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E-Book

Die Berliner Mauer für die Hosentasche

Was Reiseführer verschweigen

AutorBernd Ingmar Gutberlet
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783104911564
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
30 Jahre Mauerfall: Eine Reise auf den Spuren der Berliner Mauer Den Fall der Berliner Mauer kennt jeder als Ereignis der Weltgeschichte, und Zeitgenossen erinnern sich daran, als wäre es gestern gewesen. Dieser Tag war ein einschneidendes Erlebnis, eine Zäsur. Der Kalte Krieg endete und binnen Jahresfrist war Deutschland wiedervereinigt. Mit »Berliner Mauer für die Hosentasche« begibt sich Bernd Ingmar Gutberlet auf Spurensuche in Berlin. Seit ihrer Errichtung im August 1961 stand die Mauer symbolhaft für die Trennung zweier deutscher Staaten, für unzählige Schicksale und Tragödien. Welche Spuren hat die Mauer dreißig Jahre später hinterlassen? Wo kann man Überbleibsel sehen und erfahren, wie Berlin darunter litt oder sich arrangierte? In gewohnter »Für die Hosentasche«-Manier zeigt uns der Historiker und Berlin-Experte interessante und wissenswerte Fakten auf, die sonst in keinem Reiseführer stehen.

Bernd Ingmar Gutberlet, geboren 1966 in Fulda, ist seit den achtziger Jahren Berliner. Der Historiker hat zahlreiche historische und kulturhistorische Sachbücher sowie Berlin-Stadtführer veröffentlicht. Bei Fischer Taschenbuch erschien zuletzt »Berlin für die Hosentasche - was Reiseführer verschweigen«. Neben seiner publizistischen Tätigkeit arbeitet Bernd Gutberlet seit 2007 auch als Stadtführer in Berlin.

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Leseprobe

Flucht nach Westen 195061


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Die Frage, wie das Schlupfloch Berlin zu stopfen war, war für die DDR-Regierung seither Dauerthema. Bereits im August 1951 informierte der Leiter der Staatlichen Planungskommission Parteichef Ulbricht darüber, dass die Abhängigkeit der DDR von West-Berlin, etwa bei der Energie- oder Wasserversorgung, recht schnell überwunden werden könne. Im Februar 1952 erhielt die Sowjetische Kontrollkommission, die die DDR-Regierung überwachte, einen 10-Punkte-Plan, um die Verbindungen West-Berlins ins Umland zu beschränken. Ein halbes Jahr später startete die DDR den Kampf gegen die Republikflucht. Sie sollte mit Propaganda, geheimdienstlicher Aufklärung und Gegenabwerbung im Westen eingedämmt werden. Im Mai 1952 wurden alle Telefonleitungen zwischen Ost- und West-Berlin gekappt, im Januar 1953 traf es den Straßenbahnverkehr sowie 200 der 277 Zufahrtswege nach West-Berlin. Ulbricht schlug außerdem bereits eine schärfere Teilung Berlins vor, was Moskau im März 1953 ablehnte. Mitte der 50er Jahre entwarf die Volkspolizei »Plan Anton«, nach dem in drei Stufen der Verkehr zwischen Ost- und Westsektoren eingeschränkt werden sollte – Stufe 3 bedeutete die komplette Einstellung des Ost-West-Verkehrs. Im Dezember 1957 wurde die Strafe bei Republikflucht auf drei Jahre erhöht und schon Planung und Vorbereitung sowie Fluchthilfe kriminalisiert. Außerdem wurde Jahre vor dem Mauerbau zweimal gewissermaßen geprobt: Im Oktober 1957 wurde anlässlich der DDR-Währungsreform West-Berlin ganz abgeriegelt und im August/September 1960 zur Einführung neuer Reisekontrollen der innerstädtische Verkehr verschärft überwacht.

Nikita Chruschtschow am 10. November 1958 in einer Rede in Moskau: … ist der Zeitpunkt für die Signatarmächte des Potsdamer Abkommens gekommen, auf die Reste des Besatzungsregimes in Berlin zu verzichten und dadurch die Möglichkeit für die Herstellung normaler Zustände in der Hauptstadt der DDR zu schaffen.

Am 10. November 1958 forderte Stalins Nachfolger Chruschtschow in einer Rede in Moskau das Ende des Viermächtestatus für Berlin und den Abzug der Alliierten, um Berlin zur entmilitarisierten »Freien Stadt« zu machen. Die US-Regierung schloss am 21.11.1958 eine Anerkennung der DDR aus. Am 27. November 1958 stellte die Sowjetunion den Westmächten ein Ultimatum: Kam nicht innerhalb von sechs Monaten ein neues Übereinkommen der vier Siegermächte zu Berlin zustande, würde Moskau einseitig einen Friedensvertrag mit der DDR abschließen und ihr damit volle Souveränität einschließlich der Kontrolle über alle Zufahrtswege nach Berlin zusprechen. Die zweite Berlinkrise hatte begonnen. In den Hauptstädten des Westens begann das Rätselraten, ob dies bloß ein weiterer Nervenkrieg war, wie man ihn aus Moskau bereits kannte, oder ob diesmal mehr dahintersteckte. Wie weit würde Chruschtschow gehen? Es roch nach Krieg, Krieg um den Status Berlins. Nicht besser machte es die Tatsache, dass Frankreich, Großbritannien und die USA durchaus uneins waren, was nun zu tun sei. Waren Verhandlungen mit der Sowjetunion ratsam? Was konnte das Ziel sein? London war zum Einlenken gegenüber Moskau und zur, wenn auch inoffiziellen, Anerkennung der DDR so bereit wie kategorisch dagegen, wegen Berlin einen Krieg zu riskieren. Was die britische Regierung als Pragmatismus verstand, musste die westdeutsche Regierung in Bonn geradezu entsetzen. Bundeskanzler Adenauer war gegen jedes Zugeständnis an Moskau, weil das den Westen schwächte und den Sowjets in die Hände spielte.

US-Außenminister Herter am 27. August 1959: Westdeutschland ist nicht bereit, für eine Berlin-Regelung Opfer zu bringen.

Berlin war der Testfall für die Glaubwürdigkeit und Standfestigkeit westlicher Politik, wie Bundeskanzler Adenauer gegenüber dem britischen Premierminister Macmillan betonte. Heute wissen wir, dass Chruschtschow bluffte und keine militärischen Vorbereitungen für den Kriegsfall traf. Er war sich sicher, selbst die USA würden wegen Berlin keinen Krieg riskieren. Gleichwohl ließ er vorübergehend nördlich von Berlin Atomwaffen stationieren, die noch vor Ablauf des Ultimatums gefechtsbereit waren. Es war ein gefährliches Pokern beider Seiten. Die Westmächte verständigten sich schließlich darauf, gegenüber Moskau nicht nachzugeben, und kalkulierten ihrerseits, auch die Sowjets würden einen Krieg nicht riskieren.

US-Präsident Eisenhower am 19.12.1959: Berlin ist das Symbol westlicher Entschlossenheit.

In der Tat: Das Ultimatum verstrich, ohne dass Moskau eine der angekündigten Maßnahmen ergriff. Stattdessen setzte überraschend eine kurze Tauwetterperiode ein. Am 11. Mai 1959 begann in Genf eine Konferenz der Außenminister unter Beteiligung der beiden deutschen Staaten. Sie blieb zwar ergebnislos, aber Mitte September stattete Chruschtschow den USA einen Besuch ab, der atmosphärisch vielversprechend verlief. Doch die Phase der Entspannung dauerte nur noch bis Mitte 1960 an, als ein Gipfeltreffen der Staatschefs in Paris per Eklat scheiterte. Chruschtschow, der kein Ergebnis nach seinen Vorstellungen erwarten konnte, nahm den Abschuss eines US-Spionageflugzeugs über der Sowjetunion, bei dem der Pilot Francis Gary Powers gefangen genommen wurde, zum Vorwand, das Treffen gleich zu Anfang, am 16. Mai 1960, geräuschvoll platzen zu lassen. Vorher schon, am 9. Mai, hatte er in Moskau erklärt, falls nach dem einseitigen Abschluss eines Friedensvertrags mit der DDR die Westmächte versuchen sollten, mit Waffengewalt nach Berlin vorzudringen, würde man darauf eben mit Gewalt antworten. Alles war wieder beim Alten. Die wiederholte Drohung mit dem Friedensvertrag schwebte wie ein Damoklesschwert über dem prekären Zustand der Ost-West-Beziehungen.

…großes Loch inmitten unserer Republik. DDR-Parteichef Ulbricht über West-Berlin auf einer Sitzung des Warschauer Pakts, 29. März 1961

Nach dem Pariser Paukenschlag fürchteten die Westmächte einen weiteren, denn Chruschtschow flog von Paris direkt nach Ost-Berlin: perfekte Gelegenheit für die immer wieder angekündigte einseitige Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit der DDR. Doch Chruschtschow ließ wissen, er werde abwarten bis zum in Paris vereinbarten erneuten Gipfel 1961, der vielleicht eine allseits akzeptierte Lösung bringe. Deutlich war allerdings für alle Seiten, dass die Positionen noch immer weit auseinanderlagen und dass einseitige Maßnahmen Moskaus zum Krieg führen konnten.

Kriegsgefahr und das Gefühl, dem Kräftemessen der Supermächte ohnmächtig ausgeliefert zu sein, zerrten an den Nerven der Berliner. Man hatte den Eindruck, der internationalen Politik ausgeliefert zu sein, weil sich jede Nachricht unmittelbar auf das eigene Leben auswirken konnte. Während man sich im Ostteil mit Meinungsäußerungen eher zurückhielt, wurde die Nachrichtenlage an den Westberliner Currywurst-Ständen lebhaft diskutiert. Für West-Berlin gab es in den nächsten Monaten eine Vielzahl an Problemen, Nadelstichen und Demütigungen:

 

8. Juli 1960: Chruschtschow droht Friedensvertrag mit der DDR an, falls der Bundestag eine für September in Berlin geplante Sitzung abhalte

 

19. Juli 1960: Ulbricht droht auf einer Pressekonferenz in derselben Angelegenheit

 

August 1960: Die Bundestagssitzung in Berlin wird verschoben. Die Sowjetunion protestiert gegen Berlin als Standort für den Deutschlandfunk

 

4. September 1960: Zum Treffen der...

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