja einen unversehrten Körper. Begonnen wurde an den Fingern. Angestückelt wurden die Leinenbinden mit Harz oder Bitumen, und zwischen die einzelnen Lagen wurden oft religiöse Amulette aus Gold oder Edelsteinen gelegt, oder es wurden Symbole auf die Binden gemalt. Das Bandagieren nahm circa siebzehn Tage in Anspruch. Die Bandagierer wickelten die Leinenbinden in immer kunstvolleren Formen, es mutet fast an, als hätte es Wettbewerbe gegeben, wer die schönsten Muster vollbrachte. Auch daran sieht man, welche enorme Aufmerksamkeit die Ägypter ihren Toten schenkten, ganz anders als heute, wo der Tod von vielen am liebsten ausgelagert würde und die Bestattung vor allem ein Ziel hat: Beseitigung, möglichst rasch und gründlich, immer häufiger durch Einäscherung.

Zum Schluss wurden die Hände vor der Brust über Kreuz gewickelt. Pharaonen oder hohen Staatsdienern wurde eine goldene oder hölzerne Maske ihres Gesichts aufgesetzt. Bei weniger bedeutenden Verstorbenen wurde das Gesicht direkt auf die Bandagen aufgemalt.

Konservieren oder Einbalsamieren?

Wenn ich einen Leichnam konserviere beziehungsweise einbalsamiere, frage ich nicht nach seinem Status – bei mir werden alle gleich behandelt. Worin liegt nun aber der Unterschied zwischen Konservierung und Einbalsamierung? Von Konservierung spricht man zum Beispiel bei sogenannten Anatomieleichen, bei denen in studentischen Präparierkursen in den Instituten für Anatomie in der Regel über die Oberschenkel- oder Halsarterie ein formalinhaltiges Fixationsmittel in die arteriellen Gefäße gefüllt wird – ohne Behandlung oder Entnahme der inneren Organe. Durch die Fixierung werden die Eiweißketten des Körpers gebunden und ausgehärtet – Bakterien werden abgetötet, der Körper kann nicht in Fäulnis übergehen.

Die Einbalsamierung stellt ebenfalls eine Konservierung des Leichnams dar, bei welcher der Körper jedoch nach der Injektion eröffnet wird, um die Organe zu entnehmen oder nach Reinigung wieder in den Körper zurückzuverlagern. Die...

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