Sie sind hier
E-Book

Die Botschaft der Hoffnung

Gedanken über den Kern der christlichen Botschaft

AutorKardinal Gerhard Kardinal Müller
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783451833441
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Gerhard Kardinal Müller, lange von den Medien als Gegenspieler zu Papst Franziskus aufgebaut, stellt sich im Interview mit Carlos Granados den aktuellen Fragen des Pontifikats Franziskus. Seine Überlegungen zur Bedeutung von Jesus Christus, zur Situation der Kirche, zum Wert der Familie und zur Barmherzigkeit als Grundlage des Handelns zeigen Wege auf zu einem gelingendem Leben in der christlichen Hoffnung. In den anregenden und teils auch überraschenden Antworten des Präfekten der Glaubenskongregation spiegeln sich immer wieder die Aussagen und das Handeln von Papst Franziskus, mit dem Müller in enger Verbundenheit steht.

Gerhard Kardinal Müller, geb. 1947, 1986-2002 Professor für Dogmatik an der Universität München; 2002-2012 Bischof von Regensburg; ehemaliger Vorsitzender der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz; seit 2012 Erzbischof, seit 2014 Kardinal; 2012-2017 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre sowie Präsident der Päpstlichen Bibelkommission, der Internationalen Theologischen Kommission und der Päpstlichen Kommission Ecclesia Die in Rom. Müller ist Herausgeber der Reihe Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften im Verlag Herder. Carlos Granados SSCC, geb. 1974, Priester, Dr. S. Scripturae, Professor für Altes Testament an der kirchlichen Universität San Damaso (Madrid), Generaldirektor der 'Biblioteca de Autores Cristianos, BAC'.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

I.
Was dürfen wir von Christus erhoffen?


Mit ihrer letzten Antwort haben Sie schon zur Frage nach Christus hingeführt. Er stellte sich als derjenige vor, der die Hoffnung des Volkes Israel zur Vollendung bringen sollte. Wie verbindet sich diese Hoffnung mit der christlichen? In diesem Zusammenhang möchte ich ein paar Sätze des Oberrabbiners von Rom, Riccardo di Segni, zitieren. Er beklagte sich heftig über die Aussage der Familiensynode, mit Christi Kommen und der Erlösung „endete die von Moses eingeleitete Ära“. Riccardo di Segni erklärte: „Mit einer gewissen Härte in Form und Substanz kommen die Bischöfe daher, um heute uns, die wir der Torah des Moses folgen, zu sagen, dass wir in der Sünde wären und dass unsere Ära zu Ende ist. Wie schwierig ist doch der Dialog!“ Hat Christus der Hoffnung des Volkes Israel ein Ende gesetzt?

Die Geschichte des Volkes Israel ist die Geschichte der Offenbarung Gottes. Den Gott, der sich offenbart, bekennen die Juden als Schöpfer aller Menschen und zugleich als Urheber der Erwählung des Volkes Israel. Die Hoffnung der Juden fußt auf dem machtvollen Wirken Gottes, der über sie gewacht, sie gerettet und ihnen eine noch größere Rettung versprochen hat. Diese Hoffnung nimmt unterschiedliche Formen an. So hofft man beispielsweise auf eine volle Gottesgegenwart in einem neuen Tempel wie auch auf das Kommen eines Messias aus dem Hause Davids, welcher der Welt den vollkommenen Gottesfrieden bringen wird. Die Propheten haben außerdem verkündet, dass sein Kommen das Menschenherz verwandeln wird, sodass es dem Bund treu bleibt und zu einer neuartigen Gottesliebe fähig wird.

Wir Christen glauben unsererseits, dass dieses jahrhundertelange Warten auf unübertreffliche Weise erfüllt wurde, als der Gott Israels seinen Sohn sandte, der Fleisch annahm und Mensch wurde für uns. Der Sohn, der dem Volk Israel von Generation zu Generation versprochen wurde, ist gleichzeitig der ewige Sohn Gottes. Die volle Gegenwart Gottes, die das Volk Israel erhoffte, ist im auferweckten Leib Jesu, in diesem endgültigen Tempel Gottes, geschehen. Dennoch kann man nicht behaupten, die Messiaserwartung der Juden sei gegenstandslos, denn, wie die Päpstliche Bibelkommission einmal sagte, „sie kann für uns Christen ein starker Ansporn sein, die eschatologische Dimension unseres Glaubens lebendig zu erhalten. Wir, wie sie, leben von der Erwartung“ (Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel 21). Im Bewusstsein um das „reiche gemeinsame geistliche Erbe von Christen und Juden“ (vgl. Nostra aetate 4) wissen wir, dass sich die neue Religion im Leib eines Menschen, in Christus und in seinem Liebesopfer verwirklicht und dass das Gesetz endlich ins Menschenherz eingeprägt wurde, wie es die Propheten erwarteten. Nichts des Vorherigen wurde verworfen: Alles wurde im Licht einer überreichen Erfüllung gerettet.

So ist die Person Jesu das Kriterium der Unterscheidung des Judentums vom Christentum. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Religionen. Trotzdem ist es nötig, den fruchtbaren interreligiösen Dialog zu vertiefen, den wir Christen mit unseren jüdischen Brüdern aufrechtzuerhalten berufen sind und der beeindruckende Resultate gezeitigt hat sowohl auf unserer Seite, zum Beispiel in dem schon zitierten Text Nostra aetate, als auch auf jüdischer Seite mit dem Dokument Dabru emet, verfasst im Jahr 2000 von 220 Rabbinern und Intellektuellen in Vertretung aller Zweige des Judentums. Dieser Dialog befasst sich nicht nur mit einzelnen politischen oder kulturellen Problemen, sondern vor allem mit theologischen Fragestellungen. Bei der 14. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode vom 4. bis 25. Oktober 2015, gemeinhin als „Familiensynode“ bekannt, hat keiner der Bischöfe behauptet, das göttliche Gesetz, der Dekalog, die Psalmen oder die Gegenwart des Gottesworts, die wir in allen Büchern der jüdischen Bibel finden, seien überholt oder abgeschafft. In Wirklichkeit schätzt der Christ dieses Gesetz sehr hoch: Es ist ein Geschenk Gottes für das Volk Israel und für das Volk des Neuen Bundes, ein Licht, das unser Wirken ermöglicht. Gewiss, es wäre eine schwere Beleidigung für die Juden, wollte man das Gesetz aus dem christlichen Leben ausschalten oder es als übermäßige Belastung auffassen; es wäre jedoch vor allem ein Angriff auf die christliche Wahrheit. Das Gesetz verschwindet also nicht durch den Glauben an Jesus; vielmehr wird es, wie der hl. Paulus schreibt, im Licht des vollkommenen Gesetzes der Liebe neu interpretiert (vgl. Röm 13,8–10). Wenn die Synode sagt, das Zeitalter Mose sei zu Ende, darf man dies nicht als Geringschätzung des Gesetzes deuten, sondern nur als Bestätigung des Umstands, dass dieses Gesetz zur Erfüllung gelangt ist. Jesus betont: „Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, … Ich [aber] sage euch …“ (Mt 19,8–9). Er kommt auf die Worte des Schöpfers zurück und wirkt als offenbartes Wort Gottes, als echter Interpret des göttlichen Willens. Die genannte „Ausnahme“ hat insofern Sinn, weil Jesus die Hartherzigkeit überwunden und damit ein neues Volk eingesetzt hat, in dem es möglich ist, die Güte des Anfangs der Schöpfung zu leben. Die Kirche – als Organismus und als Volk, in ihrer vollen Sichtbarkeit, in ihrer gesellschaftlichen Präsenz, in ihren Institutionen und in ihrer Ordnung – kann nur die von Christus eingesetzte Ordnung widerspiegeln. Er hat die Hartherzigkeit überwunden.

Wir Christen anerkennen, respektieren und schätzen unsere jüdischen Wurzeln. Bei seinem historischen Besuch in der Synagoge von Rom am 13. April 1986 sagte der hl. Johannes Paul II., die Juden seien „unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder“. Papst Benedikt XVI. hat bei der Abfassung des zweiten Teils von Jesus von Nazareth3 seinerseits erhebliche exegetische Bemühungen unternommen, um einige Passagen aus dem Matthäusevangelium zu erläutern, die viel zur Verschlechterung unserer Beziehungen zum Judentum beigetragen haben. Schließlich, im Juni 2015, betonte Papst Franziskus, dass unsere beiden Gemeinschaften eine Verpflichtung übernommen haben: „‚Ja‘ zur Wiederentdeckung der jüdischen Wurzeln des Christentums; ‚Nein‘ zu jeder Form von Antisemitismus“. Wenige Wochen später, am 25. September 2015, betete der Papst in der St. Josephs-Universität der Jesuiten in Philadelphia und segnete dort die Skulptur „Synagoge und Ecclesia in unserer Zeit“; es berührte uns alle, als er von der „Reise der Freundschaft“ sprach, die Juden und Christen seit 1965, also seit der Erscheinung des Dokuments Nostra aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils, gemeinsam unternehmen. Hier muss man, meine ich, die besondere Art und Weise von Papst Franziskus, mit diesem Thema umzugehen, würdigen. Weithin bekannt ist ja seine persönliche, während seiner Amtszeit als Erzbischof von Buenos Aires begonnene und nun als Papst weitergeführte Freundschaft mit bedeutenden Juden, wie dem Rabbiner Abraham Skorka, dem Rektor des Lateinamerikanischen Rabbinerseminars in seiner Heimatstadt. Die Empathie, die uns seine Treffen vermitteln, und die eindrucksvollen Bilder seiner brüderlichen Umarmungen bestätigen eindeutig, dass wir mit den Juden nicht nur einige Werte und historische Erinnerungen teilen, sondern den gleichen Gott der Heilsgeschichte des gleichen auserwählten Volkes. Der Gott, auf den wir Christgläubigen hoffen, ist derselbe, auf den die Juden hoffen, zu dem sie beten und dem sie ihr ganzes Leben verpflichten.

Das tiefere Geheimnis Christi ist ja der Vater, auf den Er alles bezog. Das moderne Zeitalter hat die Vatergestalt Gottes abgelehnt und auf diese Weise versucht, sich von Traditionen zu befreien, um eine neue Zukunftshoffnung zu schaffen. Dennoch sieht es so aus, als habe Jesus seine Hoffnung gerade in der ursprünglichen Offenbarung, also in der Person seines Vaters verankert. Kann man sagen, dass die Hoffnung und die Befreiung, die Jesus bringt, seine Hoffnung auf den Vater ist? Was können wir vom Vater erhoffen, gerade jetzt in einer Zeit der Krise, in die das Vaterbild gekommen ist?

Zunächst muss man sagen, dass Christus selbst die Hoffnung auf den Vater lebte. Christus erwartete viel vom Vater. Sein ganzes Leben bestand aus der Einheit mit dem Vater und aus dem Gehorsam zum Heilsplan des Vaters. Was Christus an erster Stelle erhoffte, war, dass der Vater die von ihm angenommene Menschlichkeit zur Erfüllung führe: Er hoffte, der Vater werde ihn mit der Herrlichkeit, die dem Gottessohn eigen ist, verherrlichen. Für sich selbst hoffend, hoffte Jesus auch für uns, denn die Menschennatur, die er angenommen hatte, war die unsere, es war unser eigenes Fleisch, und so hat er sich gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt (vgl. Gaudium et spes 22). Jesus hoffte, der Vater werde die Welt von der Sünde befreien und sie mit ewigem Leben erfüllen.

Unsere Berufung besteht nun in der Anteilnahme (in allen Dimensionen unseres Lebens) an der Sohnschaft Jesu. Jeder Mann und jede Frau ist Adressat der ewigen Liebe Gottes. Nachdem der Mensch der Sünde verfallen war, hat der Gottessohn aus Liebe in diese sündige Welt eintreten wollen, in diese Welt der Verzweiflung, der Despotenherrschaft, der Ausschaltung des Schwächeren. Gott trat in die vom Bösen und von Hochmut beherrschte Welt ein; sie war unterdrückt vom Fürsten dieser Welt, wie wir in den großen Prologen des Johannesevangeliums, des Kolosser- und des Epheserbriefs wie auch im Hymnus des Philipperbriefs nachlesen können. Der Ewige wurde im Zeitlichen gegenwärtig, der Unendliche im Endlichen, um das Zeitliche und das...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Christentum - Religion - Glaube

Transitus Mariae

E-Book Transitus Mariae
Beiträge zur koptischen Überlieferung. Mit einer Edition von P.Vindob. K. 7589, Cambridge Add 1876 8 und Paris BN Copte 129 17 ff. 28 und 29 (Neutestamentliche Apokryphen II) - Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten JahrhunderteISSN N.F. 14 Format: PDF

The discussion about the beginnings of Transitus-Mariae literature (apocryphal texts about the life and death of the Mother of Jesus) is marked by two hypotheses. The first is marked by the…

Abram - Abraham

E-Book Abram - Abraham
Kompositionsgeschichtliche Untersuchungen zu Genesis 14, 15 und 17 - Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche WissenschaftISSN 350 Format: PDF

This substantial contribution to Pentateuch research shows paradigmatically how the politico-geographical concepts from Genesis 14 and the concepts of the theology of promise in Gen 15 are…

Sich verzehrender Skeptizismus

E-Book Sich verzehrender Skeptizismus
Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard - Kierkegaard Studies. Monograph SeriesISSN 12 Format: PDF

The study focuses on the sceptical forms of thought and expression with which Hegel and Kierkegaard link the claim for absolute truth. With his 'self-completing scepticism' (Phenomenology of…

Sich verzehrender Skeptizismus

E-Book Sich verzehrender Skeptizismus
Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard - Kierkegaard Studies. Monograph SeriesISSN 12 Format: PDF

The study focuses on the sceptical forms of thought and expression with which Hegel and Kierkegaard link the claim for absolute truth. With his 'self-completing scepticism' (Phenomenology of…

Weitere Zeitschriften

ARCH+.

ARCH+.

ARCH+ ist eine unabhängige, konzeptuelle Zeitschrift für Architektur und Urbanismus. Der Name ist zugleich Programm: mehr als Architektur. Jedes vierteljährlich erscheinende Heft beleuchtet ...

FREIE WERKSTATT

FREIE WERKSTATT

Die Fachzeitschrift FREIE WERKSTATT berichtet seit der ersten Ausgaben 1994 über die Entwicklungen des Independent Aftermarkets (IAM). Hauptzielgruppe sind Inhaberinnen und Inhaber, Kfz-Meisterinnen ...

Berufsstart Bewerbung

Berufsstart Bewerbung

»Berufsstart Bewerbung« erscheint jährlich zum Wintersemester im November mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum. Organ des Landesverbandes Haus & Grund Brandenburg. Speziell für die neuen Bundesländer, mit regionalem Schwerpunkt Brandenburg. Systematische Grundlagenvermittlung, viele ...

Demeter-Gartenrundbrief

Demeter-Gartenrundbrief

Einzige Gartenzeitung mit Anleitungen und Erfahrungsberichten zum biologisch-dynamischen Anbau im Hausgarten (Demeter-Anbau). Mit regelmäßigem Arbeitskalender, Aussaat-/Pflanzzeiten, Neuigkeiten ...

dental:spiegel

dental:spiegel

dental:spiegel - Das Magazin für das erfolgreiche Praxisteam. Der dental:spiegel gehört zu den Top 5 der reichweitenstärksten Fachzeitschriften für Zahnärzte in Deutschland (laut LA-DENT 2011 ...

ea evangelische aspekte

ea evangelische aspekte

evangelische Beiträge zum Leben in Kirche und Gesellschaft Die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland ist Herausgeberin der Zeitschrift evangelische aspekte Sie erscheint viermal im Jahr. In ...

EineWelt

EineWelt

Lebendige Reportagen, spannende Interviews, interessante Meldungen, informative Hintergrundberichte. Lesen Sie in der Zeitschrift „EineWelt“, was Menschen in Mission und Kirche bewegt Man kann ...