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Die Ära der Facebook-Revolutionen? Ein Blick auf strukturelle Ursachen und die Bedeutung von Social Medias für die tunesische Jasminrevolution 2011

AutorDaniel Kusch
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl77 Seiten
ISBN9783955498740
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Seit den umwälzenden Ereignissen, die im Januar 2011 in Tunesien begannen und als 'arabischer Frühling' populär wurden, erhielt die Forschung über soziale Bewegungen in der Soziologie neuen Auftrieb. Der scheinbar plötzliche, eruptive Aufstand wurde vermehrt im Zusammenhang mit Social Media Plattformen wie Twitter und Facebook in Verbindung gebracht. Gerade in den Populärmedien etablierte sich der Begriff 'Facebook-Revolution'. Doch welche Rolle haben Social Media tatsächlich bei der Umwälzung des Regimes unter Ben Ali gespielt? Innerhalb dieser Abschlussarbeit werden die strukturellen und sozialen Ursachen hinter der sogenannten Jasminrevolution untersucht. Der Darstellung möglicher revolutionstheoretischer Erklärungsrahmen und einer ausführlichen Nachzeichnung des Umbruchs, folgt die Analyse des möglichen Mobilisierungs- und Partizipationspotentials von Social Media. Auf der Basis umfangreicher Quellenarbeit wird sich zeigen, dass Social Media für die aufstrebende, von Deprivationserfahrungen geprägte Mittzwanziger-Generation eine Plattform boten, um ihre desolate Lage zum Ausdruck zu bringen, die einen Schneeballeffekt von Regimeoppositionen in weiten Regionen des Landes nach sich zog.

Daniel Kusch wurde 1987 in Kamen geboren. Nach erfolgreichem Abschluss seines Abiturs 2007 studierte er Soziologie und Sozialpsychologie an der Georg-August Universität in Göttingen. Dieses Studium schloss er 2011 mit überdurchschnittlichem Erfolg als Bac

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 2.2.2, Gruppen- und aggregationspsychologische Ansätze: Ausgeblendet bei Marx war auch die Frage nach dem Mechanismus der kollektives Handeln von Individuen antreibt oder beschleunigt. Marx spricht lediglich von der gemeinsamen Klassenlage, die Akteure teilen und diese so ihrer Lage bewusst werden lässt. Der soziologische Handlungsaspekt, wieso Akteure sich daraus tatsächlich zusammenschließen und revoltieren bleibt aber eher unausgeleuchtet. John Stuart Mill, einer der bedeutendsten Vertreter des Utilitarismus, erklärt Handeln aus einer Interessenskalkulation heraus. Akteure wägen ihre Handlungen also nach größtmöglichem Nutzen ab. Wenn die Möglichkeit besteht, schließen Klassen sich zusammen und handeln aus kollektivem Interesse heraus (Tilly 1978: 24). Laut Max Webers Verständnis sind soziale Bewegungen vor allem an geteilte Ziele und Handlungsnormen gebunden, wobei eine charismatische Autorität die Bereitschaft zur aktiven Teilhabe erhöhen kann. Oppositionelle Kräfte agieren dabei stark unter dem Erleben der Legitimation ihrer eigenen Werte und Weltanschauungen (Tilly 1978: 37-40). Wie am Beispiel der iranischen Revolution 1978/79 zu sehen, können religiöse Werte und Autoritäten, etwa der Klerus als religiöser Führer, einen massiven Einfluss auf die Selbstlegitimation von Kollektivhandlungen haben (Parsa 1989: 8-10). Den wohl wichtigsten gruppenpsychologischen Ansatz stellt die Deprivationstheorie von Ted Robert Gurr dar. Gurr argumentiert auf Basis einer Frustrations-Aggressions-Hypothese: als frustrierend erlebte Zustände können in aggressives (Kollektiv)handeln umschlagen, wobei Revolutionsbestrebungen demnach eine bestimmte Ausprägung von Aggression darstellt und vor allem Destruktion statt Transformation zum Ziel hat (Skocpol 1994: 100ff). Das Erleben relativer Deprivation, also der verhältnismäßigen Benachteiligung, dient hierbei als Triggereffekt für Frustrationen. Bspw. können Verbesserungen der sozialökonomischen Lage, wie bessere Bildung, eine gewisse Erwartungshaltung in großen Teilen der Bevölkerung, aber auch in Eliten, induzieren und auch, wie im Falle der iranischen Revolution, eine neue bürgerliche Mittelklasse entstehen lassen, die bspw. weitere Verbesserungen und politische Partizipation von der Regierung einfordert (Parsa 1989: 3-4). Es tritt also eine relative Verbesserung der Situation zur vorherigen Lage der Bevölkerung ein. Werden diese neuen Erwartungen jedoch nicht befriedigt, oder zeigen sich danach sogar Verschlechterungen, etwa ein hohes Maß an Arbeitslosigkeit durch Bildungsexpansion, entsteht Frustration, die sich in kollektiven Aktionen gegen die Regierung niederschlagen kann (Eisenstadt 2006: 43, Parsa 1989: 4, Skocpol 1994: 100-104). Die relative Deprivationstheorie erklärt kollektives Handeln also unter anderem aus einer starken Diskrepanz zwischen neugewonnenen individuellen Erwartungen und deren tatsächlichen Realisierungsmöglichkeiten heraus (Willems 1997: 23-24). Fraglich ist in dieser Theorie jedoch, gegen wen sich diese kollektiven Aktionen tatsächlich richten. Ist der Staat bzw. die Regierung der wahrgenommene Gegner oder andere soziale Gruppierungen? (Parsa 1989: 5). Dies schließt gleichzeitig mit ein, dass die Konstruierung homogener und zielgerichteter Kollektivakteure auf Grundlage psychologischer Dispositionen sich aggregationsanalytisch als äußerst problematisch erweist; hierbei muss unter anderem die empirische Validität von relativer Deprivation als Prädiktor für politisches Handeln in Frage gestellt werden (Skocpol 1994: 103/104). Auch das Erleben von relativer Deprivation ist nicht vollständig geklärt. Herbert Blumer weist unter anderem darauf hin, dass bspw. der von ehemaligen, traditionalen Landarbeiten wahrgenommene Grad der Industrialisierung im 19. -20. Jhd. jeweils unterschiedlich interpretiert wurde und möglicherweise eher zum Erdulden oder zur Schaffung neuer sozialer Arrangierungsmöglichkeiten habe führen können (Blumer 1960: 8-10ff).
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