Über die Konstellation der Ereignisse, die in ihrer zeitlichen Abfolge und ihren Wirkungszusammenhängen das aktuelle Geschichtsbild der „friedlichen Revolution“ von 1989 in der DDR konstituieren, herrscht in der Fachwissenschaft grundlegend Einigkeit. Auf ereignisgeschichtlicher Ebene fällt der Umsturz in der DDR in den Zeitraum zwischen den Kommunalwahlen im Mai 1989 und den ersten und einzigen freien Volkskammerwahlen in der DDR im März 1990. Dieser Zeitraum wird von der Fachwissenschaft in zwei Phasen eingeteilt. Die erste Phase endet mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989, der eine „Wende in der Wende“ und somit die zweite Phase einleitete: Die DDR sollte von dann an nicht mehr reformiert, sondern abgeschafft und mit der Bundesrepublik wiedervereinigt werden. Ihr faktisches Ende fand die „Revolution auf der Straße“ mit ihrer “demokratischen Absegnung“ bei den Volkskammerwahlen am 18. März 1990.[17]
Mit den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 fanden die letzten Wahlen nach Einheitsliste in der DDR statt. Oppositionelle Gruppen signalisierten schon im Vorfeld, die üblichen Fälschungen der Abstimmungsergebnisse durch die SED nicht mehr ohne weiteres hinzunehmen. Die Maßnahme der Partei, viele Personen „aus der Staatsbürgerschaft“ zu entlassen und ihnen die Ausreise in die Bundesrepublik zu gestatten, vermochte die Krise nicht zu entschärften. Laut offiziellem Wahlergebnis fielen 98,85 Prozent der Stimmen auf die „Nationale Front“ – ein im Vergleich zu früheren Wahlen schlechtes Ergebnis. Oppositionelle Friedens- und Ökologiegruppen, die die Auszählungen beobachtet hatten, konnten jedoch Abweichungen feststellen und bis zu 20 Prozent Gegenstimmen registrieren. Als Folge der Wahlfälschungen kam es zu Demonstrationen und Protesten, in denen sich der „Dissens zwischen Volk und Führung“ einerseits sowie ein „gewachsenes Selbstbewusstsein“ des Bürgerprotests gegen die Allmacht von Partei und Staat andererseits erkennen ließ. Auf einem ökumenischen Treffen der christlichen Kirchen in Dresden forderten Kritiker eine Reformierung und Demokratisierung des Wahlrechts, ein Ende der Versorgungsengpässe sowie die Öffnung für Reformen wie in der UdSSR, Polen und Ungarn. Zudem verurteilten sie die Billigung der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking im Juni 1989 seitens der SED. In den Sitzungen des Politbüros hingegen beschäftige man sich ungeachtet der Krise fast nur mit Nebensächlichkeiten.
Bereits am 2. Mai hatte Ungarn mit dem Abbau der Grenzbefestigungen zu Österreich begonnen und damit einen neuen Fluchtweg geschaffen. Hunderte DDR-Bürger strömten in die Botschaften der Bundesrepublik zunächst in Budapest und schließlich auch in Warschau und Prag, die bald hoffnungslos überfüllt waren. Als die ungarische Regierung den Fluchtwilligen ohne Rücksprache mit der DDR-Führung am 10./11. September die Ausreise gewährte, kam es zum größten Massenexodus seit dem Bau der Mauer 1961. Bis September verließen über 25.000 Flüchtlinge die DDR, deren Regierung nun den Zusammenbruch fürchten musste.
Auch innerhalb der DDR wuchs der Widerstand von Oppositionsgruppen an, die nicht ausreisen, sondern die DDR durch Reformen im Innern verändern wollten. Das Anfang September gegründete „Neue Forum“ mahnte zum "demokratischen Dialog“ über rechtsstaatliche, wirtschaftliche und kulturelle Aufgaben; die Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“ formulierte „Thesen für eine demokratische Umgestaltung der DDR“. Auf den Montagsdemonstrationen, die seit dem 4. September im Anschluss an Friedensgebete in Leipzig stattfanden, gaben die Oppositionellen der Kritik der Ausreisewilligen zwar prinzipiell recht, erwiderten deren Ausruf „Wir wollen raus!“ jedoch mit einem trotzigen „Wir bleiben hier!“. In der Zwischenzeit verärgerten die miserable Versorgungslage und die personellen Lücken in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen, die die Ausreisewelle gerissen hatte, auch die bis dahin eher unpolitischen Kreise der Bevölkerung. Die Empörung wuchs, als Volkspolizisten am 11. September Demonstranten massenhaft verhafteten. Von nun an schlossen sich immer mehr Menschen den Montagsdemonstrationen an und skandierten die Parole „Wir sind das Volk!“
Bis zum 4. Oktober verliefen die Demonstrationen weitestgehend friedlich. Am Dresdner Hauptbahnhof kam es an diesem Tag zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen 3.000 Bürgern und der Polizei. Nachdem die DDR darauf bestanden hatte, 7.600 Flüchtlinge mit einem Sonderzug aus der Tschechoslowakei über DDR-Territorium in die Bundesrepublik zu transportieren, versuchten viele entlang der Fahrtstrecke und besonders am Dresdener Hauptbahnhof ebenfalls den Sonderzug zu nutzen und in die BRD auszureisen. Mit der Absicht, die SED-Herrschaft abzuschaffen, forderten Bürgerbewegungen am selben Tag freie Wahlen unter UN-Kontrolle. Die DDR-Führung zeigte sich sowohl von der Ausreisewelle als auch von den Massendemonstrationen wenig beeindruckt, auch wenn das Ministerium für Staatssicherheit eine „miese“ Stimmung selbst innerhalb der Parteiorganisation konstatierte und „ernste Befürchtungen“ hinsichtlich der politischen Stabilität der DDR äußerte.
Am 7. Oktober feierte die SED den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Bei Protesten kam es zu gewaltsamen Zwischenfällen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die eine Woche später beginnenden Herbstferien nutzten viele DDR-Bürger für eine Flucht über die ČSSR und Ungarn. Der Durchbruch im Kampf gegen die SED-Herrschaft gelang den Demonstrierenden auf der Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober, als 70.000 Menschen trotz der Gefahr eines gewaltsamen Einschreitens der Sicherheitskräfte „mutig“ und „friedlich“ auf die Straße gingen. Die SED entschied sich gegen „Pekinger Verhältnisse“ und zerschlug den Demonstrationszug nicht.
Dem „Neuen Forum“ hatten sich in der Zwischenzeit 25.000 Menschen angeschlossen. Allen voran verlangte die Evangelische Kirche im Namen der Bürger von der DDR-Führung politische Veränderungen. Nachdem am 16. Oktober 120.000 Menschen in Leipzig ohne Zwischenfälle demonstriert hatten, musste die Parteiführung reagieren. Am 17. Oktober besprachen Egon Krenz und Günther Schabowski zusammen mit anderen Politbüromitgliedern Schritte zur Absetzung Erich Honeckers, um eine „Wende“ in der Politik einzuleiten. Tags drauf entband das ZK der SED Honecker „auf eigenen Wunsch“ von allen Ämtern. Egon Krenz wurde neuer Generalsekretär der SED, ebenso Vorsitzender des Staatsrates sowie des Nationalen Verteidigungsrates. Am 23. Oktober fanden sich auf der Leipziger Montagsdemonstration 300.000 Menschen ein, um gegen diese „neue Machtkonzentration“ und die „Wendehälse“ zu protestieren.
Am 4. November demonstrierten in Ost-Berlin eine Million Menschen für Presse-, Reise-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und insbesondere für freie Wahlen. Insgesamt 26 Personen, darunter Schriftsteller wie Stefan Heym und Christa Wolf, sprachen auf der Versammlung zu den Demonstranten. Nun zeigten sich auch in den Reihen der SED Zerfallserscheinungen. Auf einer Tagung des ZK am 8. November wurden elf Parteiführer aus dem Politbüro entlassen. Hans Modrow wurde am 13. November zum neuen Regierungschef gewählt. Die wirkliche Zäsur der „Wende“ war die überraschende Öffnung der Grenzübergänge am 9. November. Am Ende der weiteren politischen Entwicklung stand schließlich die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Am 3. Oktober 1990 trat die DDR der BRD offiziell bei.
Historiker, Politik- und Sozialwissenschaftler haben sich dem Systemzusammenbruch in der DDR mit unterschiedlichsten theoretischen und methodischen Ansätzen versucht zu nähern.[18] Selbst Forscher, die den „Untergang des kommunistischen Systems“ prophezeit hatten, waren angesichts des jähen Zusammenbruchs der DDR, die stets als einer der stabilsten Staaten des Ostblocks galt, überrascht. Es mag deshalb nicht verwundern, dass das Ende der DDR einen breiten wissenschaftlichen Diskurs mit verschiedenartigen, einander konträren Erklärungen und einem „Überangebot an Deutungen“[19] nach sich zog.
Dies spiegelt sich in den unterschiedlichen Benennungen wider, die für die Ereignisse von 1989/90 verwendet werden: „Wende“, „friedliche Revolution“, „Implosion“, „Refolution“, „Umbruch“ oder „Zusammenbruch“, um nur die am häufigsten diskutierten zu nennen.[20] Mit einer eigenen Terminologie für das Geschehen 1989/90 versucht die Forschung, der Unverwechselbarkeit des revolutionären Umbruchs in der DDR und dem gesamten Ostblock gerecht zu werden. Stellvertretend für viele Autoren bezeichnet Konrad H. Jarausch die Ereignisse von 1989 in Hinblick auf Tempo, Akteure, Ziele und Ausmaße als Revolution.[21] Dafür spreche erstens die „Geschwindigkeit des Ereignisablaufs in der DDR“, zweitens die Tatsache, dass der „Druck für den Wandel von wachsenden Demonstrationen“ erzeugt wurde, die letztlich von den „Volksmassen getragen“ wurden, drittens, das Ziel der Demonstranten einer „fundamentale[n] Demokratisierung des realen...