Die Energieleitbahnen, auf denen die Lebenskraft Qi durch unseren Körper fließt, können am besten beschrieben werden, wenn man sich die Organe als Städte und die Leitbahnen als Flüsse und Landstraßen vorstellt. Sie verbinden die Städte miteinander und durchfließen und nähren das ganze Land, den Körper, in einer Endlosschleife. Diese Verlaufsbahnen sind festgelegt und bei jedem Menschen in gleicher Weise vorhanden. Ihre Tiefe entsteht unter anderem als Reaktion auf die unmittelbare Umwelt. So nähern sich die Verlaufsbahnen bei warmem Wetter der Hautoberfläche an (nach außen strebende, aktive Yang-Kraft), während sie sich bei kaltem Wetter weiter in das Körperinnere zurückziehen (passive und speichernde Yin-Kraft).
Die Bahnen verbinden die untere und obere, linke und rechte sowie die innere und äußere Ebene des Körpers miteinander. Dies unterstützt den Austausch der feinstofflichen und grobstofflichen Anteile des Körpers untereinander sowie mit der Umwelt. Energetisch sind die Verlaufsbahnen eng miteinander verwoben und einige hochrangige Wissenschaftler vertreten die Meinung, dass sie die elektromagnetischen Prozesse des Körpers steuern. Sind sie blockiert, kann die Lebenskraft Qi nicht richtig fließen und den Körper mit Energie versorgen. Entstehen können solche Blockaden unter anderem durch ungünstige Ernährung, schädigende Emotionen und klimatische Bedingungen. Pickel, Rötungen, Juckreiz, Verfärbungen oder eine Berührungsempfindlichkeit an bestimmten Körperstellen können ein Hinweis darauf sein, dass in der Leitbahn, die an dieser Stelle verläuft, ein Ungleichgewicht vorliegt.
Das Qi kann man sich als grundlegende Energie, als alles durchdringende Lebenskraft vorstellen. Sie wirkt allgegenwärtig auf fein- und grobstofflicher Ebene, schwingt in unterschiedlichen Frequenzen und wird daher auch in unterschiedliche Qi-Arten unterteilt. Um Gesundheit und Vitalität zu stärken, sollte man stets darauf achten, das sogenannte nachgeburtliche Qi aufzuladen. Reichert man es durch Bewegungsformen wie Qigong, förderliche Atmung und die richtige Ernährung an, wird wesentlich weniger von dem sogenannten vorgeburtlichen Yuan Qi verbraucht, dessen Stärke unter anderem unsere Lebenserwartung und -qualität bestimmt.
Man unterscheidet zwölf Hauptmeridiane mit kleineren Abzweigungen, die symmetrisch im Körper verlaufen und denen die zwölf wichtigsten Organe zugeordnet sind. Diese bilden ihrerseits sogenannte Organpaare, die in der traditionellen Medizin zusammen diagnostiziert und als Einheit behandelt werden.
Yin und Yang benötigen einander, um sich auszugleichen. So wirken sich die sogenannten Yang-Organe jeweils unterstützend auf die Yin-Organe aus. Die Yin-Organe (Zang), auch Speicherorgane genannt, sind Herz, Lunge, Leber, Niere, Milz und Perikard. Zu den Yang-Organen (Fu) zählen Dünndarm, Dickdarm, Gallenblase, Blase, Magen und Dreifach-Erwärmer. Bei den Akupunkturpunkten handelt es sich um kleine Energietore beziehungsweise Punkte auf den Meridianen, über die auf den Körper eingewirkt werden kann.
Auch Meridiane, die hier nicht ausführlich vorgestellt werden, können der (Frauen-)Gesundheit dienen. Hierzu gehört beispielsweise das Yin-Fersen-Gefäß, welches die Fortpflanzung beeinflusst und bei Myomen unterstützen kann. Leider würde es den Umfang des Buches sprengen, auf alle Meridiane einzugehen. Daher beschränke ich mich im Folgenden auf eine Auswahl der Meridiane, die für die Frauengesundheit und die verbreitetsten Beschwerdebilder am wichtigsten sind. In die vorgestellten Übungen des Qigong für Frauen werden jedoch auch die Meridiane, die in diesem Kapitel nicht vorgestellt werden, mit eingebunden und gestärkt, so beispielsweise das erwähnte Yin-Fersen-Gefäß beim Meridianklopfen.
NIERENMERIDIAN (YIN-ENERGIE, WASSER-ELEMENT)
Der Nierenmeridian wird dem Element Wasser zugeordnet, das die Fähigkeit hat, alles in sich aufzunehmen und zu speichern. Er speichert Lebenskraft (insbesondere das sogenannte vorgeburtliche Yuan Qi), nährt Knochen, Mark und Gehirn und ist vor allem für den Bereich der Fortpflanzung (Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Empfängnis) und die Sexualfunktionen entscheidend.
Er sorgt für die Wachstumsfähigkeit (beispielsweise die Zellbildung) und Temperaturregelung des Körpers und dient als Speicher derjenigen Essenz, die die materielle Basis für die Bildung des Menstruationsblutes darstellt. Einige Daoisten sind der Meinung, dass es sich bei Menstruationsblut nicht um normales Blut, sondern um sogenanntes Tian Gui (himmlisches Wasser) handelt, welches der Niere entspringt. Daher sei die Niere eines der wichtigsten Organe für das Menstruationsblut. Sie regiere den Uterus und man könne unter anderem über die sogenannte Pulsdiagnose an ihrem Zustand erkennen, ob eine Schwangerschaft besteht oder Wehen bevorstehen, wie Wang Shu-he, ein Arzt aus der Jin-Dynastie, schreibt.
Weiters ist der Nierenmeridian wichtig für Konzentration, Vitalität, Widerstandsfähigkeit, Willenskraft und Durchhaltevermögen.
Symptome wie Schatten, Verfärbungen und/oder Gewebequellungen unter den Augen, Ohrenbeschwerden, Antriebs- oder Kraftlosigkeit, weißer Ausfluss, Ängstlichkeit, Unfruchtbarkeit, Neigung zur Fehlgeburten, Wachstumsstörungen, Kälte- oder Lärmempfindlichkeit, Müdigkeit, Lendenschmerzen, Libido- oder Hormonstörungen, Ödeme, morgendliche Kraftlosigkeit in den Fingern, schmerzhafte Fußsohlen, Haarausfall oder Graufärbung der Haare können auf einen Energiemangel im Nierenmeridian hindeuten. Auf psychischer Ebene kann er sich in der Tendenz zu zwanghaftem Arbeiten und Überreaktionen sowie der Neigung, sich durch Überarbeitung in einen starken Erschöpfungszustand zu bringen, zeigen. Der Nierenmeridian wird unter anderem durch dauerhaften Drogenkonsum, schwere Erkrankungen oder Traumata, langfristig bestehende Angst- oder Hungerzustände, starken Blutverlust, Vitaminmangel und eine exzessive Lebensweise in Form von Dauerstress, Schlafmangel, Dauerlärm, ausschweifender Sexualität und einem unregelmäßigen Lebensstil geschwächt.
Im Mingmen, dem vierten Punkt des Dumai-Meridians, wird Nierenenergie gespeichert. Er kann bei einem Energieungleichgewicht sowohl einen Zustand der Leere als auch der Fülle aufweisen. Bei Leere wird das Wärmen des Uterus behindert, was zu Unfruchtbarkeit, Regelschmerzen oder mangelnder Libido führen kann. Symptome für eine Fülle sind neben Unfruchtbarkeit eine zu starke Blutung oder eine Neigung zu Fehlgeburten.
Liegt ein Mangel an Nieren-Yin vor, wird der Menstruationszyklus kürzer. Liegt ein Mangel an Nieren-Yang vor, kann dies zu einem verspäteten Eisprung führen, wodurch sich der Zyklus verlängert.
Der Nierenmeridian sollte bei schweren Erkrankungen, schwierigen und herausfordernden Lebensphasen und bei unerfülltem Kinderwunsch gestärkt werden. Seien Sie jedoch während der Schwangerschaft vorsichtig und halten Sie Rücksprache mit Ihrem Arzt oder Therapeuten.
Unterstützende Akupunkturpunkte des Nierenmeridians sind unter anderem:
•Niere 9: bei drohender Fehlgeburt sowie allgemein für das Halten von Yin
•Niere 12*: bei vaginalem Ausfluss, unregelmäßigem Zyklus, Regelschmerzen, Gebärmuttervorfall, unerfülltem Kinderwunsch
•Niere 13*: bei weißem Ausfluss, Zyklusunregelmäßigkeiten, Kälte der Gebärmutter, unterstützend für Renmai und Chongmai, stärkt Nierenenergie
•Niere 14*: bei unregelmäßiger Menstruation, Unterbauchschmerzen, unerfülltem Kinderwunsch, Metrorrhagie
•Niere 16*: bei unregelmäßigem Zyklus, Regelschmerzen
•Niere 18*: fördert Empfängnis
•Niere 19*: bei unerfülltem Kinderwunsch, Wechseljahresbeschwerden
•Die Punkte Niere 11 bis Niere 21 fördern zudem die Uteruskontraktion nach einer Entbindung, sodass Blutungen kontrolliert werden können (* siehe Abbildung zum Chongmai-Meridian).
LEBERMERIDIAN (YIN-ENERGIE, HOLZ-ELEMENT)
Der Lebermeridian liefert und bewegt das Blut über das Qi, sodass die Menstruation eintreten kann. Er ist damit für einen guten Blutfluss zuständig. Ist der Lebermeridian blockiert, treten Symptome wie eine schmerzhafte Periode oder Zyklusunregelmäßigkeiten auf. Er liefert (in Zusammenarbeit mit dem Chongmai) Blut an den Uterus, welcher das von der Leber gelieferte Blut speichert.
Wenn Sie unter anhaltender Belastung stehen, sollten Sie unbedingt die Leber, den sogenannten »General der Organe«, stärken, da sie in solchen Fällen bis zu 30 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit einbüßt. Zu viel Fernsehen oder lange Bildschirmarbeit schwächen die Leberenergie ebenfalls. Gleiches geschieht, wenn die Selbstverwirklichung und der persönliche kreative Ausdruck nach außen gehemmt wird oder wenn zu viel Östrogen produziert wird.
Symptome für ein Energieungleichgewicht der Leber bei einem Yang-Überschuss können auf körperlicher Ebene gerötete Augen, Kopfschmerzen im Scheitelbereich, unregelmäßige oder schmerzhafte Monatsblutungen, Gereiztheit, Ziehen in den Brüsten oder prämenstruelle Symptome sein. Auf emotionaler Ebene kann es zu Depression, Ungeduld, Gereiztheit, Ärger oder Zorn sowie einem explosionsartigen Freisetzen von Emotionen kommen.
Liegt ein Yin-Überschuss vor, können Symptome wie morgendliche Müdigkeit trotz ausreichenden Schlafs und ein niedriger Blutdruck auftreten.
Dunkle, klumpige Blutungen sind meist ein Zeichen für eine Leber-Blut-Stagnation. Das Blut neigt in diesem Fall dazu, im Uterus zu stagnieren. Durch...