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Die Entstehung der christlichen Kunst
Anfänge im Privaten
Die Bilderlosen in einer Umwelt voller Bilder
Strenggenommen dürfte es keine bildlichen Darstellungen von Gestalten und Episoden aus dem Alten oder Neuen Testament geben. Das Judentum und das aus ihm hervorgegangene Christentum sind – wie der später entstandene Islam – monotheistische Religionen, die das Anfertigen von Abbildern Gottes und durch ihn belebter Wesen strikt ablehnen. Dieses ‹Bilderverbot› gehört zum Kernbestand der Lehren aller drei Religionen.
Wie schon zuvor das Judentum, so distanziert sich auch das Urchristentum in den beiden ersten nachchristlichen Jahrhunderten auf diese Weise von einer Umwelt, die übervoll ist von bildlichen religiösen Darstellungen. Die Kultbilder der anderen gelten als verabscheuungswürdige Götzenbilder. Auch für Christen ist das von Moses vermittelte Gebot Gottes bindend: «Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen, kein Abbild von dem, was im Himmel droben oder unten auf der Erde oder im Wasser unter der Erde ist! Du sollst dich nicht vor diesen Bildern niederwerfen und sie nicht verehren» (2. Mose 20,4f.; 34,17; ebenso 5. Mose 4,15–19; 5,8f.; 3. Mose 19,4).
Im Neuen Testament ist an keiner Stelle von einem Christusbild die Rede. Um Gott zu verehren, brauchen die Urchristen keinerlei materielle Hilfsmittel. Im Gespräch mit der Samariterin sagt Christus, daß «die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden» (Johannes 4,23). Ebensowenig benötigen die Christen einen Tempel. Sie versammeln sich in Synagogen, auf öffentlichen Plätzen, irgendwo im Freien oder in Privathäusern. Dort feiern sie den Wortgottesdienst und das von Christus eingesetzte Gedächtnismahl. Das Haus Gottes sind die Christen selbst; wenn sie sich im Geiste Christi versammeln, sind sie seine ‹Kirche›. Im ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther, entstanden um 53/55 n. Chr., ist zu lesen (3,16): «Wißt ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes seid und daß der Geist Gottes in euch wohnt?» Oder im zweiten Brief an die Korinther (6,16): «Wie verträgt sich der Tempel Gottes mit den Götzen? Wir sind ja doch der Tempel des lebendigen Gottes.»
Die strikte Ablehnung der Urchristen, ihre Gottheit mittels eines Bildes zu verehren und ihr dabei die üblichen Weihrauch-, Trank- und Speiseopfer darzubringen, stieß in der religiös anders orientierten Umgebung auf Staunen, wurde aber bis zum Ende des 1. Jh. überwiegend geduldet. Im 2. und 3. Jh. wird jene Ablehnung von Bildern jedoch zunehmend als Ausdruck einer gefährlichen Gottlosigkeit angesehen, die das Gemeinwohl bedroht. Die Weigerung der inzwischen zahlreich gewordenen Christen, vor dem Standbild des göttlichen Kaisers oder dem seines Genius das übliche, von allen anderen Bürgern erwartete und selbstverständlich gespendete Weihrauchopfer darzubringen, schien darüber hinaus zu belegen, daß sie gegen Kaiser und Reich eingestellt waren. Damit offenbarten sie sich in den Augen der Mehrheit als gefährliche Anarchisten. Obwohl verständnisvolle Magistrate den Christen nahelegten, das Opfer nur zum Schein zu vollziehen, konnten die Vertreter des Kaisers eine öffentliche, demonstrative Weigerung nicht dulden und waren daher gezwungen, die Todesstrafe zu verhängen. Grund für viele Martyrien war also ein Mißverständnis.
Kann man ohne Bilder leben?
Aber auch im privaten Bereich ist für einen strenggläubigen Christen der zuweilen unvermeidliche Umgang mit Bildern höchst problematisch. So wird noch zu Beginn des 3. Jh. n. Chr. das Bilderverbot, zumindest im nordafrikanischen Karthago, sehr ernst genommen. Der dortige Bischof und Kirchenvater Tertullian (ca. 150–230) legt in seiner Schrift über den Götzendienst dar, daß jede Figur dazu verlocke, sie zu verehren. Gott habe daher streng verboten, irgendein Bild (Eidolon, Idol) anzufertigen. Tertullian behauptet, Bildhauer und Maler seien vom Teufel besessen. Künstler, die zum Christentum übertreten, sollten daher ihren Beruf wechseln.
Nicht ganz so rigoros äußert sich etwa zur selben Zeit Bischof Clemens von Alexandria (2. Jh./frühes 3. Jh.) in seiner «Mahnrede an die Heiden»: «Uns ist es ganz deutlich verboten, trügerische Kunst herzustellen.» Die anschließende Passage seines Textes zeigt, wie groß die Verunsicherung selbst bei harmlosem Umgang mit Bildern damals ist: Um seinen Besitz zu markieren und einen unbefugten Zugang zu ihm zu verhindern, ist es allgemein üblich, diesen zu versiegeln. In die Siegelsteine sind meist figürliche Darstellungen eingraviert. Auch Christen können auf Siegel nicht verzichten, sind aber offensichtlich ratlos, welche Motive erlaubt seien. Clemens rät in seiner Schrift «Der Erzieher» (3,59,2): «Unsere Siegelbilder aber sollen sein eine Taube oder ein Fisch oder ein Schiff mit geschwellten Segeln oder eine Leier […] oder ein Schiffsanker […] und wenn es ein Fischer ist, kann man an den Apostel denken und an die aus dem Wasser [der Taufe] emporgezogenen Kinder. Denn Gestalten von Göttern dürfen die mit ihren Siegeln nicht abdrücken, denen es auch verboten ist, sie zu verehren.»
Dieser Text belegt, daß zu Beginn des 3. Jh. Christen beginnen, aus dem überreichen Bilderschatz ihrer Umgebung theologisch unanstößige Motive auszuwählen und für den alltäglich notwendigen Gebrauch als unbedenklich zu erklären. Diese vorsichtige Einschränkung des Bilderverbots kann durch eine eigene, spezifisch christliche Sinngebung der als harmlos erachteten Darstellungen zusätzlich erleichtert werden. Derartige christliche ‹Sinnbilder› bedeuten einen ersten Schritt in Richtung einer christlichen Kunst. Da das frühe Christentum aber keine zentrale Instanz kennt, die derartige Fragen verbindlich beantwortet, bleibt für den einzelnen ein weiter Spielraum.
Ein weiterer Grund für eine spezifisch christliche Deutung und Nutzung von allgemein verbreiteten, religiös indifferenten bildlichen Darstellungen liegt in dem unumgänglichen Gebrauch von bildhaften, anschaulichen Begriffen nicht nur in der Alltagssprache, sondern vor allem auch in jener des Alten und Neuen Testaments. Diese Sprachbilder decken sich häufig mit Motiven der darstellenden Kunst. So greift Christus in einer seiner Gleichnisreden auf ein allgemein verbreitetes und einprägsames Bild zurück: «Wer von euch, der hundert Schafe hat und eines von ihnen verliert, läßt nicht die neunundneunzig in der Wüste und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, legt er es voll Freude auf seine Schultern» (Lukas 15, 4–5).
1 Tonlampe (frühes 3. Jh.): Schafträger und sieben Schafe, Sonne, sieben Sterne, Mond, Noahszene, Ausspeiung und Ruhe des Jona. Berlin, Bode-Museum
Nun sind Darstellungen eines Hirten, der ein Schaf auf seinen Schultern trägt, in der hellenistischen und römischen Kunst vor allem aus dem privaten Bereich zahlreich überliefert. Auch dort können derartige Motive aus dem Hirtenleben eine allegorische Aussage haben: Nach der Meinung von römischen Dichtern wie Vergil erlangt man mit einem bescheidenen und naturnahen Leben, so wie es die – von ihm idealisierten – Hirten führten, Gelassenheit und einen heiteren Seelenzustand. Neben dionysischen und anderen bukolischen Gestalten bevölkern Figuren von Schafträgern die Gärten von römischen Villen und Häusern, tauchen dort in figürlichen Bodenmosaiken auf oder dienen als Dekor von Tischstützen und Tischgerät. In dieser privaten und eher profanen Sphäre verkörperten sie das – städtische – Ideal einer heiteren Ländlichkeit, ohne eine spezifisch religiöse Aussage zu haben. Die Darstellung eines Schafträgers kann also nur dann als eine solche des Guten Hirten im christlichen Sinn gedeutet werden, wenn sie in einen unzweifelhaft christlichen Kontext gehört (Abb. 1).
Bilder am Grab
Für die Christen bedeutet der Tod nur einen Schlaf, aus dem der Gottessohn seine Anhänger am Ende der Tage auferwecken und zu neuem Leben führen wird. Ihre Begräbnisstätten heißen daher Coemeterien, also Stätten des Schlafes. Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod hegen jedoch auch Nichtchristen. Seit je geben Bilder bei ihren Gräbern diesem Wunsch Gestalt und den Hinterbliebenen Trost. Auch von dieser traditionellen Sitte lösen sich die Christen nicht.
In den stadtrömischen Katakomben des 3. Jh. ist eine ganze Anzahl von Grabkammern erhalten, deren gemalter Dekor verschiedene christliche Darstellungen enthält. Aber auch im figürlichen Reliefschmuck der römischen Sarkophage, vor allem der zweiten Hälfte des 3. Jh., begegnen zuweilen christliche Szenen.
In der Callistus-Kata kombe an der Via Appia in Rom befindet sich der älteste archäologisch faßbare christliche Gemeindefriedhof. Auf ihn bezieht sich zudem eine sicher datierte Textquelle. In der Schrift mit dem Titel «Widerlegung aller Häresien», die Hippolytus von Rom zwischen den Jahren 222 und 235 verfaßte, erwähnt er, daß Bischof Zephyrinus (198–217) einen Callistus...