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Die Bilanz

Eine wirtschaftliche Analyse der Deutschen Einheit

AutorKarl-Heinz Paqué
VerlagCarl Hanser Fachbuchverlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783446421967
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR

Ist die Deutsche Einheit gescheitert? 20 Jahre nach dem Fall der Mauer wird diese Frage vielerorts mit Ja beantwortet, und zwar vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Seit Jahren ist zu lesen: Die ostdeutsche Wirtschaft stagniert, die Bevölkerung schrumpft, das Steuergeld fließt in Fässer ohne Boden. In dieser Diskussion stecken politischer Zündstoff und menschliche Emotionen. Immerhin geht es um eines der größten Projekte der deutschen Geschichte. Der Autor liefert eine Zwischenbilanz der Deutschen Einheit. Er blickt zurück und nach vorn: von Mauerfall, Währungsunion und Treuhandanstalt über Wirtschaftsförderung, Bauboom und Sozialpolitik bis hin zum Entstehen von Industriekernen und verlängerten Werkbänken. Seine Diagnose lautet: Nicht das Erreichte ist enttäuschend, sondern die Erwartungen waren viel zu hoch. Denn vierzig Jahre Abschottung vom Weltmarkt haben tiefe wirtschaftliche Spuren hinterlassen, in Ostdeutschland und in Mitteleuropa. Die Folgen zu überwinden braucht Zeit. Es geht um die schrittweise Rückkehr der industriellen Innovationskraft in einem globalisierten Wettbewerb. Ein Buch für alle politisch-wirtschaftlich Interessierte.

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Leseprobe
1 Schwieriges Erbe (S. 1)

1.1 Der große Irrtum

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Damit begann das schnelle Ende der deutschen Teilung. nur noch wenige Monate bestand sie fort: wirtschaftlich bis zur Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990, politisch bis zur deutschen Vereinigung am 3. Oktober desselben Jahres.

Vier Dekaden lang hatte die Teilung überdauert, fast drei davon – seit dem Bau der Mauer 1961 – mit einer nahezu vollständigen Abschottung der DDR-Wirtschaft vom marktorientierten Westen. Mit der Maueröffnung begann ein intensives Rätselraten: Wo stand die ostdeutsche Wirtschaft mit ihrer Leistungs kraft, und zwar im Vergleich zum Westen?

Die Wissenschaft lieferte geschätzte Zahlen dazu, nach bestem Wissen und Gewissen. Sie lieferte mit den Zahlen auch mahnende Gebrauchsanweisungen. Diese wurden wie üblich ignoriert. So waberten schnell Ost-West-Vergleiche der Arbeitsproduktivität als Maß für die wirtschaftliche Leistungskraft durchs Land.

Die meistgenannten Zahlen lagen bei einem Verhältnis von etwa eins zu drei bis eins zu zwei. Also: eine Ostdeutsche Arbeitskraft produziert pro Stunde etwa ein Drittel des wirtschaftlichen Wertes ihres westdeutschen Kollegen. Oder die Hälfte. So oder ähnlich lautete die Diagnose im Jahr der Vereinigung. Das war die entscheidende Ost-West-Lücke, die es zu überwinden galt.

Die zahlen wurden damals in Politik und Öffentlichkeit breit diskutiert, aber nicht wirklich hinterfragt. Sie hatten eine merkwürdige psychologische Wirkung. Sie führ ten nämlich – wie häufig bei einfachen zahlen – zu einer art illusion der Machbarkeit. Denn allein das Benennen der Ost-West-lücke schuf die Vorstellung, es handele sich um einen messbaren abstand zum Westen, den es nur mit entschlossenen Schritten zu überwinden galt, und fertig war die Deutsche einheit.

Dabei war der Abstand zwar groß und die Aufgabe damit anspruchsvoll, denn immerhin musste die Produktivität in etwa verdreifacht beziehungsweise verdoppelt werden. Aber mit neuesten Maschinen, mit einer modernisierten Ausbildung, mit viel Fleiß und mit der hohen Motivation, die alle hatten, würde das wohl schon klappen. Jedenfalls innerhalb von ein paar Jahren.

So weit die Vorstellung. Ein großer Irrtum, der zur bitteren Illusion wurde. Ob diese vermeidbar war, muss offenbleiben. Wahrscheinlich war sie es nicht. Heutzutage gieren Politik und Öffentlichkeit nach zahlen. Und wenn die Wissenschaft sich geweigert hätte, zahlen zu liefern, dann hätten andere geliefert – mit noch schlimmeren Folgen.

Allerdings waren im Fall der Deutschen Einheit die Folgen schlimm genug: Millionen von Ostdeutschen Arbeitskräften mussten schon nach wenigen Jahren fest stellen, dass die Welt nach ganz anderen Gesetzen funktionierte, als es 1990 den Anschein hatte. Die Illusion der Machbarkeit zerstob schnell. Sie hinterließ einiges an Frustration, die in Teilen der Bevölkerung bis heute spürbar ist.

Aber zurück zur Ausgangslage. Wenn schon nicht eins zu drei oder eins zu zwei, wie groß war dann 1990 der West-Ost-Abstand in der wirtschaftlichen Leistungskraft? Die ehrliche Antwort lautet: Wir wissen es nicht. Mehr noch: Wir können es gar nicht wissen. Warum? Weil die vier Dekaden deutscher Teilung zu Veränderungen geführt hatten, die sich im Ergebnis jenseits der messbaren Statistiken abspielen.
Inhaltsverzeichnis
Impressum5
Vorwort8
Inhalt12
1 Schwieriges Erbe14
1.1 Der große Irrtum14
1.2 Der Sog des Westens29
1.3 Die nationale Aufgabe33
2 Schneller Start38
2.1 Währungsunion38
2.2 Treuhandanstalt57
2.3 Eigentumsfragen84
3 Forcierte Entwicklung100
3.1 Wirtschaftsförderung100
3.2 Bauboom und Binnenmarkt112
3.3 Sozialstaat in Aktion123
4 Industrieller Neubeginn134
4.1 Marktwirtschaft ohne Motor134
4.2 Werkbänke ohne Gewerkschaften155
4.3 Regionale Wachstumspole174
5 Was ist die Deutsche Einheit wert?194
5.1 Aufbau Ost: Kosten und Leistung194
5.2 Der Flurschaden des Sozialismus221
5.3 Zukunftsaufgaben244
Dank270
Anmerkungen272
Glossar287
Abkürzungen296
Statistische Quellen298
Literatur299
Register305

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