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Die Europäische Union auf dem Weg zu einer vorsorgenden Risikopolitik?

Ein policy-analytischer Vergleich der Regulierung von BSE und transgenen Lebensmitteln

AutorRobert Fischer
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl198 Seiten
ISBN9783531913476
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR
Angesichts zahlreicher echter und vermeintlicher Skandale im Lebensmitt- bereich ist die Sicherheit von Lebensmitteln in den letzten Jahren zunehmend ins öffentliche Bewusstsein gerückt: Ob Dioxin-verseuchte Eier, Gammelfleisch oder Uran im Trinkwasser, immer wieder stellt sich die Frage einer rationalen und zugleich responsiven Risikoregulierung durch die Politik. Nicht zuletzt ist aufgrund der Gemeinsamen Agrarpolitik und des eu- päischen Binnenmarktes die Sicherheit von Lebensmitteln zu einem europäischen Politikfeld geworden, um dessen Bearbeitung sich die Europäische 1 Union in den letzten Jahren verstärkt gekümmert hat. Andererseits - und nicht ganz unproblematisch - finden sowohl Risikowahrnehmung als auch - schreibung von politischer Verantwortung noch oftmals auf nationaler Ebene statt. Es gibt zwar einen europäischen Binnenmarkt für Lebensmittel aber keinen genuin europäischen Binnendiskurs über die Sicherheit von Lebensmitteln. Sieht man einmal von diesem Unterschied in der öffentlichen Kommu- kationsstruktur ab, sind die Probleme, vor denen die Europäische Union bei der Regulierung von Risiken steht, in vielerlei Hinsicht nicht grundsätzlich anders, als diejenigen mit denen andere politische Systeme konfrontiert werden. Stets stellt sich die für moderne Gesellschaften typische Frage: Wie sicher ist sicher genug? Ob Technik-, Lebensmittel- oder Umweltrisiken eine rationale und - gleich responsive Risikopolitik ist einerseits auf das Urteil von Experten und 2 Wissenschaftlern angewiesen, orientiert sich andererseits aber auch an der Risikobereitschaft und Risikoakzeptanz der Gesellschaft.

Dr. Robert Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet für Ressourcenökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Leseprobe
"4 Die europäische BSE-Politik: Normalfall im Umgang mit Risiken? (S. 120-121)

Im folgenden Kapitel soll der Verlauf der europäischen BSE-Regulierung rekonstruiert werden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Rolle von wissenschaftlichem Wissen und Nichtwissen im Zusammenhang mit politischen Entscheidungsprozessen gelegt. Die These ist, dass die europäische BSE-Politik – zumindest in ihrer Anfangsphase – als ein typisches Beispiel eines evidenzbasierten Risikomanagements interpretiert werden kann, das auf hypothetische Risiken mit einer nachsorgenden Risikoregulierung reagierte. Inwieweit trifft dies tatsächlich zu? Warum wurde gerade so und nicht anders reguliert?

4.1 Hypothetische Risiken im Kontext von BSE: Die Entdeckung einer neuen Rinderkrankheit

Wie verlaufen politische Entscheidungsprozesse unter den Bedingungen von Risiko, Ungewissheit und Nichtwissen beim Auftreten der neuen Rinderkrankheit? Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst einmal der Stand des Wissens bzw. Nichtwissens, der Grad an Ungewissheit und das Risikopotential von BSE dargestellt werden.

Nachdem bereits fünf Kühe unter ungeklärten Umständen auf einer Farm in Sussex gestorben waren, wurde der hinzugezogene Tierarzt misstrauisch und schickte Proben der verendeten Tiere zur Untersuchung an das Central Veterinary Laboratory (CVL) – eine dem britischen Agrarministerium unterstellte Wissenschaftsbehörde. Im September 1985 wurden diese Gehirnproben von einer Pathologin am CVL analysiert und als „scrapie in a cow"" beschrieben (Phillips 2000: Vol. 3, § 1.8). Es dauerte jedoch über ein Jahr, bis die Krankheit vom britischen CVL im Dezember 1986 als Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) klassifiziert wurde (DEFRA 2003). Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten wurden im selben Jahr im Ständigen Veterinärausschuss über das Auftreten der neuen Krankheit informiert (Europäisches Parlament 1997a: 131).

Als 1987 einige Tierärzte des CVL in der veterinärmedizinischen Fachzeitschrift Veterinary Record eine Beschreibung der neuen Rinderkrankheit veröffentlichten (Wells et al. 1987), waren bereits sieben Rinderherden in Großbritannien befallen. Das staatliche Central Veterinary Office benachrichtigte am 5. Juni 1987 das zuständige britische Landwirtschaftsministerium (MAFF) über die rapide Ausbreitung der neuen Rinderkrankheit (DEFRA 2003). Bereits 1987 wurden offiziell 442 Fälle registriert (Europäischer Rechnungshof 2001). Das Ministerium behielt die brisanten Informationen allerdings weitgehend für sich, so dass 1987 weder die Europäische Kommission noch die anderen Mitgliedstaaten, ja nicht einmal das britische Gesundheitsministerium (DoH), über die aktuellen Entwicklungen der neuen Tierseuche umfassend informiert wurden. Der Grund für die Informationspolitik des Ministeriums war das primäre Interesse, den britischen Rindfleischmarkt und die Exporte an Rindfleisch nicht zu gefährden (Phillips 2000: Vol. 1). Insbesondere hatte man Angst vor „überzogenen"" Verbraucheraktionen, wie sie in einem vorangegangenen Lebensmittelskandal stattfanden.

Das Landwirtschaftsministerium hatte Ende 1987 aufgrund einer ersten epidemiologischen Studie, die innerhalb des CVL angefertigt wurde, die Vermutung, dass mit Scrapie verseuchtes Tiermehl für die Ausbreitung der Seuche verantwortlich sei, und dass sich die neue Krankheit ebenfalls durch das Tiermehl ausbreite. Durch die Arbeit des CVL waren (bei aller verbleibenden Ungewissheit) zwei wesentliche Hypothesen bestätigt: Erstens, dass es eine neue übertragbare Rinderkrankheit gibt und zweitens, dass eine Ursache für die Verbreitung der Krankheit das Tiermehl ist. Mit der Identifikation der Krankheit als transmissible spongiforme Enzephalopathie (TSE) und der Tiermehlhypothese ergaben sich eine Reihe weiterer Fragen, die als typisch „trans-science"" bezeichnet werden können, also als Fragen, die an die Wissenschaft gestellt, aber (noch) nicht von ihr beantwortet werden können (Weinberg 1972)."
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Vorwort10
Kurze Zusammenfassung12
Abkürzungsverzeichnis13
Abbildungsverzeichnis15
Tabellenverzeichnis16
1 Einleitung17
2 Vorsorgende Risikoregulierung: Versuch über eine risikosoziologisch angereicherte Policy- Analyse34
3 Institutionen, Akteure und ihre Interessen89
4 Die europäische BSE-Politik: Normalfall im Umgang mit Risiken?119
5 Vorsorgendes Risikomanagement? Die Regulierung von transgenen Lebensmitteln163
6 Warum wurde unterschiedlich reguliert? Ein Vergleich der BSE- und GVO- Regulierung233
7 Die Reform des europäischen Lebensmittelrechts: Auswirkung vorsorgender Risikopolitik?243
8 Risiken und Nebenwirkungen hypothesenbasierter Regulierung255
9 Fazit und Ausblick264
Interviewverzeichnis273
Literaturverzeichnis274

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