Nachdem nicht nur der Vorplatz des Alten Museums, sondern auch die Sammlungen der Insel zur Zeit des Nationalsozialismus als Kulisse für Propagandaveranstaltungen des Regimes benutzt und die Bauten der Museumsinsel im Zweiten Weltkrieg von Bomben und Granaten zu 80 Prozent in ihrer Substanz zerstört worden waren[275] – wobei viele der in Kellern, Bunkern, Bergwerken, Schlössern und Flaktürmen aufbewahrten Kunstwerke entweder gerettet oder gestohlen, beziehungsweise zerstört wurden – waren in museologischer Hinsicht die 50er Jahre in der Bundesrepublik von Restaurierung und Wiederaufbau[276], sowie der Kasseler documenta als erstes Beispiel für professionelles Ausstellungsmanagement geprägt. In den 60ern fand einhergehend mit der Bildungsreform eine Museumsreform statt. Junge Kunsthistoriker, Volkskundler und Historiker der Generation der 68er forderten die Umwandlung des Museums vom Musentempel zum Lernort,[277] wobei vor allem in den 70ern die legendäre Diskussion um die beiden sich inhaltlich (anscheinend) einander ausschließenden Orte mit dem Ziel weitergeführt wurde, gemäß Lichtwarks Credo die „Kunst für alle“ zu ermöglichen. Dies bedeutete, dass sich die Ausstellungen in den Sammlungen nicht länger nur an die als „Connoisseurs“ geltende kleine Gruppe von Stammkunden richten sollte. Die in den 70ern von der Museumspädagogik und -didaktik überdachte Art der musealen Inszenierung zwecks „Demokratisierung“ der Zugänglichkeit musealer Inhalte, führte in den 80ern zu einem Ausstellungsboom.[278] Der damit einhergehende Kulturtourismus[279] führte jedoch vor Augen, dass durch den Abbau der „Schwellenangst“[280] nun auch Besuchergruppen in die Kunstausstellungen strömten, die vielfach nicht die notwendige Vorbildung besaßen, um museale Inhalte und ihre Zusammenhänge zu begreifen. Dieser Entwicklung wollte man in der Folgezeit zugleich entgegenwirken als auch gerecht werden. Die paradoxe Aufgabe wurde gelöst, indem zum Einen auf den Einsatz interaktiver Medien zurückgegriffen wurde, denen eine optimale Vermittlungskompetenz zugeschrieben wird[281], und zum Anderen auf die Ansprüche der breiten Besucherschaft eingegangen wurde, freizeitspezifische Angebote im musealen Rahmen zu stärken.[282]
Die Entwicklung der heutigen museologischen Praktiken wurde also maßgeblich von der 68er-Generation ins Rollen gebracht. Man wollte der Auffassung entgegen wirken, das Museum sei eine „verstaubte“, menschenleere Flüsterhalle und statt dessen den Bildungsauftrag des Museums wieder einfordern, beziehungsweise wurde der Bildungswert der musealen Landschaft in Frage gestellt und die Umstrukturierung zu einer bildungsbürgerlichen Institution gefordert.
Letztendlich wurde in das Museumswesen investiert, es reformiert und auch die Besucherschaft legte mehr und mehr ihre „Schwellenangst“ ab. Jedoch hielt diese Entwicklung nur bis zu den 90er Jahren an. Darauf ließen erneut die Besucherzahlen nach. Aber das Marketingpotential von Museen war entdeckt und wurde anhand spektakulärer Bauten weiter gefördert.
Den Impuls für Renovierungsarbeiten, Um- oder eben Neubauten von Museen im Zuge des so genannten Museumsbooms gab das Pariser Centre Georges Pompidou (Renzo Piano und Richard Rogers, 1977), dessen Fertigstellung auch den Louvre „beflügelte“[283], sich in neuem Gewand zu präsentieren (Ieoh Ming Pei, 1993 abgeschlossen).[284] Interessant ist hierbei, dass entgegen den bis dahin gültigen Aspekten eines Museumsbaus des Centre Pompidou ohne Pathosformesel auskommt[285] – seit dem Museumsbau der Guggenheim in Bilbao von Frank O. Gehry (1997) ist man sich der Emanzipation der Museumsarchitektur bewusst, beziehungsweise hat sich diese durchgesetzt. Im Zuge des Gehry-Baus spricht man aber nicht nur deswegen vom so genannten Bilbao-Effekt, sondern spätestens seit diesem Zeitpunkt haben Städte den Marketingfaktor repräsentativer Museumsbauten entdeckt. Im Fall von Bilbao hat sich erwiesen, dass ein Museum nicht nur einem Stadtteil, sondern auch einer ganzen Stadt oder Region als Katalysator des ökonomischen Aufschwungs dienen kann.[286]
Inzwischen gilt das Museum als eine der subtilsten und zugleich erstrebenswertesten Bau-aufgaben, da es signalhaft die Stadt repräsentiert, bzw. kann sich diese über das Museum identifizieren.[287] Ein Bürohauskomplex wie der von Sir Norman Foster in London für die britische Hauptverwaltung der Swiss Re („Gherkin“, 2004) ist zwar ebenfalls ein herausragendes architektonisches Werk, jedoch fehlt ihm der signifikante Inhalt, den ein Museum bieten kann.
Der Bilbao-Effekt umschreibt, dass den Bauherren bewusst geworden ist, wie effektiv ein repräsentativer Museumsbau sein kann: er ruft verstärktes öffentliches Interesse hervor, und zwar nicht nur das Museum selbst betreffend, sondern auch und vor allem für das urbane Umfeld.
Diese Entwicklung lässt den eigentlichen Sinn, der mit Präsentation von Kunst einhergeht, vermissen. Es wird bisweilen bemängelt, dass die „Ikonizität der Gebäude“[288] den Artefakten den Rang abläuft und zur eigentlichen Attraktion generiert.[289]
Kritik an dieser Strategie der architektonischen Dominanz übte bereits 1984 Markus Lüpertz indem er feststellte: „Die Architektur sollte die Größe besitzen, sich selbst so zu präsentieren, dass die Kunst in ihr möglich wird, daß die Kunst nicht durch den Eigenanspruch der Architektur, Kunst zu sein, vertrieben wird und ohne – was noch schlimmer ist – , daß die Kunst von der Architektur als ‘Dekoration’ ausgebeutet wird.“[290]
Eine komplementäre Meinung vertritt Peter Eisenmann indem er konstatiert, dass „Architektur die Kunst herausfordern [sollte].“ Es gelte, das „Verständnis von Architektur als dienender Profession [zu] verdrängen,“[291] wohingegen Georg Baselitz sich wiederum gegen eine Dominanz von Architektur gegenüber der Kunst ausspricht und für eine neutrale Museumsarchitektur plädiert.[292]
Dass es jedoch nicht möglich sei, eine vollkommen neutrale, „demokratische“ Architektur zu schaffen, zeigt Brian O´Doherty in seiner Schrift „Inside the White Cube“[293] dessen Kernaussage verdeutlicht, dass ein Gebäude immer etwas bedeutet, gerade wenn es behauptet, nichts zu bedeuten – es gibt folglich keinen absolut neutralen Raum, nichts kann rein objektiv sein, wie so mancher gerne den Rahmen für Kunst sehen würde.
Letztendlich sollte Museumsarchitektur im Dialog zwischen Architektur, Kunst und Benutzer funktionieren. So konstatiert auch Willibald Sauerländer, dass die Zukunft des Museums darin liege, ein „komplexer Raum für neue, bleibende Erfahrungen und nicht nur für opulente Kurzschlüsse“[294] zu sein. Architektur muss dabei nicht zwangsläufig neutral und objektiv sein. Sie kann den Besucher auch subtil durch die Sammlung leiten.[295] Gottfried Knapp stellte – an dieser Stelle – abschließend fest, dass bei der „alten Bauaufgabe Kunstmuseum die post-bilbaotischen Formeskapaden der Architekten also nur wenige interessante Lösungen erbracht“[296] haben was Präsentation von Kunst betrifft. Er geht sogar so weit und konstatiert, dass die Kunstmuseen der letzten Jahre was ihre Architektur betrifft ihre „formalen und funktionalen Spielmöglichkeiten derzeit weitgehend ausgereizt“[297] haben.
Das Bild, wie es sich in der modernen Museumsarchitektur darstellt[298], ist also durchaus kontrovers diskutiert, wobei sich eine gewisse Endzeitstimmung ausbreitet.[299] Ein im Kontext dieser Arbeit interessanter Aspekt ist dabei, das der Boom der Museumsneubauten vorrangig für die Ausstellung von Werken moderner und zeitgenössischer Kunst eintritt, es sich bei der Museumsinsel aber um ein Ensemble historischen und auch im Sinne dieser zu rekonstruierenden Bauten handelt. Es wurde dennoch ein Überblick über die derzeitigen Museumsbauten und den damit einhergehenden Äußerungen geboten, da sich hinter und neben den historischen Fassaden der Museumsinsel nicht nur modernste Technik, sondern auch ein den aktuellen und zukünftigen Besucherstrukturen angepasstes Präsentations- und Servicekonzept verbirgt.
Im Folgenden liegt bei der Wiedergabe des Masterplans Museumsinsel das Hauptaugenmerk auf der Fragestellung, inwiefern ein musealer Bildungsauftrag mittels der Architektur erfolgt. Es soll sich dabei klären, ob dem Bildungsauftrag aufgrund der Möglichkeit, auf der Archäologischen Promenade zu flanieren oder den an den Highlights der Sammlung vorbei führenden Rundgang zu besuchen, entgegen gewirkt wird, oder ob (beziehungsweise inwiefern) den als populistisch eingestuften Ausstellungskonzeptionen in Bezug auf die Erfüllung des Bildungsauftrages auch Positives abverlangt werden kann.
Wie im ersten Teil aufgezeigt wurde, ist Bildung aus der humanistisch-aufklärerischen Tradition kommend, nicht nur ein...