Einleitung
Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass es in keiner Generation so heikel und kompliziert war, junge Menschen zu erziehen und auf den rechten Weg zu bringen, wie in der gegenwärtigen. Gewalttätige Jugendliche sind längst nicht mehr nur Themen der Literatur und Filmkunst. Sie gehören zum täglichen Bild, das uns die Medien vermitteln. Man hat sich schon fast an die Berichte über mordende Teenager gewöhnt, die Gleichaltrigen, Eltern und manchmal sich selber das Leben nehmen. Es ist dies keineswegs mehr ein Phänomen der weniger privilegierten Schichten. Jugendliche Gewalt hat längst auch in die Wohnviertel der so genannten Besserverdienenden Einzug gehalten.
Bei den Eheseminaren, die ich landesweit veranstalte, erlebe ich immer wieder, dass die Eltern von einer Art Panikstimmung befallen sind. Das gilt besonders für jene Eltern, die erfahren mussten, dass ihre Kinder Drogen nehmen, ein Kind erwarten oder heimlich eine Abtreibung durchführen ließen. Allen diesen Eltern brennt nicht die eher philosophische Frage nach dem Ursprung dieser gesellschaftlichen Schieflage auf den Nägeln. Nein, sie fragen aus ihrer ganz persönlichen Betroffenheit und Verstrickung heraus: „Was haben wir eigentlich falsch gemacht? Wir wollten doch immer gute Eltern sein. Wir haben ihnen alles gegeben, was sie wollten. Wie können sie sich das selber und auch uns antun? Wir verstehen das einfach nicht.“ Das sind die Sorgen vieler Eltern. Als einer, der in den letzten dreißig Jahren intensiv Ehe- und Familienseelsorge betrieben hat, weiß ich, wovon diese Menschen sprechen. Ich weiß aber auch, was all jene unzähligen Eltern durchmachen, deren Teenager bislang verschont geblieben sind, die aber dennoch mit der latent drohenden Frage leben: „Wenn es jenen so ergangen ist, wann trifft es uns dann?“
Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage, warum unsere Teenager heute von solcher Unrast und Orientierungslosigkeit befallen sind. Tatsache ist, dass die Jugendlichen in einer Welt leben, die es so noch nie gab. Es ist eine globale Welt mit Satelliten, Computern und vielen technischen Errungenschaften, die unsere jungen Leute ständig vor die Wahl stellen, sie zum Guten oder Schlechten zu nutzen. Die ethnischen Grenzen lösen sich in unseren multikulturellen Gesellschaften allmählich auf. Hergebrachte Werte und Glaubensüberzeugungen weichen einem allgemeinen Pluralismus, bei dem keine Idee mehr über die andere gestellt wird. Und dieser Pluralismus hat sich etabliert. In ihm lässt es sich jedoch wesentlich schwerer navigieren als in früheren Gesellschaftssystemen. Wen wundert es da noch, dass unsere Teenager die Orientierung verlieren.
Nach meiner Erfahrung waren Eltern noch nie so hilflos wie heute, aber auch noch nie so wichtig. Mehr denn je brauchen die Teenager ihre Eltern. Die Forschung belegt, dass immer noch Vater und Mutter den größten Einfluss auf die jungen Leute haben. Erst wenn sich Eltern zurückziehen und nicht mehr erreichbar sind, übernehmen Gleichaltrige die Rolle der Leitfiguren. Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt, dass den jungen Leuten immer noch am besten gedient ist, wenn die Eltern ihre Aufgabe als liebevoller Leitwolf erkennen und ausfüllen.
Dieses Buch hat die Liebe zum Thema, weil sie der wichtigste Eckstein für den Bau einer gesunden Beziehung zwischen Eltern und Teenagern ist. Ich denke, dass Liebe eins der missverständlichsten Worte in jeder Sprache ist. Und so wünsche ich mir, dass dieses Buch dazu beitragen kann, einige dieser Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Es soll Eltern helfen, ihren Blick dafür zu schärfen, was die emotionalen Bedürfnisse ihrer jungen Leute stillen kann. Ich bin überzeugt, dass sich die jungen Menschen anders verhalten, wenn das Wichtigste – das Bedürfnis nach Liebe – befriedigt wird. Ursache dafür, dass unsere Teenager so manches Mal über die Stränge schlagen, ist ein leerer Liebestank. Ich will damit gar nicht sagen, dass Eltern normalerweise ihre Teenager nicht lieben. Ich behaupte nur, dass unzählige junge Leute von dieser Liebe nichts merken. Bei den meisten Eltern steht nicht infrage, ob sie lieben, sondern wie sie diese Liebe an den jungen Mann oder die junge Frau weitergeben. Es fehlt oft nur das Wissen, wie man Liebe auf der emotionalen Ebene richtig kommuniziert.
Teil des Problems ist, dass sich sehr viele Eltern selber nicht geliebt fühlen. Ihre Ehe ist längst auf dem absteigenden Ast, und da ist die Liebe allmählich versiegt. Das dringende Bedürfnis der Eheleute, einander ihre Liebe verständlich zu machen und die Hilflosigkeit vieler Paare hat mich damals motiviert, das erste Buch über Die fünf Sprachen der Liebe (erschienen im Verlag der Francke-Buchhandlung) zu schreiben. Dieses Buch, das inzwischen millionenfach verkauft worden ist, hat das emotionale Klima in unzähligen Ehen zum Positiven verändert. Die Eheleute haben es gelernt, die „Muttersprache der Liebe“ ihres Partners zu sprechen, und sie konnten dabei die Erfahrung machen, dass es ihnen auf diese Weise immer besser gelang, Liebe und Zuneigung verständlich zum Ausdruck zu bringen. Als Verfasser hat mich das besonders glücklich gemacht, vor allem, wenn ich Berichte von Paaren hörte, die sich vollkommen entfremdet hatten, dann aber ihre Liebe neu entdeckten, weil sie die Prinzipien anwandten, die sie in Die fünf Sprachen der Liebe kennen gelernt hatten.
Dankbar zur Kenntnis genommen habe ich auch die Reaktionen auf mein danach erschienenes Buch Die fünf Sprachen der Liebe für Kinder (ebenfalls im Verlag der Francke-Buchhandlung erschienen), an dem auch Ross Campbell mitgearbeitet hat. Er ist Psychiater und hat dreißig Jahre Erfahrung mit Kindern und ihren Eltern. Es hat Dr. Campbell und mich sehr gefreut, dass so viele Eltern durch dieses Buch die persönliche Liebessprache ihrer Kinder kennen gelernt haben. Aber auch Pädagogen und Lehrer benutzen es für Workshops und Seminare. Aus diesen Reihen kam dann auch die Anregung, das vorliegende Buch über die fünf für Teenager typischen Liebessprachen zu schreiben. Eine Mutter sagte einmal zu mir: „Ihr Buch über die fünf Liebessprachen für Kinder hat uns sehr geholfen, als die Kinder kleiner waren. Inzwischen sind aber aus den Kindern Teenager geworden. Und da hat sich doch vieles verändert. Wir haben versucht, die bekannten Prinzipien anzuwenden. Aber pubertierende Jugendliche sind eben anders. Schreiben Sie doch noch ein Buch, das uns hilft, unsere Heranwachsenden so zu lieben, dass sie es auch verstehen.“
Diese Mutter hatte Recht. Heranwachsende sind ganz besondere Spezies. Und wer diesen stachligen Wesen deutlich machen will, dass er sie liebt, braucht ein paar wichtige neue Erkenntnisse. Bei den Teens ist alles ständig im Fluss. Und Eltern, die ihnen ihre Liebe verständlich machen wollen, müssen sich genauso flexibel verändern. Ihre Ausdrucksformen der Liebe sollten sich dem jeweiligen Entwicklungsstand anpassen. Mein Wunsch ist, dass dieses Buch den Eltern von Teenagern genauso dient, wie die beiden Vorgänger Ehepaaren und den Eltern von Kindern so manche Anregung geben konnten. Wenn sich dieser Wunsch erfüllt, wäre das der schönste Lohn für die Mühe und Arbeit, die ich in dieses Buch investiert habe.
Es ist zwar in erster Linie für Eltern geschrieben, aber ich denke, auch Großeltern, Lehrer und alle, die in irgendeiner Form mit Jugendlichen zu tun haben, werden ihren jungen Leuten viel besser vermitteln können, dass sie sie wirklich noch immer lieben, wenn sie die hier vermittelten Prinzipien beherzigen. Teenager möchten nicht nur von den Eltern geliebt und angenommen werden, sondern auch von allen anderen Erwachsenen, die eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielen. Gehören Sie bereits zu den Großeltern, dann sollten Sie daran denken, dass Jugendliche dringend auf die Weisheit älterer und gereifter Erwachsener angewiesen sind. Beweisen Sie ihnen Ihre Liebe, und sie werden auf Ihren Rat hören.
Durch die Lektüre dieses Buches werden Sie in meinem Sprechzimmer „Mäuschen“ spielen dürfen. Sie werden Eltern und junge Menschen kennen lernen, die mir erlaubt haben, von ihrem ganz persönlichen Weg zu berichten. Natürlich sind alle Namen geändert worden, um die Privatsphäre zu schützen. Wenn Sie dann die zum Teil sehr freimütigen Dialoge von Eltern und Teens verfolgen, wird Ihnen sehr schnell klar werden, wie das Prinzip von den fünf Sprachen der Liebe im täglichen Leben auch in Ihrer Familie funktioniert.
Womit werden wir uns im Einzelnen beschäftigen? Im ersten Kapitel wollen wir die Welt unserer Teenager ein bisschen besser kennen lernen. Wir werden uns nicht nur fragen, welche Entwicklungsschritte zu erwarten sind, wenn Ihr Kind in die Pubertät kommt. Wir wollen uns auch mit der Umwelt beschäftigen, in der unser Teenager seine ersten selbstständigen Schritte ins Leben wagt. Im zweiten Kapitel werden wir erfahren, wie wichtig die Liebe für die emotionale, intellektuelle, soziale und spirituelle Entwicklung unserer Teenager ist. In den Kapiteln 3 bis 7 werden wir die fünf Sprache der Liebe einzeln kennen lernen und erfahren, wie man sie richtig anwendet. Im achten Kapitel wollen wir gemeinsam nach der individuellen Liebessprache Ihrer Teenager forschen, und Sie werden erfahren, wie man ihren Liebestank am schnellsten auffüllt.
In den Kapiteln 9 bis 12 sprechen wir dann Themenbereiche an, die im Leben des Heranwachsenden eine wichtige Rolle spielen – wie zum Beispiel Wut und das Streben nach Unabhängigkeit. Wir werden uns fragen, inwieweit die Liebe dazu in der Lage ist, Zorn sinnvoll abzuleiten und das...