In allen Regionen des Bundesgebietes sollen gleichwertige Lebensverhältnisse geschaffen und aufrechterhalten werden (vgl. § 1 Abs. 2 Raumordnungsgesetz[1] (ROG)). Diese Leitvorstellung impliziert eine flächendeckende Sicherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit verbunden die Erbringung von infrastrukturellen Angeboten.[2] Hierzu zählen soziale Infrastruktureinrichtungen, in denen Gesundheitsleistungen bereitgestellt werden.[3] Die Daseinsvorsorge steht gegenwärtig vor allem in ländlichen Regionen vor der Herausforderung, dieses Angebot an die veränderten Gegebenheiten anzupassen. So führt der demografische Wandel in diesen Regionen zu neuen Anforderungen bei der Erbringung einer bedarfsgerechten medizinischen Versorgung.[4] Mit zunehmendem Alter der Einwohner steigt das Krankheitsrisiko an und folglich die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen. Zusätzlich können altersbedingt neue Krankheitsformen auftreten. Um dem insofern steigenden Behandlungsaufwand entsprechen zu können, wird eine höhere Anzahl von Ärzten benötigt.[5] Zusätzlich ist in peripher gelegenen Regionen infolge des Rückgangs der Einwohnerzahlen die Tragfähigkeit der Gesundheitseinrichtungen bedroht.[6] In diesem Kontext gewann in den vergangenen Jahren das Thema Ärztemangel an Bedeutung.[7] Von Institutionen im Gesundheitswesen wird bereits seit einigen Jahren davor gewarnt, dass die Gewährleistung der hausärztlichen Versorgung zukünftig gefährdet ist.[8] Dabei ist die hausärztliche Versorgung aufgrund ihrer Eigenschaften von wesentlicher Bedeutung für die Bevölkerung, da sie die gesundheitliche Primärversorgung darstellt.[9] Bereits seit dem Jahr 2002 beschäftigen sich die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gemeinsam in regelmäßigen Abständen in Untersuchungen mit der Fragestellung: Gehen dem deutschen Gesundheitswesen die Ärzte aus? Insbesondere für die neuen Bundesländer wird aufgrund der Altersstruktur der in diesen Regionen tätigen Hausärzte und dem Nachwuchsmangel ein steigender Handlungsbedarf für diesen Versorgungsbereich festgestellt.[10] Die Bundesärztekammer und KBV resümieren „Die hausärztliche Versorgung in den neuen Bundesländern steht vor dem Kollaps“[11]. Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) eruierte für die östlichen Bundesländer ebenfalls eine erhöhte Anzahl altersbedingter Abgänge in der hausärztlichen Versorgung. Allerdings erwartet das WIdO für die dort gelegenen ländlichen Gebiete gegenüber städtischen Regionen keinen höheren Rückgang. Ferner konstatiert das WIdO, dass keine Anhaltspunkte für einen aktuellen und zukünftigen Ärztemangel bestünden. Die schlechtere Versorgungslage in einzelnen dieser Regionen führt das WIdO auf eine Fehlallokation von Ärzten zurück.[12] Diesen Studien ist gemeinsam, dass die Analyse auf Grundlage einer historisch gewachsenen Bedarfsplanung erfolgte.[13]
Die dargestellten Wandlungsprozesse erfordern eine neue Denkweise sowie eine strukturelle Reform bei der Erbringung von und Versorgung mit medizinischen Leistungen.[14] Der Gesetzgeber hat in den zurückliegenden Jahren verschiedene gesundheitspolitische Reformen verabschiedet, um diesen Herausforderungen zu begegnen.[15] Mit Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes[16] (GSG) im Jahr 1993 wurde die Bedarfsplanung für die ambulante Versorgung reformiert. Das vom Gesetzgeber des GSG verfolgte Ziel des ungehinderten Anstiegs von Ärzten konnte weitestgehend begrenzt werden. Rund 10 Jahre nach Inkrafttreten des GSG trat jedoch mit der zukünftigen Gefährdung der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in strukturdefizitären Regionen eine Veränderung in der ambulanten Versorgung ein, die eine erneute Anpassung der Bedarfsplanung erforderte. Dieser Wandel wurde im Jahr 2003 mit Verabschiedung des Modernisierungsgesetzes in der gesetzlichen Krankenversicherung[17] (GKV-GMG) erstmalig berücksichtigt. Entgegen der seither gesetzgeberisch eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation wird die gegenwärtige Bedarfsplanung den veränderten Rahmenbedingungen, insbesondere in peripher liegenden Regionen, nicht gerecht. Ursächlich ist hierfür, dass mittels der Bedarfsplanung keine Beurteilung der spezifischen Situation vor Ort möglich ist. So existiert in östlichen Bundesländern zunehmend die Situation, dass in einzelnen Regionen, die keine mangelhafte Versorgung vermuten lassen, zukünftig dennoch Versorgungsdefizite bestehen werden. Auch in gut versorgten Planungsgebieten kann infolge schlechter infrastruktureller Bedingungen eine medizinische Versorgung nicht automatisch gewährleistet werden. Hierdurch wird deutlich, dass durch die gegenwärtige Bedarfsplanung keine Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung ermöglicht wird.[18]
Eine repräsentative Befragung, die von der MLP AG in Kooperation mit dem Institut für Demoskopie Allensbach und der Bundesärztekammer im Jahr 2011 durchgeführt wurde, ergab, dass die Bevölkerung mit der gegenwärtigen Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens zufrieden ist.[19] Allerdings wird von der Bevölkerung die zukünftige Entwicklung in der Gesundheitsversorgung pessimistisch betrachtet. So gehen 43% der Befragten davon aus, dass es in Zukunft zu einem Ärztemangel kommen wird.[20] Diese Befürchtungen wurden von Einwohnern aus bevölkerungsschwächeren Gebieten in einem stärkeren Maße geäußert als von Bewohnern aus Großstädten und Ballungsräumen.[21] Von der Ärzteschaft wird die künftige Entwicklung im Gesundheitswesen ebenso kritisch eingeschätzt. So gaben 27% der befragten niedergelassenen Ärzte an, dass es einen bundesweiten Ärztemangel geben wird; 56% nehmen bereits einen Mangel ärztlicher Leistungserbringer wahr.[22] Insbesondere von niedergelassenen Ärzten aus strukturschwachen Regionen wurde ein Ärztemangel in ihrer Region festgestellt. Zudem äußerten diese Mediziner, dass sie von den Auswirkungen des Ärztemangels – der Versorgung einer größeren Anzahl von Patienten – selbst betroffen sind.[23] Zusammenfassend wurde sowohl von der Bevölkerung als auch von der Ärzteschaft die Zukunftsfähigkeit des gegenwärtigen Gesundheitssystems infrage gestellt.[24] Für den Gesetzgeber besteht die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in der[25] „Sicherstellung einer flächendeckenden bedarfsgerechten und wohnortnahen medizinischen Versorgung der Bevölkerung“[26]. Diese ist angesichts der dargestellten Entwicklungen in ländlichen Regionen gefährdet. Zur Verschärfung der Versorgungssituation trägt bei, dass sich in diesen Gebieten weniger Ärzte niederlassen möchten. Damit auch zukünftig die ärztliche Versorgung in diesen Regionen sichergestellt werden kann, bestand für den Gesetzgeber Handlungsbedarf.[27] Am 22. Dezember 2011 wurde das Versorgungsstrukturgesetz[28] (GKV-VStG) verabschiedet. Mit den Neuregelungen im Vertragsarztrecht soll die Situation in dünn besiedelten ländlichen Gebieten verbessert werden, indem zum Beispiel (z. B.) flexiblere Versorgungsmöglichkeiten bereitgestellt werden. Darüber hinaus sollen durch verschiedene Anreizinstrumente gezielte Niederlassungen in strukturdefizitären Regionen gefördert werden. Auch die mit der Bedarfsplanung verbundenen Kritikpunkte werden in der neuen Gesetzgebung aufgegriffen.[29] Die MLP AG ermittelte im Rahmen der Studie, dass von den befragten Ärzten eine breite Zustimmung für einzelne Eckpunkte des GKV-VStG – insbesondere für die vorgesehenen Maßnahmen für ländliche Regionen – ausgeht. Von der Ärzteschaft wird speziell der stärkere regionale Bezug bei der Versorgungsplanung begrüßt. Entgegen dieser positiven Einschätzung wird von den Ärzten darauf hingewiesen, dass die Maßnahmen zwar einen Schritt in die richtige Richtung darstellen, aber nicht genügen werden, um eine flächendeckende Versorgung zu erreichen.[30] An dieser Stelle setzt die vorliegende Masterarbeit an. Sie möchte einen Beitrag bei der Beantwortung der Fragestellung leisten, ob die Maßnahmen des GKV-VStG unter den dargelegten Veränderungen in ländlichen Regionen zu einer adäquaten ärztlichen Versorgung führen können.
In dieser Arbeit wird analysiert, welchen Beitrag das GKV-VStG zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgungssituation in strukturdefizitären Regionen leisten kann.
Um dieses Ziel zu erreichen, werden in Kapitel 2 auf Basis der Literatur spezifische Grundlagen des Vertragsarztrechtes dargestellt, um die Funktionsweise der hausärztlichen Versorgung im System der gesetzlichen Krankenversicherung kennenzulernen und eine Bewertung der verabschiedeten Maßnahmen des GKV-VStG vornehmen zu können. Weiter werden in Kapitel 3 die vergangene und gegenwärtige Entwicklung in der hausärztlichen Versorgung sowie eine Prognose dieser beschrieben. Dies erfolgt, um die Notwendigkeit der Maßnahmen des GKV-VStG für den Untersuchungsraum abschätzen zu können. Um sich mit dem in dieser Arbeit zu behandelndem...