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Die Absprache in Strafverfahren

AutorTobias Locker
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl83 Seiten
ISBN9783656840756
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Jura - Zivilrecht / Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Kartellrecht, Wirtschaftsrecht, Note: 1,3, FOM Hochschule für Oekonomie & Management gemeinnützige GmbH, Frankfurt früher Fachhochschule, Sprache: Deutsch, Abstract: Das Thema der Absprache in Strafverfahren wird in Deutschland seit vielen Jahren in der Politik, der Rechtssprechung und der Rechtswissenschaft ausführlich und widersprüchlich diskutiert. Absprachen über ein Verfahrensergebnis als Ergebnis eines Vergleichsprozesses sind überall dort prozesstypisch, wo die Dispositionsmaxime gilt, der Verfahrensgegenstand also zur Disposition der Beteiligten zur Verfügung steht. Die Strafprozessordnung sieht solche Vergleiche allerdings nicht vor. Einerseits ist das Wesen der Strafe als Vergleichsgegenstand ungeeignet, andererseits handelt es sich bei den Vergleichspartnern nicht um gleichberechtigte Partner, welche sich auf Augenhöhe gegenüberstehen. Die Absprache im Strafverfahren im deutschen Strafrecht hatte über viele Jahrzehnte einen informellen Charakter, wurde ohne jegliche Dokumentation und Protokollierung vollzogen. Sie wurde über Jahrzehnte hinweg praktiziert, handelt es sich dabei doch um eine effektive, das Strafverfahren abkürzende und daher auch bequeme Methode schnell zu einem Urteil zu kommen. Erst konzentrierte sich die Kritik an der Absprache in Strafverfahren an der gesetzlich ungeregelten Verfahrensweise. Vor dem Jahr 2009, indem die Verständigung im Strafverfahren eine lange geforderte gesetzliche Regelung erfahren hat, war die generelle Zulässigkeit von Absprachen sehr umstritten. Dabei reicht die in Literatur und Wissenschaft überwiegend kritische Sicht vom Urteilspruch der Verfassungswidrigkeit über den Vorwurf gegen das geltende Prozessrecht zu verstoßen bis zur praeter legem entwickelten Verfahrensweise . Damals stand die Frage wie das Phänomen der Absprache im deutschen Strafprozess angemessen und verfassungsrechtlich unbedenklich geregelt werden könnte im Vordergrund. Die Kritik hat sich allerdings auch nach der gesetzlichen Regelung nicht grundlegend geändert, vielmehr hat sich der Fokus der Diskussion verschoben. Es ist nun zu bewerten, wie gut einerseits die gesetzliche Regelung gelungen ist, andererseits wie mit dieser Regelung in der Praxis umgegangen wird, wie gut oder schlecht sich die Verfahrensbeteiligten an diese Regelungen halten. Aufgrund der zahl- und umfangreicher werdenden Strafverfahren wird in der Praxis versucht durch Absprachen sich einer langwierigen Beweisaufnahme und eines streitigen Verfahrens zu entledigen...

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Leseprobe

2 Grundlagen und Untersuchungsgegenstand


 

Um ein grundlegendes Verständnis für die Absprache in Strafverfahren aufzubauen, ist es sinnvoll, die Struktur eines Strafverfahrens aufzuzeigen, die Begrifflichkeiten abzugrenzen und den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit genau zu definieren.

 

2.1 Struktur des Strafverfahrens


 

Das Strafverfahren in Deutschland unterteilt sich gesetzlich in ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren (§§ 158 ff. StPO) und ein gerichtliches Verfahren mit Hauptverhandlung (§§ 199 ff., 226 ff. StPO).

 

Im Ermittlungsverfahren wird der Sachverhalt erforscht und die Beweismittel werden zusammengetragen (§§ 160 ff. StPO). Ist ein hinreichender Tatverdacht (§ 170 StPO) gegeben erhebt die Staatsanwaltschaft öffentlich Klage durch Einreichung einer Anklageschrift beim für das Hauptverfahren zuständigen Gericht (§§ 170 Abs. 1, 199 Abs. 2 StPO). Das Gericht prüft nun, im sog. Zwischenverfahren, auf Grundlage der bisherigen Ermittlungsergebnisse, ob die Staatsanwaltschaft zu Recht Anklage erhoben hat. Wird der hinreichende Tatverdacht auch vom Gericht bejaht (§ 203 StPO), wird mit dem sog. Eröffnungsbeschluss (§ 207 StPO) die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, das Zwischenverfahren in das Hauptverfahren (§§ 213 ff. StPO) übergeleitet.

 

Alleinige Grundlage für die Urteilsfindung (§ 261 StPO) bildet die Hauptverhandlung (§§ 226 ff. StPO) als Kern des Hauptverfahrens. Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung erfolgt in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten (§§ 226 f., 230 ff. StPO) nach den Grundsätzen der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit. Der Angeklagte hat u. a. das Recht und die Pflicht der fortgesetzten Anwesenheit (§§ 230 ff., 247 ff. StPO) und Frage- und Erklärungsrechte (§§ 240 Abs. 2, 257, 258 StPO). Nach dem Aufklärungs- oder Instruktionsgrundsatz trägt das Gericht selbst die Verantwortung für den Umfang und die Vollständigkeit der Beweisaufnahme und damit für die Wahrheitsfindung (§ 244 Abs. 2 StPO).

 

2.2 Begriff und Bedeutung


 

Für die konsensuale Verfahrensbeendigung werden in der Literatur unterschiedliche Begriffe – abhängig vom jeweiligen Standpunkt des Verfassers – gebraucht.[8] Dabei lassen die Begriffe (informelle)[9] Absprache[10], Verständigung[11], Vergleich[12], Vereinbarung[13], und Konsens[14] einen noch eher neutralen Standpunkt annehmen. Anders bei den Begriffen Deal[15], Gentlemen´s Agreement[16], Handel[17], Kungelei[18], Klüngelei[19] oder auch Mauschelei[20], welche eine eher abwertende Haltung widerspiegeln. Eine Begriffsdefinition ist im § 257c StPO selbst nicht enthalten. Der BGH verwendet die Begriffe Vorgespräche, Verständigung und Absprache. Das BVerfG spricht hingegen von Verständigung.

 

Gleichermaßen werden alle Bezeichnungen uneinheitlich, sei es für erlaubte oder sei es für verbotene Formen von Gesprächen mit dem Ziel eine konsensbasierte Beendigung eines Strafverfahrens herbeizuführen, benutzt.

 

Das vom Deutschen Bundestag am 28.05.2009 beschlossene Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren schließt sich dem Begriff der Verständigung an, welcher wertneutral und ohne vorweggenommene Bewertung auskommt.[21]

 

Als fester Bestandteil einer Absprache sind also zwei Elemente entscheidend. Neben einer Übereinkunft von mindestens zwei Verfahrensbeteiligten über zukünftige Prozesshandlungen, die zu einer vorzeitigen Beendigung des Verfahrens führen, ist zudem ein wechselseitiges Nachgeben der Beteiligten im Sinne eines „do ut des“ („Ich gebe, damit du gibst“) angezeigt. Beide Elemente, der Konsens der Verfahrensbeteiligten über eine vorzeitige Beendigung als auch die von beiden Seiten im Austausch versprochenen Leistungen sind dem deutschen Strafprozessrecht wesensfremd. Die im deutschen Strafprozess geltenden Prinzipien wie z. B. das Legalitiätsprinzip, der Amtsermittlungsgrundsatz und das Prinzip der materiellen Wahrheit geben eine Entscheidungsfindung vor, welche unabhängig ist vom Willen der Beteiligten.[22]

 

Damit soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit der gesetzliche Wortlaut der Verständigung immer dann genutzt werden, wenn es sich um die Beschreibung des formell-gesetzlichen, normierten Verfahrens handelt, also vor allem nach den Vorschriften des § 257c StPO. Hingegen soll bei jeder einvernehmlichen Beendigung eines Strafverfahrens der Terminus der Absprache als Beschreibung einer informellen, also außerhalb der gesetzlichen Vorschriften stattfindenden konsensualen Beendigung eines Strafverfahrens verwendet werden.

 

2.3 Historische Entwicklung


 

Etwa dreißig Jahre lang sah die StPO keine allgemeine Regelung über Absprachen im Strafprozess vor. Die öffentliche Diskussion zur Verständigung begann insbesondere durch zwei Aufsätze in der Fachliteratur im Jahr 1982.[23]

 

Das BVerfG befasste sich erstmalig im Jahr 1987 mit der Verständigung im Strafverfahren.[24] Das BVerfG führt darin aus, dass in erster Linie das Recht des Angeklagten auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren der grundrechtliche Prüfungsmaßstab nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG sei. Zudem verurteilte das BVerfG einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ und schloss daher aus, dass die richterliche Aufklärungspflicht und die Grundsätze der Strafzumessung zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten stehen.[25]

 

Im Jahre 1990 erörterte der Deutsche Juristentag die Problematik der Absprachen und befürwortete in dessen Beschlüssen eine Verdeutlichung der Regelungen um Unsicherheiten und Auswüchse zu vermeiden.[26] Die Befürwortung einer klaren Mehrheit für ein Eingreifen des Gesetzgebers wurde von der Legislative nicht gehört.[27]

 

Der 4. Strafsenat des BGH entschied sich in der Grundsatzentscheidung vom 28.08.1997[28] für die generelle Zulässigkeit von Absprachen im Strafverfahren. Alle Verständigungen müssen demnach unter Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligten in einer öffentlichen Hauptversammlung stattfinden und das Ergebnis muss im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegt werden. Zudem dürfe eine Überprüfung des Geständnisses auf seine Glaubwürdigkeit nicht unterbleiben, die Erforschung der materiellen Wahrheit durch das Gericht sei verpflichtend. Dabei stehe der Schuldspruch nicht zur Disposition. An die Zusage einer Strafobergrenze sei das Gericht grundsätzlich gebunden, es sei denn es ergeben sich neue, schwerwiegende Umstände zulasten des Angeklagten in der Hauptverhandlung. Um eine schuldangemessene Strafe zu finden, muss das Gericht die allgemeinen Strafzumessungsgesichtpunkte berücksichtigen. Ein im Rahmen der Verständigung abgegebenes Geständnis steht einer strafmildernden Berücksichtigung nicht entgegen. Daneben bestehe das Verbot der Drohung mit einer höheren Strafe und des Versprechens eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils (Sanktionsschere). Eine Rechtsmittelverzichtserklärung vor der Urteilsverkündung sei unzulässig.[29]

 

Der Vorlagebeschluss des 3. Strafsenates des BGH vom 15. Juni 2004[30] führte zu der Entscheidung des Großen Strafsenates des BGH vom 03. März 2005[31] und leitete damit die Legalisierung der Absprachen ein. Der Große Senat bestätigte die Zulässigkeit von Urteilsabsprachen unter Beachtung der vom 4. Strafsenat im Jahre 1997 aufgestellten, soeben genannten Grundsätze. In dieser Entscheidung forderte der Große Senat letztlich den Gesetzgeber dringlich auf, die Absprache endlich zu legalisieren oder diese für unzulässig zu erklären.[32]

 

Die Literatur übte fortwährend Kritik an heimlichen Absprachen im Strafprozess.[33] Gleichwohl konnten Vereinbarungen zwischen Verfahrensbeteiligten während dieses Zeitraums als strafprozessuales „weitgehend akzeptiertes Faktum“[34] angesehen werden.

 

Ein Verbot der Absprachen als Regelungsinhalt einer gesetzlichen Regelung schied von vornherein aus, da „eine – sachgerecht in die Grundsätze des Strafprozesses integrierte – Verständigung als abgesichertes Handlungsmodell in Ansehung der Interessen der am Strafverfahren Beteiligten sachgerecht ist“[35]. Von Seiten der Praxis wird die Verständigung oft als unverzichtbar eingestuft.[36] Aus diesem Bewusstsein heraus handelte der Gesetzgeber entsprechend, da die Verständigung im Strafverfahren, insbesondere in umfangreichen und schwierigen Verfahren nicht mehr wegzudenken ist.[37]

 

Grundlage der gesetzlichen Regelung ist der von der Bundesregierung im März 2009 eingebrachte Gesetzesvorschlag[38].

 

2.4 Ursachen und Entstehungsgründe für...


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