Der Marxismus-Leninismus gilt als offizielle Bezeichnung für die in der Sowjetunion herrschende Ideologie. Dieser gründet sich auf die von Lenin vorgenommene Anpassung der Lehren von Marx und Engels an die sozialen und politischen Verhältnisse Russlands im frühen 20. Jahrhundert. Der Leninismus berücksichtigt über die Lehren des Marxismus hinaus den Eintritt des Kapitalismus in das Stadium des Imperialismus und vertritt die Lehre von der ungleichmäßigen Entwicklung der verschiedenen am kapitalistischen Weltmarkt teilnehmenden Gesellschaften.
Während Marx annahm, dass die proletarische Revolution von den hoch industrialisierten Staaten Mittel- und Westeuropas ausgehen würde, behauptete und betrieb der Leninismus mit Erfolg den revolutionären Durchbruch in einem relativ rückständigen, agrarischen Land. Lenin formulierte darüber hinaus die Lehre von der Partei neuen Typs, die als klassenbewusste Vorhut des Proletariats die Führung und Erziehung der werktätigen Massen zu übernehmen habe.
Durch die sowjetische Vormachtstellung in der Kommunistischen Internationale wurde die Organisationstheorie Lenins lange Zeit für alle kommunistischen Parteien verbindlich. Die Nachfolger Lenins, vor allem Stalin, bauten den Marxismus-Leninismus zu einer Weltanschauungslehre mit dogmatischen Zügen und universalem Anspruch aus.[4]
Grundvoraussetzung eines marxistischen Geschichtsunterrichts ist die Vertrautheit der Schüler mit den wichtigsten Grundgedanken des Kommunistischen Manifests:
- Seit der Auflösung der Urgesellschaft ist die Geschichte der menschlichen Gesellschaft eine Geschichte von Klassenkämpfen.
- Die Arbeiterklasse hat die historische Aufgabe, den Kapitalismus zu stürzen und die sozialistische Ordnung zu errichten, das heißt, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen für immer zu beseitigen.
- Die Arbeiterklasse muss sich in allen Ländern revolutionäre Parteien schaffen und ihren Kampf in allen Ländern gemeinsam führen.[5]
DDR-Methodiker waren sich einig, dass eine wissenschaftliche Pädagogik nur auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Dialektik möglich sei. Im Unterrichtsprozess sollte der Schüler Wissen nach den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Erkenntnis erwerben, die von der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie entdeckt worden waren.[6]
Dies bedeutete, dass die Schüler den wissenschaftlichen Charakter des Marxismus-Leninismus und seine Bedeutung für den weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte verstehen lernen sollten. Dabei komme es vor allem davon an, zu demonstrieren, dass diese Theorie nicht erdacht worden sei, sondern der Wirklichkeit entspreche. Dass der Marxismus-Leninismus „die größte kulturelle Errungenschaft der Menschheit ist, weil er ihre Befreiung von der Barbarei, von Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg garantiert“[7], sollte den Schülern deutlich gemacht werden.
Wie genau der Marxismus-Leninismus Auswirkung auf den Geschichtsunterricht der DDR nahm, lässt sich ableiten aus einer Rede Walter Lindemanns, Professor für Geschichtsmethodik an der Universität Halle an der Saale:
„Die Lehrer in unserer Deutschen Demokratischen Republik können der Jugend die Geschichte der menschlichen Gesellschaft in ihrer wahren Entwicklung zeigen, einer Entwicklung, die nicht beim Kapitalismus stehen bleibt, sondern zur Diktatur des Proletariats in allen Ländern der Erde weiterschreitet. Welch wahrhaft große und schöne Aufgabe für den Geschichtslehrer! Um ihr gerecht zu werden, müssen wir Geschichtslehrer nicht nur immer gründlicher die Geschichte der menschlichen Gesellschaft anhand der von der marxistischen Wissenschaft gewonnenen Kenntnisse und Erkenntnisse allseitig studieren, sondern unsere besondere Aufgabe ist es, die geeigneten Methoden zu entwickeln, diese Lehren der Geschichte unserer Jugend in einer ihrem Alter entsprechenden Form darzubieten.“[8]
Der historische Materialismus (Histomat), entwickelt von Marx und Engels, ist die theoretische Grundlage der marxistischen Philosophie. Er beschäftigt sich mit der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit, der Gesellschaften und der gesellschaftlichen Klassen.
Der historische Materialismus besagt, die Geschichte werde ausschließlich von den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen und den Produktivkräften gelenkt, die das menschliche Bewusstsein bestimmen. Die Vergangenheit ist demzufolge keine Geschichte der Kaiser, Könige und Eroberer, sondern eine Geschichte der werktätigen Massen, eine Entwicklungsgeschichte der Produktion. Dies bedeutet, dass der Mensch, indem er mit der ihn umgebenden Natur durch seine Arbeit in Kontakt tritt, sich als gesellschaftliches Wesen konstituiert und mit anderen Menschen bestimmte Beziehungen gesellschaftlicher Natur unterhält, welche ihrerseits einen Einfluss auf ihn als Menschen haben.[9] „Die Menschen gestalten ihre Geschichte selbst, vor allem durch ihre Arbeit. Sie sind nicht passives Objekt der Geschichte, sondern ihr Subjekt.“[10]
Die Veränderung der Produktivkräfte bewirke, dass sich auch die gesellschaftlichen Verhältnisse und Bewusstseinsformen ändern. „Die Grundlage für die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und die wesentliche Ursache für die Spaltung der Gesellschaft in Klassen und für den Klassenkampf ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln.“[11] Im gesellschaftlichen Bereich entsteht ein Antagonismus, der den Zusammenhang von sich unversöhnlich gegenüberstehenden und bekämpfenden Klassen beschreibt. In den Klassengesellschaften führt das Anwachsen von antagonistischen Widersprüchen zwischen den ausgebeuteten und ausbeutenden Klassen, die sich in einer Revolution entladen, zum Übergang von der niederen in die nächst höhere Gesellschaftsformation.
Diese Bewegung erklärte Marx zur Grundlage der menschlichen und zivilisatorischen Entwicklung. Einer relativ ruhigen Etappe mit mehr oder weniger feststehenden Produktionsverhältnissen und Arbeitsteilung folge jeweils eine kurze, heftige des Klassenkampfes, in der die Unterklassen versuchen, das Produktionsverhältnis zu ihren Gunsten zu verändern und sich die Produktionsmittel anzueignen.
Anschließend werde sich ein neues Produktionsverhältnis herauskristallisieren und der Klassenkampf beginne erneut. Demnach sei für die Geschichte die materielle Entwicklung der Gesellschaft ausschlaggebend und nicht der geistige Lebensprozess. Das gesellschaftliche Leben sei also strengen Notwendigkeiten unterworfen, habe seine eigenen materiellen Entwicklungs- und Bewegungsgesetze. Laut Marx ist die Geschichte demnach keine bloße Anhäufung von Zufälligkeiten, von persönlichen Willensakten oder Entscheidungen gewichtiger historischer Persönlichkeiten, sondern der gesetzmäßige Entwicklungsprozess der Gesellschaft.[12]
Mit dem historischen Materialismus erklärte Marx den Wechsel der herrschenden Klassen, Gesellschaftsformationen und Denkepochen: Die Urgesellschaft stellt die niedrigste menschliche Entwicklungsstufe dar, in der es noch kein Privateigentum und keine Trennung in Klassen gab. Im Alten Orient entstand die erste Klassengesellschaft, darauf folgten die Sklavenhaltergesellschaft, der Feudalismus und der Kapitalismus. Der Sozialismus ist eine Vorstufe der klassenlosen Gesellschaftsformation des Kommunismus, die als höchste und anzustrebende Entwicklungsstufe gilt, da es kein Privateigentum und keine Klassen mehr geben soll.
„Heute muss als letzte und allgemeinste Ursache der geschichtlichen Bewegung der Menschheit die Entwicklung der Produktivkräfte...