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Die Bombe als Option

Motive für den Aufbau einer atomtechnischen Infrastruktur in der Bundesrepublik bis 1963

AutorTilmann Hanel
VerlagKlartext Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl264 Seiten
ISBN9783837514209
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Welche Akteure forcierten in der Bundesrepublik zur Adenauerzeit den Einstieg in die Atomkraftnutzung? Welche Motive standen hinter ihren Bemühungen? Und inwiefern zeitigen die damaligen Vorgänge auch heute noch Auswirkungen? Der Technikhistoriker Tilmann Hanel geht diesen Fragen gestützt auf eine breite Quellenbasis nach und zeigt auf, dass der von einzelnen Regierungsmitgliedern getragene Wunsch nach westdeutschen Atomwaffen nicht folgenlos blieb, sondern sich in der Errichtung von Anlagen manifestierte, die speziell auf die Herstellung von waffenfähigem Plutonium ausgerichtet waren. Zwar verfolgten Politik, Wissenschaft und Industrie unterschiedliche Interessen; gemeinsam bewirkten sie dennoch die Durchsetzung einer für den zivilen Gebrauch zu gefahrenträchtigen Technik.

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Leseprobe

1.Einleitung


1.1Einführung in die Themen- und Fragestellung


Bei allen derzeit in Deutschland noch zur Stromerzeugung genutzten Atomreaktoren1 handelt es sich – ebenso wie beim überwiegenden Anteil der Anlagen weltweit, darunter auch der jüngste Unglücksreaktor in Fukushima – um sogenannte Leichtwasserreaktoren. Die Hauptlinie dieses Typs2 stellt dabei die direkte Weiterentwicklung eines atomaren U-Boot-Antriebs der US-amerikanischen Marine dar, der erstmals in dem mit seiner Polarunterquerung bekannt gewordenen Unterseeboot USS Nautilus eingesetzt wurde. Als Prototyp der heutigen Kernkraftwerke kann die 1957 in Betrieb genommene Anlage in Shippingport, Pennsylvania, gelten. Sie basierte in wesentlichen Teilen ihrer Technik auf vergrößerten Varianten von Komponenten des Reaktors auf der Nautilus.3

Dass die Nutzbarmachung der bei der Atomkernspaltung entstehenden Energie schon früh vor allem unter militärischen Aspekten erforscht wurde, ist allgemein bekannt. Weniger im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert hingegen ist die Tatsache, dass auch die zur Stromerzeugung verwendeten Atomanlagen technisch nie eine wirkliche Abgrenzung zum militärischen Verwendungsbereich erfuhren. Welche Konsequenzen sind aus der Kenntnis um diese Nähe abzuleiten für eine Beurteilung der bundesdeutschen Kerntechnik? Deren Entwicklung stand, nachdem die deutsche Atomforschung im Zweiten Weltkrieg an der Bereitstellung einer kriegsentscheidenden Waffe gescheitert war, von Anfang an unter der Prämisse, militärischen Interessen nicht dienen zu dürfen. Dies zumindest war der Eindruck, den überzeugender noch als die Protagonisten der Anfangszeit die späteren Wortführer der Atomtechniknutzung in der Öffentlichkeit zu verbreiten suchten.

Die vorliegende Arbeit widmet sich den Aufbaujahren der kerntechnischen Infrastruktur in der Bundesrepublik. Der zeitliche Rahmen reicht dabei von 1954, als die verschiedenen Akteursgruppen in Erwartung der bevorstehenden bundesdeutschen Souveränität ihre Vorbereitungen konkretisierten und seitens der Wirtschaft erste organisatorische Strukturen geschaffen wurden, bis 1963, als nicht nur Konrad Adenauers Kanzlerschaft endete, sondern auch das Beharren auf einem eigenen und von den USA unabhängigen Reaktortyp aufgegeben wurde. Dieser Typ, der sogenannte Schwerwasserreaktor, war anders als der US-amerikanische Leichtwasserreaktor kein ehemaliger U-Boot-Antrieb, sondern stand in der Tradition der deutschen Forschungen während des Krieges und war in den 1950er Jahren weitgehend von denselben Forschern weiterentwickelt worden. Er fand Verwendung in drei Anlagen: zweifach im Kernforschungszentrum Karlsruhe und einmal im Kernkraftwerk Niederaichbach.

Die Analyse der Entstehungsgeschichte dieser Anlagen macht einen wichtigen Teil der vorliegenden Arbeit aus. Sie soll dazu dienen, die Ungereimtheiten aufzuzeigen, die sich aus der Deklaration der bundesdeutschen Kerntechniknutzung als per se „friedlich“ einerseits und der in höchstem Maße subventionierten Forschung an potenziell militärisch verwendbaren Großanlagen andererseits ergeben. Dass die der Atomkraft von ihren Befürwortern stets zugeschriebene Eigenschaft als zumindest potenziell billigste Energiequelle dabei niemals Realität war, offenbarte sich nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Im Gefolge des Schocks über die Anfälligkeit auch westlicher Anlagen wurde selbst im atomkraftnahen Lager manche Aussage getätigt, die nicht mehr der früher geltenden Diktion entsprach. „Wenn man die Kernenergie allein an den Geboten der Marktwirtschaft messen wollte“, so der damalige FDP-Generalsekretär Christian Lindner im April 2011, „hätte es sie nie geben können.“4

Doch welche Motive standen dann hinter der Atomkraftnutzung in der Bundesrepublik? Die hier vorgenommene Untersuchung widmet sich den Interessen maßgeblicher Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär. Vorrangig wird erörtert, inwiefern der öffentlich von allen Beteiligten gelobte und schließlich auch geübte Verzicht auf die Herstellung bundesdeutscher Kernwaffen tatsächlich beabsichtigt war. Dienten die Verzichtserklärungen möglicherweise dazu, die Ziele der Protagonisten zu verhüllen, um in Ruhe eine Option auf die Produktion nationaler Kernwaffen schaffen zu können? Im Zentrum der Arbeit stehen dabei Vorgänge rund um die Errichtung der ersten beiden Schwerwasserreaktoren im Kernforschungszentrum Karlsruhe. Es soll im Folgenden gezeigt werden, dass die Wahl der zu verwendenden Reaktortechnologie deutlich stärker als bisher angenommen von der Frage beeinflusst wurde, welcher Typ die größere Menge an waffenfähigem Plutonium zu produzieren in der Lage sei. Tatsächlich legt insbesondere die Analyse der technologischen Entscheidungen den Schluss nahe, dass der in Tradition zu den deutschen Kriegsforschungen stehende Schwerwasser-Natururanreaktor von der Regierungspolitik vorrangig gefördert wurde, um die Voraussetzungen für eine bundesdeutsche Atombombenproduktion zu schaffen.

In diesem Zusammenhang ebenso wie in Verbindung mit den Forschungen im Zweiten Weltkrieg ist die Rolle der beteiligten bundesdeutschen Kernforscher zu betrachten. Inwieweit konnten diese – die nach außen hin schon vor der „Göttinger Erklärung“ einen rein an zivilen Verwendungszwecken der Kerntechnik interessierten Kurs zu verfolgen vorgaben – um die militärisch-diplomatischen Ambitionen der Bundesregierung wissen? Falls ja, wie gingen sie mit ihrem Wissen um? Welche Motive bewegten die Kernforscher dazu, trotz ihrer öffentlichkeitswirksam bekundeten Ablehnung militärischer Atomforschung die Öffentlichkeit nicht über die aus der von ihnen gleichzeitig zur Nutzung empfohlenen zivilen Kerntechnik automatisch entstehenden militärischen Möglichkeiten aufzuklären? Glaubten sie aufrichtig daran, dass die Atomkraft bei ziviler Nutzung segensreich sein könnte, dass aber eine Verwirklichung dieser Vision ohne die staatliche Unterstützung für fraglich erachtet werden musste? Zugleich ist zu fragen, ob in einer solchen Haltung nicht auch partielle Kontinuitäten im Verhalten der beteiligten Wissenschaftler zu erkennen sind, die vom „Dritten Reich“ über die „Stunde Null“ hinaus bis weit in die Geschichte der Bundesrepublik hineinreichen in Form einer bereitwilligen Anpassung an von Politik und Militär vorgegebene Anforderungen bei gleichzeitiger Legitimierung der eigenen Forschungen als unpolitisch.

Zu überprüfen ist darüber hinaus, inwieweit das Zusammenwirken der relevanten Akteursgruppen generell in der Tradition deutscher Großforschung steht. Wie zu zeigen ist, bildeten die am Aufbau der bundesdeutschen Kerntechnikinfrastruktur Beteiligten eine nach außen weitgehend abgeschlossene Gruppe. Dieser Kreis Eingeweihter war beschränkt auf relativ wenige, jedoch an entscheidenden Stellen wirkende Mitglieder. Neben Vertretern der Politik gehörten ihm auch Wissenschaftler, Militärs und Führungskräfte der für die Kerntechnikentwicklung relevanten Großfirmen an, die das von der Politik vorgegebene Ziel einer unter strikter Geheimhaltung zu verwirklichenden atomaren Rüstung der Bundesrepublik aus teils unterschiedlichen Eigeninteressen heraus stützten. Der strukturelle Rahmen der bundesdeutschen Atomforschung im Betrachtungszeitraum kann aufgrund der engen Zusammenarbeit der partizipierenden Akteursgruppen als militärisch-industriell-wissenschaftlicher Komplex5 bezeichnet werden.

Helmuth Trischler skizziert, dass im Zentrum des von Franz Josef Strauß entwickelten und der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards entgegenstehenden Konzepts einer „staatsinterventionistischen, nicht-marktwirtschaftlichen Technologie- und Industriepolitik“ militärisch relevante Schlüsseltechnologien standen.6 Ich glaube zeigen zu können, dass die frühe bundesdeutsche Kerntechnikentwicklung – trotz allseitiger Tarnung der mit ihr verbundenen militärischen Ambitionen – ein geradezu idealtypisches Ergebnis dieser Politik darstellt und ihre Geschichte einen weiteren Beleg dafür liefert, „wie eng nationales Sicherheits- und nationales Innovationssystem in Deutschland auch nach 1945 miteinander verflochten waren.“7 Gleichwohl verkehrt sich der von Trischler für die übrige Militärforschung festgestellte, vergleichsweise „hohe Grad an Internationalität“8 hier ins Gegenteil. Dass dabei gerade auf dem politisch wie moralisch besonders brisanten Gebiet der Kerntechnik etliche Protagonisten eine politisch wie moralisch fragwürdige Vergangenheit aufwiesen, ist mehr als nur eine Randnotiz. Denn sie waren es, die auf Grundlage von manch struktureller Kontinuität mit ihrer Betätigung dazu beitrugen, in der Bundesrepublik die Grundlage zu schaffen für den Durchbruch der Kernkraftnutzung, wie wir sie heute kennen. War dieser Durchbruch unausweichlich? Mit der Antwort darauf wird die vorliegende Arbeit enden; den Weg dorthin konkretisieren die folgenden Teilkapitel.

1.2Stand der Forschung


Die bisherige Forschung zur Schnittmenge der...

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