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E-Book

Die Europäische Währungsunion

Geschichte, Krise und Reform

AutorDaniela Schwarzer
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783170244023
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Since 2010, the debt and bank crises in the European area have presented the greatest challenge to the EU since its foundation. This book illustrates in a compact manner, how the currency union was initially conceptualised, which macro-economic developments have occurred since its founding, how the decision structures work and what instruments and reforms were used by the member states in response to this crisis. The book provides a well-structured and orientating overview suitable both in order to obtain information quickly, but also to study in-depth.

Dr. Daniela Schwarzer manages the European programme at the German Marshall Fund in Berlin and is a senior research professor at the Paul H. Nitze School of Advanced International Studies (SAIS), John Hopkins University, Bologna/ Washington DC.

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Leseprobe

3         Die ökonomische Logik der Währungsunion


Die Theorie des optimalen Währungsraums


Die meist zitierte Theorie zur Frage, unter welchen Bedingungen sich Staaten in einem gemeinsamen Währungsraum zusammenschließen sollten und welche Nachteile die Aufgabe der nationalen Währungen haben kann, ist die Theorie des optimalen Währungsraums (engl. Optimum Currency Area – OCA). Sie wurde seit den 1960er Jahren entwickelt.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Eintreten eines so genannten „asymmetrischen Schocks“ – also eines Nachfrageeinbruchs, der nur einen Teil des gesamten Währungsraums erfasst. Traditionell würde eine nationale Geldpolitik darauf mit Nominalzins- oder Wechselkursanpassungen reagieren. Da in einer Währungsunion die Geldpolitik vergemeinschaftet ist, können die nationalen Zentralbanken den Nominalzins nicht mehr unabhängig setzen, so dass ein wichtiges Instrument zur makroökonomischen Stabilisierung einer Volkswirtschaft fehlt. Darüber hinaus steht der Wechselkurs als Anpassungsinstrument nicht mehr zur Verfügung. Die europäische Geldpolitik ist ihrerseits auf Durchschnittswerte des gesamten Währungsraumes ausgerichtet und kann nicht auf regionale Besonderheiten reagieren. Aus Sicht der OCA-Theorie ergeben sich aus dieser Situation Kosten. Ein Beispiel: Zwei Staaten befinden sich in einer unterschiedlichen Phase des Konjunkturzyklus. In Staat A boomt die Wirtschaft. Ein höherer Zins würde erhöhten Lohn- und Preissteigerungsraten entgegenwirken und die Wirtschaft vor Überhitzung schützen. Gleichzeitig würde er die Währung aufwerten, was auch einen bremsenden Effekt auf die Konjunktur hätte. Staat B hingegen befindet sich im wirtschaftlichen Abschwung oder sogar in einer Rezession. Niedrige Zinsen könnten die Nachfrage und Investitionen beflügeln. Wird die Währung abgewertet, steigert dies die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Exportsektors. Ein gemeinsamer, an Durchschnittswerten orientierter Zentralbankzins ist also für keines der beiden Länder ideal. Ein Währungsraum braucht daher Anpassungsmechanismen, damit die Kosten der Mitgliedschaft für die teilnehmenden Staaten politisch akzeptabel bleiben und die ökonomischen Vorteile der Mitgliedschaft überwiegen.

OCA-Theoretiker haben Bedingungen formuliert, unter denen die Etablierung eines gemeinsamen Währungsraumes sinnvoll ist, und Faktoren herausgearbeitet, die in einer Währungsunion asymmetrische Schocks unwahrscheinlich machen oder den Umgang mit ihnen erleichtern. Diese Bedingungen sind wirtschaftlicher, politischer und institutioneller Natur.

•  Grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitskräften: Dieses Kriterium hob Robert Mundell (1961) in seinen ersten Arbeiten zur OCA-Theorie besonders hervor. In unserem Beispiel würden Arbeitssuchende aus Staat B nach Staat A ziehen, wo im Boom eine erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften besteht. In Staat B würden dadurch die Arbeitslosigkeit und die Belastung der sozialen Sicherungssysteme (Arbeitslosenversicherung) nachlassen. Zudem hob er die Bedeutung von Lohnflexibilität hervor: Sinkende Löhne könnten im Abschwung die preisliche Wettbewerbsfähigkeit und Kapitalzuflüsse steigern. Diese Zuflüsse könnten die wirtschaftliche Erholung kurzfristig durch eine erhöhte Nachfrage, mittelfristig durch Investitionen fördern.

•  Wirtschaftliche Offenheit: Ronald McKinnon (1962) hob hervor, dass eine Anpassung des Wechselkurses bei asymmetrischen Schocks in besonders offenen Volkswirtschaften nicht unbedingt sinnvoll ist, u. a. da sich die Preisniveaus aufgrund des intensiven Wettbewerbs ohnehin wieder rasch vereinheitlichen. Falls indes keine raschen Preisniveauanpassungen nach einer Abwertung stattfinden, verteuern sich die Importe. Dies kann – etwa bei stark von Rohstoffimporten abhängigen Ländern – die Produktionspreise steigern. Höhere Importpreise können überdies höhere Lohnforderungen nach sich ziehen. Eine Wechselkursabwertung ist also keinesfalls eine nebenwirkungsfreie Maßnahme: Sie kann langfristig zu einem höheren Preisniveau und geringerem Wachstum führen. Daraus folgt, dass für Staaten mit einem hohen wirtschaftlichen Offenheitsgrad und intensiven Handelsbeziehungen eine Wechselkursanpassung kein sinnvolles Politikinstrument ist und die Staaten demnach einen optimalen Währungsraum darstellen. Auf den Überlegungen von McKinnon aufbauend wurde in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion die Grundannahme der OCA-Theorie hinterfragt, der zufolge der Wechselkurs effektiv dafür eingesetzt werden kann, asymmetrische Schocks zu absorbieren.

•  Diversifizierte Produktions- und Exportstrukturen: Peter Kenen (1969) wies darauf hin, dass insbesondere Staaten mit stark spezialisierter Produktionsstruktur von asymmetrischen Schocks betroffen sind. Beste Voraussetzungen für eine gemeinsame Währung haben daher Staaten, die jeweils ein breites Spektrum von Waren und Dienstleistungen produzieren, aber gleichzeitig untereinander ähnliche wirtschaftliche Strukturen aufweisen. Sinkt die Nachfrage nach einem bestimmten Produkt, trifft dies keinen Staat besonders hart. Für die Währungsunion insgesamt wäre dies obendrein kein asymmetrischer, sondern ein symmetrischer Schock.

•  Finanzmarktintegration: James Ingram (1962) unterstrich, dass eine weitreichende Integration der Finanzmärkte asymmetrische Schocks durch Kapitalzuflüsse abpuffern könne, da bereits leichte Zinsniveaudifferenzen zu ausgleichenden Kapitalbewegungen führten. Wechselkursanpassungen verlieren unter diesen Bedingungen als kurzfristiges Anpassungsinstrument an Bedeutung. Ein integrierter Finanzmarkt führe zur Konvergenz der langfristigen Zinsen, erleichtere die Finanzierung von externen Defiziten und trage zur effizienten Ressourcenallokation im gemeinsamen Währungsraum bei.

•  Fiskalische Transfers: Kenen (1969) hob außerdem hervor, dass fiskalische Transfers einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich asymmetrischer Schocks leisten können. Gleichzeitig betonte er, dass solche Transfers ein Mindestmaß an politischer Integration voraussetzen. Als besonders wirksam werden so genannte automatische Stabilisatoren gesehen. Dies sind nicht-diskretionäre Staatsausgaben wie Sozialleistungen, über die nicht ständig neu entschieden werden muss, sondern deren Ausgabevolumen je nach Nachfrage schwankt. In den USA übernimmt beispielsweise die föderale Arbeitslosenversicherung eine wichtige Rolle für die zyklische Stabilisierung in einem heterogenen Wirtschaftsraum. Daraus folgt, dass Staaten, die bereit sind, durch fiskalische Transfers asymmetrische Schocks in ihrer Wirkung zu dämpfen, bessere Voraussetzungen dafür mitbringen, sich eine Währung zu teilen (Baldwin/Wyplosz 2012: 415).

•  Integrations- und Solidaritätsbereitschaft, Interessenhomogenität: Ausreichender politischer Wille zur Integration wird immer wieder als Grundvoraussetzung für die Gründung einer Währungsunion unterstrichen. Er sei die Grundlage für die Einhaltung gemeinsamer Absprachen und Regeln, stärke die wirtschaftspolitische Kooperationsbereitschaft und ermögliche die Schaffung von gemeinsamen Institutionen (Mintz 1970). Tower und Willett (1976) haben darauf hingewiesen, dass es zwischen den Mitgliedstaaten ein Mindestmaß an politischer Übereinstimmung hinsichtlich der Frage geben müsse, wie Wachstum, Geldwertstabilität und Beschäftigung zu erreichen und wie eventuelle Trade-Offs zwischen konfligierenden Politikzielen zu treffen seien. Gleichzeitig kann es im Krisenfall erforderlich sein, dass Staaten in einer Währungsunion bereit sind, Kosten auf sich zu nehmen, um den Erhalt der Währung zu sichern (Baldwin/Wyplosz 2012).

Politikrelevanz der OCA-Theorie

Bei den Verhandlungen um die Ausgestaltung der Währungsunion haben die Erkenntnisse der traditionellen OCA-Theorie nur eine geringe Rolle gespielt, obwohl sie damals von Kritikern der Währungsunion gegen das Vorhaben ins Feld geführt wurden. Eine Reihe von europäischen Zentralbankern, darunter der damalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer, warnten vor der unzureichenden Ausgestaltung der Eurozone, sollte sie ohne politische Union verwirklicht werden. Politisch einflussreicher waren auf dem Weg zum Euro die in Kapitel 2 dargestellten Einsichten in das Prinzip des „Unmöglichen Dreiecks“, nämlich dass Kapitalmobilität, feste Wechselkurse und eine unabhängige Geldpolitik nicht gleichzeitig möglich seien, sowie die erwarteten mikroökonomischen Vorteile und die politischen Integrationsmotive. In Bezug auf die Kriterien, die OCA-Theoretiker als Voraussetzungen für eine erfolgreiche Währungsintegration sahen, argumentierten einige Politiker und...

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