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E-Book

Die China-Falle

Abgezockt im Reich der Mitte

AutorJürgen Bertram
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783104002538
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Es gibt so gut wie kein Produkt, das in China nicht kopiert wird. Als typisch gilt das Beispiel eines Hannoverschen Mittelständlers, der sich in Peking auf ein joint venture zur Produktion von Spezialverschlüssen für Ölleitungen einließ. Am Ende einer Kette von Irritationen und Betrügereien stahlen ihm seine chinesischen Partner den Panzerschrank mit den Blaupausen seiner viel versprechenden Patente und setzten die genialen Ideen in ihrer eigenen Fabrik um. Ist das kriminell? Nach der konfuzianischen Lehre, dem kulturellen Fundament Chinas, ist es keineswegs verwerflich, sich des geistigen Eigentums von Fremden zu bemächtigen. Schließlich dient ein solcher Diebstahl der Gesellschaft - der chinesischen. Insgesamt gehen der innovativen deutschen Wirtschaft durch diese Piraterie jedes Jahr etwa 30 Milliarden Euro verloren. Lebensgefährlich wird es, wenn die Chinesen den Weltmarkt mit minderwertigen oder schadstoffhaltigen Kopien von Arzneimitteln, Kinderspielzeug oder Bremsbelegen überschwemmen.

Der langjährige China-Korrespondent des ARD-Fernsehens Jürgen Bertram hält regelmäßig Vorträge bei Industrie- und Handelskammern, Sparkassen, deutsch-chinesischen Vereinigungen, Industriefirmen oder Handelsförderungs-Organisationen. Während er mit seinen kritischen Beiträgen über die Möglichkeiten des chinesischen Marktes anfangs auf Skepsis oder Ablehnung stieß, dominiert mittlerweile die Zustimmung. Zu schwer wiegen die Verluste, die deutsche Unternehmen in China haben hinnehmen müssen.

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Leseprobe

2. »Das Lebenswerk meiner Eltern
wurde zerstört«


Alice Maria im Wunderland

Alzenau in Unterfranken gehört zu den deutschen Provinzstädten, in denen eine »Zuchtkaninchen-Schau« noch als Ereignis gilt. Schlappohrig posieren die Belgischen Riesen, Weißen Wiener und Englischen Schecken auf überdimensionalen Plakaten in den Schaufenstern des Einzelhandels, und mit ihrer mümmelnden Behaglichkeit nehmen sie auch den Besucher für sich ein, den es wegen einer ganz anderen Thematik in den nördlichen Winkel des Freistaates Bayern verschlug. Der satte Klang der Abendglocken von Sankt Justinus, die von den letzten Sonnenstrahlen gülden gefärbten Kaskaden eines Flüsschens namens Kahl und die auf einer Anhöhe des Spessarts thronende mittelalterliche Burg, in deren Hof man gerade »Das Käthchen von Heilbronn« spielt, vollenden das Idyll. An die Vorstellung, dass in diesem Ort von 19 000 Einwohnern deutsche Spitzentechnologie gefertigt wird, muss man sich erst gewöhnen.

Die Firma micotrol residiert in der Daimlerstraße, die sich mit ihren zweckorientierten Fassaden aus Glas und Beton und ihren unwirtlichen Supermärkten scharf abgrenzt gegen den heimeligen Kern der Gemeinde. Auf die elektronische Steuerung von Fahrstühlen hat sich das Unternehmen spezialisiert. Seine Geschäftsführerin Alice Maria Salber lässt zeitlupenhaft die Fingerkuppen aneinanderstoßen, um die Vorzüge ihrer Geräte zu demonstrieren. »Keinen Zentimeter«, sagt sie, »dürfen die Kanten beim Öffnen des Lifts voneinander abweichen. Und der Start muss so sanft sein, dass man ihn gar nicht merkt. Wenn ich irgendwo auf der Welt einen Aufzug benutze und ein Ruckeln verspüre, dann weiß ich sofort: die Steuerung stammt nicht von uns.«

Wesentlich knapper antwortet die 41-Jährige auf eine Frage, die ich vorsichtshalber als »ziemlich gemein« avisiere: »Welcher Begriff fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an China denken?«

»Ohnmacht.«

»Sonst nichts?«

»Doch: Wut.«

Es sind ihre Eltern, die Ende der neunziger Jahre auf die Idee kommen, es mit ihrem »Nischenprodukt« auf dem Markt im Fernen Osten zu versuchen. Das Kalkül: Die neuen ökonomischen Freiheiten lassen vor allem in den boomenden Küstenstädten eine neue, zahlungskräftige Schicht entstehen. Deren Streben nach Komfort und Prestige schlägt sich in der Bauweise ihrer Siedlungen nieder. Also wächst auch der Bedarf an eleganten und perfekt funktionierenden Aufzügen.

In einem Kaufmann aus Kanton findet das Familienunternehmen einen, wie es auf den ersten Blick scheint, idealen Partner. Als ehemaliger Fahrstuhlmonteur versteht er etwas von der Technik. In seinem neuen Job als Unternehmer weiß er um die Lücken und Tücken des chinesischen Marktes. »Ein wenig zu forsch« fällt allerdings, wie sich die Tochter erinnert, der Antrittsbesuch in Alzenau aus. »Sein erster Satz lautete: ›Ich will schnell Millionär werden!‹.«

»Hatte er wenigstens den Charme eines Hochstaplers?«

»Nein. Aus ihm sprach die reine Geldgier. Das galt noch mehr für seine Frau, die er in die Verhandlungen schickte, wenn es um die letzten Details ging. Mit einer so knallharten Person hatte ich es noch nie zu tun.«

Die Stutzeffekte häufen sich mit der Dauer der Zusammenarbeit. Mal lässt sich der chinesische Repräsentant die hochwertige Ware in die Sonderzone Hongkong schicken, um sie wohl auf geheimen Wasserwegen mit Dschunken zollfrei in Richtung Festland zu schleusen. Mal wählt er den direkten Weg, aber dann verschwinden die Geräte oft monatelang bei den volksrepublikanischen Kontrollbehörden. »So lange eben«, mutmaßt Alice Maria Salber heute nicht ohne Grund, »bis man sie kopieren konnte.«

Und mit der Zahl der Aufträge nehmen auch die Forderungen zu, mit denen der geschäftstüchtige Kantonese seine unterfränkischen Partner nervt. Als seine Frau mit einem zweiten Kind schwanger ist, bedrängt er die Familie, sie bis zur Geburt bei sich aufzunehmen. Der Trick, auf den sich das Alzenauer Unternehmen allerdings nicht einlässt: Auf diese Weise erwirbt das Baby das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft – und die chinesischen Eltern umgehen die Strafe, die ihnen in der Heimat wegen der strikten Ein-Kind-Politik droht.

Schon bald greift auch ein Mechanismus, mit dem sich fast jeder deutsche China-Investor konfrontiert sieht: Es rückt, auf Firmenkosten, eine Gruppe von Kadern an, die das Geschäft in der Volksrepublik dank ihrer politischen und bürokratischen Macht forcieren oder behindern können. Das Trio, das man in Alzenau begrüßt, hält sich in dem kulturell interessanten, aber von einem Nachtleben weitgehend freien Städtchen gar nicht erst lange auf, sondern steuert spornstreichs die etwa dreißig Kilometer entfernte Metropole Frankfurt an. »Die hatten«, so Alice Maria Salber, »nur ein Ziel im Kopf: Das Rotlichtviertel in der Nähe des Hauptbahnhofs. Ja, und irgendwann kam dann ein Anruf von der Polizei. Ein Beamter bat uns händeringend, die drei Chinesen auszulösen. Sie waren mit den Diensten der Damen wohl nicht zufrieden und weigerten sich, die Rechnung zu begleichen.«

Auch ein Bankett, zu dem die deutsche Unternehmer-Familie ihre Gäste einlädt, mündet in einen Eklat. »Weil ihnen offenbar irgendetwas nicht passte, haben sie das Personal angepöbelt und wurden sogar handgreiflich. Die Dolmetscherin war am Ende dermaßen mit den Nerven fertig, dass sie den Job hingeschmissen hat.«

Die Folge: Einen Italien-Trip, der vor allem dem Kauf von Schmuck dient, muss die Gruppe ohne Begleitung antreten. Prompt verpassen die Touristen aus Fernost in Mailand den Rückflug nach Frankfurt. Sie nehmen den Zug – und wieder gibt es Ärger mit der Polizei. In ihren Pässen fehlt das Visum für die Schweiz. »Als sie dann endlich in Alzenau eintrafen, hatte ich Mühe, ihnen klarzumachen, dass man sich auch als Chinese in Europa an bestimmte Regeln halten muss. Unglaublich, wie die sich hier aufgeführt haben. Unverfroren und unverschämt war das.«

Meine Interviewpartnerin breitet, nachdem sie ihre Suada beendet hat, die Arme aus, hebt die Schultern und zieht die Augenbrauen hoch. Es fällt mir nicht schwer, ihre Körpersprache zu deuten, weil ich exakt das Gleiche empfinde: Es tut mir ja leid, dass ich ein so drastisches Urteil fällen muss. Aber das ist nun mal die Realität. Sie aus Gründen der political correctness zu verdrängen, wäre verlogen und bringt uns nicht weiter.

Als wolle sie dokumentieren, dass sie trotz ihrer negativen Erfahrungen auch zur Solidarität mit chinesischen Bürgern fähig ist, schickt Alice Maria Salber einige Eindrücke von einer Reise in die chinesische Provinz hinterher: »Da stand an einer Kreuzung ein ausgemergelter Mann mit seinem Fahrrad, dessen Anhänger haushoch mit Holz beladen war. Als die Ampel auf Grün sprang und er in die Pedale trat, dachte ich: gleich bricht er vor unseren Augen zusammen. Und dann die Arbeitsbedingungen in den Betrieben, die man uns zeigte: Morgens um fünf wird da angefangen, abends gegen acht aufgehört. Zwischendurch legt man sich in der Massenunterkunft mal auf die Pritsche. Und es herrscht dort ein unglaublich autoritärer Ton. Also für mich war China ein einziger Kulturschock.«

Auch für mich. Und das gilt nicht nur für meine acht Korrespondentenjahre, sondern genauso für meine regelmäßigen Besuche danach. Was ich zum Beispiel während einer Drehreise im Jahre 1999 in der Provinz westlich von Peking erlebe, bestätigt die Eindrücke meiner Alzenauer Gastgeberin. Mein Thema ist der zehnte Jahrestag der Niederschlagung des Volksaufstandes am 4.Juni 1989. Als wir in einem Steinbruch filmen, in dem das Material für das Pflaster auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking gewonnen wird, entdecke ich eine Gruppe junger Frauen, die mit Hämmern riesige Brocken zerkleinern und gegen den feinen Staub, der nach jedem Schlag auf ihre Kleidung und ihre Gesichter rieselt, in keiner Weise geschützt sind. Ich frage den chinesischen Besitzer, wie lange seine Arbeiterinnen täglich im Akkord schuften. Seine Antwort: »So lange, bis sie nicht mehr können.«

Auch für das Auftreten der Kader während ihres Europa-Besuchs fällt mir bei meinem Gespräch in der Firma micotrol eine Parallele ein. Erst wenige Monate zuvor hat mir ein deutscher Kaufmann, den ich aus meiner Zeit in Peking kenne und der jetzt in Australien lebt, von seinen Schwierigkeiten berichtet, die chinesischen Kunden seines bei Ulm ansässigen Arbeitgebers in Hotels unterzubringen. »In der ganzen Stadt und ihrer Umgebung war damals kein Wirt bereit, diese Besucher aufzunehmen. So schlechte Erfahrungen hatte man mit ihnen gemacht. Ausländerfeindlichkeit war es jedenfalls nicht, die zu dieser Weigerung führte.«

China hat den Sprung in die ökonomische Moderne, das muss man sich immer wieder vor Augen führen, innerhalb weniger Dekaden vollzogen. Das feudalistische und bäuerliche Fundament, auf dem die Gesellschaft seit einigen Jahrtausenden basiert und das auch der kommunistischen Revolution standhielt, blieb von dieser Zäsur weitgehend unberührt. Am auffälligsten schlägt sich dies im Verhalten der Neureichen und der von dieser Schicht profitierenden Kader nieder.

Der verunglückte Besuch im Bordell, die Raufhändel im Restaurant, die Komplikationen während der Zugfahrt – es sind Vorkommnisse, die sich irgendwie ausbügeln lassen. Für die wirtschaftlichen Nackenschläge, die folgen, gilt das nicht. Im Jahre 2003 bestätigt sich bei einer Inspektionsreise der Verdacht, dass der in China residierende Repräsentant die in Alzenau gefertigten Geräte in eigener Regie nachbaut. Ein deutscher Mitarbeiter hilft ihm offenbar dabei. Die...

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