Einführung
Seit der Mensch anfing, in unseren Breitengraden das Meer zu erobern, existieren auch Schiffsrouten und Handelswege entlang der deutschen Nordseeküste. Die Gewässer mit ihren Strömungen und den sich laufend verändernden Fahrwassern sind schwer zu navigieren. Und so strandeten hier im Lauf der Zeit eine Unzahl von Schiffen. Das älteste bekannte Wrack dieser Region hat ein Alter von rund 11.000 Jahren. 1885 wurde es bei Baggerarbeiten im Husumer Hafen entdeckt.
Wrackrest nahe einer Rettungsbake auf Scharhörn-Riff.
Foto: Stadtarchiv Cuxhaven
Für die Küsten- und Inselbewohner war bis zur Neuzeit der Schiffbruch vor allem die Chance, Strandungsgut zu ergattern. Den in Seenot befindlichen Menschen wurde bis ins 19. Jahrhundert wenig Achtung geschenkt. Im Gegenteil, nicht selten versuchte man sogar, sie durch falsch gesetzte Feuer vorsätzlich ins Verderben zu locken. Schiffbrüchige, die sich durch die Brandung an Land zu retten vermochten, wurden nicht selten als unerwünschte Mitwisser ermordet. Erst im 19. Jahrhundert änderte sich die Einstellung gegenüber Schiffbrüchigen allmählich. Nach und nach begannen die verschiedenen Küstenländer mit dem Aufbau von Rettungsorganisationen. Der industrielle Fortschritt brachte auch der Sicherheit an den Küsten entscheidende Impulse. Auf das mühsam geruderte Rettungsboot folgte jenes mit Motorantrieb, und am bisherigen Ende dieser Entwicklung steht der fast unverwüstliche Rettungskreuzer. Dampf- und später Motorschlepper wurden konstruiert, die mit bis dato unbekannter Kraft und Seetüchtigkeit gestrandeten Schiffen zu Hilfe kommen konnten. Bereits kurz nach dem Beginn der Eroberung des Luftraums entwickelte sich im Verlauf des Ersten Weltkriegs auch die Luftrettung. Mit den Fortschritten im Navigations- und Seezeichenwesen ging die Häufigkeit von Strandungen kontinuierlich zurück. Die bis ins 19. Jahrhundert die Meere beherrschenden hölzernen Segelschiffe wurden binnen weniger Jahrzehnte durch Maschinen getriebene Stahlfahrzeuge weitgehend verdrängt, die natürlich auch bei Seeunfällen eine größere Stabilität aufweisen.
Mahnmal in der Elbmündung: Der britische Frachter ONDO – hier im Februar 1962 – liegt seit 1961 auf dem Großen Vogelsand.
Foto: Archiv Kieler Nachrichten
Dennoch wachsen die Schiffsfriedhöfe der See bis in die heutige Zeit pausenlos an. In deutschen Gewässern sind die markantesten Zeichen für die Übermacht des Meeres die Wracks der großen Frachter ONDO und FIDES, die jedes die Elbe passierende Schiff auf Höhe des Großen Vogelsands in Sicht bekommt, und die Reste der prominenten PALLAS vor Amrum. Gerade das Schicksal dieses Frachters machte aber auch klar, dass die meisten Menschen heutzutage von einer selbstverständlichen Überlegenheit der Technik ausgehen: Vielen kam es nach der Havarie 1998 zunächst gar nicht in den Sinn, dass die PALLAS womöglich gar keinen Hafen mehr erreichen würde. Als ihr Rumpf plötzlich aufzubrechen begann, war die Bestürzung umso größer, und der Frachter wurde zum Synonym für eine Ölpest im Wattenmeer. Der ausgelaufene Betriebsstoff war – trotz des mannigfaltigen Todes von Vögeln in der Folge – allerdings mitnichten die Katastrophe, zu der sie vor allem von den Medien hochstilisiert wurde. Eine solche hätte aber in der Tat schon lange eintreten können – mehr als einmal lagen Tanker mit vielen tausend Tonnen Öl an Bord in der Deutschen Bucht fest. Bisher konnten sie dank der Professionalität der Schiffsberger stets wieder befreit werden. Jedoch bietet nur eine funktionierende und gut ausgebaute Gefahrenabwehr die größtmögliche Gewähr, dass dies in Zukunft auch so bleibt. In diesem Licht ist die negative Entwicklung des Schlepperwesens kritisch zu betrachten, denn Sicherheit darf nicht unter der Ebbe öffentlicher Kassen leiden. Je weniger Hilfsschiffe vorgehalten werden, umso mehr steigt das Risiko eines ökologischen Desasters als Folge eines Tankerunglücks in der Deutschen Bucht mit ihren zahlreichen Schiffsbewegungen. Die heutzutage gängigen Schiffstypen bieten zwar ein höheres Maß an Sicherheit als die fragilen Gefährte vergangener Tage, stellen jedoch im Falle eines Schiffbruchs mit ihren gewaltigen Ladungs- und Betriebsstofftanks ein ungleich größeres Umweltrisiko dar. Sobald ein Schiffskörper nicht mehr schwimmt, sondern auf Grund liegend der Gewalt der See ausgesetzt ist, wirken Kräfte auf ihn ein, denen auch modernste Schiffbautechnik nicht unbegrenzt gewachsen ist. Insbesondere die mächtigen Supertanker haben im Vergleich zu ihrer Größe nur eine dünne Wandung, und es sind längst noch nicht alle Schiffe dieser Kategorie mit doppelter Rumpfhülle ausgerüstet.
Menetekel vor Amrum: Die PALLAS, hier im Mai 1999.
Foto: Autor
Wie schnell sich eine normale Fahrt zu einer nicht mehr abwendbaren Katastrophe entwickeln kann, haben gerade in jüngerer Vergangenheit die viel beachteten Untergänge der Tanker ERIKA, IEVOLY SUN und PRESTIGE bewiesen, aber auch die Menetekel, für die Großtanker wie AMOCO CADIZ, EXXON VALDEZ, TORREY CANYON oder BRAER stehen.
Die Strandung der TORREY CANYON verursachte 1967 vor England die erste große Ölpest der Schifffahrtsgeschichte.
Foto: Archiv Kieler Nachrichten
Entlang der deutschen Küste ist seit der Gründung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger im Jahre 1865 immerhin ein dichtes Netzwerk von Interventionskräften entstanden. Deren Komponenten sind erstens die zahlreichen Stationen der Rettungsgesellschaft, zweitens die innerhalb kürzester Zeit einsatzbereiten Seenot-Hubschrauber der Marine, drittens die von verschiedenen Reedern betriebenen Schlepperflotten und viertens die in den vergangenen Jahren entwickelten Mehrzweckschiffe der Wasser- und Schifffahrtsämter.
Dieses alte Wrack liegt gekentert in der Weite des Watts zwischen Wangerooge und Schillig.
Foto: Autor
Zur Entwicklung des Seenotrettungswesens ist über die Jahre hinweg eine Reihe von Büchern erschienen. Ebenso gibt es qualitativ sehr unterschiedliche Literatur zu ausgewählten Havarien im deutschen wie weltweiten Seegebiet sowie einzelne Publikationen über Luftrettung und Bergungswesen.
Der vorliegende Text versucht, diese Stränge zu bündeln. Die Entwicklung der verschiedenen Gattungen des Rettungswesens wird in drei Kapiteln von den Wurzeln bis hin zu den momentan absehbaren Entwicklungen kurz und teilweise episodenhaft fokussiert dargestellt. Für eine tiefer gehende Lektüre sei auf die entsprechenden Werke im Literaturverzeichnis verwiesen. Danach folgt eine regional wie chronologisch geordnete Darstellung ausgesuchter größerer Strandungsfälle entlang der nord- und ostfriesischen Küste. Schließlich wird der Leser zu einer Spurensuche eingeladen. Die meisten der im Lauf der Zeit wrackgefallenen Schiffe werden zwar schnell zerschlagen und eingesandet, doch ein aufmerksamer Küstengänger vermag mit etwas Glück dennoch eine Reihe von Relikten ausfindig zu machen. Diese Nachforschung endet im Cuxhavener Wrackmuseum, in dem zahlreiche Artefakte verlorener Schiffe der Nachwelt erhalten geblieben sind.
Damit schließt sich der Kreis – Schifffahrt, Schiffbruch, Seenotrettung, Verfall und »Wiederauferstehung« als mariner Lebensraum oder archäologisches Objekt. Ich hoffe, dass es mit diesem Text gelingt, dem Leser ein tieferes Verständnis des Wesens der Nordseeküste, der Kraft der dort herrschenden Elemente und deren Einfluss auf die Menschen, die am Meer leben, zu vermitteln. Dieses Buch ist auch eine Würdigung des tagtäglichen Wirkens von Seenotrettern und Schiffsbergern im Dienst am Menschen und der Umwelt, das jenseits spektakulärer Einsätze in der Öffentlichkeit wenig beachtet wird.
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