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E-Book

Die Bundeswehr

Eine politische Geschichte von 1955 bis heute

AutorAndré Uzulis
VerlagE.S. Mittler & Sohn
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl204 Seiten
ISBN9783813210101
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Am 12. November 1955 - dem 200. Geburtstag des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst - erhielten die ersten 101 Soldaten der Bundeswehr in einer Garage in Bonn ihre Ernennungsurkunden. Die Soldaten steckten noch in umgeschneiderten amerikanischen Uniformen. Im Geiste Scharnhorsts sollten sie gemeinsam mit ihren rund 495.000 Kameraden, die im Kalten Krieg hinzukamen, in den nächsten Jahrzehnten als Bürger in Uniform für ihre Heimat eintreten. Die Bundeswehr alter Prägung mit dem Auftrag der grenznahen Verteidigung ist inzwischen zu einer modernen Kriseninterventionsarmee geworden. Die Bundesrepublik Deutschland stellt 50 Jahre nach Gründung ihrer Armee das zweitgrößte militärische Kontingent bei internationalen Missionen - nach den Vereinigten Staaten. Nie zuvor war eine deutsche Armee so erfolgreich in der Bewahrung des Friedens, so tief verwurzelt in der Demokratie, so anerkannt von den Nachbarn und so akzeptiert von der Bevölkerung. Die Bundeswehr - eine Erfolgsgeschichte? Diese Frage versucht dieses Buch zu beantworten. Es zeichnet eine Entwicklung einer ganz besonderen Armee nach. Und es erzählt von den Geschichten hinter der Geschichte - informativ und faktenreich.'

André Uzulis ist Mitglied der Chefredaktion und Auslandschef bei der Nachrichtenagentur dapd in Berlin und Frankfurt/M.

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Leseprobe

Deutschland unbewaffnet (1945–1955)

Vorgeschichte der Bundeswehr

Als am 23. Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, dachte niemand daran, eine Streitmacht aufzustellen. Nach den Erfahrungen des erst vier Jahre zurückliegenden Zweiten Weltkrieges schien es unmöglich, dass Deutsche wieder eine Uniform anziehen und Waffen in die Hand nehmen könnten. Die mehr als 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges mahnten, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfte. Alleine fast 8 Millionen Deutsche waren durch Krieg und Vertreibung umgekommen. Noch lag Mitteleuropa in weiten Teilen in Trümmern. Vor allem in Deutschland waren die äußeren Spuren der Zerstörung sichtbar. Es gab kaum eine Familie, die keinen Verlust zu beklagen hatte. Deutsche Kriegsgefangene saßen in sowjetischen Lagern. Deutsches Militärmaterial gab es nicht mehr. Im Jalta-Abkommen vom 11. Februar 1945 hatten Churchill, Roosevelt und Stalin vorgesehen, »alle deutschen bewaffneten Kräfte zu entwaffnen und aufzulösen, für alle Zeit den deutschen Generalstab zu zerbrechen, die deutsche militärische Ausrüstung entweder wegzunehmen oder zu zerstören, die gesamte deutsche Industrie, die für militärische Zwecke gebraucht werden könnte, zu beseitigen oder unter Kontrolle zu stellen«. Nach der bedingungslosen Kapitulation setzte das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 die Ziele von Jalta um.

In Europa waren 1949 immer noch rund 880.000 Soldaten alleine der West-Alliierten stationiert – gegenüber 1945 war das eine Reduzierung um immerhin mehr als 4 Millionen. Die Sowjetunion hatte ihre Rote Armee indessen nicht verkleinert; sie behielt auch vier Jahre nach der Kapitulation des Deutschen Reiches eine Kriegsstärke von rund 4 Millionen Mann bei und ließ außerdem ihre Rüstungsindustrie weiter in vollem Umfang produzieren. Bis zum Ende der 50er Jahre schätzten amerikanische und bundesdeutsche Stellen in ihren Lagebeurteilungen die Zahl der sowjetischen Divisionen auf 175 bis 180, was über das Verteidigungsbedürfnis der Sowjetunion weit hinausging und ein beträchtliches Bedrohungspotenzial darstellte. Auf westlicher Seite wurde stets die Möglichkeit eines sowjetischen Angriffs aus dem Stand heraus angenommen.

Die Weltkriegskoalition zwischen den Westmächten und der UdSSR war schon bald an ihren inneren und ideologischen Widersprüchen zerbrochen. Moskau zeigte mit der Berlin-Blockade 1948/49, zu welch gefährlicher Konfrontation es bereit war. Kommunistische Unterdrückung und Expansion sowie die bis weit nach Mitteleuropa reichende sowjetische Militärmaschinerie bereiteten den westlichen Staaten zunehmend Sorge. Eine neue bipolare Weltordnung zeichnete sich ab, und ein nicht erklärter Kalter Krieg zwischen West und Ost zog herauf, in dem Deutschland eine Schlüsselrolle spielen würde.

Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte bereits in seiner ersten Grundsatzrede als Vorsitzender der CDU am 24. März 1946 festgestellt, dass Staat und Macht untrennbar verbunden seien und dass sich diese Macht am »sinnfälligsten und eindrucksvollsten« im Heer zeige. Er wies aber auch darauf hin, dass in Deutschland der nationalsozialistische und militaristische Geist ausgemerzt werden müsse, wobei er unterstrich, dass Soldaten, die »in anständiger Weise ihre Pflicht erfüllt hatten«, für ihn keine Militaristen seien. In seiner ersten Regierungserklärung am 20. September 1949 betonte Adenauer, dass er die Bundesrepublik so schnell wie möglich in die westliche Welt integrieren und ihr militärische Sicherheit und internationale Handlungsfähigkeit verschaffen wolle.

In der Operationsabteilung der US-Army gab es 1947 erste interne Überlegungen zur Einbeziehung Spaniens und Deutschlands in ein westeuropäisches Sicherheitssystem. Auch US-Präsident Harry S. Truman sah es bald als eine prinzipielle Möglichkeit, deutsche Truppen in eine amerikanisch-westeuropäische Verteidigungsorganisation einzubeziehen. Ihm war klar, dass eine mögliche militärische Konfrontation mit der Sowjetunion in Europa ohne einen substanziellen Beitrag Westdeutschlands nicht zu bestehen wäre. Auch britische Überlegungen wiesen in diese Richtung. Gleichwohl betonten die Alliierten in offiziellen Stellungnahmen, dass sie gewillt seien, ihre Entmilitarisierungspolitik in Deutschland fortzusetzen. Hinter verschlossenen Türen jedoch gingen die Gedanken weit über die Tagespolitik hinaus.

Für Adenauer bedeutete der insgeheime Sinneswandel der Westalliierten die Gunst der Stunde: Er nutzte die Chance, um über die Aufstellung von Streitkräften der Bundesrepublik zu dem angestrebten größeren Gewicht in der internationalen Politik zu verhelfen. Dabei kam es ihm, der nie Soldat gewesen ist und dem alles Militärische fremd war, nicht auf die Streitkräfte an sich an. Für ihn war ein militärisch starkes, geschlossen agierendes westliches Bündnis mit deutscher Beteiligung – wie immer diese aussehen mochte – wichtig. Doch noch war die Zeit nicht reif, in dieser Frage konkrete Angebote zu machen. Ja, es war fraglich, ob die deutsche Politik überhaupt Angebote machen sollte – zu heikel war das Thema, zu emotional aufgeladen.

Das erste frühe Nachdenken über einen deutschen Verteidigungsbeitrag in Deutschland selbst stammte aus einer Zeit – Ende der 40er –, als in der Bundesrepublik das Fechten und der Segelflug als »militärisch« galten und verboten waren. Halboffizielle deutsche Überlegungen zur Verteidigung der Westzonen wurden 1947 angestellt, als am 15. April von den Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatzungszone mit Zustimmung der US-Regierung ein »Deutsches Büro für Friedensfragen« eingerichtet wurde. Es sollte zwar ursprünglich die Vorstellungen der Besatzungsmächte zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung unterstützen, jedoch beschäftigte es sich sehr schnell auch mit einer möglichen deutschen Wiederbewaffnung.

Im Mai 1948 erstellte ein Gremium hoher Wehrmachtsoffiziere unter Leitung des früheren Generalleutnants Hans Speidel für das »Deutsche Büro für Friedensfragen« ein erstes vertrauliches Gutachten zur »Sicherheit Europas«. Speidel hatte während des Krieges als Stabschef der Heeresgruppe B in Nordfrankreich maßgeblichen Einfluss auf die dortigen Entscheidungen gehabt und kam als Angehöriger des militärischen Widerstandes gegen Hitler in Haft. Er war ein Militärexperte ersten Ranges und stand dem nationalsozialistischen Regime kritisch genug gegenüber, um als militärischer Ratgeber glaubhaft zu sein. In dem Memorandum rieten die Autoren von einer Neutralität Deutschlands ab und sahen in einer (west-)deutschen Beteiligung an einem Sicherheitssystem für Westeuropa eine reale politische Option. Konrad Adenauer, damals Vorsitzender der CDU in der britischen Besatzungszone, erhielt von dieser Denkschrift Kenntnis und bat um weitere Ausarbeitungen zu einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag. Bis Dezember 1948 entstanden so unter Speidels Führung insgesamt sechs Denkschriften zur sicherheitspolitischen Lage im Nachkriegsdeutschland. In einer gemeinsam mit dem 1937 bis 1944 im Oberkommando der Wehrmacht tätigen, dann inhaftierten Adolf Heusinger vorgelegten Expertise stellten die beiden früheren Generale beispielsweise 1949 fest, dass die Volkspolizei in der sowjetischen Besatzungszone mit dem Ziel aufgebaut worden sei, eine Armee aufzustellen, die Westdeutschland in einem Bürgerkrieg bezwingen sollte.

Die Memoranden für das »Deutsche Büro für Friedensfragen« gingen grundsätzlich davon aus, dass ein westeuropäisches Verteidigungsbündnis sich abzeichne, dass eine westdeutsche Beteiligung daran sinnvoll und notwendig sei, dass die Initiative hierfür allerdings von den Westmächten ausgehen müsse. Als Gegenleistung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag wurde die Gleichberechtigung des entstehenden westdeutschen Staates genannt. Adenauer war als Vorsitzender des Parlamentarischen Rates von diesen Denkschriften in seinem sicherheitspolitischen Denken stark beeinflusst. Um die Sensibilität des Themas Wiederaufrüstung wissend, verzichtete er jedoch weitgehend auf öffentliche Äußerungen hierzu. Die öffentliche Meinung in Deutschland ließ noch kein Nachdenken über den Nutzen deutschen Militärs zu. Adenauer bewegte sich in einem Minenfeld politischer Rücksichtnahmen und thematischer Tabus. Er überließ es den Westalliierten, zum richtigen Zeitpunkt die Initiative zu ergreifen. Allerdings forderte er von ihnen mehrfach eine alliierte Sicherheitsgarantie ein – wohl wissend, dass diese nur in Zusammenarbeit mit den Deutschen, im besten Falle mit einer deutschen Streitkraft, zu gewährleisten sei. Somit drängte Adenauer den Westmächten ebenso subtil wie geschickt das Thema immer wieder auf.

Im November 1949 – Adenauer war seit einem halben Jahr Bundeskanzler – verärgerte er die Alliierten mit einem in Deutschland weitgehend unbekannt gebliebenen Interview in der französischen Regionalzeitung »L’Est Républicain«, in dem er die Bereitschaft der Bundesrepublik erklärte, einen Beitrag zur Verteidigung Europas im Rahmen einer europäischen Streitmacht zu leisten. Auch wenn die öffentliche Meinung strikt gegen eine neue Streitmacht war, so ließ sich Adenauer nicht von seiner Politik der kleinen Tabubrüche und Nadelstiche beim Thema Wiederbewaffnung abbringen. Verdeckt, aber seit 1950 immer konkreter werdend, trieb der Kanzler die Planungen für den Aufbau einer westdeutschen Armee voran. Adenauer gründete dazu eine Organisation mit dem nichtssagenden Namen »Zentrale für Heimatdienst«, deren Leitung der militärpolitische Berater des Kanzlers, General der Panzertruppe a.D. Gerhard Graf von Schwerin, übernahm. Ihm schwebte...

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