Geld regiert die Finanzberater
Warum stehen Finanzberater bei der Frage, wem wir vertrauen, in diversen Studien immer auf einem der letzten Plätze?
Was macht ein Autoverkäufer? Er verkauft Autos, sagt ja schon der Name. Kein Kunde würde beim Besuch eines Autohauses auf die Idee kommen, dass er individuell dazu beraten wird, welches Fortbewegungsmittel aufgrund seines Alltags, Budgets und seiner Lebensweise am besten zu ihm passt. Ein Autoverkäufer macht uns Autos schmackhaft. Das ist legitim, weil wir darum wissen.
Und wie ist das bei Finanzberatern? Von ihnen erwarten wir einen Rat zu unseren Finanzen, bekommen als Rat jedoch ein Produkt empfohlen, denn heutige Finanzberater sind Finanzproduktverkäufer. In meiner mehr als zwanzigjährigen Tätigkeit in der Finanzwelt habe ich entgegen der landläufigen Meinung allerdings noch KEINEN Finanzberater getroffen, der es ganz bewusst schlecht mit seinen Kunden meint. Sicherlich gibt es auch einige schwarze Beraterschafe, die nur ihren eigenen Vorteil suchen – auf Kosten ihrer Kunden. Die große Mehrheit jedoch, davon bin ich fest überzeugt, sind gute Menschen, die leider ständig unter Druck stehen und fremdbestimmt arbeiten. Geprägt von der Finanz-DNA und der jahrelangen Dauerbeschallung in ihrer Bank-Käseglocke glauben sie tatsächlich an die große Geld- und Finanzlehre und sitzen so manchem Irrglauben auf.
»Ich berate Sie individuell!«
Stimmt’s? Würde man Sie wirklich individuell beraten, müsste der Finanzberater viel über Sie wissen. Wie soll er sonst einen Rat geben, der Ihnen in Ihrem Leben, bei Ihren Erfahrungen, Sorgen, Wünschen und Einstellungen wirklich weiterhilft?
Bei welchem Menschen aus Ihrem Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis trauen Sie sich selbst einen individuellen Rat zu, der der betreffenden Person auch wirklich weiterhilft?
Notieren Sie doch einmal, was Ihr Finanzberater über Sie weiß. Nicht selten reicht hierzu ein kleiner gelber Klebezettel. Wenn man bedenkt, dass zum Beispiel ein Privatkundenberater im Schnitt zwischen 1.000 und 1.500 Kunden betreut, stellt sich schon die Frage, ob eine individuelle Beratung bankseitig überhaupt gewünscht ist. Daher bleiben jedem Finanzberater automatisch nur zwei Möglichkeiten:
•zu versuchen, in Ihrem Leben globale Ansatzpunkte zu finden, mit denen der Verkauf von Finanzprodukten gerechtfertigt werden kann. Sie wollen doch sicher auch, dass Ihre Kinder einen guten Start ins Leben haben und bestmöglich abgesichert sind?
Ein eigenes Haus wäre doch auch was für Sie, oder?
•Ihr Geld zu »beraten« und es unabhängig von Ihrem Leben und dem zu betrachten, was Sie wollen.
Häufig ist es daher vollkommen egal, wen ein Finanzberater gerade berät: ob Rentner, Studentin oder ein Huhn mit 10.000 Euro – sein »Rat« ist fast immer derselbe. Individuelle Beratung ist somit oft schon rein theoretisch ein Ding der Unmöglichkeit.
Wie viele Finanzberater würden in der Regionalzeitung eine unterschriebene Erklärung veröffentlichen, dass sie jeden Kunden stets ehrlich, ohne Verkaufsdruck und individuell beraten haben?
»Ich berate Sie ganzheitlich!«
Klingt trendy, aber für eine wirklich ganzheitliche Beratung müsste sich Ihr Berater intensiv mit Ihrem Leben beschäftigen und Ihre Ziele und Wünsche aus ALLEN Lebensbereichen – Wohnen, Familie, Leben heute und im Alter – erfragen, konkretisieren, priorisieren und diese dann mit dem zur Verfügung stehenden Geld in Einklang bringen. Es macht einen großen Unterschied, ob Sie als Single leben oder eine vierköpfige Familie haben, ob Sie selbstständig oder angestellt sind, ob Sie noch Eltern haben, ein Haus, den Traum vom Auswandern oder, oder, oder. Ihr Leben muss stets der Anfang jeder Beratung sein (und zwar ausführlich!) und das Ziel jeder Empfehlung, dass sie auch zum Leben der Menschen passt, die in Ihrem Lebensmittelpunkt stehen.
Zum Beispiel muss man, wenn eine verheiratete Frau zur Altersvorsorge beraten werden soll, unbedingt auch ihren Ehemann einladen (umgekehrt natürlich auch). In vielen Fällen werden jedoch nur Einzelpersonen »beraten«. Eine zeitlich und menschlich intensive ganzheitliche Beratung, die im Zweifel auch gegen Bankinteressen verstieße (wenn der Kunde weder Geld noch Finanzprodukte für das braucht, was ihm wichtig ist), findet so gut wie nie statt. Wie auch, wenn die Finanzbranche mehr auf EDV-Lösungen und Standardisierung setzt als auf menschliche Beratung und Individualität?
»Ich nehme Ihnen Sorgen ab!«
Das Gegenteil ist häufig der Fall. Kunden bei ihren aktuellen Herausforderungen zu helfen geht nicht, wenn man diese gar nicht kennt. Es bleibt nur, nach globalen Beratungsgründen zu suchen. Diese (Produktverkaufs-)Gründe heißen daher häufig: Rentenlücke, Altersarmut, Familienabsicherung (bei Tod, Unfall, Berufsunfähigkeit) oder auch Wertverlust des Geldes (Inflation). Das alles sind Sorgen und Ängste, die der Kunde im Zweifel gar nicht hat, sondern eingeredet bekommt. Angst treibt – auch zur Finanzberatung. Und je größer die Angst, desto eher ist der Kunde zum Produktkauf bereit. Wer keine Angst hat zu verunglücken, zu sterben oder arbeitslos, bestohlen oder pflegebedürftig zu werden, schließt auch keine Versicherungen ab.
Übrigens, das Verrückte an Versicherungen ist: Die meisten Menschen schließen sie ab, weil sie Angst vor dem versicherten Risiko haben – etwa zu verunglücken. Die Angst vor dem Unfall ist um ein Vielfaches größer als die Angst vor den finanziellen Folgeschäden. Aber nur bei Letzteren helfen Versicherungen manchmal weiter. Viel sinnvoller wäre eine Versicherung gegen das Unglück im Leben. Doch leider (oder glücklicherweise?) gibt es die nicht.
Zum Vergleich: Welcher »Berater« einer anderen Branche verkauft so häufig nur über Angst? Kennen Sie einen Kleidungsverkäufer, der Ihnen Angst macht, dass Sie stark zunehmen könnten, und Ihnen daher rät, die von Ihnen gewünschte Hose am besten einmal in Ihrer heutigen Größe und einmal zwei Nummern größer zu kaufen?
Was würde ein Finanzberater wohl einem angstlosen Kunden »raten«, der ihm sagt: »Ich glaube ganz fest an den lieben Gott. Er passt immer auf mich auf. Mir passiert nichts, und sollte mir dennoch was passieren, bekomme ich das mit seiner Hilfe selbst in den Griff.«
99 Prozent aller Finanzberater würden gute globale Gründe suchen, den Kunden vom Gegenteil zu überzeugen:
•Man weiß aber nie, was im Leben so passiert.
•Sie sollten für alle Fälle abgesichert sein. Ein Unfall kann jeden von uns treffen, und sterben müssen wir alle irgendwann!
•Denken Sie an Ihre Kinder: Sollen die unter Armut leiden, wenn Ihnen etwas zustößt?
Finanzberater haben nie gelernt, vom individuellen Leben des Kunden aus zu denken und ihre Empfehlungen an dem auszurichten, was dieser denkt und für richtig hält.
Würden Finanzberater ihren besten Freund beraten, wären ihre Empfehlungen dann andere als die, die sie ihren Kunden geben?
»Ich bin in Finanzfragen kompetent!«
Die meisten Finanzberater haben wenig Ahnung von Finanzen, sondern eher davon, wie man Produkte anpreist und die EDV bedient. Ihre Vorgesetzten und Ausbilder wissen, dass zum Beispiel die meisten Privatkundenberater kaum etwas zu Wertpapieren, Börsen oder allgemeinen Wirtschaftsfragen sagen, geschweige denn ihren Kunden erklären können. Fragen Sie Ihren Finanzberater doch mal, wo der DAX heute steht, was eine Inflation oder Deflation ist, welche Anlageklassen davon profitieren und was das alles für Auswirkungen auf Ihre Geldanlagen haben kann. Die Antworten könnten Sie überraschen.
Die Gründe für solche Inkompetenz sind vielschichtig. Finanzberater sind jahrelang rein produktbezogen ausgebildet worden, weil es ihrem Arbeitgeber nicht darum geht, dass sie Zusammenhänge zwischen Finanzpolitik, Finanznachrichten und den Anlagen ihrer Kunden herstellen (und diesen im Zweifel dann wichtige Hinweise geben, die der Bank keinen Ertrag bringen). Auch kenne ich zum Beispiel kaum Privatkundenberater, die den Finanz- und Wirtschaftsteil einer Zeitung durchlesen, geschweige denn die relevanten Fragen durchdenken. Wie kompetent Finanzberater wirklich sind, erkennen Sie an der Antwort auf die Schätzfrage, wie viel Prozent der Bankvorstände ihr Geld vertrauensvoll in die Hände ihrer eigenen Berater legen würden. Ich kenne keinen. Wissen Vorstände etwa mehr als ihre Kunden?
»Ich helfe Ihnen, mehr aus Ihrem Geld zu machen!«
Das Gerücht, dass ein Finanzberater weiß, wie man mehr aus dem Geld herausholt, hält sich genauso hartnäckig wie der Glaube, dass Spinat extrem viel Eisen enthält. Warum aber liegen heute über 70 Prozent des verfügbaren Geldes in kurzfristigen Anlagen wie Tages-/Termingeldern, wenn die Masse des Geldes erst in vielen Jahren benötigt wird und es sinnvollere Anlagemöglichkeiten gibt? Warum halten viele Finanzberater Aktien für riskant und Tagesgelder für sicher? Vielleicht liegt es daran, dass sie Aktien nicht als langjährige Sachwertanlage verkaufen, sondern nur als Spekulationsobjekt, das häufig umgeschichtet wird, um die Gebühreneinnahmen zu...