André
Bist du ein glücklicher und zufriedener Mensch?
Nach oben ist immer Spielraum. Ich habe mir aber eine Grundzufriedenheit erarbeitet.
Hast du früher Musik gemacht?
Ich habe mit zwölf zum ersten Mal Gitarre gespielt, hatte aber zu kleine Finger oder die Gitarre war zu groß. Ich fing erst wieder an, als ich merkte, dass ich damit Frauen beeindrucken konnte. So mit 16/17 Jahren. Damals habe ich die letzten Zuckungen des Punkrock noch mitgenommen. Ich spielte dann auch in einer Punkband Bass, die nannte sich Schwarz-Weiß. Wir haben viel Social Distortion gecovert, waren zwei Jahre in einem Proberaum, haben uns ordentlich die Birne zugezogen – und nie einen Gig gehabt. Wir hatten aber sehr viel Spaß. Ich bin dann ausgestiegen, weil mich die Muse verlassen hatte. Ich hängte den Bass an die Wand und verkaufte ihn ein paar Jahre später. Damals dachte ich: Ich bin vielleicht eher der Hörer als der Macher. Bis ich die Ukulele entdeckte …
Ukulele?
Ich bin vor zwei Jahren über dieses tolle Instrument gestolpert, jetzt übe ich jeden Tag zwei Stunden. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas mit so viel Leidenschaft gemacht wie das Ukulelespielen. Es ist einfach einzigartig: Der Klang macht sofort gute Laune und es ist leicht zu lernen, weil die Ukulele nur vier Saiten hat. Bei der Gitarre hatte ich immer einen Finger zu wenig, jetzt habe ich einen zu viel, mit dem ich Unfug machen kann. Und: Ich habe seit der Schule zum ersten Mal gelernt, dass nur Übung einen weiter bringt. Klar habe ich Momente, wo ich denke, den Song schmeiße ich an die Wand … aber am nächsten Morgen geht das wie Butter. Echte Erfolgserlebnisse!
Für Ukulele muss man eher ein fröhlicher Mensch sein. Ein Joy-Division-Song würde damit wohl nicht klappen?
Sicher? Alles geht auf der Ukulele. Das ist das Großartige daran! Ich spiel euch jetzt mal „Love will tear us apart“ vor und zwar auf Deutsch und das heißt „Und dann ist Liebe ein Teufelskreis“.
Hast du Pläne damit?
Ich habe im Internetforum eines Ukulelenclubs Leute gefunden, die einmal in der Woche musizieren wollen. Das hat sich innerhalb kürzester Zeit vom totalen Amateurhaufen zum semiprofessionellen Orchester entwickelt. Wir sind in Winterswijk in Holland auf einem Treffen mit knapp 100 Musikern in der Fußgängerzone als Ukulelenorchester aufgetreten. An einem Samstag und die Straße war sofort voll.
Punk. Rap. Ukulele. Du zeigst eine große Offenheit!
Nachdem von den Punkbands, die ich mochte, nichts mehr zu hören war, entstand ein Loch. Da bin ich dann auf Public Enemy abgefahren, weil das für mich eine Fortsetzung mit anderen Mitteln war. Ich kann mich auch erinnern, dass ich schon 1984 bei Grandmaster Flash war, mit einem Haufen Punkkumpels. Elektronische Musik hörte ich ebenfalls eine Zeit lang. Das war wie eine Explosion, hing aber ganz klar mit Drogen zusammen, weil das zu dieser Musik einfach gut passte. Das kam schnell und war genauso schnell wieder vorbei. Elektronische Musik geht mir heute nach wenigen Takten auf den Sack. Horror! Sie bereitet mir geradezu körperliche Schmerzen. Musik ist immer unheimlich wichtig für mich gewesen, teilweise pervers wichtig. Ich habe in jungen Jahren mit Leuten kein Wort gewechselt, die nicht dieselbe Musik wie ich gehört haben. Da war ich teilweise fast faschistoid. In den letzten Jahren liebte ich neben Rock ’n’ Roll auch viel Swing und Jazzsachen, die großen alten Orchester Goodman, Dorsey und vor allem den legendären Big-Band-Schlagzeuger Gene Krupa. Die Ukulele erschließt natürlich auch neue Musikgebiete.
Warst du aufsässig?
Rebellion ist das Thema, das sich stark durch mein Leben zieht. Ich hatte schon in der Schule Autoritätsprobleme. Ich bin sogar von der Waldorfschule geflogen, dass muss man erst einmal schaffen. Die war aber nicht so lustig, wie man es sich vorstellt. Unter den Lehrern waren selbst noch alte Hitlerjungen dabei! Es gab so einen Morgenspruch von Rudolf Steiner, den mussten alle jeden Tag vor dem Unterricht aufsagen – bis ein Kumpel nach dem Urlaub auf einmal mit bunten Haaren, Ledermantel und Springerstiefeln zurückkam, was uns sowieso sehr beeindruckt hat. Und der hat dann angefangen, diesen Morgenspruch zu verweigern. Am nächsten Tag waren es dann schon drei Neinsager, einer davon war ich. Kurz danach war die ganze Klasse dabei und dann fing sogar die Parallelklasse an! Wir wurden als Unruhestifter ausgemacht und zum Direktor geschickt, der uns sagte: „Anpassen oder gehen!“
Bist du gegangen?
Na ja, ich war 15. Also holte ich mir Rückendeckung bei meiner Mutter. Ich rief sie an und sagte „Es geht nicht mehr“, und sie antwortete, „Okay, dann komm.“ Zwei Tage später packte ich meine Sachen und das Thema Internat war für mich gegessen.
Und dann?
1984 kam ich nach Düsseldorf zurück, da tobte noch der Punk in den Straßen. Mit 15 hast du zu viel Adrenalin und musst Action haben. Und Punk war die vielversprechendste Art, Spaß zu haben. Es gab eine Zeit, da habe ich Punk einfach als die Zeitgeistrebellion meiner Generation gesehen. So bis 1992 war ich in der Szene.
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas mit so viel Leidenschaft gemacht wie Ukulelespielen.
Hast du dich als elitär empfunden?
Absolut! Ich wollte definitiv anders sein und fühlte mich komischerweise als Herdentier, das der Mensch nun mal ist, im gemeinsamen anders sein am wohlsten. Wenn ich mich erinnere, wie es Mitte der 80er Jahre auf der Ratinger Straße aussah: Das war „Abenteuer pur“. Das hat sich aber bei mir relativiert, da ich eine verrückte Mutter hatte. Wenn man nachts um drei Uhr im Ratinger Hof seine Mutter trifft, die noch mehr in der Krone hat als man selbst, ist es schwer, eine Rebellion gegen das eigene Elternhaus zu entwickeln.
Gab es einen Grund, die Szene zu verlassen?
Irgendwann war es einfach vorbei. Die Wut war weg. Viele Kumpels drifteten entweder völlig ab und versackten ständig im Suff oder Speedrausch. Andere stiegen aus und gründeten Familien. Für viele hatten sich die Prioritäten verändert. Und für manche so deutlich, dass klar wurde: So wichtig war der Punk für sie gar nicht. Die inszenierte Selbstzerstörung wie im Punk gehört zu den menschlichen Urtrieben. Aber letztendlich macht das Leben doch Spaß.
Woher kam deine Renitenz?
Mein Vater ist sehr früh gestorben. Meine Eltern hatten sich vorher schon scheiden lassen. Meine Mutter ist gelernte Finanzbuchhalterin. Sie hat sich hochgearbeitet und den Aufstieg von der Arbeiterfamilie ins bürgerliche Milieu durch fleißige Arbeit gemeistert.
Meine Verwandten waren deutlich rot. Schon meine Großeltern, die in den 50er/60er Jahren ein Hotel aufgebaut hatten, waren stramm SPD. In meiner Familie gab es aber auch Juden, die im Dritten Reich umgekommen sind, was natürlich die Generation meiner Großmutter traumatisiert hat. Das wurde an die Kinder und Enkel weitergegeben. So gesehen gehöre ich zur letzten Kriegsgeneration! Ich habe weder zu Deutschland oder irgendeinem Staat eine Beziehung. Ich hege eine Ablehnung gegen jede autoritäre Struktur.
Bist du heute politisch tätig?
Ich habe mich nie Vollzeit für irgendein politisches Ziel engagiert. Denn ich mag keine Institutionen. Ich bin eine Zeit lang meiner Mutter in den SPD-Ortsverein Pempelfort gefolgt, das war ein dröger Haufen. Das ganze innerparteiliche Prozedere ging mir auf den Sack. Aber vieles auf der Welt liegt doch im Argen. Man kann sich sagen: Ist halt so, lässt sich nicht ändern. Aber das ist falsch. Es lässt sich ändern! Ich wäre am liebsten Diktator.
Du warst vieles, nur nie Mainstream?
Ich habe mich im Mainstream nie wohl gefühlt. Er gaukelt eine trügerische Sicherheit vor. Wenn du dich von Anfang an ein Stück außerhalb der Gesellschaft positionierst, stellen sich viele Fragen nicht. Als ich anfing, mir die Unterarme tätowieren zu lassen, hat sich viel Zeitverschwendung erledigt, denn mit normaler Karriere war nichts mehr. Heute lässt sich jeder Proll seine Swingerclubtattoos machen. Aber zu der damaligen Zeit war es doch noch ein ganz anderes Statement.
Also keine Banklehre mehr?
Das kam natürlich grundsätzlich nie in Betracht. Zeitweise war ich auf einem ganz guten Wege für eine Karriere in der Filmproduktion. Aber mir wurde die ganze Blase darum zu blöd. Ich merkte, dass ich mich ein Stück weit verkaufen konnte, aber das nicht mein Leben lang machen wollte. Außerdem kriegst du in manchen Sparten ab 40 keinen Job mehr. Das war uninteressant.
Wovon lebst du heute?
Ich habe einen...