1.Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten oder innerdeutsche Grenze?
Jeder Pfad, jeder Weg, jede Autobahn zur -„deutschen Einheit“, „Wiedervereinigung“, „Deutschland einig Vaterland“, „Vereinigung Deutschlands“, „Ende deutscher Zweistaatlichkeit“, „dem Weg in die deutsche Einheit“, „Deutschlands Wiederkehr“, „Angliederung“, „friedliche Rückeroberung der DDR vom deutschen Kapital“ 1, dem von mir verwandten Begriff des Anschlusses der DDR an die BRD, und den von der russischen Diplomatie in jüngster Zeit (Januar 2015) verwendeten Annexionsbegriff der DDR durch die BRD berührt immer unmittelbar oder indirekt die Problematik der Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten und der Grenze um Westberlin.2
Es scheint so, dass dazu alles gesagt und geschrieben ist. Die Vielzahl von Veröffentlichungen in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften sowie im Internet, der vergangenen Jahrzehnte über die deutsch-deutschen Beziehungen, hier interessiert insbesondere die Problematik der Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten, sollte eigentlich genügen?
Leider stimmt das nicht. Warum? Immer wieder wird bis in die heutigen Tage (25 Jahre nach Anschluss der DDR an die BRD3) hervorgehoben, dass die Staatsgrenze zwischen der DDR und der BRD, in ihrer gesamten Länge von 1278 Kilometern4, wenn nicht eine Demarkationslinie oder Zonengrenze, doch zumindest eine „innerdeutsche Grenze“ war und nachträglich gern auch noch so bezeichnet wird.5
Prinzipiell muß aber festgestellt werden, dass eine wissenschaftlichtheoretische Auseinandersetzung um Grundfragen der Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten und der inneren Grenze der DDR um Westberlin mindestens lückenhaft sind.
Daniel-Erasmus Khan6 widmet dem „Gebietsbestand Deutschland“ nach dem Ende des zweiten Weltkrieges lediglich acht Seiten und vergisst dabei nicht, die Grundpositionen des Bundesverfassungsgerichts der BRD (im folgenden BVerfG) und die „innerdeutsche“ Grenze zu erwähnen.7 Im Teil III „Die Grenzen Deutschlands zu seinen Nachbarstaaten „Bestandsaufnahme und offene Einzelfragen“ läßt er, entsprechend seines „westlichen“ Verständnisses die Staatsgrenze zwischen der DDR/BRD völlig unberücksichtigt.8 So, als hätte es diese Grenze, konsequenter - Staatsgrenze, überhaupt nicht gegeben!
Alexander Demandt (Herausgeber)9 läßt Helmut Wagner unter dem Titel „Die innerdeutschen Grenzen“ zu Wort kommen.10 Unter den „innerdeutschen Grenzen“ subsumiert er die deutschen Binnengrenzen zwischen den Gebietskörperschaften auch in Bezug zu den „heute existierenden DDRBezirke und der Bundesländer“ und bezeichnet diese als „Nachkriegsgeschöpfe.“11 Zusammenfassend ist festzustellen, dass Helmut Wagner unter innerdeutschen Grenzen auf keinen Fall die Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten verstehen wollte.
Wenn Peter Joachim Lapp in seinem über 600 Seiten dicken Buch „Das Grenzregime der DDR“ (mit einem Staatswappen der DDR versehen) im ersten Satz behauptet, „nichts prägte die untergegangene DDR mehr als ihre Grenzen… Tausende von Veröffentlichungen zu ihrem Grenzregime, zur Berliner Mauer und innerdeutschen Grenze sowie zu den Grenztruppen“ legen davon Zeugnis ab, 12 dann bedient er offensichtlich die Klischees der Vergangenheit. Wie können Grenzen einen untergegangenen Staat prägen zumal diese Staatsgrenzen immer zwischen den Staaten verliefen? Oder wird hier deutlich gemacht, dass auch die alte BRD untergegangen ist? Das gesamte Buch „bewertet“ z.B. die Veröffentlichungen von Baumgarten/Freitag, Keßler/Strelitz, Gisela Karau als „oft stark verharmlosend“ und das gesamte Grenzregime als „menschenfeindlich“, weil es gegen Völkerrecht verstoßen hätte.
Auch der Artikel 12 Absatz 2 der „Konvention über Bürgerrechte und politische Rechte“ aus dem Jahre 1966 muß herhalten. Der Absatz 3 wird, wie es selbstverständlich geworden ist, unterschlagen. Dieser Absatz schränkt die „Freizügigkeit“ –jedes Menschen ein, seinen eigenen Staat zu verlassen, wenn13 sie „durch das Gesetz vorgesehen sind, die zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind und mit den anderen in dieser Konvention anerkannten Rechten zu vereinbaren sind.“14 Bekanntlich hat es z.B. im Strafgesetzbuch der DDR von 196815 den § 213 gegeben, der den „ungesetzlichen Grenzübertritt“ unter Strafe stellte.
Obwohl der Kalte Krieg offiziell am 21. November 1990 mit der „Pariser Charta für ein neues Europa“ beendet wurde, wurde (wie Lapp deutlich macht) diese Kriegsart niemals wirklich eingestellt.
In der Charta erklärten die Staats- und Regierungschefs, die die Teilnehmer-staaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa repräsentierten: Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas für beendet und erklärten, dass sich ihre Beziehungen „künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden“… Unter Bezugnahme auf die KSZE- Schlußakte von Helsinki wurde festgestellt, dass in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, Einheit und vor allem des Friedens anbrach. „Er trat in seine neue Phase oder in einen `kälteren Krieg´ ein, als der vergangene war (engl. `the Colder War´).16
In der Charta von Paris gibt es, außer einem allgemeinen Hinweis, auf die KSZE- Schlußakte, keine Bezugnahme auf Grenzen irgendwelcher Art. Bemerkenswert erscheint mir, dass Grenzprobleme in heutiger Zeit sich auf die Flüchtlingsströme von Afrika nach Europa konzentrieren. Also genau das gegenteilige Phänomen: Es geht nicht darum, z.B. die „Flucht“ aus einem deutschen Staat in einen anderen zu verhindern, sondern diese Massenflucht (vor allem über das Mittelmeer) in „geregelte Bahnen“ zu lenken und die Flüchtlinge gerecht auf die Staaten der EU zu verteilen.
Nicht vergessen soll die Wortmeldung den Mitglieds des Europaparlaments (CDU) Elmar Brok17 werden, der der SED der DDR, der „kommunistischen Diktatur“ die Ursachen für Ausländer -Haß und rechten Terror in Sachsen, das seit 25 Jahren von der CDU regiert wird, unter zu jubeln.18
Ein „innerdeutscher Grund“ besteht sicher darin, dass das Bundesverfassungsgericht mehrmals feststellte, dass das Deutsche Reich fortexistiert und es folgerichtig keine Staatsgrenze zwischen den beiden deutschen Staaten geben konnte und auch nicht gegeben hätte. Diese von der DDR als Staatsgrenze benannt - war demzufolge eine (innere) Reichsgrenze?
Im Folgenden soll versucht werden, anhand der Formulierungen im Urteil des BVerfG vom 31. Juli 1973 zum Grundlagenvertrag (GLV), etwas Klarheit in die sogenannte innerdeutsche Grenzproblematik zu bringen.
1 Vgl. Nakath/Küchenmeister u.a. aaO.
2 Vgl. Emmerich, Klaus (Grenzen, 2009); Grenze um Westberlin (2013); Grenzkommission (2014); Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten (2013) aaO.
3 Kurt Seidel (Beziehungen) aaO S. 132 schreibt die Schöpfung dieses Kürzels Michael Kohl und sich zu, weil es vorher(vor 1969) ziemliche Verrenkungen gab, um “Deutschland“ zu vermeiden: z.B. „westdeutsche Bundesrepublik“.
4 Statistisches Jahrbuch der DDR 1990 Seite 469. Über den Status der Grenze um Westberlin als „innere Grenze der DDR“, kann nachgelesen werden (aaO Emmerich Grenze um WB).
5 Selbst das Bundesarchiv in Koblenz bezeichnet im Bestand B 137 unter dem Klassifikationspunkt 1.5 noch eine „innerdeutsche Grenze“ im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Grenzkommission DDR/BRD. Unter der Bestandssignatur B 369 sind 19 Bände über die Tätigkeit der Grenzkommission enthalten, „die mit der innerdeutschen Grenze zusammenhängende allgemeine Fragen, Probleme und Regelungen sowie zahlreiche Einzelfälle dokumentieren“ (Schreiben des Bundesarchivs vom 12. Mai 2015 an den Autoren, Anlage, Unterstreichung: K.E.). Siehe auch die Titel Fricke/Ritzau und Schultke.
6 „Die deutschen Staatsgrenzen“ aaO.
7 AaO S. 102.
8 AaO S. 103–579.
9 “Deutschlands Grenzen in der Geschichte“ aaO.
10 Ebenda S. 234–276.
11 Ebenda S. 267.
12 AaO Seite 7.
13 So reimten wir bereits als Kinder: Wenn das Wörtchen wenn nicht wär- dann wär mein Vater Millionär.
14 Vgl. Lapp aaO S. 8.
15 StGB vom 13. Januar 1968 i. d. F. vom 19 Dezember 1974 (GBl. I 1975 Nr. 3 S. 14). Hinweise: 1. Zur strafrechtlichen Verfolgung wegen ungenehmigten Verlassens vor dem 1.1.1972 vgl. § 2 des Gesetzes vom 10.10.1972 zur Regelung von Fragen der Staatsbürgerschaft (GBl. I Nr. 18 S. 265). 2. Vgl. § 8 des Paßgesetzes der DDR vom 15.9.1954 (GBl. Nr. 81 S. 786) i. d. F. des Änd. Ges. vom 30.8.1956 (GBl. I Nr.81 S. 733), des Änd. Ges vom 11.12.1957 /GBl. I Nr. 78 S. 650) und des Anpassungsgesetzes vom 11.6.1968 (GBl. I Nr. 11 S. 242; Ber. GBl. II Nr. 103 S. 827).
16 Kozin aaO S....