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Die Benachteiligung der Kinder mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem: Der Übergang vom Primar- auf den Sekundarbereich und die Rational Choice Theorie

AutorAndrea Jakop
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl42 Seiten
ISBN9783955495060
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Noch immer bestehen ungleiche Chancen der Bildungsbeteiligung in den deutschen Schulen. Internationale Schulleistungsuntersuchungen wie PISA (Programme for International Student Assessment) und IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) weisen beständig nach, dass Schüler aus weniger privilegierten Verhältnissen sowie Schüler mit Migrationshintergrund an der Bildungsteilhabe benachteiligt sind. Es wird darauf hingewiesen, dass besonders an der unterschiedlichen Verteilung der Schüler auf die verschiedenen Schulformen der Sekundarstufe I, ethnische und soziale Disparitäten in der Bildungsbeteiligung ersichtlich werden, die sich vor allem aufgrund selektiver Übergangsentscheidungen und Schulartwechsel ergeben. So erreichen Kinder mit Migrationshintergrund seltener das Abitur und erwerben deutlich häufiger nur den Hauptschulabschluss oder bleiben zehnmal häufiger ganz ohne Abschluss als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Für den Übertritt spielen jedoch nicht nur die Schülerleistungen am Ende der vierten Klasse eine Rolle, sondern auch nicht-leistungsmäßige Aspekte, wie unterschiedliche Aspirationen und Orientierungen von Eltern und Lehrern. Jene werden teilweise durch die soziale Herkunft beeinflusst, weshalb gleichzeitig von einer sozialen Auslese auf den Sekundarbereich gesprochen werden kann. Dies legt eine vermehrte Beschäftigung mit den Prozessen nahe, die an solchen Knotenpunkten das Wahl- und Übergangsverhalten bestimmen. Die Überlegungen der Wahl von Bildungswegen stellte insbesondere der französische Soziologe Raymond Boudon in den 1970er Jahren an. Er entwickelte die Theorie des rationalen Entscheidungs- oder Wahlverhaltens von Eltern und Lehrern, die sogenannte Rational Choice Theorie. Sie wird seither oft als Grundmodell für die Untersuchung der Ursachen und Mechanismen von Bildungsungleichheit herangezogen, insbesondere am Übergang in die Sekundarstufe I.

Andrea Jakop wurde in München geboren und weist selbst einen Migrationshintergrund der zweiten Generation auf. Ihr Studium der Pädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität München begann die Autorin im Jahre 2009. In einem Seminar, das auch die sogenan

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Textprobe: Kapitel 3, Erklärungsansätze von Bildungsungleichheit und der Beitrag der Rational Choice Theorie: 3.1, Erklärungsansätze von Bildungsungleichheit: Wie in den vorherigen Abschnitten aufgezeigt wurde, hängen die Chancen in der Bildungsbeteiligung nicht nur von der sozialen Herkunft ab, sondern es werden zudem unterschiedliche migrationsspezifische Merkmale der Bildungsungleichheit festgestellt (vgl. Bellin 2009). Müller und Haun definieren Bildungsungleichheit wie folgt: 'Wir verstehen darunter Unterschiede im Bildungsverhalten und in den erzielten Bildungsabschlüssen von Kindern, die in unterschiedlichen sozialen Bedingungen und familiären Kontexten aufwachsen' (Müller & Haun 1994, S. 3). Gefordert wird also eine Chancengleichheit in der Bildungsteilhabe. Im Lexikon der Pädagogik wird diese folgendermaßen beschrieben: 'Das Recht auf gleiche Lebens- und Sozialchancen, zumindest auf gleiche Startchancen im Bildungssystem' (Tenorth & Tippelt 2007, S. 665). In der einschlägigen Literatur werden mehrere Erklärungsversuche für Bildungsbenachteiligung von Migrantenkindern aufgeführt. Prinzipiell lassen sich die Ursachen zum einen auf der Seite des Individuums, zum anderen auf Seiten des Schulsystems mit seinen institutionellen Rahmenbedingungen verorten (vgl. Bellin 2009). Letztere greift der Ansatz der institutionellen Diskriminierung auf, der im organisatorischen Handeln von Institutionen begründet ist und auch den sozialen Kontext mit einschließt. Institutionelle Barrieren beinhalten dabei Strukturen des Bildungssystems, schulpolitische Strategien und Arbeitsweisen der Schule. Die darin eingeschlossenen Entscheidungspraktiken führen demnach zu den Disparitäten im Schulerfolg von bestimmten sozialen Gruppen. Ein Beispiel ist die Überweisung von Schülern mit Migrationshintergrund auf die Sonderschule für Lernbehinderte aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, die entgegen der gesetzlichen Regelungen vollzogen wird (vgl. Gomolla 2006). Des Weiteren sind Kontextmerkmale im Schulalltag relevant, wie etwa Aspekte der Klassenkomposition, d.h. der ethnischen Zusammensetzung der Schülerschaft (vgl. Diefenbach 2007). Auf der Ebene des Individuums ist zunächst die Kulturdefizitthese zu nennen. Sie rückt kulturelle Unterschiede und damit einhergehende herkunftsbedingte Defizite in den Vordergrund, die somit zu schlechteren Ausgangsvoraussetzungen für die Bildungslaufbahn von Kindern aus Einwandererfamilien führen (vgl. Becker 2011). Danach entsprechen Verhaltensweisen, Kenntnisse und Fähigkeiten, über die allochthone Schüler aufgrund ihres kulturellen Erbes verfügen, nicht denen Gleichaltriger ohne Zuwanderungsgeschichte, werden aber im deutschen Schulsystem als 'normal' angesehen und erwartet (vgl. Gogolin 2002). Allerdings wurde diese These bisher nicht empirisch belegt (vgl. Becker 2011). Des Weiteren bedeutsamer ist die Kulturtheorie von Pierre Bourdieu. Er unterscheidet die drei Kapitalarten des sozialen, kulturellen und ökonomischen Kapitals. Diese bezeichnen die akkumulierten Ressourcen von Menschen im Laufe ihres Lebens, sowohl in materieller, als auch in verinnerlichter Form (vgl. Nauck 2011). Während sich erstere Kapitalart auf die Finanzen und jeden weiteren Besitz bezieht, der direkt in Geld umgewandelt werden kann (vgl. Bourdieu 1983), ist unter dem sozialen Kapital ein feststehendes Netzwerk von sämtlichen Beziehungen zu verstehen, die auf Bekanntschaft oder Anerkennung beruhen. Das kulturelle Kapital schließlich beinhaltet Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch kulturelle Güter wie Bücher oder in institutionalisierter Form z.B. Bildungszertifikate (vgl. Nauck 2011). Dabei entscheidet die unterschiedliche Ausstattung mit diesen Ressourcen über die möglichen Investitionen in Bildung. Da Familien mit Migrationshintergrund aber über entscheidende Kapitalien häufig nicht verfügen, die für eine erfolgreiche Bildungskarriere ihrer Kinder nötig wären, zieht dies Unterschiede in den Bildungschancen nach sich (vgl. Kristen & Granato 2007). Bourdieus Ansatz ermöglicht es zwar vorhandene individuelle Ressourcen festzustellen, liefert aber keine Informationen darüber, unter welchen Umständen in einer bestimmten sozialen Situation eine Handlungsalternative priorisiert wird. Ein ähnlicher Ansatz geht von dem sogenannten Humankapital aus, das dem Kulturellen von Bourdieu entspricht, im Vergleich aber weniger Aspekte umfasst. Außerdem wird hier angenommen, dass Eltern mit Migrationshintergrund verglichen mit einheimischen Eltern weniger Investitionen in die Erziehung, Sozialisation und in für die Schule relevante Kenntnisse und Fähigkeiten ihrer Kinder tätigen können, da sie selbst nur über ein geringes Humankapital wie Bildungsabschlüsse und Einkommen verfügen. Dies resultiert in niedrigen Erträgen in Form von Bildungsnachteilen für diese Schüler. Da zudem die Entscheidung über Investitionen in Bildung von den entstehenden Kosten hierfür abhängt, liegt es nahe, dass die Bildungsnachfrage bei Familien aus weniger privilegierten Verhältnissen niedriger ausfällt. Die empirischen Ergebnisse zur Humankapitaltheorie belegen deren Annahmen im Hinblick auf den Übertritt nach der Primarstufe nur teilweise. Bezüglich der Lehrerempfehlungen und den Schulleistungen bleiben nämlich weiterhin Disparitäten zwischen Migrantenkindern und ihren gleichaltrigen Mitschülern ohne Zuwanderungshintergrund bestehen (vgl. Nauck 2011). 3.2, Der Beitrag der Rational-Choice Theorie: In diesem Kapitel wird zunächst der ursprüngliche Ansatz der Rational Choice Theorie in den Blick genommen. Daraufhin werden die in der Folgezeit vorgenommenen Erweiterungen an dem Modell dargestellt. 3.2.1, Der Ansatz von Boudon: Die bildungssoziologische Forschung legt in ihren Untersuchungen zum mangelnden Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund in erster Linie den Schwerpunkt auf die individuellen Merkmale der Schüler und ihres familiären Hintergrundes. Allerdings ist zu erkennen, dass eine solch einseitige Sichtweise von Defiziten der Schüler oder ihres ethnischen und kulturellen Hintergrundes nur eine sehr geringe Erklärungskraft besitzt. Somit müssen auch Ursachen auf Seiten des Bildungssystems berücksichtigt werden (vgl. Diefenbach 2007). Es mangelt allerdings bisher an Studien, die familiäre und institutionelle Faktoren in Verbindung zueinander setzen (vgl. Ditton 2007). Zudem ist die Befundlage speziell zu Prozessen von Bildungsentscheidungen an Übergängen sehr dünn. Eine Kombination dieser Aspekte beinhaltet die Rational Choice Theorie des französischen Soziologen Raymond Boudon. Er geht dabei von den Annahmen der Humankapitaltheorie aus, bezieht dagegen aber auch die Handlungssituation an den Entscheidungsschwellen mit ein (vgl. Bellin 2009). Boudons Gedanken entstanden aus der Kritik an der kulturalistischen Annahme amerikanischer Sozialforscher, die den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten spezifische Wertvorstellungen zuschreiben, aus denen die verschiedenen Bildungsziele resultieren. Danach setzen sich Schüler von Arbeitereltern von Anfang an niedrigere Bildungsabschlüsse als Ziel, als Schüler der Mittelschicht, da für sie ein sicherer Arbeitsplatz und frühes Einkommen wichtiger sind, als persönlichen Interessen nachgehen zu können. Boudon aber stellte fest, dass die Erklärung von ungleichen Bildungschancen der Jugendlichen durch kulturelle Unterschiede unzureichend ist. Er führte dagegen die vom sozioökonomischen Status abhängigen Bildungsentscheidungen der Eltern auf unterschiedliche Kosten und Erträge zurück, die für das Bildungsziel ihrer Kinder auf sie zukommen. Demnach wird diejenige Alternative gewählt, die mit dem höchsten Nutzen verbunden zu sein scheint (vgl. Boudon 1974). Damit betont er die rationale, auf maximalen Nutzen gerichtete Entscheidungsfindung bei der Bildungswahl (vgl. Hopf 2010). Soziale Ungleichheit resultiert also nach Boudon aus den individuellen Bildungsentscheidungen im Rahmen eines institutionellen Umfeldes im Bildungssystem. Diese werden auf Grundlage der Schülerleistungen, der jeweiligen Selektionsmechanismen und des Wertes, den Bildung für die Familie hat, getroffen. Zusätzlich unterscheidet er dazu zwischen primären und sekundären Herkunftseffekten, die den Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Übergangswahl vermitteln (vgl. Maaz & Nagy 2010). Die von der sozialen Herkunft abhängigen Unterschiede in den vorausgesetzten Kompetenzen der Schüler in Form von erbrachten Leistungen, werden als primäre Effekte der Sozialschichtzugehörigkeit beschrieben. Diese ergeben sich vor allem aus dem unterschiedlichen sozialen, kulturellen und ökonomischen Kapital, über das die Familien verfügen. Migrationsspezifisches kulturelles Kapital stellen z.B. Sprachkenntnisse dar. Da Kinder aus niedrigen Verhältnissen und Kinder mit Migrationshintergrund mit weniger Ressourcen ausgestattet sind als Gleichaltrige aus höheren Sozialschichten, weisen sie schlechtere Schulleistungen auf, sogar bereits zu Beginn der Bildungslaufbahn (vgl. Bellin 2009). Die sekundären Herkunftseffekte dagegen repräsentieren Disparitäten, die unabhängig von den Kompetenzen aus einem je nach der sozialen Lage der Familien unterschiedlichen Entscheidungsverhalten und den verschiedenen Bildungsaspirationen der Eltern entstehen. Für die verschiedenen Schichten ist somit derselbe Bildungsabschluss bei gleichen Schulleistungen unterschiedlich gut zu erreichen (vgl. Maaz & Nagy 2010). Die Strukturen des Schulsystems lassen dabei die sekundären Effekte entstehen, insbesondere bezogen auf die Bildungsentscheidung am Übergang von der Grundschule auf die Sekundarstufe I. An den Gelenkstellen in der Bildungslaufbahn akkumulieren sich die Folgen der jeweiligen Entscheidungen und verstärken damit auch die primären Effekte (vgl. Bellin 2009). Sekundäre Effekte sind besonders kritisch zu betrachten, da somit die geforderte leistungsgerechte Verteilung der Schüler ins Schwanken gerät (vgl. Maaz & Nagy 2010).
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