Graue Haare
»Ich wollte komplett von null beginnen, einen neuen Start, nachdem wir mit Argentinien bei der Copa America wieder ein Finale im Elfmeterschießen verloren hatten.«
(Lionel Messi über seine blond gefärbten Haare)
Manche Menschen scheinen einfach Glück zu haben: Rex Gildo, Rod Stewart oder unser – im Vergleich zu den beiden nicht ganz so gewitzte – Altkanzler Schröder zum Beispiel. Wir anderen gucken irgendwann skeptisch in den Spiegel, lassen erste graue Haare mit der Pinzette verschwinden, und uns wird zunehmend klar, dass ein normaler »Bad Hair Day« absolut lächerlich war im Vergleich zu dem, was sich plötzlich da oben unaufhaltsam und rasant vermehrt. (Übrigens: Tageslicht im Bad macht es noch schlimmer.)
Rex Gildo sah bei seinem letzten TV-Auftritt genauso aus wie bei seinem ersten. Was die Haare betrifft. Und auch Rod Stewart und Gerhard Schröder haben eine scheinbar stets unveränderliche, jede auf ihre Art einzigartige jugendliche Matte auf dem Kopf.
Selbst wenn Sie einen der Herren früher belächelt haben, damals, als Sie sich noch nicht vorstellen konnten, wie fluchtartig das Melanin Ihr Haar verlässt und alles an körpereigener Farbe mit sich nimmt, so werden Sie die drei nun für ihr vorausschauendes Handeln bewundern. Natürlich haben sie diesbezüglich nicht mehr Glück als andere, sie haben nur der senioriden Haarpracht ein Schnippchen geschlagen und die Pigmente frühzeitig selbst in die Hand genommen. Rex Gildo und Rod Stewart sahen für mich immer gleich aus, eben weil die beiden nicht lange gezögert haben, sondern die Zeichen der Zeit gleich erkannten. Das damalige deutsche Regierungsoberhaupt hingegen war nicht ganz so pfiffig, er entschied sich erst nach der »Pinzettenphase« gegen die Natur und griff zu einem Produkt, welches das bereits ergraute Haar unauffällig wieder in seinen Anfangszustand versetzen sollte – und das ging leider schief. Die Bürgerinnen und Bürger glaubten nicht an das Wunder der körpereigenen Farbrückkehr und belächelten ihren Kanzler.
Wir Menschen mögen offenbar lieber die ehrliche Fälschung als die vertuschte Wahrheit. Wobei man hier ganz klar zwischen den Geschlechtern unterscheiden muss. Bei Männern wird einfach davon ausgegangen, dass sie alle sein wollen wie George Clooney (der für »hammer-sexy-cooler Typ mit 50« steht wie »Tempo« für Taschentücher) und sich automatisch fühlen wie sein Doppelgänger, sobald sie graue Haare bekommen. Aber das ist Quatsch. Es sieht ja auch nicht jede blonde Frau aus wie Claudia Schiffer. Und wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir das auch. Trotzdem ist es so, dass Männer in unserer Gesellschaft angeblich mit den Jahren an Attraktivität gewinnen, dieses positive Vorurteil auf Frauen aber keine Anwendung findet. Ganz im Gegenteil.
Ich fürchte, kaum ein Mann sieht im Traum eine graue Mähne vor, unter oder über sich lustvoll auf und ab wippen. Solange er sich noch selber die Schuhe zubinden kann, will kein Mann in dieser Liga spielen. Daher also die große Akzeptanz gefärbter Haare bei Frauen. Es ist geradezu ein Muss, um nicht durch alle Beuteschemen zu fallen und als Milf[2] im Fokus zu bleiben.
Sicher gibt es einige beratungsresistente Frauen, die sich im Zuge der inzwischen vollkommen verschwommenen Grenzen der Geschlechterrollen keine Chemie mehr auf den Kopf massieren lassen wollen, sondern selbstbewusst dazu stehen, im Laufe der Zeit zu ergrauen. Das findet (meiner persönlichen Umfrage nach) ausschließlich bei anderen Frauen Zustimmung und zeugt unter ihnen (anscheinend) von Selbstbewusstsein. Doch das ist gefährlich, denn auch wenn wir mittlerweile länger leben, heißt es noch lange nicht, dass das Urwesen des Mannes sich im gleichen Tempo entwickelte und heute die instinktive Partnerwahl zur Erhaltung der Art nicht mehr an gesundes, jugendliches Aussehen gekoppelt ist, dafür aber der ehemals den Großeltern vorbehaltene Look Einzug unter den Brautschleier hält.
Wie auch immer, am wichtigsten ist doch, dass wir uns in unserer Haut wohl fühlen. Und das am besten unabhängig davon, wie die anderen einen sehen. Der altersgerechte Blick in den Spiegel sollte uns gefallen. Wer sich mit grauen Haaren attraktiv findet, hat recht.
Wer aber keine Lust hat, ein halbes Leben ergraut herumzulaufen, aus welchen Gründen auch immer – sei es, um sich dem jugendlichen Team anzupassen, in der Schule nicht als der Opa des eigenen Kindes angesprochen zu werden oder weil die Partnerin es sich wünscht –, der sollte sich keinesfalls scheuen, die Haare zu tönen oder zu färben. Einfach damit er oder sie sich wohler fühlt. Der Körper verändert sich täglich und wir reagieren darauf, indem wir (wie ein Gärtner oder Restaurateur) nachbessern und alle unangenehmen, hässlichen Auswüchse beschneiden, zupfen, feilen, schminken, abhobeln oder was auch immer. Warum sollten wir uns nicht die Haarfarbe gönnen, die wir gerne hätten? Oder die 40 Jahre lang treu unser Begleiter war? Frauen machen das aus oben genannten Gründen schon immer, Männer tun es meist noch heimlich, in der Hoffnung, keiner merkt’s. Warum? Wieso ist für den einen schlecht, was dem anderen guttut? Nehmen wir ein Doppelhaus: Streicht man nur die eine Hälfte, sieht die andere umso verfallener aus.
»Eure Probleme möchte ich haben«, denkt hier zu Recht der Mann mit Glatze … Denn das ist ja noch eine ganz andere Situation. Sobald sich das Kopfhaar aus dem Staub macht und den Blick auf den blanken Schädel freigibt, ist, um es mal ganz plump auszudrücken, die Kacke am Dampfen. In meinen schlimmsten Albträumen fallen mir die Haare aus, und ich erwache schweißgebadet – doch für viele von uns ist das bittere Realität, und zwar nicht erst mit 50. Leider kann man durch einen Blick aus der Vogelperspektive auf den Kopf des eigenen Opas und Vaters eine recht gute Prognose darüber erstellen, ab wann man selber eine Mütze braucht. Ich kenne keinen Mann, der sich nicht Sorgen um die Verweildauer des Haupthaares macht, und wohl dem, der rechtzeitig den Mut zur Transplantation hat, bevor es oben nichts mehr zu verpflanzen gibt. (Wahrscheinlich könnten auch Haare aus kopffernen Körperregionen verpflanzt werden, doch wer hat in unserem Alter noch Bock, mit Brust- oder Schamhaar auf dem Kopf herumzulaufen?) Es lohnt sich also, um jedes einzelne Haar zu kämpfen und es zu pflegen. Dazu werden unzählige Produkte angeboten, welche die verschiedenen Erscheinungsformen des Effluvium capillorum stoppen oder zumindest die Haarflucht verlangsamen sollen. Auch die Hoffnung auf Neuwuchs wird geschürt und von vielen in ihrer Verzweiflung teuer bezahlt. Manche berichten von Erfolgen, andere kapitulieren und entscheiden sich für ein klares Bekenntnis zur Glatze. Bruce Willis hat ebenso wie Meister Proper und Kojak bewiesen, dass dieser radikale Schritt durchaus Ansehen, Erfolg und schöne Frauen nach sich ziehen kann. Umfragen haben es belegt: Wir trauen Glatzköpfen mehr Selbstbewusstsein zu, sie erscheinen uns stärker und zielstrebiger als Männer mit dünnem Haar. Laut einer amerikanischen Studie finden sogar 54 Prozent der Frauen eine Glatze besonders sexy. Angeblich stehen die Abwesenheit von Haupthaar und die Anwesenheit von Testosteron in engem Zusammenhang, woraus der Volksglaube besondere Qualitäten im Bett ableitet, doch das ist leider widerlegt und somit Blödsinn. (Womit 46 Prozent der amerikanischen Frauen weniger Enttäuschungen in der Kiste erleben werden als ihre durch falsche Erwartungen angetörnten Artgenossinnen.) Das Gesetz »Glatze = Hengst« gibt es nicht. Es lassen sich somit ehrlicherweise kaum Vorteile in frühem Haarverlust erkennen. Wohl dem also, der die Chance hat, sein Haar ergrauen zu sehen. Er kann es wachsen lassen oder schneiden, stolz seine Lebenserfahrung im Silber spiegeln oder es nach Herzenslust tönen oder färben.
Will man einen natürlichen Look, sollte man nicht übertreiben und die eigene Hautfarbe als entscheidenden Faktor betrachten. Dunkle Haut und blauschwarze Haare sind eher Südländern vorbehalten, daher sehen einige von uns blassen Deutschen nach dem übereifrigen Färben aus wie ein Playmobilmännchen. Auch die Bartfarbe ist zu bedenken. Wollen Sie den mitfärben? Dann Achtung: Der Ansatz wächst noch schneller raus, und dieser Anblick ist mit das Lächerlichste, was wir Männer so zu bieten haben.
Jeder so, wie er mag. Man kann mit der unmöglichsten Frisur und Färbung Diktator oder amerikanischer Präsident werden. Und auch der furiose Fall eines Starregisseurs hatte mit seiner Haarpracht samt deutlich gefärbtem Bart eindeutig nichts zu tun.
So, jetzt machen wir aber mal Nägel mit Köppen:
Beim Friseur kostet Haarefärben ca. 150 Euro und dauert zwei bis drei Stunden. Für € 5,99 gibt es gute Farbe in der Drogerie, und mit etwas Übung hat man in 30 Minuten einen sehr ähnlichen, wenn nicht sogar besseren Effekt. Es ist kein großer Aufwand und viel einfacher, als uns Fachleute erzählen, vor allem für Männer. Die wenigsten von uns haben schulterlanges Haar, wir wollen keine Highlights (oder Strähnchen), sondern einfach nur nicht den Rest unseres Lebens in Grau rumlaufen. Das können wir noch lange genug.
Ausprobieren?
Der erste Schritt ist der peinlichste (etwa so, wie das erste Mal als Teenager Tampons für die Freundin zu kaufen). In der Drogerie suchen Sie ungefähr dort, wo auch Haarshampoo und Gel stehen, nach den Farben. Lassen Sie sich nicht von den...