Was soll das Ganze überhaupt? – Grundideen und Ziele der Reform
Zugegeben – das Reformfieber in Deutschland hat gerade das Gesundheitswesen in den letzten Jahren besonders erwischt. Warum das so ist?
Zum einen sind die Veränderungen in unserer Gesellschaft derzeit besonders dramatisch, sowohl auf dem Arbeitsmarkt, als auch beim demografischen Wandel und beim medizinischen Fortschritt – alle drei Faktoren sind wesentlich für das Gesundheitssystem. Denn je weniger Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs beschäftigt sind, desto weniger Geld fließt in die Krankenkassen. Zudem altert unsere Gesellschaft rapide. Der demografische Wandel führt dazu, dass immer weniger Beitragszahler nachkommen. Und die Menschen werden immer älter, beanspruchen also länger Leistungen aus dem Gesundheitswesen. Nicht zuletzt führt der medizinische Fortschritt zwar zu einer – dankenswerterweise – besseren Versorgung, aber eben auch zu höheren Kosten, weil neue und teurere Therapien und Medikamente auf den Markt kommen.
Zum anderen hat die Politik erst geschlafen und dann eine Weile lang versucht, mit halbherzigen Maßnahmen das alte System zu sichern. Ab den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde mal hier und da der Sparriegel vorgeschoben, aber gebracht hat das alles nicht viel. Dass nur eine gründliche strukturelle Veränderung unser Gesundheitssystem für längere Zeit wieder zukunftssicher machen würde, haben die Damen und Herren Politiker nicht gesehen oder nicht sehen wollen. Nach wie vor gilt die alte Regel, dass man mit Gesundheitspolitik keine Wahlen gewinnen, wohl aber verlieren kann.
Dem Gesundheitssystem konnte jedoch mit all der Flickschusterei der Vergangenheit nicht wieder auf die Beine geholfen werden. Daher ist die Politik nun dazu übergegangen, echte Strukturveränderungen einzuleiten, die eine allmähliche Anpassung des Systems auf die zukünftigen Herausforderungen leisten sollen. Die Ziele, die mit dieser Gesundheitsreform erreicht werden sollen, sind vor allem:
Mehr Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen (GKV)
Wahl- und Vertragsmöglichkeiten für alle Beteiligten im System: Kassen, Ärzte und Versicherte
Krankenversicherung für alle
Neuausrichtung der privaten Krankenkassen (PKV)
Einsparungen und mehr Effizienz im Gesundheitswesen durch mehr Wettbewerb
Mehr Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen
Bislang fand der Wettbewerb zwischen den Kassen nur über den Preis statt – nämlich über den Beitrag, den die Versicherten zahlen mussten. Die Leistungen, die die Krankenkassen bezahlen durften, waren größtenteils gesetzlich festgelegt und daher bei allen Anbietern weitgehend gleich.
Das soll sich in Zukunft ändern. Die Krankenkassen bekommen mit der Gesundheitsreform das Recht, sogenannte Wahltarife zu entwickeln und ihren Versicherten anzubieten. Die Versicherten haben so die Möglichkeit, sich aus der Vielzahl der unterschiedlichen Versorgungsmodelle, die die verschiedenen Versicherungen im Angebot haben, das optimale Angebot für den eigenen Bedarf herauszusuchen.
Beispiele
Andrea ist jung und eigentlich nie krank. Sie wählt bei ihrer Versicherung einen Tarif mit Selbstbehalt, weil sie davon ausgeht, dass sie auch in den nächsten Jahren nicht oft zum Arzt muss. Selbstbehalt heißt, dass Andrea Arztrechnungen bis zu einer gewissen Summe selbst bezahlt. Nur das, was darüber hinausgeht, übernimmt die Krankenkasse. Dafür erhält Andrea von der Krankenkasse einen Bonus. In Jahren, in denen sie nicht oder nur selten zum Arzt geht, macht sie ein finanzielles Plus. (Mehr zu den Selbstbehalttarifen lesen Sie ab Seite 41.)
Günter ist Diabetiker und wählt einen besonderen Tarif für diese Krankheit. Er profitiert damit von einer besseren, weil kontinuierlichen und aufeinander abgestimmten Betreuung spezialisierter Ärzte. Zudem kann er durch die Teilnahme an diesem Programm seine Zuzahlungen, die er zu den Medikamenten leisten muss, senken. (Mehr zu diesen sogenannten Disease Management Programmen lesen Sie ab Seite 31.)
Im Wettbewerb der Kassen untereinander werden also – so lautet der Plan – künftig jene Anbieter die Nase vorn haben, die das beste Versorgungsmodell entwickeln.
Dass dabei womöglich die sehr kleinteilige deutsche Krankenkassenlandschaft durch Fusionen bereinigt wird, ist ein durchaus gewünschter Nebeneffekt des Konkurrenzkampfs. Denn die großen Kassen, die auf diesem Weg entstehen, können beispielsweise mit Arzneimittelherstellern besser verhandeln und so Kosten senken.
Kassenfusionen waren auch vor der Gesundheitsreform möglich, allerdings durften sie nicht kassenübergreifend erfolgen. Eine Betriebskrankenkasse durfte also nicht mit einer Ersatzkrankenkasse zusammengehen. Für Sie als Versicherten ist bei einer Kassenfusion interessant zu wissen, ob Sie dadurch finanzielle Nachteile haben, z. B. weil Sie plötzlich eine Zusatzprämie leisten müssen oder Ihr Bonus wegfällt (mehr zu Bonus und Zusatzprämie lesen Sie ab Seite 105). In einem solchen Fall haben Sie ein sofortiges Kündigungsrecht.
Krankenversicherung für alle
Ein sehr wichtiges und begrüßenswertes Ziel der Gesundheitsreform ist es, allen Bürgern einen Krankenversicherungsschutz zu verschaffen. Niemand soll durch Krankheiten in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sein. Denn obwohl es unglaublich klingt, gab es bisher in Deutschland viele Menschen ohne einen ausreichenden Schutz im Falle von Erkrankung oder Unfall.
Benachteiligt waren hier beispielsweise Selbständige, die sich ihre privaten Versicherungsprämien nicht mehr leisten konnten, oder Versicherte, die nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt auf teure Privatpolicen angewiesen waren, weil es im System der Gesetzlichen Krankenversicherung keinen Aufnahmezwang für Auslandsrückkehrer gab.
Mit dem 1. Juni 2007 ist in Deutschland eine allgemeine Pflicht zur Versicherung in der gesetzlichen Versicherung entstanden. Umgekehrt müssen Krankenkassen dadurch die Antragsteller aufnehmen. In den privaten Versicherungen gibt es diese allgemeine Pflicht zur Versicherung seit dem 1. Januar 2009. (Mehr zur allgemeinen Versicherungspflicht lesen Sie ab Seite 75.)
Selbst wenn ein Versicherter in Zukunft mit seinem Beitrag in Rückstand gerät, darf ihm die Krankenkasse oder Versicherung den Versicherungsschutz nicht vollständig entziehen. Damit ist für alle Einwohner in der Bundesrepublik ein Mindestschutz im Krankheitsfall gewährleistet.
Neujustierung der privaten Krankenversicherung
Ein weiteres Thema, um das sich die Gesundheitsreform dreht, ist die Neuausrichtung der privaten Krankenversicherungen (PKV) in Richtung gesetzliche Versicherung. Ziel dieser Anpassung ist es, langfristig die unterschiedlichen Versicherungsmodelle der PKV und der GKV zu einem einheitlichen und gemeinsamen Markt zusammenzuführen. Ob sich dieser Versorgungsmarkt dann künftig eher an der bisherigen GKV orientiert oder ob die Kassen eher dem Beispiel der PKV folgen und in privatwirtschaftliche Unternehmen umgewandelt werden, werden Politik und Wähler zu entscheiden haben.
Auf die Veränderungen, die die privaten Krankenversicherungen betreffen, gehen wir im Kapitel »Was gilt für die private Krankenversicherung?« genauer ein. Hier lesen Sie dann alles über den Basistarif, die Mitnahme der Altersrückstellungen und den damit möglichen Wechsel zwischen verschiedenen Anbietern.
Achtung
Mit all diesen Änderungen wird klar, dass die Gesundheitsreform tatsächlich jeden einzelnen Bürger der Bundesrepublik Deutschland betrifft – ganz gleich, ob es sich um einen privat Versicherten oder ein Mitglied in einer gesetzlichen Krankenversicherung oder um jemanden handelt, der bisher nicht versichert war.
Mehr Effizienz im Gesundheitswesen
Natürlich geht es auch bei diesem Reformvorhaben wieder darum, Kosten zu senken oder zumindest in den Griff zu bekommen. Das ist im Grunde das große Thema, dem sich alle anderen Maßnahmen unterzuordnen haben. Immerhin gilt es, die Qualität der Versorgung auf hohem Niveau zu sichern, wie es in den Sonntagsreden der Politiker so gern heißt. Jede und jeder soll auch in Zukunft die medizinische Behandlung erhalten, die sie oder er braucht.
Dabei sollten wir bedenken, dass gerade in der Hochleistungsmedizin unser System immer teurer wird: Gentechnisch individualisierte Arzneimittel, routinemäßige Transplantationsmedizin und neurologisch steuerbare Prothesen – um nur einige wenige Beispiele zu nennen – sind Herausforderungen, auf die unser Gesundheitssystem nicht ausgerichtet und nicht vorbereitet ist, gerade weil jeder Versicherte nach dem Leistungsversprechen des Sozialgesetzbuchs V darauf Anspruch hat.
Das bedeutet, dass jeder Euro der Versicherten »wirtschaftlich« eingesetzt werden muss – also da ankommen soll, wo er benötigt wird. Die Stärkung des Wettbewerbs unter den Krankenkassen soll für mehr Effizienz sorgen. Denn nur Organisationen, die mit dem zur Verfügung stehenden Geld auch auskommen also verantwortlich umgehen, werden sich...