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Die Braugerste
1.1 Allgemeines
Gerste zählt mit zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt. Sie wird der Familie der Gräser zugeordnet (Hordeum vulgare).
An der Blüte, von der an der reifen Frucht nur noch wenige Reste vorhanden sind, werden u. a. folgende, um eine Spindel gruppierte Teile unterschieden:
- a) Der Fruchtknoten: zwei federförmige Narben, die den Blütenstaub zur Befruchtung aufnehmen; in jeder Gerstenblüte befinden sich 3 Staubgefäße, die Blütenstaub oder Pollen erzeugen.
- b) Zwei kleine Schüppchen an der Basis des Fruchtknotens, die bei anderen Blüten der Blütenhülle (Perigon) entsprechen.
- c) Zwei Hochblätter (Spelzen), die ursprünglich lose um den Fruchtknoten liegen, mit ihm aber verwachsen, sobald er sich durch die (Selbst-)Befruchtung vergrößert. Sie sind zu unterteilen in die innere (auch hintere oder obere) Spelze und in die äußere (untere oder vordere) Spelze, die auch die Grannen trägt. Gersten, bei denen die Spelzen nicht mit der Frucht verwachsen, werden Nacktgersten genannt.
- d) Die rückgebildeten Hüllenspelzen: zwei kleine, schmale spitzige Blättchen, von borstenartiger Beschaffenheit an der Basis der unteren Spelze. Sie bleiben an der inneren Spindel und sind daher am gedroschenen Korn nicht mehr erkennbar.
- e) Die Basalborste, ein kleiner Teil der Ährenspindel, die sich an der Basis der Frucht findet.
Je nach der Verteilung der Blüten und Ährchen lassen sich mehrzeilige und zweizeilige Gersten unterscheiden:
Die mehrzeilige Gerste besitzt auf jedem Ährchenabsatz drei Blüten, so dass um die Ährenspindel sechs Blüten angeordnet sind. Die Ähre zeigt damit sechs Körnerreihen um die Achse.
Die zweizeilige Gerste (Hordeum distichon) ist aus der mehrzeiligen dadurch hervorgegangen, dass von den drei auf einer Seite der Ährenspindel gelegenen Blüten nur eine, und zwar die mittlere, zur Entwicklung kommt. Es sind daher längs der Spindel nur zwei Körnerreihen vorhanden, die der zweizeiligen Gerste ihren Namen geben.
Die mehrzeilige Gerste kann, je nach der Länge des Spindelglieds eingeteilt werden:
- 1) In einen lockerährigen Typ mit einer Spindelgliedlänge über 2,8 mm, dessen Ähren vom Rücken her zusammengedrückt sind und dessen Mittelkörper eng an der Spindel anliegen und senkrecht übereinanderstehen. Die Seitenkörner dagegen stehen etwas von der Ährenspindel ab und sind etwas verschoben übereinander angeordnet. Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint die Ähre vierzeilig, obwohl an jeder Spindelstufe drei Ährchen stehen [1].
- 2) In einen dichtährigen Typ (Spindelgliedlänge unter 2,1 mm), bei dem die Körner des Drillings gleichmäßig ausgebildet sind und die Ähre einem regelmäßig gebauten 6strahligen Stern gleicht. Die Körner stehen in den Zeilen senkrecht und schnurgerade übereinander. Es ergibt sich der Eindruck einer sechszeiligen Gerste.
Nur das Mittelkorn erhält infolge seiner bevorzugten Stellung in der Ähre eine symmetrische Ausbildung. Die Seitenkörner erfahren dagegen durch das raschere Wachsen des Mittelkorns einen Druck, der ein langsameres, die Form beeinflussendes Wachstum zur Folge hat. Die Seitenkörner werden durch die krumm verlaufende Furche in zwei unsymmetrische Hälften geteilt und deshalb auch als „Krummschnäbel“ bezeichnet.
Gerstenproben, in denen sich solche Krummschnäbel finden, stammen aus einer mehrzeiligen Gerste oder wurden mit einer solchen vermischt. Nachdem die Krummschnäbel schwächer sind als die Mittelkörner, weisen diese Gersten ein niedrigeres Hektolitergewicht auf. Für die Bedürfnisse europäischer Braumalze sind mehrzeilige Gersten weniger gut geeignet, da die Seitenkörner eine raschere Wasseraufnahme beim Weichen und damit ein anderes Keimbild zeigen als die Mittelkörner. Ungleiches Keimgut und ungleiches Darrmalz ist die unvermeidliche Folge. In überseeischen Ländern werden eiweiß- und enzymreichere mehrzeilige Gersten zu Malzen verarbeitet, die als Zusatz zu rohfruchthaltigen Maischen Verwendung finden.
Die mehrzeiligen Gersten werden häufig als Wintergersten angebaut.
Die zweizeilige Gerste ist die eigentliche Braugerste. Sie wird hauptsächlich als Sommergerste kultiviert, während sich die zweizeilige Wintergerste noch nicht im gleichen Maße durchsetzen konnte.
Die flache Ähre der zweizeiligen Gerste zeigt eine völlig symmetrische Form sämtlicher Körner.
Die zweizeilige Gerste wird wiederum in zwei große Hauptgruppen unterteilt.
- 1) Die nickende Gerste: Die Ähre ist lang, schmal und hängt während der Reife. Die einzelnen Körner liegen nicht dicht, sondern locker aneinander.
- 2) Die aufrechtstehende Gerste: Die Ähre ist dicht, breit und steht während der Reifezeit in der Regel aufrecht, die einzelnen Körner liegen eng aneinander.
Zur Charakterisierung der heute fast ausschließlich angebauten nickenden Gersten dienen folgende morphologische Merkmale:
- a) Die Behaarung der Basalborsten mit langen geraden (Typ A) oder mit kurzen gekräuselten Haaren (Typ C);
- b) die Seitennerven des Rückenspelzes können teils glatt, teils mit einzelnen Zähnchen versehen sein, deren Zahl, Größe und Konstanz je nach Sorte wechselt;
- c) die Behaarung der Bauchfurche;
- d) die Schüppchen unterscheiden sich je nach Größe, Form und Behaarung nach den einzelnen Sorten (Abb. 1.1).
Diese Merkmale, evtl. ergänzt durch das jeweils unterschiedliche Verhalten der einzelnen Sorten gegenüber dem Schädlingsbekämpfungsmittel DDT (Dichlor-Diphenyl-Trichloräthan) ermöglichten bis anfangs der 1980er Jahre eine Identifizierung von Sorten [2, 3].
Die große Zahl an Neuzüchtungen und deren Verwandtschaft untereinander erfordert jedoch besser differenzierende, genauere Methoden zur Unterscheidung der Braugerstensorten.
Im Bereich der Europäischen Union wird heutzutage fast ausschließlich die nickende, lockerährige zweizeilige Gerste angebaut; es dominiert hierbei der Typ A (Basalborste mit langen, geraden Haaren, keine oder nur geringe Zahnung der Seitenrückennerven).
Als neue Methoden für die Sortendifferenzierung haben sich eingeführt:
- a) Die Gel-Elektrophorese der alkohollöslichen Proteinfraktion (Hordein, s. Abschnitt 1.4.3.4), die eine Einzelkornanalyse ermöglicht [4, 5, 6]. Dabei finden sowohl sauere als auch alkalische Gele Anwendung [6].
- b) Die Aleuronfärbung als Ergänzung der vorerwähnten Elektrophoreseschritte [6].
- c) Die immunchemische Bestimmung eines Antigens, das für eine Gruppe speziell von Wintergersten spezifisch ist [7].
- d) Bei der Polymerase Chain-Reaction (PCR) werden definierte Abschnitte aus der DNA eines Getreidekorns, die z. B. für ein bestimmtes Enzym codieren, nach entsprechender Amplifizierung elektrophoretisch aufgetrennt. Hierbei ergeben sich sortenspezifische Banden. Eine weitere Differenzierung derselben ist in einem zweiten Schritt mit Hilfe von Restriktionsenzymen möglich [8]. Der Vorteil der DNA-Bestimmung mittels PCR ist, dass sich hier Veränderungen durch den Mälzungsprozeß nicht auswirken [9].
Zur Unterscheidung und Kennzeichnung der Gersten wurde in früheren Jahren ihre Herkunft herangezogen, da sich gerade die aus einem milden Klima stammenden und unter günstigen Witterungsverhältnissen aufgewachsenen und geernteten Gersten für Brauzwecke gut geeignet erwiesen und eine gleichmäßige, wünschenswerte Auflösung vermittelten. Für diese Gegenden waren jeweils bestimmte „Landgersten“ typisch, die aber letztlich Gemische von biologisch recht verschiedenen Formen darstellten. Sie unterschieden sich im Pflanzen- und Ährenwuchs, ja sogar in der Reife. Sie wurden im Laufe der Jahrzehnte durch neugezüchtete Gerstensorten ersetzt, die heute für den Braugerstenanbau und den Markt bestimmend sind.
Dennoch ist neben der Sorte auch die Herkunft von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die sortenbedingten Eigenschaften der Gerste werden nämlich alle mehr oder weniger auch von den umweltbedingten Gegebenheiten wie Bodenverhältnisse, Klima, Düngung usw. mit beeinflußt. So vermögen oftmals charakteristische Gerstensorten eines bestimmten Landes in einem anderen Gebiet ihre günstigen Eigenschaften nicht bzw. nicht voll zu entfalten. Die Vegetationszeit und das Klima während derselben spielen eine bedeutsame Rolle für den Eiweißgehalt, die Mehlkörperstruktur, das Enzymbildungsvermögen, kurz, die spätere Qualität und die Verarbeitungsfähigkeit der Gersten. Die Witterung bei Abreife und Ernte bestimmen die Keimfreudigkeit des Gutes.
Abb. 1.1 Äußere Merkmale von Braugersten.
1.2 Gerstenanbau
1.2.1 Die Entwicklung der Gerste
Die Aussaat der Gerste soll in Abhängigkeit von Klima und Boden möglichst früh erfolgen (in Deutschland Mitte bis Ende März), da hierdurch die...