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Die Dirigentin. Geschlechterkampf im Orchestergraben?

Österreichische Musikzeitschrift 03/2015

VerlagHollitzer Wissenschaftsverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783990122105
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
Dompteur, Dämon, Despot - wie kein zweiter steht der Dirigentenberuf für musikalische Machtausübung, die traditionell mit Männlichkeit assoziiert wird. Dass im Pantheon und selbst in der Mittelklasse der Frackträger für Frauen kaum Platz bleibt, ist ein Indiz dafür, wie beharrlich stereotype Geschlechterrollen auch in der 'klassischen' Musikkultur die kollektive Wahrnehmung prägen. Das Bild des Befehlshabers über orchestrale Klang-'Körper' ist dabei nicht das einzige Beispiel greller Zuschreibungen - am anderen Ende der Skala steht 'die Diva': opulent gekleidet, exzentrisch und verführerisch im Rampenlicht, dient sie als Projektionsfläche erotischer Phantasien und Begierden. Die ÖMZ analysiert Anachronismen und würdigt Individuen, deren Karrieren aus dem eingeübten Rollenspiel ausscheren.

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Leseprobe

THEMA


Den »Titel ›Dirigentin‹ – also: Frau am Pult – zu überwinden«
Zur Situation von Dirigentinnen im deutschsprachigen Raum


Annkatrin Babbe


Nach steinigen Anfängen sind Dirigentinnen heute so präsent wie nie zuvor. Dennoch müssen sich Frauen am Pult großer Orchester weiterhin gegen hartnäckige Vorurteile behaupten. Allenthalben werden ihnen von männlichen Rivalen mangelndes Führungsvermögen oder störende »sexuelle Energie« angelastet. Der vorliegende Beitrag skizziert die gegenwärtige Situation von Dirigentinnen im deutschsprachigen Raum und versucht mögliche Ursachen für die weiterhin bestehende Unterrepräsentanz von Frauen in dieser Berufsgruppe zu benennen.

»Ich als Frau, Dirigentin und Kollegin [fordere] Sie zu einem Konzert-Duell in Oslo heraus, bei dem wir beide mit dem gleichen Orchester abwechselnd die gleichen Stücke aufführen. Wir stammen beide aus Russland, haben beide Familie und ein Kind, sind beide im gleichen Alter. Das einzige, was uns unterscheidet, ist das Geschlecht«1. Zu demonstrieren, dass zwischen Dirigentinnen und Dirigenten vor allem bezüglich Fach- und Führungskompetenz kein Unterschied besteht – das intendierte Anna Skryleva, 1. Kapellmeisterin am Staatstheater Darmstadt, mit ihrer Aufforderung an den Dirigenten der Filharmonien Oslo, Vasily Petrenko. Dieser hatte zuvor der Zeitung Aftenposten gegenüber geäußert, dass Frauen für den DirigentInnenjob weniger geeignet seien als Männer. Durch eine Dirigentin würden die Musiker – ob der »sexuellen Energie« der Frau – abgelenkt und daher unkonzentrierter spielen.2 Zudem seien für Frauen durch etwaige familiäre Verpflichtungen größere Schwierigkeiten mit dem Beruf verbunden. In ihrem offenen Brief vom 4.9.2013 wandte sich Skryleva an Petrenko, auch um mit solch hartnäckigen Gemeinplätzen aufzuräumen und außerdem klarzustellen: Es ist nichts Anderes, nichts Außergewöhnliches, wenn Frauen am Pult stehen.

Vor allem ist es auch nichts Neues: Dirigentinnen gibt es seit Jahrhunderten. Bereits vor und um 1800 übernahmen Frauen im europäischen Raum die Leitung von Orchestern. Vom Tasteninstrument aus »dirigierten sie zumindest Liebhaberkonzerte, halböffentliche und häusliche Aufführungen«3, in anderen Fällen leiteten Frauen auch öffentliche Konzerte von der Geige aus. Die Loslösung des Dirigierens vom Instrument und die Herausbildung des neuen Berufsbildes im 19. Jahrhundert implizierte einen »Zuwachs an Autorität« sowie den »Nimbus eines kongenial nachempfindenden Interpreten«4. Als »Inbegriff ›musikalischer Macht‹ und verklärender Genieästhetik«5 blieb damit gerade Dirigieren den Männern vorbehalten, schließlich stand die Tätigkeit mit dem Idealbild der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft in Konflikt. Dennoch traten einige Frauen weiterhin vor Orchester.

Auch im 19. Jahrhundert traten einige Frauen vor Orchester, darunter Fanny Hensel (geb. Mendelssohn; 1805–1847). Ölbildnis von Moritz Daniel Oppenheim, 1842.

Im 19. Jahrhundert waren dies unter anderem Fanny Hensel und Nina Stollewerk, außerdem Josephine Amman-Weinlich, die nicht nur das Erste Europäische Damenorchester gegründet und geleitet, sondern später auch Lissaboner Berufsorchester dirigiert hat, und Juliette Folville, die sich 1890 als erste Dirigentin vor das Concertgebouw Orchester in Amsterdam gestellt hat. Im 20. Jahrhundert erlangten Ethel Leginska, Nadia Boulanger und Antonia Brico ansehnliches Renommee. Später, Mitte der 1970er-Jahre, machten sich Dirigentinnen wie Sylvia Caduff, bekannt als eine der ersten Frauen am Pult der Berliner Philharmoniker, und Jane Glover einen Namen. Ihnen folgten Dirigentinnen wie Marie-Jeanne Dufour, Romely Pfund, Alicja Mounk, Marin Alsop und Sian Edwards. Heute sind es Namen wie jene von Simone Young, Julia Jones, Karen Kamensek, Susanna Mälkki, Anu Tali, Joana Mallwitz und Xian Zhang, die in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen.

Basierend auf schriftlichen Interviews mit Dirigentinnen6 sowie Umfragen zur Ausbildung an Musikhochschulen und Konservatorien an deutschen, österreichischen und schweizerischen Institutionen, außerdem auf der Kenntnisnahme bisheriger Forschungsergebnisse, soll der vorliegende Beitrag die gegenwärtige Situation von Dirigentinnen im deutschsprachigen Raum skizzieren und darüber hinaus einige mögliche Ursachen für die weiterhin bestehende Unterrepräsentanz von Dirigentinnen zu benennen versuchen.

Dirigentinnen heute


An vielen Orchesterinstrumenten sind Musikerinnen längst etabliert. Geigerinnen belegen mittlerweile in einigen Orchestern des deutschsprachigen Raums die meisten Plätze innerhalb der Instrumentengruppe. Flötistinnen hatten die männlichen Kollegen schon kurz nach der Jahrtausendwende quantitativ überrundet.7 Lediglich Kontrabassistinnen, Blechbläserinnen und Perkussionistinnen werden noch immer als Ausnahmen unter den InstrumentalistInnen hervorgehoben. Auch Dirigentinnen gelten noch nicht als selbstverständlich.

Zwei der wenigen Dirigentinnen, die gelegentlich vor österreichischen Berufsorchestern stehen: Julia Jones und Eun Sun Kim (rechte Seite). Foto: Maurice Korbel

Während in den elf vom Deutschen Musikinformationszentrum (MIZ) aufgeführten Rundfunkorchestern in der aktuellen Spielzeit (2014/2015) keine Dirigentinnen beschäftigt sind, haben in den 111 Konzert- und Theaterorchestern Deutschlands, die das MIZ unter dieser Rubrik auflistet, derzeit siebzehn Musikerinnen als Dirigentinnen im weiteren Sinne eine Anstellung gefunden.8 Drei Generalmusikdirektorinnen befinden sich unter ihnen: Joana Mallwitz, Simone Young und Karen Kamensek. Als 1. Kapellmeisterin sind in deutschen Orchestern zwei Musikerinnen engagiert, als 2. Kapellmeisterin drei. Eine Musikerin ist außerdem als Kapellmeisterin aufgeführt, eine weitere als Dirigentin eines Opernorchesters sowie zwei als Dirigentinnen von Philharmonischen Orchestern. Fünf haben darüber hinaus eine Anstellung als Korrepetitorin mit Dirigierverpflichtung. Nicht unbeachtet bleiben sollen außerdem die Korrepetitorinnen, deren Zahl sich auf 23 (darunter vier Studienleiterinnen) beläuft. Längst nehmen KorrepetitorInnenstellen nicht mehr denselben Stellenwert als Vorstufe für die Laufbahn als KapellmeisterIn oder DirigentIn ein wie noch im 19. und 20. Jahrhundert. Dennoch besteht diese Möglichkeit weiterhin, wie auch an der Verknüpfung der Aufgaben von KorrepetitorIn und KapellmeisterIn an einigen Häusern deutlich wird.

Nur wenige Dirigentinnen sind in der österreichischen Berufsorchester-Landschaft anzutreffen. Festanstellungen gibt es hier offenbar nicht. Lediglich bei zwei Orchestern übernehmen in der derzeitigen Spielzeit Dirigentinnen als Gäste die musikalische Leitung von Musiktheaterproduktionen. Mit Simone Young an der Wiener Staatsoper und Julia Jones, Eun Sun Kim sowie Kristiina Poska an der Wiener Volksoper ist die Zahl der Dirigentinnen nicht nur überschaubar, sondern auch die Namen der Musikerinnen sind bereits bekannt, haben doch drei von ihnen bereits Anstellungen in Deutschland: Simone Young bekleidet das Amt der Generalmusikdirektorin in Hamburg und hat schon zuvor mit den Wiener Philharmonikern gearbeitet, Kristiina Poska ist als Kapellmeisterin in Berlin tätig und Eun Sun Kim an der Oper Frankfurt. Auch Julia Jones, mittlerweile freischaffend tätig, ist längst etabliert.

Die Grünen Frauen Wien zeigen sich anlässlich dieser Situation alarmiert und fordern im Zuge von Gleichstellung und der Beseitigung von Diskriminierung im künstlerischen und kulturellen Leben unter anderem »auch das regelmäßige Engagement von Dirigentinnen ans Pult der Wiener Philharmoniker (und anderer hoch subventionierter Klangkörper in Österreich)«9.

Ähnlich wie in Österreich gestaltet sich auch die Situation von Dirigentinnen in Schweizer Berufsorchestern.10 Mit Mirga Gražinytė-Tyla als 1. Kapellmeisterin am Theater Bern ist zumindest eine Festanstellung zu verzeichnen. Darüber hinaus sind in den dreizehn Berufsorchestern keine weiteren Dirigentinnen zu finden.

Ausbildung


Seit Beginn der 1990er-Jahre kann neben einem steten Anstieg der Studierendenzahlen in den Fächern Dirigieren bzw. Orchesterleitung an deutschen Musikhochschulen und Konservatorien auch eine Zunahme des Anteils von Studentinnen in diesen Fächern verzeichnet werden. Waren im Wintersemester 1992/1993 noch 210 Studierende für die entsprechenden Fächer immatrikuliert, stieg ihre Zahl bis 2013/2014 mit einigen Schwankungen (meist einhergehend mit der Gesamtzahl der Musikstudierenden) auf 305 an.11 Der Anteil der Studentinnen betrug 1992/1993 20 Prozent, im Wintersemester 2013/2014 waren 35 Prozent der Studierenden weiblich.12 Auch die Zahl der Absolventinnen steigt tendenziell weiter.

Der geringe Rücklauf der an die deutschen, österreichischen und schweizerischen Hochschulen gerichteten Anfragen nach Studierendenzahlen13 in den Dirigierklassen erlaubt keine repräsentativen Aussagen über die gegenwärtige Ausbildungssituation von DirigentInnen. Insgesamt zeichnen sich aber grundlegende Unterschiede zwischen den Hochschulen ab: Während an einigen Musikhochschulen und Konservatorien gar keine Studentinnen in den Fächern Orchesterleitung bzw. Dirigieren zu finden sind, bewegt sich ihr Anteil an anderen Institutionen in den Klassen gegenwärtig (Wintersemester 2014/2015) zwischen 10 und 75 Prozent. Als ein Grund für die in den meisten Fällen geringen Studentinnenzahlen werden seitens einiger Hochschulen auffallend geringe Bewerberinnenzahlen genannt. Wiederholt wird auch...

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